Sie saß an ihrer Werkbank. Vor ihr lag die Rüstung, welche sie bei der Schlacht auf der Augeninsel getragen hatte. Schweiß, Ruß und Blut hafteten verkrustet an einigen Stellen zwischen den Kettenringen. Sie rieb mit einem Lappen und reichlich Waffenöl die Stellen ein, um den Dreck zu lösen. Geübt taten ihre Hände was nötig war, ihr Geist weilte derweilen aber an einem anderen Ort. Er glitt zum Erlebten zurück. Der Schlacht und all den damit verbunden Eindrücken. Feuer, Gestank, Gebrüll, Dämonen und Untote. Beim Gedanken an die letzten beiden Kreaturen stellten sich ihr unwillkürlich die Nackenhärchen auf. Widerliches verfluchtes Gezücht. Auch ihr inneres Sein, manche von Ihnen nannten es abfällig Bestie, obwohl es so viel mehr war, heulte beim Gedanken daran auf. Sie konnte sich schon nicht mehr daran erinnern, ob sie jemals anders darüber gedacht hatte oder ob es mit ihrem Sein einher gegangen war. Das war für sie mittlerweile einerlei. Sie war im Einklang mit ihrem Sein. Aber etwas hatte sich schleichend seit einiger Zeit geändert. Manchmal waren es kleine Veränderungen der Geisteshaltung, die das Denken, Handeln und Fühlen beeinflussten und dadurch das Wesen einer Person doch grundlegend neu ausrichteten. Früher war sie in voller Gestechrüstung in die Schlacht marschiert, hatte an vorderster Front im Getümmel gestritten und sich jedem Feind furchtlos entgegen geworfen. Rücksichtslos zu sich und anderen. Eine Frontsau, wie sie Pandor wohl gefallen hätte, fast schon lebensmüde zu nennen.
Über die Jahre war die schwere Plattenrüstung einer Kettenrüstung und dann Leder gewichen, in den alten Schätzchen fühlte sie sich einfach nicht mehr wohl. Das war sie nicht mehr. Vergangen wie die Jugend von einst. Der große Turmschild, einst wie ein Teil ihres Armes war nun durch den Bogen ersetzt worden. Ihr Platz hatte sich in die zweite oder gar dritte Schlachtreihe verlagert, wenn sie überhaupt zu irgendeiner regulären Einheit noch gehörte. Sie war mehr an der Freiheit, am Ungebunden sein interessiert, Zwänge wie die Schlachtreihen mit festen Einordnungen waren ihr ein Graus geworden. Sie war ruhiger und gelassener mit dem Alter geworden, vielleicht auch weißer, wer mochte das sagen. Außer es ging um ihre Haare, deswegen wurde sie ja auch die Graue gerufen. Viele konnten diese Aura um sie herum körperlich spüren, sie war in vielen Situationen ein steter Begleiter geworden. Gerade jene ihres Seins konnte sie mit der Präsenz fast den Atem rauben, wenn sie denn wollen würde. Doch sie hielt sich gerne lieber zurück, nutzte ihre Macht nur selten, das war nicht ihre Art. Diese Ruhe und Gelassenheit nahm noch zu, wenn sie durch die Wälder schritt, an der See entlang ging oder die Gebirge durchstreifte, das Leben und die Natur um sie herum war, ob das laute Brüllen der Brandung oder die nahezu greifbare Stille in einem verlassenen Bergtal. Früher dachte sie immer, dass sie kein Händchen für Tiere hatte, dass ihr inneres Sein sich dagegen wehren würde, weil es potentielle Jagdbeute war und nur das Fleisch der Beute, das Reißen von Haut und Sehnen das Verlangen stillte. Doch dem war nicht so. Gewiss, der Hunger ihres Seins musste von Zeit zu Zeit, meist bei Vollmond, gestillt werden. Suchte sie aber rechtzeitig die tiefen dunklen Wälder oder hoch gelegenen Täler der Gebirge auf, kam es kaum noch zu maßlosem Reißen von Beute. Ihr Sein nahm sich aus der Natur, was es brauchte, nicht mehr, nicht weniger. So wie es jedes andere Tier auch tat. Auch war sie nach diesen Vollmondnächten in der tiefsten Natur nicht mehr völlig ausgelaugt, sondern hatte das Gefühl, dass ihr Sein und somit sie selbst erfrischt und erholt war. Sie strotzte dann vor neuer Kraft und hatte das Gefühl, das sie etwas aus dieser Verbundenheit heraus ziehen konnte. Es wurde ihr etwas zur Verfügung gestellt, das ihr half, neue Wege zu gehen, wo vorher nur Gebüsch und Gestrüb waren, ganz gleich ob im Geiste oder im dichten Unterholz des Waldes. Es kam ihr einfach richtig vor. Sie würde sich auch weiterhin Dinge aus der Natur nehmen, welche sie zum Leben brauchte, sei es Holz, Stein, Erz oder Feder. Ebenso würde sie auch weiterhin Handel mit den Menschen, Zwergen und Elfen treiben. Das hatte sie immer schon getan, es schuf Verbindungen und ließ sie am Leben der anderen Teilhaben. Und deswegen würde sie auch nicht wie ein Eremit in der Einsamkeit leben, denn da konnte man Dinge nur schwer beobachten und war gegebenenfalls zu weit weg, um eingreifen zu können und ihren Standpunkt zu verteidigen. Sie musste dafür wenig an ihrem jetzigen Leben ändern, denn sie tat das bereits unbewusst seit einer geraumen Weile. Sie wählte von Zeit zu Zeit ein krankes oder schwaches Tier, um sein Leiden zu beenden oder anderweitig Schaden vom geregelten Kreislauf des Lebens fern zu halten. Bei Streifzügen durch die Wildnis in ihrem anderen Sein merkte sie, wie es ihr eine Freude und Erfüllung war, wenn sie Unheil vom Leben abwenden konnte. Was schon immer in ihrem Sein war, dieser Groll, der Hass auf alles Widernatürliche, kam ihr jetzt nur noch Folgerichtig vor. Es ging Hand in Hand. Es war alles schon immer genau so da, sie hatte es nur nicht gesehen, es vielleicht nicht sehen wollen, es nicht greifen oder begreifen können. Es gab Gründe, warum sie unter den Ihren den Status der Vermittlerin inne hatte und für das Gleichgewicht der Kräfte sorgte. Gelassen, bedächtig, ruhig, wenn es möglich war. Reißend und unnachgiebig, wenn nötig. Dachte sie zunächst noch, dass es sich nur auf die Ihren bezog, so schalt sie sich nun einen Narren. Es war ihr gesamtes Schicksal, immer den Ausgleich der Kräfte zu suchen. Das gesamte Leben bestand aus Geben und Nehmen. Beides in Maßen war gesund, beides in Massen nicht. Dazu brauchte sie jedoch keine schwere Rüstungen mehr, dämmerte ihr. Ihre Arte des Kampfes war nun ein anderer, neue Wege diesen zu bestreiten würden sich auftun. Was sie dafür brauchte hatte sie größtenteils schon, alles weitere würde ihr gegeben werden. Die Natur, das große Ganze, würde den Ausgleich herbeiführen.
Auch ihren etwas seltsamen Nachnamen, ein Überbleibsel aus fernen Landen, würde sie wohl ablegen, Ballast aus alten Tagen. Vielleicht blieb er nur an der Tür stehen, als Erinnerung. Was sie hier aufgab, würde sie an anderer Stelle, auf anderen Wegen wieder erhalten. Sie musste es nur zulassen, die Augen öffnen und wirklich hinschauen, die Dinge fühlen und wahrnehmen, sie annehmen, zugreifen, wenn sie ihr geboten wurden. In der Ruhe lag die Kraft, sagte man doch und Eile mit Weile. Es würde sich alles fügen, da war sie sicher.
Sie ließ den Lappen sinken, die Rüstung war wieder sauber.
Manchmal putzte so ein Lappen nicht nur den Dreck weg, er legte auch Verborgenes frei.
Vielleicht war diese Schlacht zur rechten Zeit gekommen ihr die Augen und den Geist endgültig zu öffnen.
Es war nicht die Frage, ob Sie die richtigen Dinge machte.
Es war die Frage, ob Sie die Dinge richtig machte.
Künftig würde sie die Dinge anders machen, richtig.