- Aller Anfang ist schwer -
Ziellos durchstreife die Wälder südlich von Nebelhafen. Die Sonne wirft tanzende Lichtflecken auf den Boden. Meine Augen schweifen über das Unterholz, auf der Suche nach etwas – oder besser gesagt, jemandem – der meine magischen Fähigkeiten auf die Probe stellen könnte. Bis jetzt habe ich nichts als niedliche Eichhörnchen, friedliche Bären und zwitschernde Vögel gesehen. Meine Magie an diesen unschuldigen Kreaturen zu testen, würde mir nicht nur das Herz brechen, sondern wahrscheinlich auch Ärger mit den ansässigen Druiden einbringen.
„Claire, du bist eine Zauberin“, murmele ich mir selbst zu. „Da muss doch irgendetwas in diesen Wäldern sein, das zumindest ein bisschen Bedrohlichkeit ausstrahlt.“ Doch je weiter ich gehe, desto friedlicher wird alles. Ich trete auf einen weichen Teppich aus Moos. Selbst der Singsang der Vögel hört sich harmonisch und friedfertig an. Langsam beginne ich an meinem Vorhaben zu zweifeln. Sollten die Wälder von Nebelhafen doch nicht von bösartigen und feindseligen Kreaturen bewohnt sein? Ich erinnere mich an meinen ersten Auftrag, bei dem ich an einem alten Friedhof vorbeigekommen bin. Eine Gänsehaut bildet sich, als ich an die verfallenen Grabsteine und die dichten Nebelschwaden denke, die den Ort umhüllen. Wenn es irgendwo düstere Kreaturen geben sollte, dann dort. „Vielleicht ist das genau der richtige Ort, um meine Kräfte zu testen“, sage ich zu mir selbst, während ich einen Weg durch das Dickicht einschlage, der in Richtung des Friedhofs führt.
Mit jedem Schritt wirkt der Wald bedrohlicher. Die Vögel haben aufgehört zu singen, und das einzige Geräusch ist das Knacken der Zweige unter meinen Füßen. Bald sehe ich die ersten Grabsteine durch den Nebel schimmern. Der Friedhof sieht genauso unheimlich aus, wie ich ihn in Erinnerung habe. Verfallene Mausoleen, überwucherte Gräber und unheimliche Stille. Perfekt.
Vas Flam, Vas Flam sage ich mir im Geiste auf und gehe vorsichtig auf den Friedhof zu. Meine Sinne sind geschärft. Ich spüre die magische Energie, die in der Luft liegt. Plötzlich höre ich ein leises Rascheln hinter mir. Ich drehe mich blitzschnell um und sehe eine dunkle Gestalt, die langsam auf mich zukommt. Endlich! Eine Chance, meine Kräfte zu erproben. „Komm nur her, was auch immer du bist“, flüstere ich und bereite meinen Zauber vor. Die Gestalt bewegt sich weiter auf mich zu. Ich spüre das Adrenalin durch meine Adern rauschen. Jetzt beginnt das wahre Abenteuer. Ich erhebe meine Hände, bereit einen vernichtenden Feuerball hervorzurufen.
Kurz bevor ich die Worte "Vas Flam" rufe, erkenne ich, dass es sich bei der Gestalt um eine junge Frau handelt, die ein Lama hinter sich herzieht. Mein Herz, das gerade noch wie wild geschlagen hat, beruhigt sich ein wenig. Ein Gefühl der Erleichterung aber auch Enttäuschung macht sich in mir breit. Nein, es ist keine düstere Kreatur, die da vor mir steht, sondern eine exotische Schönheit mit einem wirklich süßen Lama an ihrer Seite. Ich lasse meine erhobenen Hände, die gerade noch einen Feuerball aus dem Äther formen wollten, sinken und betrachte sie genauer. Die Frau hat eine dunkle Haut, die im Licht wie Bronze glänzt. Ihr langes, schwarzes Haar ist kunstvoll zu einem Kranz um ihren Kopf geflochten und fällt als eleganter Zopf über ihren Rücken. Dieser Zopf bewegt sich sanft mit jedem ihrer Schritte und scheint Geschichten von alten Zeiten und fernen Ländern zu erzählen. Ihr türkisfarbenes Kleid ist atemberaubend und eine faszinierende Mischung aus traditionellen und modernen Stilen. Es fließt um ihren Körper wie ein sanfter Wasserfall, wobei zarte Stickereien und filigrane Muster auf dem Stoff den Eindruck erwecken, als sei sie aus einer fernen, mystischen Welt in unsere Zeit gereist. Das Kleid hat eine tiefe, aber elegante Aussparung am Rücken und schimmert im Licht, als ob es selbst magische Kräfte besäße. Das Lama neben ihr wirkt wie ein treuer Gefährte, mit weichem Fell und großen, neugierigen Augen.
Die Frau bemerkt mich und stoppt abrupt. Ihre Augen weiten sich leicht, und sie schaut mich fragend an. Offensichtlich hat sie nicht damit gerechnet, hier jemandem zu begegnen – schon gar nicht jemandem mit erhobenen Händen und einen Zauberspruch auf den Lippen.
„Hallo“, sage ich, um die Spannung zu lösen. „Entschuldigt, wenn ich Euch erschreckt habe. Ich bin Claire. Und wer seid Ihr?“
Sie lächelt leicht und tritt einen Schritt näher, das Lama folgt ihr brav. „Mein Name ist Sherizeth Yaquira, aber nennt mich einfach nur Sheri.“, antwortet sie. Ihre Stimme hat einen melodischen Klang, der perfekt zu ihrem exotischen Aussehen passt. „Und das hier ist mein Begleiter, Azikiwe.“
Ich kann ein Lachen nicht unterdrücken. „Azikiwe? Das ist ein lustig klingender Name.“
Sheri lächelt breiter. „Ja, er ist eine wundervolle Gefährte, ich würde ihn nie wieder hergeben wollen.“ Sie betrachtet mich neugierig. „Aber was macht Ihr hier in der Nähe eines gefährlichen Friedhofs?“
Ich zucke mit den Schultern und lächele „Ich war auf der Suche nach feindlichen Kreaturen, um meine magischen Fähigkeiten zu testen. Aber wie es scheint, sind heute meine einzigen Begegnungen junge Frauen mit ihren Lamas.“
Sheri lacht. „Nun, ich bin froh, dass Ihr nicht auf feindliche Kreaturen gestoßen seid. Der Friedhof ist viel zu gefährlich, vor allem wenn Ihr über nicht viel Erfahrung verfügt. Aber vielleicht kann ich helfen. Es gibt eine alte Kanalisation, die unter Nebelhafen liegt und die von allerlei schleimigem Getier bewohnt wird. Wenn ihr diese Schleimmonster bekämpft, werdet Ihr Euch viele Freunde machen, denn kaum ein Bürger traut sich dort alleine hinab, um Instandsetzungen vorzunehmen. Vielleicht ist das genau die Herausforderung, die Ihr sucht?“
Mein Interesse ist geweckt. Schleimmonster? Das könnte tatsächlich spannend werden. „Zeigt mir den Ort“, sage ich entschlossen und trete an Sheri's Seite, bereit ihr zu folgen. Es sieht so aus als könnte der Tag doch noch in einem Abenteuer enden.
Sheri nickt und wir machen uns auf den Weg. Es dauert nicht lange, bis wir an Steinstufen gelangen, die in den Untergrund hinabführen. „Dies ist der Eingang zur Kanalisation“, sagt sie während sie Azikiwe an einem Stamm anbindet. Das Lama muss draußen bleiben, was für das treue Tier wohl am Sichersten ist. Vom Dunkel des Eingangs schlägt uns ein fauliger Geruch entgegen. Während wir die Stufen hinabsteigen, verziehe ich das Gesicht und atme so gut es geht durch den Mund. „Willkommen in den Tiefen von Nebelhafen“, sagt Sheri mit einem schwachen Lächeln.
Die Kanalisation ist noch enger und düsterer, als ich es mir vorgestellt hatte. An den Wänden kriechen seltsame, schleimige Ranken, und der Boden ist von einer dicken Schicht aus Schmutz und Abfall bedeckt. Das Wasser in den Abflüssen gluckert unheilvoll, und der Gestank ist fast unerträglich. Wir gehen vorsichtig weiter, Sheri voran und ich dicht hinter ihr her.
Nach einigen Schritten, hören wir ein schmatzendes Geräusch, gefolgt von einem schleifenden Laut. Aus dem Schatten tritt eine Kreatur, die so ekelerregend ist, dass ich einen Moment lang um meine Fassung ringe. Ein Schleimmonster, grün und glibberig, mit glühenden Augen, die uns hungrig anstarren.
„Jetzt oder nie“, murmle ich, erhebe meine Hände und rufe gebieterisch: „Vas Flam!“
Der Feuerball trifft das Monster direkt und lässt es zischen und brodeln. Der Gestank von verbranntem Schleim ist fast unerträglich. Doch anstatt zu verschwinden, scheint das Monster nur wütender zu werden. Schmatzend kommt es auf uns zu. Ich trete Instinktiv ein paar Schritte zurück.
„Vas Flam!“ rufe ich erneut und schicke einen weiteren Feuerball auf das Monster. Ein Teil des Schleims verdampft mit einem ohrenbetäubenden Knall. Doch in meiner Aufregung treffe ich auch Sheri, die gerade versucht sich aus dem Weg zu ducken. Sie schafft es nicht ganz. Ihre Haare fangen an einer Stelle leicht Feuer. Sie schreit auf.
„Oh nein, tut mir leid!“ rufe ich entsetzt und lasse die Hände sinken, um ihr zu helfen, die Glut auszuschlagen. „Das war wirklich nicht beabsichtigt!“
„Keine Sorge, Claire“, sagt Sheri und lacht nervös, während sie sich die Haare ausklopft. „Ich habe schon Schlimmeres erlebt.“
Kaum hat sie das gesagt, kommt das Schleimmonster erneut auf uns zu. Es scheint unsere Ablenkung auszunutzen. „Vas Flam!“ rufe ich und schicke einen dritten Feuerball direkt in das Zentrum des Monsters. Es explodiert in einer widerlichen Wolke aus Dampf und Schleim, die uns beide triefend nass macht.
„Geschafft“, keuche ich und wische mir den Schleim von der Stirn. Doch bevor wir uns richtig freuen können, hören wir weitere schmatzende Geräusche. Es scheint, als ob nun die komplette Schleimmonster-Familie unsere Bekanntschaft machen möchte.
„Noch mehr?“ stöhne ich und bereite mich auf den nächsten Angriff vor.
„Vas Flam!“ Ein Feuerball trifft das nächste Monster, aber wieder geht ein Funke daneben und streift Sheri's Haare. Sie weicht geschickt aus und wirft mir einen gespielt empörten Blick zu.
„Claire, wenn das so weitergeht habe ich bald eine Glatze!“
Ich kann nicht anders, als zu lachen, auch wenn die Situation alles andere als entspannt ist. „Tut mir leid, wirklich!“
Sheri rollt mit den Augen und duckt sich erneut, als ein weiterer Feuerball an ihr vorbeizischt und das dritte Schleimmonster trifft. Ein weiterer Knall, eine weitere Wolke aus Schleim, die uns beide trifft.
„Schleimbäder werden langsam zur Routine. Ich hoffe sie sind gut für die Haut.“, murmelt Sheri trocken und wischt sich das stinkige Zeugs aus dem Gesicht.
Nach einer weiteren Handvoll Feuerbälle und etlichen Schleimexplosionen stehen wir schließlich triefend und außer Atem vor einem glibbrigen Haufen besiegter Monster. „Geschafft“, sage ich erschöpft und lasse meine Hände sinken.
Sheri klopft mir anerkennend auf die Schulter. „Gut gemacht, Claire. Und macht Euch keine Sorgen wegen meiner Haare. Es war… wie ein Besuch bei einem Barbier.“
Wir lachen beide. Besudelt mit Unrat und erschöpft machen wir uns auf den Weg zurück an die Oberfläche.
„Als Entschuldigung für meine Missgeschicke, Sheri, wie wäre es, wenn ich Euch auf ein Glas Wein oder was immer Ihr mögt in die Taverne von Nebelhafen einlade?“ frage ich, während wir uns den Schleim aus den Haaren wringen und die Kanalisation hinter uns lassen.
Sheri schaut mich an und grinst. „Das klingt nach einer hervorragenden Idee, Claire. Ich könnte nach diesem Abenteuer wirklich einen guten Tee zur Beruhigung gebrauchen.“
Bevor wir uns in Bewegung setzen, werfen Sheri und ich einen Blick auf unsere dreckige Kleidung. Es ist klar, dass wir so nicht in die Taverne gehen können, ohne die gesamte Einrichtung zu ruinieren.
„Wir können uns unmöglich so unter die Leute begeben“, sage ich und schaue verzweifelt auf meine klebrigen Ärmel.
„Ich denke, ich habe eine Lösung“, meint Sheri und grinst. Sie holt aus ihrer Tasche ein kleines Fläschchen hervor. „Das hier ist ein magischer Reinigungszauber in einer Flasche. Perfekt für solche Situationen.“
„Wo habt Ihr das her?“ frage ich neugierig.
„Ein kleines Geschenk von einem befreundeten Alchemisten“, erklärt sie und öffnet die Flasche. Ein frischer, blumiger Duft steigt uns in die Nase, als Sheri ein paar Tropfen auf ihre Handfläche gibt und sie dann über ihre Kleidung reibt. Sofort beginnt der Schleim zu schäumen und verschwindet in einer Wolke aus sauberem Dampf.
„Das ist ja fantastisch!“ rufe ich begeistert. „Kann ich auch ein paar Tropfen haben?“
„Natürlich“, sagt Sheri lachend und reicht mir die Flasche. Ich gebe ein paar Tropfen auf meine Handfläche und reibe sie über meine klebrigen Ärmel und den restlichen Schleim an meiner Kleidung. Der Schleim schäumt auf und löst sich in einer sauberen Dampfwolke auf, sodass meine Kleidung wieder frisch und sauber aussieht.
„Das hätte ich schon viel früher gebrauchen können“, sage ich, als ich die saubere Kleidung bewundere.
„Es ist wirklich praktisch“, stimmt Sheri zu. „Jetzt sind wir bereit für die Taverne.“
((Anmerkung: die Leserschaft möge mir diese dämliche Idee der Säuberung verzeihen. Aber mir ist nichts besseres eingefallen und so dreckig wie die Protagonisten waren, konnten sie sich unmöglich in der Öffentlichkeit zeigen.))
Wir machen uns auf den Weg. Die Sonne geht langsam unter, und der Himmel färbt sich in warmen Orangetönen. Als wir die Taverne betreten, begrüßt uns ein gewohnt gemütliches, geschäftiges Ambiente. Der Duft von frisch gebackenem Brot und gebratenem Fleisch steigt uns in die Nase, und die Geräusche von fröhlichem Gelächter und angeregten Gesprächen füllen den Raum.
„Mögt ihr Wein oder möchtet Ihr etwas anderes zu trinken haben?“ frage ich Sheri, während sie ihren Stab an den Tresen lehnt und sich auf einem der Hocker an der Theke niederlässt.
„Ein Tee wäre recht,“ antwortet Sheri „Einen Minztee, der ist mir ohnehin der liebste.“
„Das ist eine gute Wahl.", stimme ich ihr zu, "Den nehme ich auch. Für Alkohol ist es noch zu früh am Tag,“ Ich winke die Wirtin Rosalinde herbei und bitte sie um zwei heiße Minztee. Rosalinde nickt freundlich und begibt sich daran Wasser zum Kochen zu bringen. Die Kerzen auf den Tischen werfen ein warmes, flackerndes Licht, das die rustikalen Holzwände und die alten Gemälde an den Wänden in ein sanftes Leuchten taucht.
„Auf die erfolgreiche Schleimmonsterjagd und auf hoffentlich weniger angesengte Haare in der Zukunft“, sage ich, als uns Rosalinde zwei köstlich duftende Tassen Minztee reicht.
„Zum Wohl!“ lacht Sheri und hebt ihre Tasse. „Und darauf, dass in Zukunft kein bösartiges Getier euren Feuerbällen widerstehen kann.“
Gerade als ich Sheri frage, ob sie mir etwas über sich erzählen möchte und wie sie in diese Gegend gekommen ist, hören wir hinter uns ein Poltern. Ein Mann, der offensichtlich alkoholisiert ist und ein wenig schwankend auf den Beinen steht, taumelt zu uns an die Theke und fragt mit leicht lallender Stimme: "Guten Abend die Damen! Ist's recht, wenn ich mich zu Euch setze?"
Sheri und ich mustern den Mann, der adrett gekleidet ist und willigen ein. "Sehr erfreut, man nennt mich Gryff Gansbar," stellt er sich vor und wirft dabei misstrauische Blicke auf unseren Tee.
Ich muss laut lachen, als ich seinen skeptischen Blick bemerke. "Mein Name ist Claire de Lune, aber bitte nennt mich einfach nur Claire," sage ich. Gryff, der sich einen Branntwein bestellt, mustert mich von oben bis unten: "Seid Ihr adelig oder dergleichen?" Dann fügt er hinzu: "Ich bin gewiss kein Adliger, aber ähnlich quer im Kopf" und tippt sich mit dem Zeigefinger an seine Schläfe.
Ich erzähle ihm, dass ich mich an meine Vergangenheit nicht erinnern kann. Gryff fragt ohne Umschweife: "Seid Ihr etwa auf den Kopf gefallen?"
Ich blicke ihn hoffnungslos an und erkläre, dass es wohl so ähnlich gewesen sein könnte. Gryff nickt und sagt mit einem aufmunternden Lallen: "Das ist nicht so schlimm. Im Gegenteil, Claire. Es ist sogar besser so, mein' ich."
Er erklärt, dass er schon lange versucht, seine eigene Vergangenheit zu vergessen. Ich schaue ihn fassungslos an. "Ihr wollt freiwillig eure Vergangenheit vergessen? Warum?"
Gryff lehnt sich zurück, streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht und sagt: "Ich denk', so gut kennen wir uns dann noch nicht, als dass ich Euch damit belasten wollen würd'."
Sheri, die bislang schweigend dagesessen hat, wendet sich mir zu und sagt: "Ihr wolltet wissen wie ich in diese Gegend gelangt bin?" Sie berichtet von ihren dramatischen Erlebnissen, davon wie ihr Schiff in einen Sturm geriet, das Ruder brach und sie und die Besatzung schließlich zwei Tage später in einem Beiboot an Land rudern mussten. "Zum Glück wurde niemand ernsthaft verletzt, obwohl viele von uns krank wurden," fügt sie gefasst hinzu.
Gryff nickt mit trübem Blick und erzählt: "Ich bin aus dem Gefängnis ausgebrochen und hab' mich an Bord eines Schiffes versteckt. Drei Tage lang hab' ich zwischen Fässern und Dreck gelegen. Aber zumindest bin ich nicht mehr zu Hause. S' ist nun schon gut zwei Monde her, dass ich hier wie Treibholz angeschwemmt wurde." Er lacht und hebt sein Glas."
Sheri fasst es treffend zusammen: "So scheint wohl niemand hier bewusst und beabsichtigt an diesem Ort angelangt zu sein."
Während wir in der Taverne sitzen und unsere Gespräche immer lebhafter werden, sehe ich aus dem Augenwinkel, wie zwei Neuankömmlinge die Taverne betreten. Meine Augen weiten sich, als ich erkenne, wer es ist: Die hochgewachsene, rothaarige Magierin und ihr blonder Begleiter, jene die mir bei der Suche nach dem verlorenen Helm am Sternenpfad geholfen haben. Ich nicke den beiden erfreut zu. Sie nicken lächelnd zurück und bestellen sich etwas zu trinken, bevor sie sich etwas abseits von uns an einen Tisch setzen und immer wieder zu unserer Gruppe hinüberschauen.
Sheri rutscht schließlich von ihrem Stuhl und verabschiedet sich von uns, da sie noch etwas dringendes zu erledigen hat. Lächelnd schaut sie mich an und sagt: "Ich bin sicher, dass sich unsere Wege irgendwann wieder kreuzen. Dann haben wir Zeit ausführlicher miteinander zu reden."
Ich schaue Sheri hinterher, wie sie die Taverne verlässt und werfe dann wieder einen Blick auf meine Helfer vom Sternenpfad. Ich rufe zu ihnen hinüber: „Ihr netten Leute, warum setzt ihr Euch nicht zu uns?“
Die beiden blicken sich an, nicken und stehen auf, um sich zu uns zu gesellen. Ich freue mich auf die Gelegenheit, mich endlich vorzustellen und mehr über sie zu erfahren. „Hallo! Ich bin Claire“, beginne ich. „Danke noch einmal für Eure Hilfe bei der Suche nach dem Helm.“
Die rothaarige Frau lächelt warm und antwortet: „Ich bin Ruweena Shire, eine Elementarmagierin. Und das hier ist Aanatus“, fügt sie hinzu und zeigt auf ihren blonden Begleiter, der schmunzelnd neben ihr sitzt.
„Es freut mich, Euch kennenzulernen“, spricht Aanatus. „Wir haben Euch gerne beigestanden.“
Ich lächele Aanatus dankbar an und wende mich Ruweena zu, „Eine Elementarmagierin? Das ist ja fantastisch!“ sage ich begeistert. „Ich selbst will ebenfalls den Pfad der Elementarmagie beschreiten.“
Ruweenas hellblaue Augen leuchten auf. „Das ist wunderbar, Claire! Die Elementarmagie ist ein faszinierendes und kraftvolles Gebiet. Wie weit seid Ihr schon in Eurem Training?“
Ich erkläre, dass ich noch am Anfang stehe und heute begonnen habe mit Feuerzaubern zu experimentieren. „Feuerbälle sind noch nicht meine große Stärke“, sage ich verlegen und erinnere mich an meine anfängerhaften Versuche in der Kanalisation.
Ruweena nickt mir aufmunternd zu. "Das wird schon noch, Claire. Es ist noch keine Erzmagierin vom Himmel gefallen." Dann beginnt sie vom Konvent der drei Sphären zu erzählen, dass sie ihm angehört und wie sich das Konvent dem Schutz und der Bewahrung von Wissen verschrieben hat. Gryff, benebelt von seinem Branntwein, lässt keine Gelegenheit aus, wirre und unbedachte Kommentare zu äußern. Aanatus betrachtet Gryff mit offenem Missfallen, als würde er einen ungehobelten Trunkenbold vor sich haben, der dringend auf Anstand und weniger Branntwein angewiesen ist.
„Guter Mann“, sagt Aanatus mit gespielter Höflichkeit, „manchmal ist es besser, zu schweigen und zuzuhören.“ Gryff, der sich davon wenig beeindruckt zeigt, behauptet hartnäckig, dass er seinen Gedanken freien Lauf lassen müsse. „Stille ist mir ein Gräuel“, sagt er und nippt genüsslich an seinem Glas Branntwein. „Also?“, fragt Gryff schließlich. Er schaut dabei ins Leere, als ob er noch immer nach dem tieferen Sinn in Ruweena's Worten sucht. Ruweena erklärt geduldig, dass die drei Sphären von Geburt, Leben und Tod handeln. Aanatus, der sich darüber zu amüsieren scheint, wie weit Gryff's Horizont doch von der magisch-akademischen Weltanschauung entfernt ist, ergänzt trocken: „Die drei Sphären sind auch auf das Trinken anwendbar. Der erste Schluck, das fröhliche Trinken und schließlich der Kater."
Inmitten dieser Diskussionen über Metaphysik und Philosophie, die Gryff mit seiner direkten Art oft unterbricht, versuche ich, einen klaren Gedanken zu fassen. Ruweena's Worte über die Sphären und den Dreiklang von Geburt, Leben und Tod lassen mich über meine eigene magische Vergangenheit nachdenken, die ich erst vor kurzem wiederentdeckt habe. Ich benötige Unterstützung und ich frage mich erneut, ob diese faszinierende Magierin mit ihrer Erfahrung und ihrem unfassbar großen Wissen bereit ist, mir in Zukunft auf meinem Weg beratend beiseite zu stehen? Könnte sie es sein, die das Rätsel um meine Vergangenheit löst? Andererseits, warum sollte sie ihre kostbare Zeit einer Fremden widmen, die gerade einmal ihren eigenen Namen kennt? Ich beschließe hierüber mit Ruweena an einem anderen Tag unter vier Augen zu sprechen.
Als die Gespräche sich dem Ende neigen, verabschiede ich mich müde, aber glücklich und zufrieden von der Runde. „Es war ein geselliger und unterhaltsamer Abend. Vielen Dank Euch allen“, sage ich und wende mich an Ruweena. „Besonders Euch, Ruweena. Euer Wissen und Eure Weisheit haben mich sehr inspiriert.“
„Gern geschehen, Claire“, antwortet Ruweena lächelnd. „Ich freue mich, dass ich Euch an meinem Wissen teilhaben lassen konnte.“
Vom Gastraum aus gehe ich die Treppe nach oben in mein Zimmer. Der Tag war ereignisreich und voller neuer Erkenntnisse. Ich lege mich in mein Bett, die Gedanken noch bei Ruweena's Erklärungen und den Möglichkeiten, die vor mir liegen. Glücklich und zufrieden schlafe ich ein, bereit für die Aufgaben, die die nächsten Tage bringen werden.
(Fortsetzung folgt)