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Ich will euch eine Geschichte erzählen. Die Geschichte einer Magierin, deren einst unschuldiger Kern, schon vor vielen Jahren, langsam aber beständig, von kriechenden Schatten verschlungen wurde. Eine Magierin die schon lang nicht mehr Herrin ihres eigenen Körpers ist und sich diesen mit einem uralten, viel zu mächtigen Wesen teilen muss. Eine junge Frau, deren Körper wie Geist von unzähligen dunklen Stunden merklich gezeichnet wurde. Wie erreicht man einen solchen Zustand, wenn alles so unglaublich unschuldig, harmlos – ja gar langweilig begonnen hat?
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Vom Anfang und der neuen Welt
Es ist bestimmt fünfundzwanzig oder gar dreißig Jahresläufe her, dass Shirin zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Samara das Licht jener Welt zum ersten Mal im kalten Nordland Feral erblickte. Schwestern die schwer zu unterscheiden waren und nur jene, die sie genauer kannten, wussten dass Samaras Augen wie das azurblaue Meer waren, während die von Shirin an endloses smaragde Wälder erinnerten. Wie man es von Zwilligen erwarten würde, so hielten sie in ihrer Kindheit und Jugend stets zusammen, machten ihren älteren Bruder mit Streichen wahnsinnig und widmeten sich schon früh dem Studium der Magie. Ein durchschnittliches Leben, ohne besondere Vorzüge, ohne nennenswertes Leid oder ähnlich schockierend anmutenden Geschichten. Langweilig würde der aufmerksame Zuhörer wohl gar sagen. Es war letztendlich die fehlgeleitete Eifersucht einer einflussreicheren Frau, sowie viele Komplikationen die daraufhin folgten, weswegen die Zwillingsschwester die Flucht aus ihrem Heimatland antreten mussten... und schließlich auf der Insel landete, die von vielen nur „Die neue Welt“ genannt wurde.
Ein kleines Tavernenzimmer in der „Tänzelnden Bärin“ in Ansilon war in der ersten Zeit ihr Unterkunft und je länger sie in diesem Land verweilten, umso mehr wurde ihnen die Bedeutung hinter dem Namen bewusst. Es war aufregend! Unfassbar viele neue Sachen die es zu erkunden und zu lernen galt, Völker und Rassen von denen sie vorher nur in Büchern gelesen hatten. Es war wie ein kleines persönliches Abenteurer für die Zwillinge, die aus ihrer Heimat immer nur das Wohlbehütete ihrer Familie kannten. Jedoch... Leben bringt Veränderungen mit sich und dieser Wandel brachte den ersten Keil zwischen die Schwestern. Ihre Schwester hatte sich dafür entschieden den Weg der Illusionen und Beschwörungen zu gehen – etwas, was sie in ihrer Heimat niemals gekonnt hätten. Warum? Es war verboten diese Art der Magie zu studieren oder gar auszuüben. Für Shirin war es vollkommen unverständlich, wie ihre Schwester sich so gegen die Werte ihrer Erziehung richten konnte und entschied sich selber für den Weg der Astralmagie. Während Samara immer selbstbewusster und eigenständiger zu werden schien, blieb Shirin das kleine Mädchen, welches folgsam den Lehren ihrer Mentorin Letizia Emerald Caleano folgte. Niemals wäre es ihr in den Sinn gekommen aufzubegehren, sich gegen jemanden zu stellen oder gar etwas verbotenes zu tun. Sie war gut, durch und durch, verkroch sich zwischen ihren Büchern und verbrachte zunehmend seltener Zeit mit ihrer Schwester, die eigenartige Freundschaften geschlossen hatte. Freundschaften die Shirin mit Skepsis betrachtete – warum? Sie waren oft maskiert, umtriebig, eigenartig in ihrer Art und Shirin könnte schwören, dass sie Dreck am Stecken hatten. Zwischen einen von ihnen und Sam entwickelte sich auch deutlich mehr als Freundschaft – aber wer war Shirin, dass sie es ihrer Schwester untersagen könnte? Jedoch sollte sie Recht behalten.
Sie selber hatte Bekanntschaft mit einer eigenartigen Gestalt geschlossen, die den Namen „Dariel“ trug. Getroffen des Nachts, im Mondschein auf einem Spaziergang, ging etwas von diesem Mann aus, was eine eigenartige Anziehungskraft auf sie auswirkte. Angst und Faszination zugleich. Obwohl er ihr mitteile, dass der Umgang mit ihm, ihr nicht gut tun würde, wehrte sie sich dagegen und suchte stets die Nähe des Mannes, der sie gar zwischendrin versuchte zu ignorieren.
Sie war hartnäckig, nicht weil sie intensive Gefühle oder dergleichen für ihn hegte, sondern weil sie wusste, dass er etwas versteckte, ein Geheimnis, welches sie entpacken wollte wie ein Geschenk. Sie hatte Dinge in seiner Nähe gesehen, die ihr die Gewissheit gaben, dass er mehr als nur ein Mensch war und obwohl sie Angst haben sollte, war es kein Grund den Kontakt zu unterbinden. Sie gingen mit der Zeit eine eigenartige Beziehung ein, die wenig bis keine körperlichen Aspekte beinhaltete, sondern darauf beruhte, dass sie viele Stunden in Gesprächen verbrachten, die sich über alles mögliche drehten. Maximal Schulter an Schulter, nur selten berührte er sie, als würde er sich selber nicht trauen – mit der Zeit wusste Shirin auch durchaus warum. Er war jung in seinem Wesen, unkontrolliert, vermutlich nicht weniger verängstigt, als sie es war – vor dem, was er machen könnte, wenn er eben diese Kontrolle verlieren würde.
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Der Bruch
Dann kam dieser Tag, der Tag an dem jene Gruppe, die sich ihre Schwester als „Freunde“ gemacht hatte, von den Paladinorden aus Silberburg als „Gesucht“ betitelt wurde, die Anklage lautete „Untote, Verbrecher, Diebe, Gesindel“. Es war als würde Shirin sich in ihrem Inneren bestätigt fühlen, doch anstatt dass ihre Schwester sich eingestand, dass sie einen Fehler begonnen hatte verschwand sie einfach, spurlos, vermutlich mit ihnen und hinterließ dabei nur eine knappe Nachricht für Shirin.
Enttäuschung, Ärger, Hilflosigkeit und auch Einsamkeit.
Unzählige Gefühle machten sich in dem inneren Mädchen der Magierin breit, die mittlerweile selber so weit war, dass sie unterrichten konnte. Ihre Schwester war verschwunden, ebenso ihre Mentorin und auch Dariel hatte sich vor wenigen Wochen verabschiedet, schlicht weil er der Meinung schien, dass seine Anwesenheit alles Leben und Farbe aus dem Mädchen ziehen würde. Da half kein weinen, kein bitten oder flehen – er verschwand als der Geist, der damals in ihr Leben getreten war. Sie fühlte sich so unerträglich betrogen und verlassen, dass sie die Flucht in ihren Büchern suchte und dann... kam der Tag an dem sie zwei Magier kennen lernte, die ihr ganzes Leben veränderten sollten.
Balthasar und Davion.
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