Da stand sie nun. Mitten im Wald an der Seite von Knut vor einer hölzernen Leiter, die hoch zu einer Plattform im Baum führte.
Sein zu Hause, wie er es selber nannte. Fasziniert legte Meli ihr kleines Köpfchen in den Nacken und sah den Baum hinauf.
Der kleine Wirbelwind liebte es zu klettern. Auch wenn man es ihr mehr als nur einmal untersagt hatte.
Sie konnte einfach nicht widerstehen, war es doch bereits ein riesen Abenteuer für das kleine Mädchen solch einen Baum zu erklimmen,
um die gesamte Landschaft überblicken zu können. Wie weit man von der Plattform wohl sehen könnte?
"Zeig mal, wie du kletterst!", ertönte da auch bereits die Stimme von Knut.
Mit einem grinsen im Gesicht deutete die Kleine auf die Leiter.
"Aber das ist damit doch gaanz leicht!", und schon lagen die kleinen Hände an dieser und die ersten Sprossen wurden gemeistert.
"Jede Raupe war ma kurz davor von nem Vogel gefressn zu werdn, bevor sie n Schmettaling wurde.
Wenn du ma Abenteurerin werden magst, dann musst de auch ma was gefährliches machen!"
"Aber Fenria hat gesagt, ich bin noch gar nicht groß genug für eigene Abenteuer. Und Fenria ist doch fast sowas wie eine Königin, sie weiß sowas",
bei den Worten hat die Kleine auch bereits die Plattform erreicht und lies voller staunen ihren Blick herumwandern.
Knut hingegen schien in seinem angetrunkenen Zustand sichtlich seine Probleme mit der Leiter zu haben.
Nur sehr schwerfällig erklomm der sechs Fuß große Riese die Plattform. Ein unscheinbarer Stoß seinerneits und die Leiter löste sich und viel seitlich zu Boden.
Noch in völliger Begeisterung versunken, schien die Kleine dieses Ereignis nicht einmal mitbekommen zu haben.
"Du kletterst aber schon, wie ne richtige Abenteurerin. Fühlst du dich denn noch nicht groß genug, um eine zu sein?",
sichtlich stolz über das Kompliment wanderten die runden Äuglein zu Knut.
"Ich weiß nicht. Luinil sagt auch immer, dass ich schon groß genug bin, aber Papa, Sloan und Fenria sagen was Anderes.",
leicht werden die zierlichen Schultern angehoben bei den Worten, eh sie es sich auf der Plattform neben Knut gemütlich machte und auf den Proviantbeutel deutete,
welchen sie ihm noch vor Aufbrauch in den Wald in Silberburg überreicht hatte.
"Ich habe dir sogar so ein Getränk für Erwachsene eingepackt. Das, was so nach Fledermausflügeln schmecken soll."
Worte mit denen Knut wohl nicht gerechnet zu haben schien. Da befand sich die Flasche auch schon in seiner Hand.
Zügig wurde der Korken mit seinem verfaulten Zahnstumpf herausgezogen und hinab zum Waldboden befördert.
Knuts Versuche der Kleinen das bittere Getränk schmackhaft zu machen liefen jedoch ins Leere.
Alleine der Geruch sorgte dafür, dass Meli augenblicklich das Gesicht zu einer Grimasse verzog und ihren gesamten Körper schüttelte.
Der Hühne konnte sich bei dieser Reaktion ein Lachen nicht verkneifen.
"Wie geht's Blau?", dabei ruhte sein Blick für einen Moment auf der Kleinen.
Eine Frage auf die das Mädchen keine Antwort hatte. Knut hatte ihr den Bären vor wenigen Tagen zum Geburtstag geschenkt.
Bereits an dem Abend der Feier, war sie damit hoffnungslos überfordert. Auch die Erwachsenen wussten nicht so recht weiter
und so wurde Blau zunächst ausserhalb des Hauses an einem Baum festgebunden und regelmäßig von Noa gefüttert.
Doch heute war Blau aufeinmal verschwunden.
"Ich weiß nicht, ich habe ihn heute noch gar nicht gesehen. Aber gestern hat Papa ihm ganz viel Fleisch gegeben.
Ich habe mich nicht dichter an ihn herangetraut, er ist doch so groß", erklangen ihre Worte, wobei sich die Schultern erneut leicht anhoben.
"Er ist dein Freund und wird dich beschützen. Er hat mir noch nie was angetan. Abenteurer treffen auch auf Gestaltn, die größer sind als sie selbst.
Nur das Blau lieb zu dir is. So manche Monster da draußn sind grausam und böse.",
ein weiterer Schluck aus der Flasche und damit verbundener Rülpser brachte ein Gemisch aus Alkohol und seiner nicht vorhandenen Mundhygiene zu Tage.
Das erste Kichern der Kleinen aufgrund des zuhörenden Rülpsers verstarb, als ihr dieser unangenehme Geruch in die Nase stieg.
"Bäh! Dein Erwachsenengetränk stinkt Knut."
Verwundert ob der Reaktion des Kindes wich er mit seinem Kopf zurück, eh er etwas langsam und ruhiger zu sprechen began: "Erwachsensein stinkt."
War es denn nicht toll Erwachsen zu sein?
"Wenn du die richtigen Freunde hast, sicherlich. Meine habn mich im Stich gelassen!", die Entäuschung bei diesen Worten konnte er nicht verbergen.
"Das ist aber gemein von ihnen. Aber ich bin doch nun deine Freundin. Und Papa ist doch auch dein Freund.
Im Waisenhaus hatte ich keine Freunde. Die Jungs haben mich da immer geärgert. Nun habe ich aber ganz viele!"
"Wa... Waisenhaus?", mit einem zaghaften Nicken deutet die Kinderhand hoch in den Himmel.
"Ja, mein Papa ist da oben. Und dann musste ich in ein Waisenhaus. Aber da war es doof und ich bin weggelaufen!"
"Noa ist...", Knut schien sichtlich verwirrt zu sein von der Erzählung des Mädchens.
"Wann ist er gestorben?”, erklang es zunächst fragend, eh er seine Wortwahl mit einem Räuspern korrigierte.
"Da hoch gegangen? Aber er war doch noch auf deinem Geburtstagsfest?",
verwundert lag sein Blick auf ihr, wobei er hin und wieder Probleme zu haben schien Meli richtig wahrzunehmen.
Mit wankendem Oberkörper hob er immer mal wieder seine Hände um sich die Schläfen zu massieren.
"Noaphiel ist doch mein neuer Papa, weil mein Anderer schon da oben ist. Wo sind denn deine Eltern Knut?"
Ein Thema welches Knut sichtlich traurig stimmte. Mit fragendem Blick legte Meli das Köpfchen schief und sah ihn an.
"Sie...Ich hab... Sie wurden geopfert.",
seine Stimme war zittrig bei den hervorgebrachten Worten und sein Auge verfäbte sich rötlicher.
Das Gespräch nahm eine Richung, die das kleine Kind noch nicht vollständig verstand.
Doch eines war sicher: "Dann sind deine Eltern ja auch da oben bei meinem Papa. Dann geht es ihnen gut und sie passen von da oben immer auf dich auf.
So, wie mein Papa auch auf mich aufpasst."
"Bist du denn gar nicht neugierig, was es außerhalb Silbaburgs gibt? Und wunderst du dich nicht, warum deine Freunde es dir nicht erzählen?".
Natürlich war das Mädchen neugierig und wie neugierig sie war. Sie saugte die Informationen die sie von Luinil und Noaphiel erhielt regelrecht auf, wie ein Schwamm.
"Aber sie erzählen mir doch alles, wenn ich frage." Wie kam Knut nur auf die Idee, dass sie es ihr nicht erzählen würden?
"Ach? Aber du kannst doch nur fragen, was du schon weißt."
"Und Noaphiel lehrt mich das Alfabeta. Dann kann ich Bücher lesen und eigene Geschichten schreiben."
"Das hilft dir nur nichts, wenn du ma vor nem Ork oder Dunkelelfn stehst. Die fügn dir Schmerzn zu, wie du sie noch nie erlebt hast.
Was bringt dir das Bealfa dann? Fang an zu kämpfn Kleines un vergiss schreibn und lesn. Die werdn dir alle sagn, du seist zu klein.
Bist du aba nich! Hörst du? In deinem Alter habe ich schon gearbeitet."
"Bin ich gar nicht!", folgte auch bereits der Protest des Kindes.
"Bist du auch nicht. Also, zu klein! Lass dir sowas nicht einreden. Es is nie zu früh. Vielleicht habn se Angst, dass du ihre Stelle als fast Königin einimmst un se versuchen dich klein zu haltn?
Wenn de denen das glaubst, biste de aber leichtgläubig.", überrascht lag der Blick des Mädchen auf Knut.
"Aber ich möchte doch gar keine Königin sein. Ich möchte Abenteurer und Chronist werden. Und dann möchte ich die Farbgnome suchen gehen.
Die verstecken sich in den Wäldern, aber bisher habe ich noch keine gesehen. Und es gibt ganz viele von ihnen.
Luinil ist sogar schon einem gemeinen Grünling begegnet. Dem hat es nicht gefallen,
dass sie ganz dunkle Kleidung anhatte und dann hat er sie mit Farbe beworfen. Danach war sie richtig grün.",
ihre Begeisterung für diese Wesen sprudelte bei ihrer Erzählung nur so aus ihr heraus. Wie wein Wasserfall, der nicht versiehen wollte.
"Wolln wa welche suchn gehn?", sich der Beudeutung dieser Worte dabei wohl langsam bewusst werdend, sah Knut sich nervös um, eh seine Hand hinab zum Waldboden deutete.
Dort lag sie, die gebrochene Leiter inmitten von Gräsern und Geäst.
"Ohje, wie kommen wir da nun wieder runter Knut?"
"Ich kann versuchn mich runter hängen und dann falln zu lassn. Für mich isses nich so hoch, aber du...
Wäre Blau jetzt da, er kann auf Bäume klettern und uns runter holen. Ich schenkte ihn dir doch, damit du ihn mit dir führst un er auf dich aufpassn soll, Meli.",
erklangen die letzte Worte vorwurfsvoll von ihm, worauf das kleine Mädchen nur niedergeschlagen die Schultern sinken lies.
"Ich glaube dein Papa bringt dir die falschn Sachn bei. Du solltest lieber lernen Geschenke anzunehmen...
Na wenn dir das ma keine Lehre is, hm? Versprich mir, dass er auf dich aufpassn darf in Zukunft!
Er wird solange dein Beschützer sein, bis du den Hammer richtig führen und kämpfn kannst."
Meli brachte lediglich ein zaghaftes Nicken zustande, eh sich Knut wieder von ihr abwand und zum Waldboden sah.
"Ich versuche mich runterhängen zu lassn. Ich bin üba sechs Fuß, mit ausgstreckten Armen sicha sieben Fuß."
Ängstlich griff die kleine Hand nach seinem Hemd und krallte sich darin fest.
"Nicht Knut, dass ist viel zu hoch!."
Nur widerwillig löste sie ihren krallenartigen Griff, als sich Knut auf allen Vieren dem Plattformende nährte.
Nur noch der Griff seiner voluminöse Hände verband ihn mit der Plattform, während der restliche Köper wie ein nasser Sack hinab baumelte.
"Das ist richtig tief. Mach das nicht Knut!", konnte man nur noch leise die Worte von ihr hören, als Knut auch schon seinen Griff löste und Richtung Waldboden fiel.
Erst ein grellender Schmerzensschrei von Knut konnte Meli aus ihrer Starre lösen.
Vorsichtig krabbelte sie auf allen Vieren zum Plattformende und sah ängstlich zu Knut hinab, welcher sich den Knöchel hielt.
"Geht es dir gut Knut!", erklang von oben herab die zitterige Kinderstimme.
"Höhr als isch dachte! Ich hole was, um dich da runter zu holn! Bin gleich wiede da! Lauf nicht davon!"
Wie hätte die Kleine auch weglaufen sollen? Es führte schlicht kein Weg von der Plattform hinab.
"Nein, ich warte hier. Aber komm ganz schnell zurück, ja?"
Unsicher sah sie ihrem Freund von der Plattform aus hinterher, bis er gänzlich aus ihren Sichtfeld verschwunden war.
So lehnte sich die Kleine mittig der Plattform mit dem Rücken an den Baum und nahm ihre treuen Weggefährten, ein abgenutzten und von Flicken übersäten Stoffteddy, fest in die Arme.
Und gemeinsam begannen sie auf die Rückkehr von Knut zu warten...
Ein folgenreicher Ausflug
- Melisandra Varona
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