Erinnerungen in Grau

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Mayla
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Erinnerungen in Grau

Beitrag von Mayla »

Mit einem schweren Seufzen ließ sie sich auf ihren bequemen Sessel an ihrem Schreibtisch nieder. Sacht strich sie mit der Hand über das Holz des Tisches, welches an den Kanten schon ein wenig abgewetzt war. Sie hatte diesen Tisch vor langer Zeit einmal gefertigt, mit eigener Hände Arbeit.
Genau so wie sie das Haus gebaut hatte, in dem sie seit einer gefühlten Ewigkeit wohnte, etwas außerhalb von Silberburg, an die Silberberge angeschmiegt. In den Platz, an dem es stand, hatte sie sich auf Anhieb verliebt. Er war wie geschaffen für ihr Heim. Ein kleiner Ausläufer des Gebirges lag dort. Sie hatte das Haus halb hinein gebaut und den Ausläufer unterirdisch ein klein wenig ausgehöhlt, sodass ein Keller- und Werkraum entstand. Dort hatte sie viele Stunden mit Arbeit verbracht und dort stellte sie nach wie vor die Bestellungen und Aufträge ihrer Kundschaft her. Langsam schweifte ihr Blick durch den kleine Diele, der Dreh- und Angelpunkt ihres Hauses. Einst nur wenig mehr als ein Flur und eine Abstellkammer, war dieser Wegpunkt doch rasch zu Ausgangspunkt so vieler Dinge geworden. Für manchen sah es mehr nach einem Provisorium aus, für sie war es viel mehr als das. Hier saß sie gerne, schrieb Briefe, nahm Bestellungen auf, ruhte sich aus oder dachte einfach nur über dies und das nach.
 
Mayla Schreibtisch.JPG
Sie hatte hier wahrlich viele Gäste willkommen geheißen. Bekannte, Freunde, Kundschaft. Und welcher Art die Kundschaft war. Menschen, Dunkelelfen, Barbaren, Amazonen, Zwerge, Wächter, Paladine, Waldelfen, Hochelfen, Echsen, sogar Orks. Über die Jahre hatte sich aus allen Winkeln dieser Welt Interessenten zu ihr begeben, um mit ihr zu Handeln oder ihre Handwerkskünste in Anspruch zu nehmen. Viele offen und direkt, sie hatten schlicht die Türglocke genutzt oder sich anderweitig angekündigt. Andere waren eher über Umwege gekommen, heimlich und des Nachts, mit teils merkwürdigen Anliegen.
Dennoch waren alle immer zu ihr gekommen. Jeder hatte irgend ein Anliegen. Mal nur ein kleines, mal ein Außergewöhnliches, andere mit einem Großauftrag.
 
Und dann waren da noch jene ihres Seins, die zu ihr kamen.
Sie konnte sich noch erinnern, wie alles für sie selbst anfing..
 
- Rückblick: So begann es einst -
 
Von Stiefeln und anderen Dingen..
 
Flauschiges Fell, wärmend vor allem, schaute oben heraus. Lederriemen, durch langes gerben stark und fest, sicherten den Schaft und gaben halt. Eine geschmeidige aber Widerstandsfeste Ledersohle war sorgfältig mit dem robusten Leder vernäht, sodass kein Wasser eindringen konnte. Nicht anders standen die Fellstiefel vor dem Bette ihrer Herrin. Ordentlich zur Seite gestellt, wie es sich gehörte. So harrten die Stiefel nun, am unteren Pfosten des Bettes aus, auf das sie wieder die Welt beschritten. Nicht weit entfernt lag über der Rückenlehne eines einfachen Stuhls einiges an Kleidungsstücken. Eine strapazierfähige Hose, ein einfaches aber gutes Leinenhemd und eine wärmende Fellweste. Alles jeweils recht ordentlich zusammengelegt. Doch noch wurden die Sachen nicht gebraucht, die Nacht war noch nicht ganz vorbei. Zwar kletterten die ersten schwachen Strahlen der Sonne über die feine Linie des Horizonts aber sie vermochten es noch nicht, das Geschöpf unter der Decke im Bett ausreichend an der Nase zu kitzeln, als dass es gähnend aufgewacht wäre. Fast bis über die Ohren war die Decke gezogen worden und nur das Gesicht des Geschöpfes lunzte daraus hervor. Eine rotbraune Strähne hatte sich ihren Weg vom Schopfe hinab ins Gesicht erkämpft und wehte nun sachte im leichten Atemzug hin und her. So verging ein wenig Zeit, in der die Sonne höher steigen konnte, die Decke immer noch die Ohren berührte und die Stiefel gespannt am Fußende des Bettes dem neuen Tag entgegenfieberten. Nun tat sich also auch langsam etwas unter der Decke. Zuerst wurde die Decke herumgeworfen, damit sich das Geschöpf darunter umdrehen konnte, um so den penetranten Sonnenstrahlen zu entgehen. Von Erfolg gekrönt ward dies Unterfangen jedoch nicht lange. Das kleine Zimmer in dem sich derlei Szene abspielte wurde nun von der ganzen Herrlichkeit der aufgehenden Sonne geflutet. Zudem drangen die hohen Stimmen der Singvögel zum Fensterladen herein, welche den neuen Tag begrüßten. Da gab es ein „tirili fiep fiep“ und ein „zwiep zwiep zwiep“, jeweils abwechselnd gesungen und manchmal mischte sich aus einiger Entfernung noch ein „tschilb tschilb“ darunter. Quittiert wurde das fröhliche Gesinge von einem empörten brummen, welches direkt von unter der Decke hervorkam. Ein zweites brummen folgte kurz danach und noch etwas später wurde die warme Decke nach hinten geschlagen. Zwei Frauenfüße samt den dazugehörigen Beinen schwangen aus dem Bett und setzten patschend auf den Holzfußboden auf. Noch leicht verschlafen schaute das Geschöpf aus der Nachtwäsche, was sich bei näherer Betrachtung als Frau im grob geschätzten Alter von 20 bis 30 Sommern herausstellte. Das rotbraune Haar gab sich nicht die Mühe, sich in geordneten Bahnen an Kopf und Schulter zu schmiegen, sondern stand teils wirr ab. Dies verschlimmerte sich noch, als direkt nach den Augen auch noch der Hinterkopf ausgiebig gerieben und gewuschelt wurde. Mit einem herzhaften gähnen, welches jedem Hafenarbeiter ehre gemacht hätte, griff die Frau nach der Waschschüssel, welche halb verloren auf einem Beistelltisch nahe des Bettes stand. Mit leichtem zittern und einigen Schauern wusch sie sich, war doch das Wasser über Nacht arg kalt geworden. Hernach griff sie zu der Kleidung vom Stuhle und schlüpfte in die uns bereits bekannten Stiefeln, welche zu diesem Unterfangen vom Fußende des Bettes herbei gezerrt wurden. Noch etwas schlaftrunken stand die Frau auf und tat einige Schritte auf den nicht mehr ganz intakten Spiegel zu, welcher in diesem Zimmer der Herberge hing. Mit einem spitzen Aufschrei blickte die Frau ihrem Konterfei im Spiegel entgegen. Schnell und entschlossen wurde die dreiste Mähne mit einem Kamm gezähmt und mit einem kleinen Lederband zu einem nicht eben pompösen Zopf zusammengebunden. Zufrieden nickend betrachtete die Frau sich erneut. Aufmerksam musterten die rehbraunen Augen das Spiegelbild. Alles schien soweit in Ordnung zu sein oder wurde stillschweigend geduldet. Als sich die Tür des Herbergszimmers öffnete und die Frau hinaus trat, hatte diese nicht mehr arg viel mit dem Geschöpf zu tun, was eben noch verschlafen, ungekämmt und murmelnd aus dem Bett aufgestanden war. Hier trat nun eine hübsche Frau hervor, gepflegt und mit sauberer Kleidung, doch nicht überladen oder offensichtlich der höheren Gesellschaft angehörig. Dabei hörte man sie kurz vor sich hin murmeln: „Mayla, hoffentlich sieht dich nie mal jemand, wie du aus dem Bett fällst.. !“ Sprachs, kicherte und wandte sich mit einem fröhlichen lächeln zum Schankraum.
 
 
Arbeit und kernige Flüche..
 
Nach einem deftigen Frühstück mit Speck, Eiern und einem ordentlichen Kanten Brot ging Mayla nochmals kurz hinauf in ihr Zimmer. Dort griff sie nach ihrem Proviantbeutel, dem Schleifstein und ihrer Axt. Die Arbeit rief und ihre Kunden würden nicht ewig auf sie warten. Den Rucksack in der Hand, die Axt über der Schulter begab sie sich auf den Weg zu ihrem Arbeitsplatz, dem lichten Wald von Silberburg. Hier lies es sich vortrefflich arbeiten. Der Wald stand nicht zu eng, die Bäume waren stark und kräftig und die Luft war angenehm, wenn sie nicht gerade eisig von den Bergen im Osten pfiff. In mitten einer kleinen Baumgruppe würde sie heute ihr Lager aufschlagen. Sie hatte noch einiges an Holz zu sammeln, um den letzten Kundenauftrag abzuwickeln. Demnach wollte sie nicht müßig sein und gleich beginnen. Das Handwerk des Holzfällens hatte sie von ihrem Vater gelernt und geerbt. Viele ihrer Kunden waren zuerst stutzig, dass sie solch einem Handwerk nachging. Sie sagten ihr immer, sie sehe gar nicht so aus. Sie wäre weder arg breit gebaut, noch über die maßen muskulös. Darauf hin entgegnete sie meist nur, dass es eben beim richtigen Holzfällen mehr auf das Wissen wie man an das Holz gelangte ankam, als auf pure Kraft. Wenn man Mayla so betrachtete, mit ihrer normalen weiblichen Figur und ihren etwa 170 halbfingern an Größe, konnte man allerdings die erste Verwunderung der meisten Kunden nur zu gut nachvollziehen. Doch das trübte ihr Gemüt nicht. Sie war damit zufrieden wie sie war und die Kunden waren es letztendlich auch, wenn sie feinstes Holz von ihr geliefert bekamen. Zwar übte sie sich auch im Umgang mit Schwert und Bogen, doch brachte ihr das Handwerk ihres Vaters mehr ein. Sie liebte es zwar, sich hie und da mal zu prügeln, doch konnte sie sich kaum vorstellen, davon leben zu können, wie manch hochmütige Kriegsleute oder Söldner. All dies schwirrte ihr an Gedanken durch den Kopf, als sie mit einigen wenigen routinierten Handgriffen der Axt nochmals den letzten Schliff gab. Mit frisch geschärfter Axt suchte sie sich also einen geeigneten Baum aus. Sie fällte nicht aufs Geratewohl irgendwelche Bäume. Meist begnügte sie sich damit, die Baumkronen zu lichten und dort einige dicke Äste auszuschlagen. So blieben die Bäume als Holzlieferant erhalten. Hatte sie so von ihrem Vater gelernt und sie führte es fort. Es kam ihr nur rechtens vor. Half man doch so dem Baum auch weiter, in dem er die Kraft in die anderen Äste und Zweige stecken konnte. Waren diese wieder stark, konnte man sie wieder schlagen. Im Prinzip ein natürlicher Kreislauf, bestehend aus Geben und Nehmen. So schlug und sammelte Mayla an diesem Tag fleißig Holz. Immer wenn sie genügend beisammen hatte, schnürte sie ein größeres Bündel, welches sie gerade noch so zu tragen vermochte und schleppte es zu ihrem Vorratslager. Gegen Mittag nahm sie auf der Lichtung sitzend ein echtes Holzfäller-Mahl ein. Getrockneter und gepökelter Schinken, herzhaften Käse, etwas Dauerwurst, Brot und etwas verdünnten Wein. Sie aß nicht alles auf, dafür hatte sie sich zu viel eingepackt. Schließlich sollte es vielleicht auch noch für den Nachmittag oder Abend reichen, falls das Holzhacken etwas umständlicher würde und mehr Zeit beanspruchte, als sie plante. Sehr zu ihrem Unmut entwickelte sich das nachfolgende Holzsammeln wirklich als sehr zeitraubend. Öfters brach ein dicker Ast, manchmal ging die Axt fehlt und ständig verklemmte sie sich. Solch Ungeschick war ihr schon länger nicht mehr wieder fahren. Vielleicht hatte sie sich zu voll gestopft mit dem Mittagessen.. oder.. das wird es sein, zu viel vom verdünnten Wein getrunken. Der Schlauch mit dem Wein war nämlich bereits leer. Mit leichter Scham und geröteten Wangen betrachtet sie bei diesem Gedanken ihre Axt und ließ einen kernigen Fluch über die Lippen kommen. Mochte dieser vermaledeit Wein doch eingehen zu saurem Essig und die Lederhaut des Wasserschlauches spröde und rissig werden. Mit einem letzten Fluch, der wenig damenhaft war warf sie die Axt zu Boden und setzte sich auf einen alten Baumstumpf. Sollte sie die Arbeit für heute ruhen lassen oder noch das letzte Bündel fertig machen? Würde sie es fertig machen so hätte sie sich für morgen einiges erspart. Zwar graute bereits langsam der Abend aber es waren keine Regenwolken zu sehen und empfindlich kalt war es auch noch nicht geworden. Nach kurzem murren über ihre eigene Torheit beschloss sie sich, die restlichen Sonnenstrahlen des vergehenden Tages zu nutzen, um das letzte Bündel an Holz noch Lagerreif zu bekommen.
 
 
Die Stunde der Klaue..
 
Mit Wut im Bauch über sich selbst trieb Mayla die Axt tief ins Holz, um sie dann sogleich mit einem heftigen Ruck wieder heraus zu ziehen. Kurz die Kerbe neu angepeilt und mit Wucht flog die Axt auch schon wieder herein. In das Schlagen mit der Axt auf Holz vertieft vergaß Mayla fast zunehmend die Zeit und ihre Umgebung. Das der Wind nun von den östlichen Bergen wehte, bekam sie eben so wenig mit, wie das fehlen des Vogelgezwitschers, welches sie noch am morgen geweckt hatte. Um sie herum war es bis auf das krachen der Axt ins Holz nahezu völlig still. Erst als sie eine kurze Verschnaufpause einlegte und sich mit dem hochgekrempelten Ärmel den Schweiß von der Stirn wischte, wurde ihr diese ungewöhnliche Stille bewusst. Mit einem Blick zum Himmel stellte sie erschrocken fest, dass sich der Mond in einer goldgelben Sichel, ähnlich einer großen Klaue, schon in den dämmrigen Himmel geschoben hatte. Mit von der Anstrengung bebendem Brustkorb und herabgelassener Axt in der Linken blickte sie sich im Zwielicht des Waldes um. Langsam wanderte ihr Blick ziellos suchend von links nach rechts. Ganz kurz vermeinte sie einen schnell dahin huschenden Schatten im Augenwinkel zu sehen. Doch als sie richtig zu dem Fleck hinsah, bewegte sich nichts. Mit leicht mulmigem Gefühl ging sie zu ihrer Tasche und schnallte sie sich um. Als sie wieder aufblickte, stand auf dem Baumstumpf, auf dem sie noch vor wenigen Stunden gesessen hatte, ein wahres Monstrum von einem Wolf. Mit schreckgeweiteten Augen starrte sie dem Tier entgegen, welches das Maul leicht geöffnet hatte und furchterregende Fänge erkennen ließ, an denen es weißlich schäumend funkelte. Das Tier stand so, das man die linke Flanke etwas versetzt sehen konnte. Dort bebte es unter dem grauenschwarzen Fell unheilvoll und voller Tatendrang. Ein tollwütiger Wolf war das letzte was ihr gerade noch nach dem ganzen Schlamassel mit dem Wein gefehlt hatte. Ganz langsam griff sie mit beiden Händen den Axtstiel. Ihre Handschuhe, welche sie sonst für einen besseren Griff und gegen hässliche Schwielen anlegte, waren nach dem Mittagsmahl im Rucksack geblieben. Ebenso langsam wie der Griff zur Axt drehte der Wolf das zähne starrende Haupt zur Gänze zu Mayla und funkelte sie aus tiefen, gelblichen Augen an. Ein geübter Jägersmann hätte wohl darin, so er nicht vor Angst wie versteinert gewesen wäre, den Hunger nach Fleisch erkannt aber auch Wahn und Irrsinn wären in einigen Momenten zu erkennen gewesen. Und ganz kurz flackerte auch ein kurzer Schein von Intelligenz auf, die weit über die eines Tieres ging. Mayla blieb dieses Wissen zu ihrem eigenen Glück jedoch verwehrt. Ein tiefes Grollen regte sich sodann in der Kehle des Wolfes und die Ohren legten sich langsam an den Schädel. Wie es schien, machte er sich zum Sprung und zum Angriff bereit. Auch wenn Mayla keinerlei Ahnung von der Jagd hatte, so war sie doch erfahren genug im Kampfe, um zumindest das Verhalten als solches richtig einzuschätzen. Eben noch rechtzeitig konnte Mayla den Stiel der Axt zwischen sich und ihrer Kehle und dem heran fliegenden Gebiss des Wolfes bringen, ehe es zuschnappte. Der eigentlich robuste Holzstiel der Axt gab einen jämmerlichen Laut von sich, als sich die scharfen Zähne hineinbohrten. Ebenso müsste sich ein Baum fühlen, wenn ihre Axt in ihn hinein fährt, durchzuckte es sie kurz im Unterbewusstsein. Der große Wolf knurrte fast wütend, als ihm dieses Hindernis in die Zähne gesteckt wurde, hatte er doch die Kehle als Ziel gehabt. Kurz dachte sie daran, den Dolch zu ziehen, welche an ihrem Oberschenkel fest gemacht war. Doch im Angesicht des Monstrums erschien ihr der Gedanke wie Narretei. Auf die nun verkürzte Entfernung sah das Tier noch mächtiger und furchtbarer aus, als noch vor wenigen Augenblicken. Die Ohren lagen eng am Kopf, Geifer und Blut troff aus der Schnauze und die Augen funkelten in unverhohlener Mordlust. Direkt am Schädel fügte sich ein Körper an, der vor Muskeln nur so strotzte, sah man dies alles aus nächster Nähe. Die Rute wedelte dabei wild und die unbändige Kraft des Körpers wurde in prankenartige Pfoten mit langen, dicken Krallen übertragen. Dies alles brannte sich innerhalb weniger Lidschläge in das Gedächtnis von Mayla ein, bevor der Wolf kurz das Maul öffnete und blitzschnell nochmals wild mit dem Kopf schüttelnd nach schnappte. Durch den kurzen Ruck des Loslassens glitt Mayla etwas mit der rechten Hand am Axtstiel entlang, konnte aber fix wieder zupacken. Die Hand war nur wenige halbfinger weiter am Axtblatt, doch der Wolf, welcher sofort wieder unbändig zubiss, glitt dabei mit dem geöffneten Maul über das Ende des Axtblattes, und bohrte den linken Fang ohne Mühe durch die Mitte der rechten Hand erneut in den Holzstiel. Der Schmerz kam so unvermittelt, dass sie einen spitzen und hellen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. Auch der Wolf jaulte fast gleichzeitig, als er mit den Zähnen und dem Zahnfleisch über die Schneide der Axt geglitten war. Dieser kurze Schmerzenslaut des Wolfes ging jedoch an Mayla vorbei. Nicht gesehen hatte sie in der Geschwindigkeit des Geschehens, wie der Wolf sich kurz an der scharfen Axt im Maul geschnitten hatte, ehe sein Fang sich durch ihre Haut gebohrt hatte. Nun versuchte sie mit aller Kraft, sich loszureißen, ohne dabei groß auf die Schmerzen in der rechten Hand zu achten. Dabei vergrößerte sich die Wunde an ihrer Hand ein bisschen und etwas rote Flüssigkeit troff unbemerkt von den beiden Kontrahenten in eben diese hinein. Beide rangelten noch etwas hin und her, Mayla eher rückwärtsgehend, von der überlegenen Kraft des Wolfes geschoben, als sie allen Mut zusammen nahm und sich zu einer Verzweiflungstat hinreißen ließ. Ob Wolf oder nicht, im Prinzip war es nichts anderes als ein großer Hund. Und Hunde hatten Respekt vor jemanden oder zogen gar den Schwanz ein, wenn jemand sich stärker als sie aufspielte. So brüllte sie dem Wolf so laut sie konnte und so nah sie es aushielt direkt ins Gesicht. Überrascht und verdutzt schreckte der Wolf ob dieser unerwarteten „Attacke“ zurück und ließ kurz den Stiel los. Dies nutzte Mayla unverschämt aus, um mit der Axt nach dem Wolf zu schlagen, welcher dem Hieb nicht richtig ausweichen konnte und so einen Schlag gegen die rechte Schulter hinnehmen musste. Getroffen winselte der große Wolf und leckte an seiner Schulter, den Schwanz leicht zwischen die Hinterläufe eingezogen. Mayla drehte sich währenddessen rasch um und nahm die Beine in die Hand. Sie flankte über den Holzstapel vom Mittag und zerrte sich den Rucksack mit dem restlichen Proviant von der Schulter. Noch war der Wolf, sehr zu ihrem Verwundern, nicht hinter ihr her. Scheinbar war er zu überrascht, dass sie ihn angebrüllt und auch noch mit der Axt erwischt hatte. Sie beeilte sich, Richtung Stadt zu kommen und kramte dabei den Schinken aus der Tasche. Schnell warf sie diesen weit von sich und einige gesprinteten Meter später folgte auch noch die Dauerwurst in weitem Bogen. Einige hundert Meter weiter musste sie außer Puste an einem Baum gelehnt stehen bleiben und verschnaufen. Die Axt hielt sie dabei abwehrbereit, auch wenn ihre rechte Hand schmerzlich pochte. Eine Bewegung, die ihr folgte oder gar den Wolf selbst konnte sie in der hereinbrechenden Dunkelheit nicht ausmachen. Langsam und leise zog sie sich demnach, immer mit der Axt sichernd, nach Silberburg zurück. Nur einmal noch, als sie die hellen Lichter der Stadt schon fast erreicht hatte, hörte sie hinter sich einen lang gezogenen klagenden Laut, wie ihn Wölfe in den Geschichten der Leute abends in der Taverne immer von sich zu geben pflegen. In dem Laut meinte sie, eine gewisse Traurigkeit mitschwingen zu hören, doch mochte es auch nur eine Einbildung gewesen zu sein. Ihre Hand, welche verletzt war aber nicht sehr stark blutete, war hingegen keine Einbildung, sondern unumstößliche Tatsache. Sie war von einem tollwütigen Wolf angefallen worden und hatte mit knapper Not die Flucht geschafft, mit einer Geste, die ihr keiner glauben würde. So beschloss sie, zuerst ihre Unterkunft in der Herberge zu Silberburg aufzusuchen und dort die Wunde zu waschen und anschließend ordentlich zu verbinden. Über den Hintereingang die Treppe hinauf erreichte sie ihr Zimmer. Schwer und außer Atem ließ sie sich von innen gegen die Zimmertür fallen. Erst nach einigen tiefen Atemzügen konnte sie wieder klar sehen und schleppte sich zu der Waschschüssel hin. Um den Biss war die Hand dick geworden. Durchsehen konnte man nicht, da sich das Fleisch wieder zurückgeschoben hatte und auch die Schwellung ihr übriges tat. Unter Schmerzen drückte sie auf der Hand herum und konnte mit ihren laienhaften Kenntnissen glücklicherweise keinen Knochenbruch feststellen. Vorsichtig tauchte sie die Hand ins Wasser um die Wunde zu säubern. Danach ließ sie sie kurz abtropfen und verband sie mit einem frischen Verband. Als alles fest saß und sie zufrieden mit dem Werk war, nahm sie eine Flasche Schnaps aus dem Schrank, um den Schrecken mit einem tiefen Schluck weg zu spülen. Die Flasche ploppte fröhlich, als sie geöffnet wurde und Mayla setzte die Flasche wenig manierlich einfach an die Lippen und trank einen großen Schluck..
 
 
In der Hitze der Nacht..
 
Hinten über gekippt lag Mayla im Bett, die Beine noch halb heraushängend. Tief schlief sie, doch sehr unruhig und völlig nackt. Die Decke lag zusammengeknüllt am Kopfende, vom Kopfkissen fehlte auf dem Bett jegliche Spur. Schweiß glänzte in feinen Perlen auf ihrer Haut, bildete an manchen Stellen größere Seen und tränkte auf der Unterseite das Bettlaken. Der Verband der rechten Hand fehlte. Er war scheinbar im Schlaf weggerissen worden. Eben diese Hand lag jetzt, ebenso wie die Beine, schlaff nach unten hängend aus dem Bett heraus. Durch die halb angelehnten Fensterläden schien das Mondlicht der goldgelben Sichel herein. Hätte man sich Zeit genommen, so hätte man sehen können, wie der Strahl des Mondlichtes Stückchen für Stückchen den Holzdielenboden des Zimmers eroberte. Schon kroch er still und langsam die Bettpfosten empor. So erreichte er auch letztendlich die Fingerkuppen der schwebenden rechten Hand. Dort hangelte es sich weiter hinauf, bis es schließlich den Rand der Wunde erwachte. Mit erreichen des Mondlichtes veränderte sich die Wunde an der Hand. Die Wundränder zogen sich auseinander und verfärbten sich dunkel, die Wunde pochte stark, selbst die umliegende Haut bewegte sich zuckend. Helles Blut und dunkles Blut stand wie in einem Krater darin. Es schien fast, als werfe es Blasen oder kochen. Doch vielmehr verhielt es sich so, dass das Blut einen stillen Kampf austrug. Das dunkle Blut, heiß und feurig, stürzte sich auf das helle Blut, welches versuchte, sich mehr und mehr zurückzuziehen. Es zischte leise, wie wenn ein Wassertropfen auf eine heiße Steinplatte fiel. Ein dünner Rauchfaden stieg von der Wunde auf und verbreitete einen beißenden Geruch. Es schien fast, als ob der Höhepunkt des Blutkampfes erreicht wäre. Mayla stöhnte leise im Schlaf. Sie sah die Augen der Bestie im Geiste. Diese gelben Augen, die sie fixiert hielten. Sie sah erneut die Lust auf ihr Fleisch und den Hunger darin. Sie sah auch wieder das aufflackern von Wahn und diesen kurzen Moment von mörderischer Intelligenz. In ihren Träumen erlebte sie in dieser Nacht die Begegnung mit dem großen Wolf ein zweites Mal. Diesmal nahm sie jedoch jede Einzelheit wahr. Die langen Zähne, der wilde Blick, die angespannten Muskeln unter dem grauschwarzen Fell und auch das kurze Winseln des Monstrums, als es sich an der Schneide der Axt selbst verletzte. Im Traum wurde ihr das gewahr und auch, wie etwas des Blutes der Bestie in ihre Hand gelangte. Im selben Augenblick der Traumszenerie färbte sich das Blut in der Wunde neu. Es war weder so wie das dunkle Blut, noch wie das helle. Es hatte sich irgendwo in der Mitte der beiden Schattierungen getroffen, kein Blut hatte den Kampf für sich entscheiden können. Es war ineinander übergegangen und bildete nun eine Einheit. Wusste man nicht, welche Farbe Maylas Blut vorher hatte, so konnte man nun keine Veränderung feststellen. Der Mond war in dieser Zeit bereits etwas weiter am Firmament gewandert und überließ nun das Zimmer und die Hand wieder dem Schatten der Nacht. Die Wundränder entkrampften langsam und auch das Pochen der Hand ebbte allmählich ab. Das Blut zog sich in die Wunde zurück und bildete erst zögerlich, dann etwas rascher, eine dunkle Kruste. Die Hand färbte sich wieder annähernd in den üblichen Teint von Mayla zurück. Auch ihr Geist kam langsam wieder zur Ruhe und wollte sich gerade von den Fesseln des bösen Traumes losreißen, als der Wolf in ihrem Geiste sie mit dem traurigen, lang gezogenen Heulen aus dem Schlaf aufschrecken ließ..
 
 
Am Morgen danach..
 
Ein Stiefel war zur Seite gekippt, der andere stand nahe der Tür. Die Kleidung lag nicht ordentlich zusammengelegt über der Stuhllehne. Sie sah noch schrecklicher aus, als am Tag zuvor. Das Haar stand nicht nur wirr ab, sondern war auch fettig und schweiß getränkt. Teils klebte es regelrecht am Kopf. An ihren Traum und die damit verbundenen Erkenntnisse konnte sie sich nicht mehr erinnern. Sie waren mit dem Heulen gegangen. Verwundert schaute sie an sich hinab und wurde ihrer Nacktheit gewahr. Ein kurzer Aufschrei der Empörung stahl sich von ihren Lippen. Auch wenn sie sich sicher war, dass sie so niemand sehen würde, zog sie doch schnell die Decke herbei und schlang sich darin ein. Dabei merkte sie, dass der Verband abhanden gekommen war. Auch ihr Kopf dröhnte, als würde ein Zwerg seinen Lieblingshammer auf den Amboss schwingen. Ihr Blickt suchte die Schnapsflasche vom Abend und musterte sie kritisch. Doch mehr, als ein großer Schluck fehlte nicht. Verwundert hob sie eine Braue an. Die zweite Braue folgte nur wenig später der ersten, als Mayla sich das Chaos in ihrem Zimmer betrachtete. Überall lag ihre Kleidung verstreut. Der zweite Stuhl war umgekippt und ihr Bett war genau im Umriss ihres Körpers klatschnass. Mühsam und schwankend stand sie auf und betrachtet kurz die verschorfte Wunde. „Tollwut.. ganz klar. Da braucht es einen guten Medicus“ murmelte sie kurz vor sich hin, ehe sie sich daran machte, das Chaos in ihrem Zimmer zu beseitigen. Als alles in einigermaßen geordnete Bahnen gebracht war, nahm sie etwas zu essen aus dem Beutel im Schrank und ließ sich auf den Stuhl plumpsen. Der Medicus musste erst einmal warten, denn beim Aufräumen hatte sie gemerkt, wie hungrig sie eigentlich war. Sie verspürte einen Heißhunger auf einen saftigen Schinken. Leider hatte sie nur den getrockneten zur Hand. So musste sie also mit diesem vorlieb nehmen. Sie schnitt sich mit einem kleinen Messer eine dicke Scheibe ab und stopfte sie sich gierig in den Mund. Scheinbar musste der Schrank oder der Leinensack aus etwas besonderem sein, denn der Schinken schmeckte ihr heute Morgen besonders gut. Und obwohl sie dem Geschmack frönte, schlang sie mehr als dass sie kaute, was sie aber nicht recht bemerkte. Erst als sie sich in ihrer Hast auf die Lippe biss und ihr eigenes Blut ihre Zunge berührte, blieb sie reglos sitzen, wie vom Blitz getroffen. Ihr Blut kribbelte auf der Zunge. Sie schmeckte jede Facette heraus. Vornehmlich das Eisen, dann aber auch eine gewisse Süße, gepaart mit einem leicht herben Nachgeschmack. Sie hatte sich schon öfters mal auf die Lippe gebissen, wie man das nun mal gelegentlich tat. Doch noch nie hatte sie so intensiv das Blut zerschmeckt. Ihr war nie bewusst, aus welchen einzelnen Noten sich der Geschmack zusammensetzte. Leicht verwirrt und verwundert kaute sie diesmal langsam weiter und beendete ihr Mahl kurze Zeit darauf später. Sie räumte alles weg und begab sich an die schwierige Aufgabe, sich zu waschen. Nach dem auch dies erledigt war, suchte sie sich ihre Siebensachen zusammen und war fast schon im Begriff, die Tür zu öffnen, um den nächsten Medicus aufzusuchen. Vorher warf sie nur zur Sicherheit nochmals einen Blick auf die Wunde der Hand. Die Wundränder hatten sich schon deutlich angenähert, wenn man zuvor das Ausmaß der Wunde gekannt hatte. Auch die Wundkruste war schon reichlich dick geworden, ein gutes Zeichen, das sich bald neue Haut bilden würde. Auch die Handinnenfläche sah schon viel besser aus. Schulterzuckend hielt sie den Blick darauf gerichtet. „Muss ich wohl von Vater geerbt haben..“ ließ sie leise, wie zu sich selbst vernehmen. „Da kann ich mir wohl die Goldstücke für das Kräuterzeug beim überteuerten Medicus sparen, wenn das alles so schnell und gut verheilt. Und ein bisschen Tollwut wird mich schon nicht umbringen. Vielleicht ein paar Tage mit leichtem Fieber und dann geht’s wieder. Nichts Bedrohliches..“ So ging sie dann doch hinaus und zog im gehen noch vorsichtig ihre Handschuhe an, damit man die Wunde nicht so sehen konnte. Sie machte sich jedoch nicht auf den Weg zum Medicus, sondern zum Markt. Dort wollte sie einige Besorgungen machen und sich vor allem nach saftigem Schinken umsehen, auf den sie immer noch Gelüste hatte.
 
 
Einige Tage später..
 
Die Wunde war fast komplett geschlossen. Immer noch verwundert über diese schnelle Heilung starrte Mayla bestimmt schon zum hundertsten Male diese Woche darauf. Irgendwas schien doch nicht so ganz zu stimmen. Auch wenn die Wunde als solche nicht wehtat, hatte sie doch manchmal ein unterschwelliges Ziehen in der Hand. Auch vermeinte sie, dass ihr Haar nicht mehr aber irgendwie fülliger geworden war. Ebenso kam ihr ihre Stimme einen Tick dunkler vor, als noch vor einem Mond. Merkwürdig war auch, dass sie viele Gerüche und Geschmacksrichtungen viel bewusster wahrnahm. Alles in allem schien irgendetwas mit dem großen Wolf doch nicht so in Ordnung gewesen zu sein, wie sie es sich immer wieder versuchte einzureden. Vielleicht hatte er doch Tollwut gehabt und es breitete sich nun in ihr aus? Zum Medicus würde sie jetzt nicht mehr gehen. Was sollte sie sagen? Das sie vor nunmehr einem dutzend Tagen von einem Wolf gebissen wurde? Der Medicus würde sie sicherlich fürchterlich schimpfen, dass sie nicht viel früher zu ihm gekommen ist und er ihr viel mehr Goldstücke hätte aus der Tasche ziehen können. Nein, diese Schmach wollte sie sich nicht geben. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass sich das alles wieder legte. Sonst musste sie vielleicht doch früher oder später noch zu einem Medicus oder gar einem Magier. Eine Axt konnte sie mit der Hand fast schon wieder schwingen und so ließ sie es sich noch einige Tage beim Müßiggang gut gehen, ehe sie wieder zum normalen Arbeitsalltag zurückkehren würde. Dann würde sicherlich auch wieder das Ziehen aus der Hand verschwinden.
 
Sie blinzelte einige Male. Es war der Wendepunkt ihres Lebens gewesen. Viele, die sie danach traf, nannten es einen Fluch, verabscheuten das Tier, die Bestie, die in ihnen lebte, Teil ihrer selbst war. Für sie, das Bauernkind, war es immer ein Segen, ein Geschenk gewesen. Es hatte ihr so viele neue Möglichkeiten geboten und sie zu dem gemacht, was sie heute war. Ohne diese Begegnung wäre ihr Leben in ganz anderen Bahnen verlaufen, dessen war sie sich sicher. Sie wäre niemals so viel mehr geworden..
 
Sie konnte sich noch gut an die allererste Begegnung mit einem anderen ihres neuen Seins erinnern. Sie war verwirrt, wusste nicht, was geschehen war.
Ein zauseliger Blondschopf hatte sie in Ansilon zur Seite genommen, in eine dunkle Gasse gezerrt und sie an eine Hauswand gedrückt. Sie hatte damals schon ihren Dolch griffbereit gehabt und musste aus heutiger Sicht darüber lachen, wie kindlich naiv sie doch gewesen war. So nichts ahnend und dumm.
Als Eryk stellte er sich vor. Eryk aus den Reihen des Equilibriums. Er erklärte ihr mit wenigen aber eindringlichen Worten, was ihr widerfahren war. Worauf sie zu achten hatte, was ihr blühen würde, sollte sie sich nicht an seine Worte halten. Und vor allem, wer ihre Feinde waren. Damit ließ er sie verstört zurück. Sie sollte ihn nie wieder zu Gesicht bekommen.
Was sie damals noch nicht wusste: Es sollte nicht der letzte der Ihren sein, der dem Equilibrium angehörte.
 
Die darauffolgenden Zeit verbrachte sie vor allem damit, ihr neues Sein besser kennen zu lernen. Jeden Tag lernte sie mehr und mehr. Und je mehr sie über sich selbst lernte, desto mehr lernte sie auch noch andere kennen, die ihr Schicksal teilten. Die ersten Schritte mit.. ja wem eigentlich alles? Cassedy diMedici - eine junge Magierin. Sie sollte für lange Zeit eine treue Begleiterin und Ratgeberin sein und sie bei ihren ersten Schritten zur Führerin des Rudels unterstützen. Tyladriel, ein rauer Geselle. Besuchte gerne die Tavernen und Wirtshäuser der Lande und dennoch war auf ihn verlass, auch wenn er gerne mal streitbar war. Fahlya und Amran, junge Frauen, die gerne lachten und noch einen tragende Rolle in ihrer eigenen Geschichte spielen sollten. Auch Kaleira noch. Sie war ein wenig älter als sie selbst gewesen. Und doch folgte sie ihr fast vom ersten Tage an. Sie alle waren die jungen Wilden gewesen, wortwörtlich. Bis sie das erste Mal an Sion gerieten. Ein melancholisches Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht und hielt sich für eine Weile, in den alten Erinnerungen schwelgend.
 
Das alles war so lange her. So viele waren seitdem gekommen und gegangen. So viel war passiert, Gutes wie Schlechtes. Und so viel war seitdem vergessen worden. Einzig eine Konstante gab es in diesem Spiel des Lebens bisher: Sie selbst!
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Re: Erinnerungen in Grau

Beitrag von Mayla »

Der Schreibtisch. Ein gewohnter Ort. Hier saß sie oft und lange.
Nach dem sie vor kurzem hier über ihre Anfänge und den Wandel in ihrem Leben sinniert hatte, war sie längere Zeit rast- und ziellos durch die Wälder gestreift. Hatte Orte besucht, an denen sie gerne war. Aber immer wieder zog es sie hierhin zurück. Der Sessel war eben fürchterlich bequem. Sie hatte sich damals auch ordentlich Mühe damit gegeben. Hier saß es sich gut und hier konnte sie über verschiedene Dinge nachdenken. Gewiss, sie mochte es auch im Wald draußen zu sein. Dabei verlor sie sich aber gerne. Das war gut, wollte man ins Gleichgewicht kommen, seine innere Ruhe und Mitte finden.
Was sie aber im Moment bewegte, war die Vergangenheit. Dazu war dieser Ort hier gut geeignet. Er war einer der Wegpunkte, an dem sich viele Wege und Schicksale verknüpften. Hier gab es Notizen und Aufzeichnungen, die ihr auf die Sprünge halfen, der ein oder anderen fast vergessenen Geschichte nachzujagen.
 
So wie der Gründung der Gemeinschaft..
 
Es waren viele Monde vergangen, seit sich ihr Leben grundlegend geändert hatte. Sie hatte mehr und mehr die Kontrolle über die Bestie gewonnen, wusste sie zu besänftigen und auch zu nutzen. Allein, jeweils bei Vollmond, wurde ihr die Kontrolle barsch entrissen. Zu Beginn wachte sie meist völlig erschöpft irgendwo auf. Sie erbrach dann oft Blut und andere Dinge, die sie sich nicht genauer anschauen wollte. Je häufiger sie diese unkontrollierten Nächte erlebte, umso mehr konnte sie sich erst an Bruchstücke, dann an längere Szenen erinnern. Meist hielt sich ein hartnäckiger Nebel über diesen Erinnerung und nur mit der Zeit und mit Gesprächen der Anderen ihres Seins lernte sie, diesen Nebel zu lichten und zu vertreiben.
Zu dieser Zeit trieb es sie umher. Sie war ständig auf der Suche. Auf der Suche nach weiteren, die ihr Sein, ihr Schicksal, teilten. Und sie wurde fündig.
Sie lernte immer weitere kennen und allen erging es gleich. Sie kämpften und haderten mit ihrem neuen Sein. Sie verfluchten es und sie hießen es bisweilen willkommen.
So scharrte sie schon früh einige der Ihren um sich. Mal eher lose, mal als ständige Begleiter. Nicht unbedingt, weil sie selbst besonders klug oder stark war und sich deshalb von den anderen abhob. Auch nicht, weil sie sich bei anderen Dingen besonders hervortat, mit Mut oder Rücksichtslosigkeit. Es war wohl eher das gesunde Mittelmaß der Dinge, von jedem und allem ein bisschen, das sie besonders auszeichnete. Sie war schlicht umgänglich. Sie konnte mit jedem reden und alle konnten mit ihr reden, ohne dass das Gefühl aufkam, man stünde nicht auf der gleichen Seite. Und, was wohl für viele ein besonders wichtiger Grund war; sie konnte zuhören.
Bei alldem war zu erkennen, dass es ihnen an einer wichtigen Sache fehlte. Nichts greifbares und doch wichtig genug für alle, gewisse Zugeständnisse zu machen. Ihnen fehlte eine Gemeinschaft und ein ruhiger Rückzugsort.
 
Es hatte viele Gespräche gegeben, viele Einsichten hatte sie erfahren, viele Einzelschicksale gehört, vieles davon selbst erlebt. Es waren so viele interessante wie traurige Geschichten und doch waren sie nur so wenige. Zum Glück waren sie nur so wenige. Dennoch hatten sie alle eine Gemeinsamkeit, eine, die sie alle teilen, ob Mann oder Frau, ob auf der lichten oder der dunklen Seite. Ihr Sein, wie sie es alle von Kindesbeinen an kannten, hatte sich durch einen einzigen Zwischenfall für immer geändert, wurde zu einem neuen Sein, welches die Lebensfäden so vieler unterschiedlicher Geschöpfe mit einander verwob. Die einen nannten es Fluch, die nächsten eine Aufgabe, andere eine Chance. Wie man es auch drehte und wendete, allen war gleich, dass ihnen ein Tier, eine wilde Bestie innewohnte. Nun war es an der Zeit, aus den einzelnen Fäden, die lose miteinander verwoben waren, einen festen Teppich des Zusammenhalts und der Gemeinschaft zu weben. Eine Gemeinschaft, einem Rudel gleich, welche Brücken schlug, wo sonst nur Gräben waren. Das war das Ziel der Unternehmung, welches sie zusammen mit einigen wenigen ihrer „neuen“ Art anstrebte. Zunächst war es nur ein flüchtiger Gedanke gewesen, geboren aus Verzweiflung und Einsamkeit, den sie und eine ihrer engsten Vertrauten gehabt hatten. In einem langen Gespräch gefunden, in dem sie offen über ihre Ängste sprachen und versuchten, der Einsamkeit Herr zu werden. Einsam mit einem Schicksal, das man nicht selbst gewählt hatte und dem man nur entrinnen konnte, wählte man ein sehr endgültiges Mittel, den Tod. Viele der ihren haderten mit dem Schicksal und verzweifelten schier daran, sahen sie doch kaum einen Ausweg und bot das normale Leben, in dem sie nun gefangen waren, kaum Luft zum atmen. Doch eben dies war die Grundlage des Gedankens, einen Rückhalt zu schaffen, der Hilfe in den schweren Zeiten bot, gegen Einsamkeit und Verzweiflung anzukämpfen.
So war es an ihr, alles in die Wege zu leiten und einige Gespräche zu führen, war sie doch als Einzige nicht an etwas gebunden, was sie beim ersten Kontakt befangen machte. Sie sollte Vertrauen wecken, wo Misstrauen und Argwohn herrschte. Sie sollte Zuversicht spenden, wo sonst nur Niedergeschlagenheit steter Begleiter war.
Jene, mit denen sie die ersten Schritte gegangen war auf diesem Weg, in ihrem neuen Sein und auch teils den Gedanken mitgetragen hatten, waren bereits Teil des Ganzen, andere sollten folgen. Sie würde sie finden müssen. Es war ihre Aufgabe. Sie sollte das Bindeglied zwischen allen sein, der feste Boden des Teppichs. Es oblag ihr, die Gemeinschaft zu erbauen und führend zu begleiten.
Letztlich fanden sich recht schnell einige weitere, die scheinbar nur darauf gewartet hatten, einen Lichtblick gezeigt zu bekommen. Es war ihnen alle die Erleichterung anzusehen, dass es eine Gemeinschaft nur für sie geben sollte und welche nur die Belange derer behandelte, die ihrer Art waren.
Ganz gleich welche Gesinnung sie im Leben gewählt hatten, welches sie unter jenen lebten, deren sie einst abstammten, alle waren davon angetan, einen Ort zu kennen, an dem sie ungestört so sein konnten, wie es ihr neues Sein war und wie es dieses Sein zu manchen Zeiten gebot.
Zudem sollte dieser geschützte Ort nicht nur Rückzug und Rückhalt bieten, sondern auch ein Ort der Lehre und des Lernens sein.
Die, die schon länger mit den Eigenarten ihres neuen Seins konfrontiert waren und gelernt hatten, es mehr und mehr zu beherrschen, sollten jene lehren, welche das Schicksal erst vor kurzem auf einen neuen Weg geleitet hatte. Sie sollten lernen, dass nicht alles schlecht war, was ihnen das Schicksal bot. Sie sollten lernen, wie man sich beherrscht und wie man sich das neue Sein auch zu Nutze machen konnte. Jeder von ihnen hatte eine eigene Sicht und jede sollte in der Gemeinschaft gehört werden. Und nicht nur das Lehren und Lernen war Sinn der Gemeinschaft, sondern die Gemeinschaft sollte auch Geborgenheit und Trost für die Momente des Lebens vermitteln, die für alle so schwer war. Die Momente des Lebens, an denen der Mond voll am Himmel stand..
 
Diese frische Gemeinschaft, durch ein gemeinsames Schicksal verbunden. Viele verschiedene Charaktere. Jeder anders und doch in einem Punkt so gleich.
Sie waren auf der Suche nach dem Sinn hinter all diesen Dingen.
Die Mondsteinhöhle taugte nicht als Rückzugsort. Der darin befindliche Stein ließ keinen unberührt. Zur wirklichen Ruhe kam man in seiner Nähe nicht.
Es musste etwas anderes gefunden werden.
Sie schwärmten also aus. Zogen durch die näheren und weiteren Wälder, Täler und Berge. Immer Ausschau haltend, um einen Ort zu finden, der unauffällig war. Wo sie Ruhe und Geborgenheit und Schutz finden konnten. Und an dem keine Regeln und Zwiste der Welt galten. Nur ihr gemeinsames Schicksal war dort wichtig, nur das allein zählte.
 
Es verstrich einige Zeit, bis sie solch einen Ort finden konnten. Ein Höhle im Gebirge, geschützt von einem Wald. Abseits der Wege und belebten Orte der Lande. Er war wie gemacht für die neue Gemeinschaft.
Hier wollten sie sich nun fortan treffen und Dinge gemeinsam besprechen und entscheiden.
Ebenso war es ein Ort des Lehrens und des Lernens. Hier gaben die Alten und Ältesten ihr Wissen und die Regeln ihres Seins an die Welpen weiter.
Es wurde Rat gehalten, gestritten, gemeinsam gelacht, Dinge entschieden.
Es war der Rückzugsort des Rudels.

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Mayla
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Re: Erinnerungen in Grau

Beitrag von Mayla »

Erneut saß sie an ihrem Schreibtisch. Die Vergangenheit ließ sie im Moment nicht los, fesselte sie. Immer und immer wieder tauchten Erinnerungsfetzen in ihrem Geiste auf, ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Fast so, als forderten sie, sie solle sich mit ihnen beschäftigen, die Dinge nochmals aufarbeiten.
Sie hatte in ein paar Seiten ihres Auftragsbuches geblättert. Sie hielt für gewöhnlich verschiedene Dinge fest. Auftraggeber, angefragte Handelsgüter oder Wünsche, die gefragte Menge und natürlich auch den von ihr verlangten Preis.
Der ein oder andere Eintrag zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht.
Manches Mal wurden nur Dinge des Alltäglichen Lebens erfragt. Stühle, Möbel, Betten, Schränke, Truhen und dergleichen. Alles was man eben brauchte, um ein Haus brauchbar und wohnlich einrichten zu können.
Gerne und oft wurden auch von ihr Rüstungen und Waffen gekauft. Sie hatte schon immer ihre Waren recht preiswert angeboten. Bis heute erschloss es sich ihr nicht, warum man jemanden bei einem Handel über den Tisch ziehen sollte. Sie hatte schon immer die Meinung vertreten, dass zufriedene Kunden und das waren sie meist erst, wenn der Preis stimmte, auch Kunden waren, die gerne wieder ihre Dienste in Anspruch nahmen.
Beim blättern in den Auftragsbüchern und Notizen war ihr ein Name ins Auge gefallen.
Er war ihr fast schon entfallen und es dauerte einige Momente angestrengten Nachdenkens, bis ihr die Geschehnisse der Vergangenheit wieder gegenwärtig wurden.
 
Was sich vor langer Zeit zugetragen hatte, erschien ihr dann wieder bildlich vor Augen.
Es war das erste Mal gewesen, dass sie die gesamte Gemeinschaft einberufen hatte. Und es waren viele gekommen, gleich ob alt oder jung. Der Anlass war kein schöner, doch es war eine ihrer ersten Bewährungsproben gewesen. Das Rudel hatte sie anerkannt und sich von ihr Leiten und Führen lassen.
 
So trug es sich zu..
 
 
Es war an der Zeit, sie sollte sich auf den Weg machen. Sie hatte gerufen und ihrem Ruf wurde folge geleistet. Freiwillig, ohne Druck, aus verschiedenstem Interesse.
Sie war das Bindeglied der verschiedensten Gesinnungen ihrer Art. Zu fast allen hatte sie Beziehungen, gute Beziehungen. Sie wurde respektiert, ohne dass sie jemals Gewalt oder Intrigen hätte anwenden müssen.
Es war ihre Art und ihre Aufgabe, einen sicheren Hafen und eine zentrale Anlaufstelle für alle Ihres Seins darzustellen.
So stellte sie auch an diesem Abend die Zuflucht zur Verfügung. Ein sicherer Platz, fernab jeder Zivilisation. Hier war jeder ihrer Art Willkommen, jeder sollte Zugang haben. Der ideale Ort, um über ernste Belange zu sprechen. Belange, die sie alle etwas angingen. Deshalb waren auch so viele ihrem Ruf gefolgt. Nicht eine Gesinnung war in Gefahr, sondern alle, die von ihrem Blute waren.
Sie kam gleichzeitig mit Fahlya an, der jungen, lebenslustigen Frau, die schon seit geraumer Zeit zu den Ihren gehörte. Sie schien mit dem Tier in sich gut zurecht zu kommen, doch an diesem Abend schien sie bedrückt zu sein, mehr als es der Anlass gebot. Erst später sollte sie die genauen Gründe erfahren.. und verstehen.
 
 
Nach und nach waren fast alle versammelt, von denen sie wusste. Eu’lea mit den vielen Namen, den vielen Gesichtern, den vielen Geheimnissen.
Kaleira, die Bardin, die Suchende des Equilibriums, eine alte Freundin.
Dirion, ein grundehrlicher Ritter, ein Berufskollege und treuer Weggefährte.
Sion, einer der Ältesten ihrer Art, ein Magus, finsterer Scherge und dennoch auf ihren persönlichen Wunsch gekommen, hoffte sie.
Tyladriel, ein Mann mit bewegter Vergangenheit, Taugenichts und dennoch mit dem Herz am rechten Fleck.
Zudem waren noch drei Welpen gekommen, die sie nicht kannte.
Zwei gehörten zum Eqilibrium und sie nahm sich fest vor, mit Kaleira zu sprechen.

Die Belange der Vereinigung gingen sie zwar nichts an, doch sie war gerne über alle ihrer Art informiert, wenn von ihrem Dasein Wissen vorhanden war. Letztlich war es für alle von Interesse, einander zu kennen. Blut war schließlich dicker als Wasser, wie dieser Abend zeigte.
Auch Dirion würde sie noch ausfragen müssen. Jenen, den er mitgebracht hatte, kannte sie vom Sehen und Hören. Doch sie wollte von ihm selbst seine Geschichte hören. So, wie sie schon unzählige Geschichten gehört hatte.
 
Dort waren sie also alle versammelt.
 
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Nun galt es also, über die Geschehnisse in Ansilon zu beraten und einen Weg zu finden, was zu tun sei.
Zunächst war die Frage gestellt, welcher der Ihren den schwerwiegenden Fehler begangen hatte, die Maskerade in aller Öffentlichkeit zu brechen.
Mit ein wenig Verzögerung konnte dann Dirion Licht ins Dunkeln bringen und es klärte sich, weshalb Fahlya so bedrückt war.
Beletrian, ein dem Welpenalter entwachsener Jungspund, hatte einen der schlimmsten Fehler begangen, den ihre Art kannte.
Fast im gleichen Atemzug erklärte Fahlya, dass sich Beletrian selbst gerichtet hatte, um einer Hetzjagd zu entgehen. Letztlich hatte er in einer ruhigen Minute seinen Fehler erkannt und zum Wohl der Seinen das letzte Mittel ergriffen.
Er hatte sich mit einem Silberdolch das Leben genommen, ehrenhaft, trotz seines Makels.
 
Es wurde eifrig diskutiert, welchen Weg man zur Schadensbegrenzung einschlagen würde.
Viele Vorschläge wurden gemacht und alle ebenso wieder verworfen, zu groß war bei allen die Gefahr, dass am Ende noch einer der Ihren offenbart wurde.
Die Gespräche liefen lange und kamen zu keinem zählbaren Ergebnis, deshalb kehrte das Thema wieder auf Beletrian zurück.
 
Um die sterblichen Überreste nicht in die falschen Hände geraten zu lassen und trotz des Protestes von Fahlya, wurde entschieden, Beletrians Leichnam den Flammen zu übergeben.
Das Urteil sollte allein von drei Personen vollstreckt werden, aus Respekt vor der letzten Tat Beletrians aber auch, um für Glaubwürdigkeit aller zu sorgen.
So sollten Fahyla, seine „Schwester“, Sion vom Equilibrium und Mayla jene sein, welche das Feuer zu Beletrians Gebeinen tragen sollten.
 
So machen die drei sich also auf den Weg, während die Diskussion in der Zuflucht weitergeführt wurde.
 
Der Weg führte die drei nach Nordhain, in den tiefen Wald, wo am Fuße eines alten Baumes ein frisches Grab zu finden war.
Hier behauptete Fahlya, liege Beletrian begraben.

Um sich der Sache sicher zu sein, prüften Sion und sie selbst das Grab ausführlich.
 
Beide konnten bestätigen, dass es sich um einen der Ihren, beziehungsweise wirklich um Beletrian handelte.
Um den Toten den reinigenden Flammen zu übergeben, war es nötig, ihn aus seiner Ruhestätte zu bergen.

Da Fahlya nicht in der Lage war, Hand an das Grab oder gar Beletrian zu legen, war es an ihr selbst, diese Arbeit zu verrichten.
 
Nach kurzer Zeit legte sie vorsichtig den toten Körper frei. Es war unzweifelhaft Beletrian, der dort bleich und blass, danieder lag. Einzig eine kleine Wunde auf Herzhöhe zeichnete seinen Leib.
 
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Nun war es an Sion, alles weitere zu übernehmen. Er beugte sich zu dem leblosen Körper hinab und nahm ihn fast liebevoll in seine Arme.
Leise erklangen Worte, die wie eine sanfte Brise um den Toten wallten, ehe sich die Luft um Sion erst in leichtes Flimmern, dann immer mehr in wilde Flammen hüllte.

 
Sion, komplett in loderndes Feuer gehüllt, umschloss Beletrians Körper und nahm ihn in sich auf. Mit heiserem Fauchen ging der Leichnam in Flammen auf und verbrannte in dem tosenden Inferno innerhalb weniger Herzschläge zu wenig mehr als einer Handvoll Asche.

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Erst als nichts mehr übrig war von dem, der dort gelegen hatte, verebbten die Flammen zusehends und die Gestalt Sions schälte sich nach und nach aus der flammenden Gestalt.
Zuletzt umspielten rötlich-goldene Flammen seine Faust, als er gemessenen Schrittes auf Fahlya zuging. Er nahm vorsichtig ihre Hand und legte etwas hinein.
 
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Ein schwarzer Diamant, aus der Asche Beletrians geformt, lag in ihrer Hand. Es sollte ihr Andenken an ihren „Bruder“ sein, sie immer an ihn erinnern.
 
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Trotz ihrer Abneigung gegen Sion kam Fahlya nicht umhin, sich bei ihm zu bedanken und einzusehen, dass er wohl mehr als nur ein finsterer Scherge sein mag, wenn er nur wollte.
 
Mit vollbrachter Tat kehrten sie zur Zuflucht zurück.
Dort war man nach schier endlosen Diskussionen zu dem Schluss gekommen, die Sache vorerst weiter zu beobachten, um keinen der ihren in unnötige Gefahr zu bringen.
 
Sollte sich in den kommenden Tagen etwas ereignen, dass sie Schritte einleiten mussten, so würden sie sich abermals treffen.
Einige Ideen und Vorschläge mochten dann nochmals neu beleuchtet und beratschlagt werden.
Derzeit hofften sie auf den vorherrschenden Krieg in Ansilon. Hier war genug Spielraum für Ablenkung. Vielleicht hatten sie Glück und der aufgebrachte Mob würde die Dienerschaft verdächtigen, die in den letzten Tagen schon für genügend Morde und Unheil gesorgt hatten.
 
Sie und die Ihren würden weiter beobachten..
Sie würden lauern, wie es ihrer Art entsprach..
Ihre Augen und Ohren waren all überall in der Dunkelheit..
Die Zeit mochte zeigen, was zu tun sei..
 
Langsam kehrte sie aus den Gedanken der Vergangenheit zurück.
Ob Fahlya, die sie ebenso seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte, den schwarzen Diamant noch immer hatte? Gewiss verwahrte sie ihn gut auf. Sie konnte sich auch schwerlich vorstellen, dass sie verschwunden war. Gelegentlich meinte sie ihre Präsenz zu spüren, wenn sie Nordhain besuchte. Es war immer nur ein flüchtiger Augenblick, nicht mehr als eine Ahnung.
Und obwohl Fahlya sicher allen Grund hatte insbesondere sie zu hassen, nach alledem was danach noch geschehen war, vor allem auch durch ihre Hand, waren beide doch gleich mehrmals durch das Schicksal miteinander verbunden. Sie waren Teil der gleichen Geschichte gewesen.
Tief im Herzen vermisste sie Fahlya.
Irgendwo dort draußen war sie noch, dessen war sie sich sicher.
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Mayla
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Re: Erinnerungen in Grau

Beitrag von Mayla »

Sie war nochmals in Nordhain gewesen. Hatte die Stelle aufgesucht, an der sie Beletrian wieder aus der Erde geholt und zu einem schwarzen Diamanten gebrannt hatten. Von seinem ehemaligen Grab war nicht viel übrig. Nur die Wissenden konnten mit viel Vorstellungskraft sagen, dass dort eine kleine Erdaufwerfung war. Die Wildnis hatte sich bereits alles andere wieder geholt und einverleibt.
 
Von diesem Ort aus war sie durch den Trolleichenwald gen Westen gewandert, bis zu den sturmumtosten Klippen der Nordberge. Ein rauer Ort und an manchen Stellen brandgefährlich.
Ihre Füße hatten sie dann zum Rostanker geführt.
Sie mochte diesen Ort nicht. Er war verseucht. Verseucht von Ratten! Es waren die Ratten von Leo Co'Par, dem stinkenden Piratenkapitän... oder zumindest hielt er sich für einen solchen. Gegen ihn und seine untote Crew hatte sie einen innewohnenden Hass, wie alle der Ihren.
So kam es ihnen damals mehr als gelegen, als sich ihnen die Möglichkeit bot, zusammen mit den Paladinen und Amazonen das Piratenlager und deren Schiff anzugreifen.
Doch der Angriff war nur ein Teil des Plans. Gewiss lag es im Interesse aller und insbesondere der Ihren, diese Pack anzugreifen und womöglich die Chance zu haben, es auszulöschen.
Aber, und das war viel wichtiger, die Ratten hatten sich erdreistet, eine der Ihren gefangen zu nehmen! Oberstes Ziel war es also, die Geisel zu befreien und danach den Kahn samt Ratten im Meer zu versenken.
Mit vereinten Kräften war es schließlich gelungen, die Untoten-Plage und das verseuchte Ratten-Pack zurückzuschlagen.
Amran, die Geisel, konnte befreit werden, ehe man das Schiff der Piraten versenkte. Vereinzelt konnten Gefangene gemacht werden. Manchem sollte danach noch der Prozess drohen. Die Inquisition war in diesen Dingen eisern, konsequent und unerbittlich.
 
Wichtiger für sie war es jedoch, die Ihre aus den kalten Fängen der Vampire gerettet zu haben. Doch das Geschehen sollte noch folgen haben.
 
Man traf sich alle zusammen in der versteckten Höhle, nachdem Amran und Fahlya sich etwas erholt hatten von den Strapazen der Entführung und Errettung.
Jeder hatte natürlich die ein oder andere Frage auf dem Herzen. Doch bevor alle durcheinander fragten und es zu einem heillosen Durcheinander kam, gebot sie Ruhe. Die beiden sollten berichten, ausführlich und möglichst jedes Detail erwähnen. Damit würden sich viele Fragen klären lassen, noch bevor sich gestellt werden mussten.
So berichtete Amran leise und stockend von den Gegebenheiten, wie sie in die Fänge der Vampire geraten war. War es auf ihr Geheiß eh schon recht ruhig in der Höhle gewesen, so wurde es während des Berichts fast totenstill.
Amran und Fahlya hatten sich offenbart! Sie hatten die Maskerade gebrochen! Die Umstände waren völlig nebensächlich, ob sie nun von Vampiren entführt gewesen waren oder nicht.
Sie hatten sich Außenstehenden des Konflikts gezeigt. In ihrer Wolfsform, gezeigt, dass sie mehr waren als nur zwei Menschenfrauen.
Die Stimmung in der Höhle schlug von Mitgefühl und Verständnis in blanke Wut und Hass um.
Sie waren außer sich von diesem Geständnis, allen voran Sion. Hätte sie ihn damals gewähren lassen, hätte er beide Frauen an Ort und Stelle zu Asche verbrannt oder noch schlimmeres mit ihnen angestellt, so groß und grenzenlos war sein Zorn gewesen. Die beiden hatten die oberste und wichtigste Regel gebrochen, die einzige, die sie mit den Vampiren einvernehmlich teilten, die Wahrung der Maskerade über alles!
 
Es war klar, dass beide nicht ohne Strafe davon kommen konnten. Ein weiter so wie bisher konnte nicht akzeptiert werden. Es musste ein Exempel statuiert werden. Eine Mahnung an alle der Ihren, dass es nicht hingenommen werden konnte, sollte einer aus ihren Reihen sich dieses Vergehens schuldig machen.
Beide wurden erst einmal fortgeschickt. Ihre Anwesenheit war für alle unerträglich geworden, zumindest in diesem Moment.
Es wurde sodann ohne die beiden Frauen beratschlagt, was zu tun sei. Wie konnte man hart strafen, ohne die beiden umzubringen? Denn letzteres wäre ebenso ein Verbrechen an ihrem Sein gewesen. Beide Frauen waren akzeptierte Mitglieder des Rudels. Tötete man sie, schwächte man das Rudel. Das war nicht hinnehmbar.
Zum Schluss war es ihre Idee gewesen, die den Zuspruch aller fand. Sie hatte das Schicksal der beiden damit besiegelt. Sie war dafür verantwortlich, niemand sonst.
 
Es war also an ihr, das Rudel zu führen und die Strafe zu verhängen!
 
Wie es sich dann zutrug..

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Mit Wehmut im Herzen verließ sie den Rostanker. Das alles war so lange her. Und doch war auch dies ein wichtiger Meilenstein gewesen, zumindest für sie. Sie hatte die nötige Härte gezeigt, die Sion von ihr eingefordert hatte. Fortan hatte er sie als gleichwertig von Rang und als Führerin des Rudels anerkannt. Ihm war bewusst geworden, dass sie nicht nur der ausgleichende Pol aller Strömungen innerhalb der Gemeinschaft war, sondern auch strafen würde, sollte es von Nöten sein.
Sie wusste damals nicht, dass dies die Prüfung der Ältesten für sie gewesen war. Zwei waren anwesend, Sion und Norowhin. Sie prüften sie, beobachteten, bewerteten. Und offenbar fand ihr Tun Wohlgefallen in den Augen der Alten. Es waren ebenso genügend Jüngere anwesend, um der Gemeinschaft aus ihrer Sicht berichten zu können, was sie getan hatte. Eu'lea als Beobachterin und natürlich Amran und Fahlya als Bestrafte. Gerade letztere würden die Kunde mit sich tragen. Sie waren es, die mit ihren Worten und Berichten alles weiter geben würden, die den Respekt vor ihr unter die Gemeinschaft brachten, die Saat säten, dass sie von den Alten anerkannt war und künftig mit den Ältesten die Geschicke des Rudels lenken würde. Dies war ihre Prüfung gewesen und sie hatte sie gemeistert. Künftig würde sie nicht mehr in Frage gestellt werden, das war gewiss.
So lange her und doch so wichtig.
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Mayla
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Re: Erinnerungen in Grau

Beitrag von Mayla »

Von Dingen, die einem zu Kopfe wuchsen
 
Manche Entscheidungen bereute sie. Und doch konnte sie keine davon rückgängig machen.
Am Tisch sitzend, erneut, der Sessel war einfach zu bequem, kamen ihr die Gedanken zu Mahribar und ihren grau-weißen Haaren. Verschmitzt drehte sie eine Locke um ihren Finger und betrachtete die Strähne. Sie hatte immer rotbraunes Haar und braune Augen gehabt. Ob es nun an dem ganzen Zirkus um Mahribar lag oder weil sie den Weg wählen wollte, nur noch im Hintergrund als Graue zu agieren, konnte sie nicht sagen.
Eigentlich war es ihr Ziel gewesen, nach so langer Zeit anderen einen Teil der Führung zu überlassen. Leider war das nicht so gelungen wie gewollt und so musste sie selbst weiterhin in dieser Position agieren. Offenbar war das Schicksal nicht der gleichen Meinung wie sie.

Ihre Gedanken schweiften hinfort, zu den Begebenheiten rund um Mahribar und ihren Haaren..
 
 
Sie hatte vor kurzem das erste entdeckt. Es war ihr erst gar nicht aufgefallen, bei einem flüchtigen Blick in den Spiegel. Aber es war da, ganz eindeutig. Und dieser Umstand alleine für sich war schon bemerkenswert. Und doch war es ungewöhnlich, außergewöhnlich. Es sollte da gar nicht sein. Es war einfach erschienen, quasi zeitgleich mit ihrer Rückkehr in diese Lande. So wie sie selbst wieder wie aus dem nichts erschienen war, nach langer langer Zeit, so war es auch plötzlich erschienen, wie aus dem nichts, ohne Vorankündigung.

Sie war in den Landen umher gestreift, die sie so lange nicht mehr betreten hatte. Alles war ihr dennoch vertraut. Die Städte waren die gleichen, die Wege waren geblieben. Selbst der Papagei in der Bank zu Ansilon musste wohl bei einem missglückten Experiment der Magierakademie entstanden sein, anders war nicht zu erklären, dass dieses freche Federvieh immer noch lauthals in dem Bankgebäude umher schrie. Und doch war etwas anders als zuvor. Ob es am Land selbst lag? An den Bewohnern? Den Tieren oder den Pflanzen? Sie wusste, dass sie sich mit diesen müßigen Fragen nur selbst belog. Sie war es, die sich geändert hatte. Als sie sich das erste mal in diesen Landen niederließ, war sie nur nach außen hin jung an Jahren gewesen. Sie war anders als die anderen. Es gab viele mit ihrem Sein, den manche als Fluch, manche als Segen betrachteten. Nun, da sie wiedergekehrt war, gehörte sie zu den Uralten ihres Seins, man brachte ihr großen Respekt entgegen. Es gab, wenn überhaupt, nur noch ganz wenige ihres Alters, auch wenn nach außen hin die Zeit nahezu spurlos an ihr vorüber gezogen war; nahezu. Vielleicht lag es daran?

Sie hatte diesen jungen Welpen kennen gelernt, Nagron war sein Name. Er war alleine und verunsichert. Sie nahm sich seiner an, wie sie es früher schon oft getan hatte. Er sprach davon, dass er erschaffen wurde, wie es früher nur bei den lebenden Toten der Fall gewesen war. Früher, als sie noch die Führerin des großen Rudels gewesen war, wäre das undenkbar gewesen. Man hätte den Erschaffer gejagt, gehetzt, man hätte ihn so lange verfolgt und vor sich her getrieben, bis man der Hatz leid gewesen wäre und hätte ihn... doch das war früher. Seltsamerweise brodelte der Zorn nur schwach in ihr auf, die Bestie in ihrem inneren blieb stumm, begehrte nicht auf und verlangte nicht nach Blut. Sie nahm diese Neuerung als jetzt gegeben hin. Was sollte sie auch tun? Sie war lange weg gewesen, Dinge änderten sich, Menschen änderten sich, Gemeinschaften änderten sich. Womöglich hatte sich auch das komplette verhalten und Wesen ihres Seins und das ihrer Art geändert? Sie hatte jedenfalls bekräftigt, sich um Nagron zu kümmern. Das war zumindest gleich geblieben und beruhigte sie. Es war wie eine stete Aufgabe in ihrem Leben, eine Konstante.
Am nächsten Tag hatte sie ein weiteres entdeckt. An einer anderen Stelle. Aber es war unübersehbar. Auch dieses war einfach plötzlich da. Ohne ein Zeichen oder eine Vorwarnung war es einfach über Nacht dagewesen. Das war alles mehr als seltsam. Gründlich forschte sie nach, ob es noch mehr davon gab. Nach einigem suchen und wühlen war sie sich sicher. Es gab zwei. Ganz genau zwei. Nur diese zwei, kein weiteres. Sie würde das im Auge behalten müssen. Vielleicht stimmte etwas mit ihr nicht. Aber sie fühlte sich nicht anders als zuvor auch. Sie war immer noch sie, mit allen Vorzügen und Macken, die sie ausmachte. Merkwürdig war das ja schon. Aber sie hatte andere Dinge zu tun, als sich um diese zwei beiden zu kümmern. Das musste warten.
Mahribar hatte sie besucht. Er war so mir nichts, dir nichts vor ihrer Tür gestanden. Mitten in der Nacht. Zum Glück war sie noch nicht zu Bett gegangen, hatte gearbeitet und dabei die Zeit vergessen, wie so oft schon in ihrem langen Leben. Sie hatte sich an ihn erinnert. Er war ihr damals auch als Welpe in die Hände gefallen. Geschichten wiederholten sich. Er eröffnete ihr, dass er nach ihr der Älteste unter den Ihren war und er ein eigenes Rudel führen würde, welches er erschaffen hatte. Es verwunderte sie nicht. Mahribar und seine Brüder waren für ihre Direktheit und ihren Ehrgeiz bekannt. Sion war ihnen ein guter Lehrer gewesen. Mahribar hatte sich offenbar auf eine Auseinandersetzung mit ihr vorbereitet, nicht nur für ein Gespräch. Doch sie nahm ihm den Wind aus den Segeln. Das lag ihr, das konnte sie recht gut. Sie hatte den Umstand längst akzeptiert, dass ein neuer Wind in den Landen herrschte, dass die Ihren nun willentlich erschaffen wurden und es nicht mehr bloße Unfälle und Zufälle waren, wie es bei ihr einst war. Vielleicht hatte die Bestie in ihr es viel früher gewusst und akzeptiert. Vielleicht war es eine Art Verteidigungsstrategie ihres gesamten Seins gegen die widernatürlichen lebenden Toten? Vielleicht hatte sich ihr ganzes Sein, die Gesamtheit ihrer Art ändern müssen, um ihren Feinden die Stirn bieten zu können? Wer wusste das schon. Sie war überrascht und gleichzeitig recht gefasst, dass sie diese Begebenheit nicht groß aus der Ruhe brachte. Mahribar war aber immer noch da. Er schien sich einerseits zu freuen, dass sie wieder da war, andererseits schien er misstrauisch, ob sie ihm seinen Rang abspenstig machen wollte. Ehrgeizige waren doch überall gleich. Es amüsierte sie. Sie beschloss, quasi zum Gegenangriff über zu gehen. Sie wollte gar nicht mehr die Führerin der Rudel sein. Sollte er das künftig tun, wenn er wollte. So konnte sie ihn gewinnen und letztlich für ihre gewählte Richtung einspannen und sie konnte im Hintergrund immer noch tätig sein, ohne die Last der Verantwortung zu tragen und an vorderster Front stehen zu müssen. Das war eine gute Idee und Mahribar zögerte keinen Augenblick, diese Chance zu ergreifen. Damit war aber noch nicht alles getan, um ihren neuen Weg vorzuzeichnen. Sie nahm ihn dann noch mit zur Höhle der Ulvur Madur, der Wolfsmenschen. Jene Höhle, die sie mit anderen geschaffen hatte, um für alle ihres Seins eine Zuflucht zu schaffen. Es war neutraler Boden, denn auch unter den ihren waren sie sich nicht immer grün gewesen. Jeder, der die Höhle betrat, akzeptierte, das alle Streitigkeiten außen vor bleiben mussten und nur die Belange ihres Seins dort galten und man sich dort gegenseitig half, ganz gleich wie. Auch Mahribar akzeptierte diese Regeln ohne Umschweife und gelobte sie als Führer der Rudel durchzusetzen. Gleichzeitig, dazu drängte sie ihr Innerstes, bot sie sich als Wahrerin des Wissens und Hüterin ihrer allen Seins an, sowie als Lehrerin der Welpen. Das war es gewesen, was sie verspürte, seit sie die Lande wieder betreten hatte. Das war ihr in diesem Moment klar geworden, als sie es gegenüber Mahribar ausgesprochen hatte. Nicht die Lande hatten sich verändert oder deren Bewohner. Sie selbst war es gewesen. Sie hatte einen neuen Abschnitt in ihrem Leben erreicht. Sie war nicht mehr die Führerin der Rudel. Sie war nun die Uralte, die die Welpen lehrte und für den Zusammenhalt der Gemeinschaft ihres Seins einstand und für die Neutralität der Zufluchtshöhle verantwortlich war. Hoffentlich würde sie diese Aufgabe mit der nötigen Weitsicht und Weisheit ausfüllen können. Als ihr ihre neue Aufgabe bewusst wurde, sie der Tragweite gewahr wurde, schlich sich langsam wieder die vermisste innere Ruhe ein, die sie schon seit so langer Zeit ihr eigenen nannte, die sie hart und in langen Stunden trainiert und immer wieder trainiert hatte. Eigentlich, um die Bestie in ihrem Inneren im Zaum zu halten, bis sie und die Bestie eins wurden, nicht mehr gegeneinander Kämpfen, sondern einander akzeptierten, das sie eins sind. Jeder bedingt durch den anderen. Sie waren nach langer langer Zeit eins geworden. Ein einziges Wesen. Die Frage nach Fluch oder Segen stellte sich schon lange nicht mehr. Ein Zwerg stellte sich schließlich auch nicht die Frage, warum er einen Bart hatte. Er hatte einfach einen. Damit war alles gesagt. Sie würde der Zukunft um ihr aller Sein ruhig entgegen blicken. Ein neuer Führer der Rudel hatte sich hervor getan und sie war in die zweite Reihe getreten. Sie würde so etwas wie die Graue Eminenz werden. Aus dem Hintergrund agieren und dennoch auf vieles einwirken können. Das gefiel ihr.
Tags drauf entdeckte sie nicht nur ein weiteres, sondern unzählige. Raue Mengen, könnte man fast meinen. Über Nacht waren sie gekommen. Erst verwundert, dann interessiert betrachtete sie sich mehrmals im Spiegel. Es war keine Illusion. Sie waren allen ernstes und ganz greifbar real da. Sie fühlten sich nicht anders an, als die anderen. Aber sie waren eben anders. Wo die letzten Tage erst eines, dann das zweite erschienen waren, so schien es jetzt, als ob eine Invasion stattfinden würde. All überall fand sie teils einzelne, teils in Gruppen der anderen.
Es war zum Haare raufen... überall waren graue Haare auf ihrem Kopf, den Augenbrauen... die vormals kupferbraun war.
 
Sie spielte mit einer der grau-weißen Haarsträhnen, während sie weiterhin in dem gemütlichen Sessel saß.
War es ein Fehler gewesen, Mahribar in die Verantwortung zu nehmen? Aus heutiger Sicht bestimmt. Sie konnte nicht vorausahnen, dass er schon kurze Zeit danach doch kein Interesse mehr an der Führung hatte und sich wieder zurück zog. Er war doch nicht geeignet gewesen, zu schwach, zu unstet. Niemand blickte zu ihm auf oder fragte ihn um Rat. Auch das gehörte zu ihren Aufgaben. Jemanden erwählen, wenn sich sonst niemand in den Vordergrund spielte. Aber auch, wieder die Fäden in die Hand zu nehmen, sollte sich die Wahl als schlecht herausgestellt haben. Das gehörte dazu. Aus Fehlschlägen zu lernen machte einen stärker.
Damals erschien es ihr jedenfalls richtig, diesen Schritt zu gehen. Sion hatte das mit ihr auch getan. Er hatte sie geprüft, gewogen und für würdig empfunden, dem Rudel vorzustehen, es zu leiten und lenken. Sie konnte sich nur vorwerfen, in einer Phase der Schwäche und Nachgiebigkeit Mahribar nicht ausreichend geprüft und gewogen zu haben. Sie war erst von einer langen Reise zurückgekehrt und hatte sich noch nicht wieder in die neuen Gegebenheiten eingefunden. Dieser eine Fehler machte ihr zu schaffen und sie hoffte, ihn niemals zu wiederholen.
Seit einiger Zeit galt Mahribar sogar als verschollen. Vielleicht nagte das Scheitern doch zu sehr an ihm, dass er der Aufgabe nicht gewachsen war? Vielleicht ist ihm dann doch zu oft ein Zauber misslungen?
Man wurde dadurch kein König oder Königin. Man war Ratgeber und Anlaufpunkt für alle ihres Seins. Führen hieß hier vermitteln und helfen, lehren und unterweisen, nicht sich selbst in den Vordergrund stellen und regieren. Man war Erste unter gleichen, nicht Erste über allen.
Dieses Vertrauen, dass alle in sie setzten, gleich welcher Richtung, war es, was sie zur Führerin machte. Das alles hatte sie entschlossener gemacht, grimmiger, unnachgiebiger. Gelegentlich entdeckte sie diesen Blick an sich. Wie ein Raubtier. Sie wusste, was sie wollte.
Sie hatte es sich verdienen müssen. Und es war mitnichten ein Geschenk.

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Re: Erinnerungen in Grau

Beitrag von Mayla »

Bestrafung Nagron - Wiedermal eine Bestrafung, lästige Aufgaben einer Ältesten
 
Sie hatte sich etwas Tee in der Küche gemacht. Der Duft zog durch das kleine Häuschen. Sie hätte sich etwas Ruhe gönnen sollen, doch es trieb sie wieder zu ihrem Sessel in die Diele. Sie hatte noch ein wenig Schreibarbeit zu erledigen. Die letzten Tage hatten einige erfreuliche Handelsbeziehungen hervorgebracht. Das Teeglas stand neben ihrem Auftragsbuch. Just bevor sie zum Federkiel greifen wollte, streiften ihre Augen über einen Namen. Xapoa.
Auch mit diesem Namen verband sie eine Erinnerung, die wieder einmal ihr direktes Eingreifen und eine Entscheidung von ihr gefordert hatten, wie es nur eine der Ältesten konnte.
Es war unfassbar gewesen. Konnte sich die Geschichte in einem so kleinen Kreis ihrer Gemeinschaft tatsächlich wiederholen?
Sie hatte einen der Mondsteinsplitter den Magiern ihrer Gemeinschaft überlassen. Es galt Dinge zu erforschen, die ihrer aller Wohl dienen sollte. In diesem Zuge berichtete Livius von einer Begebenheit, die sich vor kurzem zugetragen haben sollte.
Einer der Welpen, Nagron, hatte die Gemeinschaft verraten! Er hatte einen noch jüngeren Welpen, willentlich oder nicht, ihren Erzfeinden ausgeliefert. Es war zum Haare ausreißen. Wieder hatten die Beißer einen der Ihren in ihre Fänge bekommen.
Offenbar hatten jedoch die Beißer nur ein vermindertes Interesse an diesem jungen Welpen. Als sie des Spielens mit ihr Müde wurden, hatten sie sie gehen lassen. Geschunden, ramponiert aber am Leben! In den Augen der Vampire war sie es scheinbar noch nicht genug wert gewesen, sich ausführlicher mit ihr zu beschäftigen. Ein Umstand, der ihr das Leben gerettet hatte.
Sie hatte sich ihrer angenommen, wie es ihre Aufgabe gebührte. Danach war recht schnell klar geworden, dass sie wieder einmal Richterin und Henkerin für einen der Ihren sein musste. Es war fast so gewesen wie bei Amran und Fahlya. Und es wäre unrecht gewesen, sollte diesem Vergehen eine andere Strafe folgen.
 
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Strafen waren immer ein zweischneidiges Schwert. Nicht zu strafen hieße, dass ein jeder tun und lassen konnte, was er wollte, ohne Konsequenzen. Das Ergebnis wäre pure Anarchie. Das wäre der Gemeinschaft nicht dienlich. Es gäbe dann schlicht keine Gemeinschaft.
Strafen veränderten aber den Bestraften. Die einen nahmen die Strafe mit Würde und Fassung, hielten sie aus, lebten damit. Strafen sollten verübtes Unrecht sühnen. Vergeben war jedoch eine ganz andere Sache. Wenn die Zeit Wunden heilte, so war bei Amran und Fahlya das Unrecht gesühnt und auch vergeben.
Bei Nagron hingegen war das mit dem heilen der Wunden so eine Sache. Das Unrecht war durch die Strafe gesühnt worden. Wann es vergeben war, würde die Zeit und seine Taten zeigen. Noch waren die Wunde nicht geschlossen.
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