Grüblerisch sann der Tarcil des Edhilhauses Northor über die neuesten Erkenntnisse nach.
Was ihm durch den Ithron offenbart worden war, erschütterte ihn mehr, als er jemals zugeben würde, und auch vor ihm gezeigt hatte.
Auch, wenn es an den bereits bekannten Umständen nichts mehr änderte – eine veränderte Sichtweise auf Dinge und Situationen half, das Gesamtbild zu begreifen.
Und das Gesamtbild war ein einziges Horrorszenario.
Daran konnte kein Zweifel mehr bestehen.
Durch den Fakt, dass der ehemalige Naeldir, der nun wohl weitaus mehr Dämon als Hochelf war, Amathlan unbedingt in seine dämonischen Klauen bekommen wollte, hatte sich Lanthir dazu genötigt gesehen, mit diesem Wesen zu verhandeln.
Doch, was er dafür im Austausch anbieten musste...und auch geliefert hatte – es brachte Amathlan innerlich ins Taumeln.
Hätte er dasselbe getan, wäre er an der Stelle Lanthirs gewesen?
Law, vermutlich nicht. Letztlich war er eine andere Person, und unterschiedliche Personen neigten nun einmal nicht zu denselben Handlungen. Er kam zudem aus einem anderen Umfeld, hatte andere Dinge erlebt und erlitten, und all das prägte ihn genauso, wie der Pfad der Magie, den er eingeschlagen hatte.
Konnte er ihm dann etwas vorwerfen, ihn sogar einer Bestrafung zuführen?
Und wieder musste seine Antwort Nein lauten. Der Ithron des Hauses hatte in dem Gewissen gehandelt, das Richtige zu tun, und war dazu bereit gewesen, sein eigenes Leben zu riskieren, um das des Fürsten verschont zu sehen.
Auch, wenn er in dem Handel, den er eingegangen war, den Worten und vor Allem Versprechungen eines Dämons Glauben geschenkt hatte, was Amathlan niemals tun würde. Dazu wusste er selber zuviel über diese Wesen. Sie waren Kreaturen des Chaos, und Lügen kamen ihnen so leicht aus ihren verdorbenen Mundöffnungen wie sich Blätter im Wind bewegten.
„Es hätte Alles nicht sein müssen...selbst die Kämpfe und die Toten von Ivren'mir hätte es nicht zu geben brauchen...“
Das waren genau jene Einflüsterungen des Übels, die ihre Saat irgendwann in dem Einen oder Anderen doch aufgehen liessen.
Auch bei diesem Gedanken durchfuhr Amathlan wieder ein Schaudern. Aus Dämonensicht hätten sie der Legion selbstverständlich einfach nur alle Sternensplitter überlassen können und sollen.
Aber war ernsthaft irgendjemand bei klarem Verstand davon überzeugt, dass sie damit Nichts absolut und abgrundtief Böses bewirken würden? Eine solche Machtquelle würde in jedem Fall Auswirkungen haben, und zwar nicht nur in der Ebene, aus der diese Wesenheiten stammten.
Wie konnten sie davon ausgehen, dass die Bewohner dieser Welt das glaubten?
Er hatte selber erlebt, wie es durch die Einwirkung eines EINZIGEN jener Sternensplitter möglich geworden war, die Barriere um ihre Welt einzureissen, und den Zugang zu den Wandelnden Weiten zu eröffnen. Nicht auszudenken, was mit ALLEN Splittern möglich wäre, und sehr wahrscheinlich auch geschehen würde.
Anzunehmen, dass die nach Macht gierenden Dämonen diese Artefakte nicht nutzen würden, war entsetzlich dumm. Und bis auf einen Einzigen hatten sie alle. Es war nurmehr eine Frage der Zeit, bis sie die Flutwellen einer Multiebenenerschütterung treffen würden, sollte auch jener letzte Splitter in die Krallen der Feinde fallen. Allein dies musste doch alle Personen, denen die Zukunft wichtig war, dazu bringen, sich nun endgültig den Verbündeten zuzugesellen, und gemeinsam mit ihnen den Gegner zu schlagen. Wer dies nicht tat, und um diese Erkenntnisse wusste, machte sich in gewisser Weise genauso schuldig, wie es diejenigen taten, die sich freiwillig der Legion der Dämonen anschlossen, seien es die verfluchten Dunkelelfen, seien es die Diener eines anderen Dämons.
Vielleicht wären Amara und Luni noch zu retten durch die Entkorrumpierung der Silberburger oder durch ein anderes, gottgleiches Einwirken.
Seine Gedanken gingen zu der Kristallelfe, die ihnen in der Schlacht von Ivren'mir beigestanden hatte. Ob es möglich wäre, mit ihr Kontakt aufzunehmen, sobald sie einmal dort wären?
Würde sie seine, Amathlans, druidischen und hochelfischen Kräfte möglicherweise erkennen können, und seinen unbedingten Willen, die Insel der Edhil endgültig von dem Dämonenunrat, der sie besiedelt hatte, zu befreien?
Sie hatten keinerlei Chance mehr gehabt, mit diesem Wesen nach der Schlacht noch in irgendeiner Weise zu kommunizieren, sondern mussten in letzter verzweifelter Sekunde fliehen. Und auch während der kurzen Erkundungsmission, die sie im Nachhinein unter Amathlans Führung vornahmen, war an so etwas nicht einmal zu denken gewesen.
Ihm kamen die Worte eines Adans in den Sinn, die er vor mehreren Jahresläufen anlässlich eines Besuches von Amathlan im Konvent der drei Sphären geäussert hatte.
"Erst bei einem meiner letzten Besuche ist mir wahrlich bewusst geworden, wieviel Macht in Ivren'mir steckt. Dass Euer Volk eine engere Bindung an das astrale Gefüge hat, ist mir schon länger bewusst. Aber das auch Ivren'mir selber davon betroffen ist, habe ich erst vor einer Weile bemerkt." Auf Amathlans Nachfrage, inwiefern sich dies für ihn äussere, erwiderte der Ithron Rorek Monthares damals
"Das äußert sich für mich darin, dass ich dort bedeutend besser auf das astrale Gefüge zugreifen kann. Es ist vergleichbar damit, als würde ich mich direkt mit einem der astralen Hauptströme dieser Lande verbinden."
Damals war er diesem - aus heutiger Sicht doch recht deutlichem - Hinweis nicht weiter nachgegangen. Es war ihm zu der Zeit auch logisch erschienen, dass Ivren'mir magisch war, denn schließlich waren sie selber, die Edhil, ein zutiefst magisches Volk. Hätte er geahnt, dass in dem klaren, blauen Wasser des kleinen Sees in der Inselmitte sich nicht nur große türkis schimmernde und funkelnde Kristalle befanden, sondern dass die Magiequelle von dort ausging... Aber die Möglichkeit, dort vor Ort etwas zu ergründen, bestand nun nicht mehr.
Dann gingen ihm die aktuelleren Worte Lanthirs durch den Kopf... „Das ist Deine größte Stärke, Amathlan...Hoffnung. All Deine Kraft beruht darauf. Nutze sie. Und sie wird ihren ganz eigenen Weg finden.“
Der Tarcil musste unweigerlich nicken, als dieser Gedanke sich manifestierte.
Dafür war er diesen Weg gegangen. Nicht nur als Edhel, der in diese Lande kam, um sich nach langen Jahrzehnten wieder seinem eigenen Volk anzuschließen. Nicht nur als Druide, der beständig den Weg des Lebens, Wachsens und Hoffens beschritt.
Sondern nun auch und vor allem Anderen als Fürst der Hochelfen, denen er seinen Schutz zugesichert hatte, und denen er genau das dargeboten hatte, was ihnen niemand mehr gab:
Hoffnung und Zuversicht.
Diesen Gedanken im Schlaf der Erkenntnis festhaltend, ging er in eine längere Meditation über. Womöglich würde sich in jenem, ganz besonderen Schlaf, der nur den Elfen der Oberfläche zu eigen war, eine Offenbarung zeigen, ein Hinweis zu dem Wesen im Kristallsee...

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