8 Jahre zuvor
Valar
Valar
Ich lag in meinem Bett und fand schon wieder nicht den Schlaf, den ich mehr als dringend benötigte. Ich hörte das leise Schnarchen aus den Zimmern nebenan, ein beruhigendes Geräusch, vor allem, weil es bedeutete, dass meine Brüder schliefen.
Ich hatte mir ganz fest vorgenommen, wenn die nächste Ruhephase der Kämpfe eintreten würde, nach hause zu reisen. Winterberg fehlte mir, meine Familie fehlte mir und ich wusste, dass Dinge vor sich gingen, bei denen man mich vielleicht brauchte. Drachen. Kreaturen. Leo. Maamba. Was auch immer. Eigentlich sollte ich nicht mehr Kraft in meinen Aufenthalt dort investieren, als unbedingt notwendig, denn ich brauchte hier mehr als genug. Dennoch konnte es nicht schaden, mal nachzusehen, was ich dort ausrichten, wie ich helfen konnte. Auch wenn die Dinge, die dort vorgingen nichts waren im Vergleich zu meiner Heimat.
Wir hatten in den letzten Monaten weder Fortschritte gegen die Dämonen gemacht, noch Rückschritte. Für jedes Fleckchen Land, das wir gewannen, verloren wir woanders eines. Alles, was blieb, war Feuer. Asche. Verbrannte Erde.
Die wenige Zeit, die die Dämonen sich in den Mittagsstunden verkrochen, nutzten wir, um uns zu erholen, Kraft zu sammeln. Nur wollte sich die Erholung nicht recht einstellen bei mir.
Als ich meine Kleidung ablegte, um das Bad zu nehmen, von dem ich mir wenigstens etwas Entspannung erhoffte, mied ich den Blick in den Spiegel. Ich wusste, was ich dort sehen würde und dass das zuhause niemandem gefallen würde. Noch blasser als sonst zeichneten sich dunkle Schatten unter meinen Augen umso deutlicher ab. Und mein Körper war ausgemergelt. Flecken von gelb über grün und blau bis hin zu einem dunklen violett und zahlreiche Schürfwunden bedeckten meine Haut. Das Einzige, das momentan an mir strahlte, war mein Mal. Hier in Valar zeichnete es sich deutlicher ab, als in der neuen Welt. Ich schätzte, dass das an der Anwesenheit meiner Brüder lag. Hier war ich vollständig. Hier waren wir alle vollständig.
Das heiße Wasser spülte wenigstens einen Bruchteil der Schmerzen meiner Muskeln mit sich fort und es war bald Zeit, sich wieder vorzubereiten. Zeit, erneut zu kämpfen. Ich quälte mich wieder in meine Rüstung – oder das, was davon übrig war. Sie brauchte dringend eine Reparatur, aber auch das hatte keinen Vorrang. Es dauerte ohnehin keine Stunde bis wir wieder rußverschmiert, schweißgebadet und von Wunden bedeckt nebeneinander standen.
Ich war es so leid. Anfangs hatte ich oft daran gedacht, einfach wieder zu gehen. Valar den Rücken zu kehren, nach Winterberg zurück zu gehen, die kleinen Unannehmlichkeiten in der neuen Welt besiegen, ab und zu mal jagen, an wieder anderen Abenden einfach in der Taverne zu sitzen. Dem Capt‘n mal die Leviten zu lesen. Vielleicht irgendwann Fahly zu suchen. Mich um meine Familie zu kümmern. Aber so sehr ich diese Dinge wollte, umso mehr war ich hier gebunden. Ich musste ihnen beistehen, sie im Stich zu lassen war keine Option.
Ich lehnte mich gegen Garrets Seite, als er seinen Arm um mich legte und den Griff etwas festigte. Es war die vertraute Umarmung eines Bruders und ich konnte sein Seufzen spüren. „Fünkchen, wir schaffen das, hm? Heute treten wir ihnen richtig in den dämonischen Arsch.“ Ich kniff die Augen zusammen und konnte mir doch das Schmunzeln nicht verkneifen. „Aber nur, wenn ich zuerst treten darf.“ Und so gingen wir los, zu fünft, wie es sich gehörte.
Wir gewannen heute mehr Land, als an jedem anderen Tag. Es fühlte sich gut an, endlich einen Fortschritt zu sehen. Ich spürte es eher, als dass ich es sah. Die Angst, den Schmerz. Und nur allein das Aufflackern dieser Gefühlsregung riss mich aus jeglicher Konzentration. Ich konnte ihn nicht erkennen. Er musste irgendwo am anderen Ende des Schlachtfeldes sein und so ließ ich Dämon Dämon sein und rannte in die Richtung, in der ich ihn vermutete. Und ich war zu spät, meine menschlichen Beine waren zu langsam gewesen. Ich kam gerade noch recht, um ihn vor dem Aufprall auf dem Boden zu wahren. Sein Schmerz fühlte sich an, als wäre es meiner, und ließ alles schwinden, was ich dachte aufrecht erhalten zu können. Er starb. Und damit machte er diesen Krieg, den ich nur führte, weil meine Geschwister hier waren, zu etwas persönlichem. Zu meinem Krieg.
Ich spürte die Hände nicht mehr, die mich versuchten, zu halten. Ich hörte die Worte nicht. Ich fühlte nicht einmal mehr, wie mein Mal riss und ich in Flammen aufging.
Das Einzige, was mich noch bewegte, war Vergeltung. Das Einzige, was ich noch wollte, war das Blut dieses Dämonen. Seinen Tod. Und ich sollte ihn bekommen. Ich kämpfte, verbitterter, als je zuvor, mit mehr Feuer, als je zuvor. Seine Größe war egal, seine Macht war egal. Und der Rest meiner Brüder war in dem Moment ebenfalls egal, genauso wie dieser Krieg.
In dem Moment, in dem er starb, ließ ich mich mitnehmen, die brennenden, starken Schwingen um mich gelegt, wie Ketten, die mich hielten und mit sich nahmen, irgendwohin, wo Zeit keine Rolle spielte. Am Rande meines schwindenden Bewusstseins fragte ich mich, wo das helle, weiße Licht blieb, wo die Bilder meines Lebens blieben, die an mir vorbeiziehen sollten. Hier war nichts, wie erwartet und alles anders, als gedacht.
Und ich fand zum ersten Mal seit Jahren Ruhe.
Sie hielt nicht lange an und im Nachhinein war mir klar, dass Dämonen einfach gerne quälten. Dass es Wesen gab, die schlichtweg böse waren.
„Das ist deine Wahl?“ Ich hörte ihm das Grinsen in seiner vermutlich dämlichen Fratze an. Ich spürte es förmlich und zögerte nicht bei der Antwort, denn es gab keine andere Entscheidung für mich. „Das ist meine Wahl.“
Und dann umfing mich die Dunkelheit. Nicht wie jene, die die Nacht mit sich brachte, in der man Schemen erkannte und Umrisse erahnte, sondern die absolute, schwarze Dunkelheit. Ich blinzelte, um sicher zu gehen, dass meine Augen geöffnet waren und dann atmete ich tief durch. Es war meine Wahl, meine Entscheidung.
Ich spürte, dass die dämonische Hitze mich nicht mehr umgab, stattdessen fühlte ich seine Hand in meiner, wie seine Finger meine umschlossen, kalt, aber lebendig. Ich tat noch einen Atemzug, drückte seine Hand und gab mir Mühe, die Mundwinkel zu heben. „Mach das nie wieder.“ In meinen Worten lag kein Vorwurf und auch keine Drohung. Es war viel mehr eine Bitte. „Was hast du getan, Fünkchen?“ Die vertraute Stimme, die zu der Hand gehörte, die langsam wieder die Temperatur eines Menschen annahm, drang an mein Ohr. „Nur das, was notwendig war. Wir diskutieren das nicht aus. Nimm es hin.“ Er wusste, dass ich darüber nicht mehr reden würde und beließ es dabei. Er wusste, dass es nichts bringen würde, mich in Streitigkeiten zu verwickeln. Statt des Hagels an Vorwürfen, auf die ich mich schon eingestellt hatte, folgte Schweigen, und die feste Umarmung meines Bruders und es dauerte auch nicht lange, bis es die feste Umarmung meiner Brüder war. Ich bereute es nicht. Es war nur eine neue Situation, auf die ich mich einstellen musste und würde. Und ich war froh, dass ich hier war und nicht zuhause in Winterberg. Auch wenn wir uns inmitten eines Krieges befanden und die Welt um uns herum brannte, hatte ich das Gefühl, genau am richtigen Platz zu sein.
Es dauerte ein paar Tage, bis ich mich im Haus zurecht fand. Hier und da stieß ich gegen Möbel, zog mir den ein oder anderen blauen Fleck zu. Sie versuchten, mir so wenig wie möglich zu helfen und ließen mich einfach machen. Was mich jedoch am meisten an der Situation ärgerte, war, dass ich mich nutzlos fühlte. Immer, wenn sie los zogen, um das nächste Stück Land zurück zu erobern, blieb ich im Haus. Sie wussten, dass mich das nervte und das wiederum ließ Garret noch ruhiger werden, weil er sich insgeheim Vorwürfe machte. „Wir finden eine Lösung, Fünkchen. Versprochen.“
Er hielt sein Wort. Genau wie die anderen Vier. Er fand eine Lösung oder zumindest den Ansatz, mit dem ich arbeiten konnte. Es war naheliegend, die Elemente zu nutzen. Und so nutzte ich sie.
3 Jahre zuvor
Irgendwo auf dem Meer
Eigentlich war es nicht meine Art zu reisen, aber ab und an nutzte ich die Möglichkeiten doch und so stand ich am Bug des Schiffes und betrachtete die Welt um mich herum. Hier war es einfach, umgeben von einem Element war es immer weniger schwierig. „Kann ich auch mit gucken? Ich stör auch gar nicht, ich guck nur mit.“ Die Stimme riss mich aus den Gedanken. Das quirlige Wesen neben mir ließ mich schmunzeln. „Oh! Das hab ich nicht gesehen! Entschuldigung! Ich kann auch weg gehen! Aber ich kann auch gucken und dir erzählen, was ich sehe. Dann sehe ich für uns beide. Oh, ich bin Luci!“ – „Ich kann sehen, Luci. Nur eben anders, als du.“ Meine Worte waren ruhig. Das Feuer loderte nicht mehr in mir, wie es das vor Jahren getan hatte. Das hieß nicht, dass es weniger stark war, im Gegenteil. Ich hatte es nur besser unter Kontrolle. „Aber wie siehst du denn dann? Also man kann ja nicht anders sehen, als mit den Augen.“Irgendwo auf dem Meer
Es war selten, dass so etwas passierte, aber ich mochte sie. Ich mochte ihre quirlige Art, ihr loses Mundwerk, ihr manches Mal durchscheinende Verwirrung und vor allem ihre Neugier auf das Leben und alles drum herum. Und so erklärte ich ihr, wie ich sah. Wie ich mich orientierte. Ich erklärte ihr, dass das nicht viel mit dem gewöhnlichen Sehen eines Menschen zu tun hatte, dass ich aber nicht immer blind war. Ich wusste, wie welche Farbe aussah, ich kannte Formen und Gegenstände, Tiere, die Natur. Doch das war es nicht mehr, was ich wahrnahm. Ich sah Schemen, ich sah Schlieren, ich sah eine Zusammensetzung der mir am meisten vertrauten Strukturen. Lebewesen waren einfach zu erkennen. Wasser. Die Umgebung war nicht allzu schwer zu erkennen, bestand sie doch aus den grundlegenden Elementen, oft sogar beinahe in Reinform. Neue Orte bereiteten mir dennoch kurz Schwierigkeiten. Neue Menschen auch. Das war aber nichts, was sich nicht mit ein wenig Übung in den Griff kriegen ließ. Es war eben nur anstrengend. Nur sehr vertraute Menschen, mit denen ich mich viel beschäftigt hatte, konnte ich anhand ihrer Struktur ausmachen. Alles andere war hören und fühlen. Man musste sich eben auf seine anderen Sinne verlassen, wenn einer nicht mehr da war.
Ich ließ zu, dass Luci mich weiter begleitete, brachte sie an einigermaßen sichere Ort, wenn ich nach Valar zurück kehrte und für zwei, drei Wochen verschwand. Sie wusste, dass sie dort nicht hin sollte. Es war schlicht zu gefährlich für ein Mädchen wie sie, die grundsätzlich in allem erst einmal das Gute sah.
Wenige Wochen zuvor
Die neue Welt
Als sich ihre Gabe zeigte, als sie mir einfach, weil sie neugierig war, nachmachte, was ich grad tat, um ein winziges Feuerchen zu entflammen, wusste ich, wo ich sie hinbringen musste. Ich war dort hingegangen, als ich begann, mit der Magie zu leben. Ich war dort zu dem geworden, was ich lange war und heute noch irgendwie bin. Dort konnte ich sie lehren, konnte sie, wenn ich weg musste, in Hände von Vertrauten geben, die sie lehrten oder beschützten. Ich war in den letzten Jahren nicht oft nach hause zurück gekehrt. Ich wusste, dass es mein Haus nicht mehr gab. Ich wusste, dass meine Familie in alle Winde zerstreut war, wenn sie überhaupt noch lebte. Oder was auch immer sie taten. Ich war dennoch sehr froh, dass ich einige altbekannte Stimmen wieder hören konnte. Es waren nicht viele, aber immerhin ein paar.Die neue Welt
Und dann war da Shira. Sie war wie ein Leuchtfeuer in meiner Wahrnehmung, vermutlich einfach weil sie eine solche Macht ausstrahlte, wie es kaum jemand anderes tat. Shira. Shirin. Kristalldrachen. An ihren Gefährten, musste ich mir eingestehen, hatte ich wenig Erinnerung, auch wenn mir sein Name ein Begriff war. Und die übrigen Mitglieder der Bewahrer waren mir fremd. Neue Menschen, die den Weg hierhin gefunden hatten, überwiegend magisch begabt. Aber alle mit einem gewissen Maß an Verstand gesegnet.
Trotzdem war es eher das Museum, was mich anfangs anzog. Auch wenn sie keine Macht mehr in sich trugen, hatten sie eine Bedeutung für mich, wie sie dort lagen. Als Erinnerung. Als Ausstellungsstück. Vielleicht sogar als Warnung. Splitter, keine Kugel mehr, die Zwilling einer anderen war. Sie waren zerstört und das war gut so und sollte so bleiben.
Ich hielt mich oft dort auf und so blieb es auch nicht aus, dass ich die übrigen kennenlernte. Oberflächlich. Ich schätze, es war auch nicht ganz uneigennützig, sich den Bewahrern anzuschließen. In erster Linie dachte ich an Luci. Sie könnten ihr ein Zuhause werden. Ein Schutz, wenn ich nicht da sein konnte. Lehrer, wo ich an meine Grenzen stieß. Die Entscheidung zumindest fühlte sich richtig an.