Wie ein Raubtier, das seine Fänge in das weiche Fleisch seiner Beute geschlagen hat und mit ruckartigen Hin-und-Her-Bewegungen des Kopfes versuchte, das Genick des Opfers zu brechen, zerrte Wut an ihr. Unbarmherzig, unerbittlich, ohne Aussicht darauf, je wieder von ihr abzulassen.
Wut war ihr nicht fremd. Mitnichten. Seit des schicksalhaften Vorfalls, der ihr Leben von einem Tag auf den anderen gänzlich auf den Kopf gestellt hatte, hatte sie täglich damit zu kämpfen, ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten. Es lag in ihrer neuen Natur, Gefühle – vor allem negativ behaftete, wie Wut und Jähzorn – viel intensiver zu empfinden und ließ sie schneller aus der Fassung geraten als zuvor. Und dann war da schließlich auch noch Skotos..
Seinetwegen musste sie stets gewappnet sein, ein unbedarfter Moment und er könnte die Gelegenheit nutzen, um die Vorherrschaft an sich zu reißen. Inzwischen trug sie ihn schon Jahre in sich, doch die Frage war niemals gewesen, ob er den Versuch wagen würde, sondern wann. Dass er es nicht schon längst versucht hatte, zeugte nur davon, dass er klug genug war, auf den rechten Zeitpunkt zu warten. Zeit spielte für dieses Ungeheuer schließlich keine Rolle.
Aus der einst so lebenslustigen, humorvollen jungen Frau war eine weitaus in sich gekehrtere, skeptischere Version geworden, die stets auf der Hut zu sein schien. Nur noch selten, wenn sie sich mit engen Vertrauten umgab, konnte sie sie selbst sein und die Leichtigkeit, die sie stets umgeben hatte, zeigte sich und gab den Blick auf die „alte“ Nimue frei. Doch auch diese Momente waren in der jüngsten Vergangenheit weiter getrübt worden - Verrat und Täuschung waren nun einmal eindrucksvolle Lehrmeister.
So sehr sie auch darin geübt sein mochte, Gefühle unter Kontrolle zu halten, die letzten Tage hatten sie gefährlich nah an ihre Grenzen getrieben. Unterschiedlichste Gründe hatte es dafür gegeben.
Als Davion ein Treffen einberufen hatte, hatte sie noch nichts Böses geahnt. Gewiss, die Zeiten waren schwierig, auch wenn sie eher zurückgezogen lebte, waren ihr doch schon die verschiedensten Informationen über die Legion zugetragen worden. Oh und ja, sie hatte sich wahrlich ganz bewusst weiter zurück gezogen, als die ersten Meldungen über diese merkwürdigen Kristalle an ihr Ohr drangen und noch seltener als ohnehin ihren Rückzugsort verlassen. Dass es nun aber zu entscheiden galt, wie man sich in diesem Ränkespiel zu positionieren hatte – um dabei sowohl einer Vernichtung durch die Legion zu entgehen, als auch bestenfalls gleichzeitig ihren Feinden zu schaden – hatte ihr äußerst missfallen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie sich aus diesem Konflikt weiterhin gänzlich herausgehalten, doch aller Hoffnung zum Trotz war der Dämonenfürst letztlich doch noch auf den Ysam enis Alwanzessar aufmerksam geworden. Wenn sich aufgrund ihrer Natur auch alles in ihr sträubte, die Mehrzahl der Bundmagier hatte sich für diesen Weg entschieden und so musste sie letzten Endes einsehen, dass ihnen gar keine andere Wahl blieb, als so zu handeln.
Das schlechte Gefühl, was sie hatte, konnte sie dennoch nicht abschütteln, denn sie wusste, dass Dämonen einfach nicht zu trauen war – und das ganz unabhängig von ihrer wölfischen Intuition, sondern schlicht aus Erfahrung. Und letztlich sollte sich recht behalten, denn als Davion, Luca und sie nach dem Angriff auf die Akademie dort nach dem Rechten sehen wollten, mussten sie feststellen, dass der Bewahrer der Akademie korrumpiert worden war. Hadarim Lichtglanz, einst gänzlich auf das Wohl der Akademie ausgerichtet, unterlag nun auch dem Willen des Dämonenfürsten Ba’muth und hatte es sich wohl zur Aufgabe gemacht, weitere Legionäre für den dunklen Fürsten zu rekrutieren. Denn kaum ein Blinzeln hatte es nach seiner kryptischen Bemerkung gebraucht, bis Luca und Nimue sich unter Wasser – tief unter dem Teich der Akademie – wiederfanden.

Dort verkündete der übereifrige Akademiewächter, dass er ihnen die Wahl ließe und hoffe, dass sie den Kristall berühren und sich für Ba’muth entscheiden – oder aber qualvoll ertrinken würden.
Nimue hatte buchstäblich mit sich gerungen. Den Kristall berühren und der Legion beitreten oder ihre Existenz ganz bewusst auszulöschen und somit alle, die ihr etwas bedeuteten, zurückzulassen? Allen voran Balthasar? Skotos hatte sie bestärkt und sie aufgefordert zu kämpfen, anstatt Klein bei zu geben. Binnen weniger Augenblicke hatte sie sich mit Luca gemeinsam – dank einiger unglaublich scheußlich schmeckender Algen, die Hadarim umsichtigerweise gereicht hatte, um die Kommunikation unter Wasser zu ermöglichen – darauf geeinigt, sich für das Leben zu entscheiden. Oder besser gesagt, für die Legion – mit der leisen Hoffnung, dass Davion und Balthasar alles daransetzen würden, so schnell wie möglich einen Weg zu finden, um die Korruption rückgängig machen zu können.
Mit zunehmender Verstimmung hatte sie die Veränderungen registriert – der violette Schimmer, der gelegentlich das Augenweiß zierte, wenn der Lichteinfall ungünstig war, schwand zusehends und wurde überlagert von den rotglühenden Iriden, die die Augen inzwischen wie zwei leuchtende Fackeln in der Dunkelheit aus dem Gesicht Nimues herausstechen ließen. Doch das war nicht einmal das Schlimmste: Viel gravierender waren die Auswüchse an ihrem Kopf – und zugegeben, die damit einhergehenden Schmerzen waren auch nicht zu ignorieren gewesen. Es begann mit einem harmlosen, kleinen Jucken, das jedoch immer intensiver wurde und allmählich gesellte sich auch noch Druckschmerzhaftigkeit hinzu, bis sie schon dachte, es wäre eine Wohltat, sich selbst die Klinge des Dolches in den Schädel zu stoßen. Doch als die Hörner die Kopfhaut durchbrachen, hatte der Druck lediglich für einen klitzekleinen Augenblick nachgelassen und das Blut angefangen zu fließen. Sie verfügte zwar über eine außergewöhnlich schnelle Wundheilung, doch wann immer die Hörnchen sich weiter empor schoben, begannen die Ränder wieder aufs Neue auf zu reißen und die blutigen Rinnsale bahnten sich wieder ihren Weg hinab.
Sie konnte es kaum glauben, als sie sich im Spiegel betrachtete und ihr das Abbild ihrer selbst, mit zornig rotglühenden Augen und spitzen, roten Hörnern entgegenblickte. Anfangs hatte sie die Wolfsseele noch wahrgenommen, doch es durfte nicht lange gedauert haben, bis sie sie nicht mehr wahrgenommen hatte. Doch Skotos war nach wie vor da – und wenngleich sie auch für einen Bruchteil eines Augenblicks die leise, irrationale Hoffnung gehegt hatte, dass sie das in irgendeiner Art und Weise davor bewahrte, den Willen der Legion aufgezwungen zu bekommen, wusste sie in dem Moment, als sie den Kristall berührte und der Drache in ihrem Bewusstsein einen regelrechten Freudenschrei ausstiess, dass der Brutdrache einen Teufel tun und ihr irgendwie zur Hilfe eilen würde – nein, Nimue beschlich das untrügliche Gefühl, als hätte es für ihn nichts Schöneres geben können, als das sie der Korrumpierung zum Opfer gefallen war..