Zusammen mit Samira hatte sie sich erneut in den feuchten Wald gewagt, in diese Gegend wo die Geister so anders und unruhig zu sein schienen. Starke Wassergeister überall, in der Luft, im Boden, in der Kleidung... einfach überall, dazu diese drückende Hitze. Diese Umstände machten der Hathran zu schaffen, kam sie immerhin aus einem Gebiet wo eher die Kälte vorherrschend war. Doch nach einer Begehung des alten Klosters, welches die Amazonen wieder aufbauen wollten, war klar, dass sie helfen würde. Sie hatte von einem Band des Vertrauens gehört, welches das kleine Goldfrauenvolk mit den Kindern Sarmatijasch' verband und auch wenn sie sich nicht darauf ausruhen wollte, nutze sie diesen Umstand für einen Vertrauensvorschuss.
In ihrer Heimat, der Nordinsel Thule, gab es einige Geisterbäume im Dorf der Brat'acks. Diese Bäume waren dazu da um die Geister zu besänftigen, denn wann immer ein kleines Opfer oder eine kleine Gabe nötig war, wurde jenes an diesen Bäumen vollbracht. Erntete man im später Sommer das Obst von den Bäumen, so hingen die Hathrans als Dank dafür diverse Kleinode in die Baumkronen der Geisterbäume. Das konnte alles erdenkliche sein, so lange es eine Bedeutung hatte oder die Person Zeit für die Herstellung geopfert hatte.
Die Geister, so erzählte ihre Mutter immer, wussten es zu schätzen, wenn man die wenige Zeit, die man auf der Welt der Sterbenden hatte, dazu aufbrachte um den Ihnen Respekt zu zollen.
So klimperte, klackerte und rauschte es in den Baumkronen der Geisterbäume, die mit geflochtenen Bändern, Knochenschmuck, Windspielen, Steinperlenketten oder anderen Kleinigkeiten behangen waren. Wichtig aber war der Geisterfänger, den die Menschen vermutlich als Traumfänger kannten. Jeder Baum hatte mindestens einen davon und sie waren nicht, wie der Name anmuten ließ, dafür gedacht um die Geister einzufangen, nein, sie waren dazu gedacht den Geistern ein Leuchtfeuer zu sein, so dass sie auch ganz sicher den Geisterbaum finden und nicht übersehen würden.
Die Amazonen hatten, laut Samiras Aussage, keinen Geisterbaum und das war ein Umstand den Veldys natürlich ändern wollte. Denn ein Ort wie das Kloster, brauchte sicherlich so einen Baum. Zusammen mit Samira suchte sie einen passenden Platz in der Nähe des Klosters, ehe sie sich wieder in Grimlas Hain begab um dort alles vorzubereiten. Sie war erst seit kurzem auf diesem Kontinent, doch war ihr schon aufgefallen, dass es zwar einen großen Geisterbaum in der Mitte zu geben schien, ihm aber offenkundig keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Vermutlich ein Mangel an Hathran? Das würde sie bereinigen.
Den nächsten Tag verbrachte sie damit durch den Mooswald zu streunen und dort weiche, dünne Weidenzweige zu finden. Sie mussten stark, aber biegsam sein und nach einiger Zeit fand sie ein paar die ihren Ansprüchen gerecht wurden. Die Weidenzweige wurden in einen kleinen Trog mit Wasser gelegt, während Veldys sich wieder auf den Weg machte, um die nächsten Bestandteile des Geisterfängers zu suchen. Am Fuße der schroffen Steinhänge fand sie einige schöne Adlerfedern, die sie vorsichtig in ihren Beutel legte, ehe sie aus der Tavernenhöhle ein paar kleinere Tierknochen besorgte und vom Minenarbeiter einen besonders schönen, großen Sternensaphir. Wasserblau, ein perfektes Auge.
Nachdem sie alles gefunden hatte, fing sie an die dünnen Weidenzweige mit Strohband zu verflechten und verzweigen, bis ein Kreis entstand, der durchzogen war von Bändern und Linien. In der Mitte hatte sie das Auge, den großen Wassersaphir, eingeflochten und nun musste sie nur noch die Knochen und Federn an geflochtenen Strohbändern am unteren drittel des Kreises befestigten. Die Knochen wurden dafür mir alten Runensymbolen versehen, eingekratzt mit einem Dolch, Segensprüche für die Geisterwelt. Nach einigen Stunden Fummelarbeit war der Geisterfänger schließlich fertig und sie begab sich in den Hain um sich dort vor den großen Geisterbaum zu stellen - unter wachendem Blick des weißen Hirsches der dort ansässig war. Ohne zu zögern zog sie ihren Dolch und schnitt sich damit in die Handfläche, um jene an den Baum zu legen, ein Blutopfer um die Geister auf sich aufmerksam zu machen.
»Jeg bitt' die Geister ein besond'res Auge auf'n dies'n Baum zu hab'n. All's was Ihm geschenkt wird, soll euch geschenkt werd'n und jeg erbitt' dafür eur'n Schutz und euer Wohlgefall'n. Nehmt' dies's wachende Auge und mein Blut auch als Gabe dafür, dass jeg für die klein'n Goldfrau'n ein'n Setzling für ihr'n Geisterbaum nehm'.«
Einen Moment harrte sie noch aus, dann befestigte sie an einem kleinen Astvorsprung sorgfältig den "Geisterfänger", es war wichtig, dass er auch Wind und Wetter aushalten würde und so verknotete sie ihn feste mit einem Strohband.

Sie beobachtete wie der Wind, der immer etwas schärfer durch die Schlucht und Gebirgszüge fegte, an den Knochen und Federn zerrte, doch schließlich wandte sie sich mit einem zufriedenen Nicken ab. Nun hieß es unter all den hohen Gräsern, Blumen und Laub einen passenden Setzling zu finden. Nach einer Weile sah sie wie der weiße Hirsch immer näher an ihren Standpunkt kam und hier und da ein paar der Gräser mit seinem Maul abzupfte, ehe er mit den Hufen an einer Stelle scharrte. Veldys kniff die Augen zusammen und der Hirsch hob den Kopf und starrte zurück.... ehe er einfach weiter wanderte. Die Hathran jedoch besah sich den Punkt, wo der Hirsch gescharrt hatte genauer und fand dort einen Setzling. Zufall oder ein Hinweis von Grimla? Wer wusste das schon, aber für Veldys kam es schließlich nur in Frage eben diesen zu nehmen. So grub sie den kleinen Setzling vorsichtig aus, befüllte einen Leinenbeutel mit Erde und setzte diesen dort hinein.

Der Setzling für den Geisterbaum der kleinen Goldfrauen war gefunden, nun wollte sie aber auch direkt noch einen Geisterfänger für jene machen... das bedeutete jedoch sie müsste erneut in den feuchten Wald. Es war unsinnig einen Geisterfänger für die Geister im Süden, aus dem feuchten Wald, anzufertigen mit Materialien aus dem Norden. Das würde nur für Verwirrung sorgen, da war sich die Hathran sicher.. und so machte sie sich mit einem Grummeln auf den Weg um im Dschungel nach passenden Materialien Ausschau zu halten...