Die Leiter empor

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Yu'phodrak
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Die Leiter empor

Beitrag von Yu'phodrak »

Er wusste, wenn man eine Leiter erklimmen wollte, musste man eine Sprosse nach der anderen nehmen und sich gut festhalten. Was sich wie ein Ratschlag an ein Kind anhörte, war im Falle eines Drow, eines einfachen Jalukken, bittere Realität, die zum Überleben schlichtweg notwendig war. Seine alte Heimat hatte er hinter sich gelassen. Wie ihm die Ilharess des Qu’ellar Filifar höchstselbst eröffnet hatte, interessierte seine Vergangenheit hier niemanden. Damit konnte er sich anfreunden.

Rastlosigkeit hatte sich zuletzt in ihm breit gemacht. Diese Rastlosigkeit würde er ablegen müssen, denn die Leiter aus seiner Vergangenheit spielte keine Rolle, jene in seiner Zukunft dafür umso mehr. Sie zu erklimmen würde Geduld und Ruhe erfordern. Er hatte keine falschen Vorstellungen und wusste, dass er ganz unten Anfangen würde.

Einige Tage nach seiner Ankunft durfte er sich ein erstes Mal beweisen. Die Rüstung eines Sargtlin musste ausgebessert werden. Eine eher einfache Aufgabe, ein eher klares Urteil, wäre er daran schon gescheitert. Weitere Aufgaben würden kommen. Sein Geschick, seine Talente, seine Intelligenz prüfend. Seinen Wert. Dann galt es, bereit zu sein. Dessen war er sich bewusst.

Trotzdem, hin und wieder war es sinnvoll, einer gestellten Aufgabe zuvorzukommen, bereit zu sein, bevor sich die Prüfung offenbarte. Ungefragt, oder zumindest über den vermutlich erwarteten Rahmen hinaus den eigenen Wert zu demonstrieren. So manch eine Tat eines Dunkelelfen hatte mehrere Seiten und mit der Idee, die ihm gekommen war, beabsichtigte er ebenso mehr als eine Sache. Allein an der Schemata hatte er Stunden verbracht. Eine filigrane, äusserst schmale, spitz zulaufende Klinge. In etwa eine Elle lang. Gerade mal einen Finger breit und nicht einmal halb so tief. Ein beidseitiger Schliff. Ungeeignet für eine Konfrontation mit einem Gegner der wehrhafter war als ein zu dick geratenes Nagetier. Ein Werkzeug in zweierlei Hinsicht, ein Instrument, um ein schmerzhaftes Lied zu spielen, dem sich jene, die es zu hören bekamen, entweder nicht widersetzen konnten, oder durften. Die Wahl des Metalls war ihm ebenso schwergefallen. Schlussendlich entschied er sich für Valorit. Das silberbläuliche Metall war hart genug um entsprechend geschärft zu werden, für einen Stich durch oder zwischen die Rippen, vielleicht gar durch Leder hindurch. Gleichwohl auch nicht zu hart, um bei mässigem Widerstand direkt zu brechen.

Hölzern war der Griff, in welchen die Klinge eingelassen wurde. Wie die Klinge selbst, eher schmal und gerade lang genug, um von einer grazilen Hand in lockerem Griff gehalten zu werden. Holz vom Haselnussstrauch an der Oberfläche war gut zu bearbeiten, die natürliche Farbe des Holzes erforderte nur eine schwache Beize, um den gewünschten, dunkelbraunen, fast schwarzen Farbton zu erreichen. Schliesslich stellte er nicht nur ein Werkzeug, ein Instrument her, sondern gewissermassen auch ein Kunstwerk, so galt es auch, dass sein Werk im Auge des Betrachters gefallen fand. Eine abgeflachte Kugel aus Valorit sollte als Knauf dienen, das Gewicht der Waffe besser verteilen. Eine kleine Aussparung auf der Unterseite würde das durch den ausgehöhlten Griff geführten Ende der Klinge aufnehmen und diese sichern.

Lediglich ein Stück fehlte noch. Nicht nur Ihr sollte es gefallen, sondern auch Ihr. Verbunden und vollendet wurden die beiden Teile durch ein kleines, eigenständiges Kunstwerk aus Schwarzstein. Es war einfach, Tiere egal welcher Art aus weichem Zinn herzustellen. Eine kleine Tierfigur aus dem viel härteren, widerstandsfähigen Schwarzstein herzustellen war eine ganz andere Aufgabe. Eine kleine Spinne, deren Beinchen sich um Klinge und Griff winden sollten, diese umschliessend, verankernd. Aufgeraut, dem Metall einen matten Ton gebend. Eine Aussparung im Spinnenleib wurde mit feinem Werkzeug geduldig in das immer wieder erhitzte Metall getrieben. Dieser Teil verlangte wohl das höchste Mass an Genauigkeit, sollte dort doch das allerletzte Teilstück seinen Platz finden.

Yu’phodrak sass neben der Esse und dachte an die Stunden, an die Tage zurück, die er damit verbracht hatte, alles Notwendige für sein Werk zu beschaffen. Über die zahlreichen gescheiterten Versuche, die minderwertigen Exemplare, die er frustriert, doch nicht resignierend, immer wieder dem Feuer übergeben hatte. Schwarzstein, Valorit, beide Materialien brauchte er in ihrer reinsten Form. So manch Barren wurde gegossen und direkt wieder verworfen. Penibel wurden die Erze von Gestein befreit, aufgebrochen, damit das Metall möglichst schon von Staub, Stein und minderwertigen Metalleinschlüssen befreit war, ehe es dem Feuer übergeben wurde. Rubine fand er im Stollen hin und wieder, doch kaum einer der gefundenen Edelsteine verfügte über die notwendige Grösse. Tage vergingen ehe er fündig wurde, vielleicht ein Zeichen der Schicksalsweberin, mit seinem Vorhaben fortzufahren? Er wollte sich nicht erdreisten. Eine glatte Oberfläche ohne jegliche sichtbare Kanten sollte der tiefrote Edelstein erhalten, mit einer leichten Wölbung, passend zum Spinnenleib, in welchen er ihn einlassen würde. Ein Scheitern konnte er sich nicht leisten, mehrere Male verkrampften sich schmerzhaft seine Finger, während er dem Stein seine erdachte Form gab.

Nicht ohne ein geringes Mass an Stolz betrachtete er das vollbrachte Werk. Sorgfältig hatte er die Klinge geschliffen und poliert, so dass die verschiedenen Schichten des Metalls anhand feiner Nähte sichtbar wurden. Mit Bedacht wurde der Rubin in den Spinnenleib gesetzt und mit betuchter Zange festgedrückt. Die Spinne über die Klinge stülpend, jene wiederum mit dem Griff verankernd, war er nach Tagen harter Arbeit am Ende, nicht zuletzt auch seiner Kräfte. Jetzt, nachdem er dem Werk den letzten Schliff gegeben hatte, polierte er es ein allerletztes Mal und berührte es fortan nur noch durch einen feinen Stoff hindurch. Es verlangte nach einem Namen. «L’linath d'lil Orbb» - Das Lied der Spinne, sprach er fast schon rituell über die Klinge, ihr diesen Namen gebend. Waffe. Werkzeug. Instrument. Kunstwerk. Erschöpft legte er sich in einer Ecke der Handwerksstube zur Ruhe, das Werk fest umschlossen in der Hand.
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Yu'phodrak
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Re: Die Leiter empor

Beitrag von Yu'phodrak »

Eine erste Prüfung war bestanden. Sein Werk hatte überzeugt, nicht nur die angedachte Trägerin - der Moment, in dem jene die Klinge zum ersten mal in den Händen hielt, hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt. Das Ergebnis wahrer Inspiration war betörend, vielleicht gar betörender als die Trägerin selbst. Auch die Ilharess des Qu'ellar Filifar war offenbar überzeugt, gar so, dass er keinen der verschiedenen, vorbereiteten Monologe nachreichen musste, um sie von sich zu überzeugen. Gar war er an jenem Abend etwas überrumpelt und doch gehörte er nun dem ersten Haus an.

Doch es schien ganz so, als hätte die lange Reise nach Darla d'Cressen, die Wochen an der Oberfläche, die Reise zu Schiff, Pferd und Fuss nicht nur an seinen Kräften gezehrt. Die mit Schiffsleuten, Halsabschneidern und Vagabunden verbrachte Zeit hatte die gnadenlose Vergangenheit etwas in den Hintergrund rücken lassen. Zu weit. In den letzten Wochen hatte er diesen Fehler einige Male begangen. Er hatte vergessen, welches Talent so manch eine Jalil hatte, Fehler jedweger grösse zu bemerken und für sich zu nutzen. Wann immer er es an Vorsicht mangeln liess, ob in Wort oder Tat, meist konnte er wenige Momente danach die Konsequenzen schon erahnen. Einen Moment zu spät, ein Moment, der dem Gegenüber dann Genuss bescherte. Manchmal offensichtlich, manchmal verborgen. Einsicht, eingestehen seiner Fehler, war jedes mal die Folge. Nur ein Jaluk, von Makeln befleckt und seit der Stunde seiner Geburt von geringem Wert. Nur ein Schmied. Jede leicht dahingesprochene Demütigung kratzte an ihm, schmerzte, mehr als manch Geschenk, welches sein Leib entgegen nehmen durfte.

Trotz allem, der Weg hierher hatte sich gelohnt. Nicht nur der Inspiration wegen, nicht nur wegen entfachter Gier. Er musste es nur schaffen, sich immer wieder aufs erneute zu beweisen. Der Weg, der sich ihm dann Stück für Stück öffnen würde, wurde ihm bereits angedeutet. Ehrgeiz war neu. Geweckt durch ein eher geringes Mass an Anerkennung. Schlummernder Zorn und Hass wurden wieder in die Gegenwart geholt. Die nächste Aufgabe war ihm bekannt. Wieder würde er bestehen. "Elliya Lolthu" - Lloth prüfe mich.
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Yu'phodrak
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Re: Die Leiter empor

Beitrag von Yu'phodrak »

Arbeit lenkte ab. So hatte er die letzten Stunden damit verbracht, eine weitere Klinge zu fertigen. Ein Schwert, wenn auch kein Meisterwerk.

Langsam und stetig hatte sich etwas in seinen Alltag eingeschlichen. Eine gewisse Routine, trotz all den Stolperfallen im Alltag eines Jaluken, hatte er zuletzt in seiner neuen Heimat eine Routine gefunden. Für ihn, für seine Arbeit, war diese wichtig, trotz all dem Chaos um ihn herum. Der fast tägliche Gang in den Stollen, die Suche nach passendem Holz in den Wäldern, aber auch die intensivierten Übungen an der Waffe, dies kannte er zum Teil schon von früher. Alles wurde durch eine gewisse Routine ergänzt, durch etwas neues, was er zuvor nicht hatte. Vor wenigen Wochen hatte er sich dabei ertappt, wie er mit einer gewissen Selbstverständlichkeit die Tür zum Haus geöffnet hatte. Die Tür zum Haus mit seinen eigenen Regeln, die er noch nicht im Detail kannte und an die er sich noch gewöhnen musste. Er war eingetreten, ohne die Glocke zu betätigen und immerhin, eine Ermahnung war ausgeblieben. Oder wurde er doch dabei ertappt? Dass sie ihm Zugang zu Teilen des gesellschaftlichen Lebens gab, von denen er in seiner alten Heimat ausgeschlossen war, konnte er nicht vor ihr verbergen. Konnte er überhaupt etwas vor ihr verbergen?

Monoton und regelmässig hämmerte er die Klinge zurecht, formte sie. Seine Miene erzählte Bände davon, wie unzufrieden er mit seinem Werk war. 

Die kleineren Fehler hatte er ausgemerzt, die Stiefel streifte er schon an der Türschwelle ab, und wollte sie einmal zur Tür hinein, öffnete er ihr diese, ohne sie warten zu lassen. Selbst wenn er seine Arbeit unterbrechen musste. Vielleicht hatte das Strohlager neben der Esse einen unterschwelligen Einfluss auf ihn ausgeübt. So tief wollte er nie fallen. Regelmässig holte er frisches Wasser, es sollte den anderen Bewohnern ja nie an Tee mangeln, goss die Blumen vor dem Haus oder wischte Staub. War ein artiger Jaluk. Immer wieder mal erwischte er sich bei Gedanken daran, ihr den Kessel fürs Wasser an den Schädel zu schmettern, ihr selbst ein Beet zu bereiten, oder sie mit dem Staubwedel zum Schweigen zu bringen. Denn der artige Jaluk gierte nicht nur nach ihr, er hasste sie mit jeder Faser seines Körpers. Sein Gemüt, fast schon so ruhig dass es für einen Dunkelelfen auffällig und somit von Nachteil war, liess so manch abfälliges Wort an ihm abperlen. Beleidigungen wurden heruntergeschluckt, Geringschätzung konnte er ignorieren. Doch sie bohrte sich durch diesen Panzer. Öffnete das Türchen zu seinem Ofen und brachte ihn zum lodern.

Von der Esse auf den Amboss und wieder zurück. Das Metall faltend, formend, Stück für Stück näher heran an die Perfektion, von der er in diesen Tagen weiter entfernt war als sonst.

Zorn, Hass und Begierde vermischten sich in der Hitze seines Feuers, wurden kanalisiert und dienten ihm in Form von Disziplin, Eifer und Willenskraft. Müde Knochen waren ihm lieber als ein einzelner, abfälliger Blick von ihr. So arbeitete er länger, härter und nicht zuletzt besser. Angetrieben von dem Ziel, der Schicksalsweberin zu gefallen. Wichtiger zu werden, vielleicht etwas Einfluss zu erhalten. Sie unter sich zu wissen, diesen kleinen, grazilen Leib in seinen Händen zu halten. Er hatte erste Eindrücke davon erhaschen können.

Doch nicht nur seinen Zorn nährte sie, auch seine Hingabe zur Arbeit. Pläne wurden erarbeitet und es war, zumindest ihm, nicht immer ganz so klar, wer hier wen benutzte. Er musste zugeben, dass er mit ihr wohl grösseres erreichen konnte. Ob nun Zweckgebunden oder aus welchen Gründen auch immer, nicht nur war er für sie nützlich, sie war es auch für ihn.

Ein prüfender Blick, ein von Makeln behaftetes Werk. Noch konnte er die Fehler ausmerzen, noch war die Klinge zu retten. Frustriert wurde der Hammer ausgetauscht. Fokussiere dich gefälligst, Schmied.

Diese Routine, dieser Alltag, war unterbrochen worden. Der Platz, den er gefunden hatte, wenn auch mehrheitlich zu ihren Füssen, war weggebrochen. Dieses elende Miststück hatte sich, beim Versuch eine grosse Lüge aufrecht zu erhalten, in die Fänge von Menschen begeben. Einfältige Versuche hatte er unternommen, die vermeintliche Jüngerin Eilistraees einzufordern. Ein unbedachter Versuch, einzelne Darthiir abzugreifen endete damit dass eine ganze Schar an Elfen ihn abgriff und er auch dort keinerlei nützliche Information erhielt. Mit Glück kam er unbeschadet davon. Ein verdammter Mensch war es, der ihm bestätigen konnte dass sie in Solgard war. Ein anderer, noch verdammterer Mensch verriet ihm Tage später, dass sie nicht mehr dort war. Selbst in Nebelhafen versuchte er, in Begleitung der Sargtlin, mehr herauszufinden. Als würde ihm die Schicksalsweberin zeigen wollen, wie nutzlos er ihn solchen belangen war. Doch so glasklar war sein Versagen, dass nichtmal er einen solchen Wink brauchte.

Inspiration. Diese fehlte ihm nun, da sie, bei allem Hass, ihm fehlte. Ein Teil seines Alltags, die konstante Ermahnung daran, weiter emporzuklimmen, fehlte. Und würde er sie nicht finden, würde die Ilharess selbst sich seiner Inspiration annehmen. Sein Zorn drohte ungenutzt, unkontrolliert aus ihrem herauszuströmen. Als wäre er nicht der letzte, dem man diese Aufgabe geben würde.

Ein zornerfüllter Schrei hallte durch Darla d'Cressen, gefolgt vom Lärm ungestümer Hammerschläge, die nicht formen, sondern mit roher Kraft vernichten wollten. Die bearbeitete Klinge in Stücke schlagend, schleuderte jeder Hieb Metallsplitter zu Boden. Sonst tat er dies, fast schon rituell, für die Schicksalsweberin bevor er jeweils mit seiner Arbeit begann. Jetzt tat er es für sich. Er liess seinen Zorn heraus, mit ihm seine Kraft. Eine weitere Klinge, die seinen Ansprüchen nicht genügte. Sie gesellte sich zu den Werken der vergangenen Tage. Ein Meer aus zerbrochenen, zerschlagenen Klingen säumte seine Werkstatt und zeugte jedem Besucher von seiner Schaffenskrise.
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Yu'phodrak
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Re: Die Leiter empor

Beitrag von Yu'phodrak »

Eine Hand am Hinterkopf, lag er nun schon mindestens eine knappe halbe Stunde auf dem Bett und starrte durch das getönte Glas an der Decke. Kein blauer Sternenhimmel, sondern die düstere Decke der Kaverne, in der sich Darla d’Cressen befand. Der Blick lag mehr verträumt darauf. Wieder einer dieser riskant in die Länge gezogener Momente der Ruhe, in denen er zumindest den Versuch unternehmen konnte, seine Gedanken zu ordnen. Oder halt eben die Ruhe, das Nichtstun kurz geniessen konnte. Immerhin war er nach dem morgendlichen Gang in den Stollen nun für kurze Zeit allein im Haus. Weder die Sargtlin noch die Linthar waren gerade da. Welche der beiden auch immer zuerst den Weg zurückfinden würde, wenn er sich bis dahin seiner Ruhe nicht entzogen und eine neue Aufgabe gefunden hatte, würden sie ihm eine finden. Eine der wenigen Gewissheiten im Leben eines Jaluken. Es gab immer was zu tun. Es musste immer etwas zu tun geben.

Erstere war vermutlich gerade dabei, in etwas abgelegeneren Gefilden des Unterreichs irgendwelchen Ungeheuern den Garaus zu machen, oder sie ging einem Auftrag nach, der dann wohl mit dem Tod eines etwas intelligenteren Wesen enden würde. Zumindest stellte er es sich so vor. Bei der Linthar wiederum war er sich weniger sicher, obwohl er deutlich mehr Zeit mit ihr verbrachte. Sie war umtriebig, doch wenn er ehrlich war, hatte er gerade keinerlei Ahnung, wo sie war und was sie tat. Es störte ihn, kratzte an ihm. Eine Erinnerung daran, dass er ihr Wesen nicht wirklich durchschauen oder gänzlich ergründen konnte. Seine einzige Hoffnung war, dass sie sich nicht wieder in eine Situation hineintänzelte, auf deren Ausgang er kaum Einfluss nehmen konnte. Die in seiner Rage um die Schmiede verteilten Metallsplitter hatte er zusammengefegt und einen kleinen Teil davon in einem Beutel gesammelt. Verstaut in der Kommode, die natürlich hinter der Sitzecke positioniert und nur umständlich zu öffnen war. Gerade zu prädestiniert als Platz für seine Ausrüstung. Nur eine weitere Demütigung für die er sich artig bedankte. Das Säckchen voller Erinnerungen an seine Schaffenskrise sollte ihm eine Erinnerung bleiben. Wann immer er etwas aus der Kommode nehmen wollte, würde er es künftig sehen. Wenn er sich selbst genügend demütigte, waren die Stiche anderer einfacher zu ertragen.

Die Schaffenskrise jedoch war nach ihrer Rückkehr schneller vorbei als gedacht. Auf eine eigene, unvergessliche Art hatte sie ihm geholfen, darüber hinwegzufinden. Doch wenn es Erinnerungen gab, in denen zu schwelgen gerade bei knapp bemessener Zeit gefährlich war, dann gehörten die Erinnerungen der letzten Tage eindeutig dazu.

Nicht zum ersten Mal, nicht ganz so voller Elan, rückte er vom weichen Untergrund auf. Nur um es gleich zu bereuen. Das rechte, aufgeschlagene Knie, die linke, geprellte Schulter. Dummheiten. Der etwas steife Nacken, einige gequetschte Rippen an seiner Seite. Schmerzhafte Lektionen des vergangenen Tages. Kurz verfluchte er sich selbst, war er doch Urheber seiner eigenen Dummheiten. Wenn er es mal nicht war, erklärte man ihm dies schon. Aber er verfluchte auch jene, die ihm die Lektionen erteilt hatten. Doch für Ruhe war jetzt keine Zeit mehr. Pläne, wichtige Aufgaben, waren in den Wochen ihrer Abwesenheit etwas in den Hintergrund gerückt. Nach ihrer Rückkehr nochmals ein klein wenig mehr. Er hatte die ihm auferlegten Aufgaben versäumt, die selbst gemachten Pläne wiederum hatte er schlichtweg vergessen. «Verdammte…» nein, hier konnte, oder wollte er ihr keine Schuld zuschieben. Gedanken zu sortieren war so eine Sache. Vermutlich war es andernorts deutlich einfacher. Chaos war ein ständiger Begleiter seines Volkes. Im Kleinen und im Grossen. Gerade die kleineren schafften es manchmal, grosses Chaos anzurichten, gerade bei ihm. Vielleicht hatte er es deswegen nie an eine der bekannten Akademien geschafft. Er hatte etwas mehr Mühe, damit zurecht zu kommen. Frass Wut und Zorn in sich hinein, schluckte Ärger runter, liess Rage schlummern und selbst wenn er mal los liess, dann noch kontrolliert. Bis vor kurzem jedenfalls.

So suchte er sich etwas Schreibzeug. Er begnügte sich mit schon vor Wochen zerknüllten Pergamenten, auf denen sich verworfene Pläne der Linthar fanden. Zeichnungen, Muster, Wirrwarr. Schwieriger zu interpretieren als man meinen möchte, keine exakten, nüchternen Pläne oder Schemata. Wie schaffte sie es, mit Federkiel oder Kohlestift, Emotionen auf das Pergament zu bannen? Jedenfalls meinte er, in diesen verworfenen Skizzen einen Hauch ihres Seins zu sehen. Vielleicht war er aber auch nur ein vernarrter Jaluk, der sein Verderben noch nicht erkannte. Seiner unausgesprochenen Meinung nach war es Zerstreuung, welches ihre Herangehensweise prägte. Sie würde schmeichelndere Worte für ihren Zustand finden, wenn sie Ideen umsetzen wollte. Schmeichelnde Worte, auf die er in diesem Gespräch dann keine Antwort hätte, auch wenn es wohl ohnehin nie stattfinden würde. Zum Pergament nahm er sich noch einen Federkiel.

Dann machte er sich auf in die Handwerkshalle. Möglichst aus dem Weg. Es war nicht so, dass sie ihn bei seinem Schaffen nicht unterstützte. Jegliche Erklärungsversuche dahingehend waren zwar erfolglos, dessen war er überzeugt. Ob nun verschiedenen Bewohnern der Stadt, oder selbst seiner eigenen Mutter Oberin, ein gewisser Argwohn fand sich, manchmal mehr, manchmal weniger deutlich. Ob in Wort oder Geste. Doch trotz allem half sie ihm. Wenn er jedoch in Ruhe, wirklich ungestört seiner Arbeit nachgehen wollte, war dem nicht so. Im Endeffekt erübrigten sich auch bei Dunkelelfen Worte, wenn Taten für sich selbst sprachen.

Und nicht weniger hatte er vor. Das damit bezweckte, wieder in den Hinterkopf gerufene Ziel, war den einzelnen Aufgaben übergeordnet. Er wollte der Schicksalsweberin gefallen. Er musste der Schicksalsweberin gefallen. Wenige Tage war die letzte Opferung in der Stadt her. Nur ein Mensch. Doch wenn eines Glasklar war, dann die Tatsache, dass es nur wenige, genügend schwere Fehler bräuchte, um das Schicksal mit diesem Menschen zu teilen. Im mindesten. Davon wollte er sich möglichst weit wegbewegen. Sollte es ihm vergönnt sein, der Spinnengöttin je ein Lächeln zu entlocken, dann wollte er es zumindest bei seiner Ilharess schaffen, sie hatte ohnehin einen direkteren Einfluss auf sein Schicksal.

«Faerzress-Schmiede» schrieb er als erstes auf die unbeschriebene Seite des Pergaments, nachdem er es behelfsmässig glattgestrichen hatte. Sein Schriftbild war elegant, nahezu makellos, jeder Buchstabe ein kleines Kunstwerk für sich. Was er schaffte, ob eine noch so kleine Nebensächlichkeit wie eine Notiz, oder ein Meisterwerk wie das nun wichtigste, oberste Projekt, er verlangte sich nicht weniger ab als er schaffen konnte. Weniger würde ohnehin nicht akzeptiert. Verschiedene Gedanken hatte er dazu schon geformt, andere hatte sie ihm mitgeteilt. «Verdammte Linthar…» entwich es ihm. Erst verschwand sie und liess ihm dabei keine Ruhe, jetzt war sie wieder da und wenn er sie für einige Stunden mal aus seinem Kopf bannen wollte, fand sie schnurstracks wieder hinein, ohne dafür einen Finger zu krümmen.

Doch diese Schmiede, dieser Ort war wichtig, nicht nur für ihn, der dort wirken sollte, sondern für die ganze Stadt. An mehreren Stellen zeigte sich Feenfeuer. Solche Orte hatten auf jeden Ilythirii eine unverkennbare Wirkung, zumindest wenn man sich darauf einliess, was er selbst erst kürzlich merken durfte. Mehr als Fluch für sein Volk gedacht, war es ihnen ein Segen. Die Drow hatten sich dieser Strahlung angepasst, wie sie sich auch dem lebensfeindlichen Unterreich angepasst hatten. Das Faerzress war eine Möglichkeit, magische Artefakte zu schaffen. Doch er wollte sich nicht einfach damit begnügen, eine Mauer zu errichten und Rüstwerk sowie Waffen dort für einige wenige hundert Narbondelzyklen hinzulegen. Er wollte mehr. Einige weitere Notizen wurden entsprechend auf das Pergament geschrieben.

Kohle für die Esse würde er dort lagern wollen. Ob sich das Faerzress auf den Brennstoff auswirken würde? Er hatte nicht die geringste Ahnung, er würde es aber herausfinden. Ein Amboss musste hergestellt werden. Hier hatte er keine Zweifel, kein anderes Material als das einzige, auf das Faerzress reagierende Metall kam in Frage. Adamantit. Reines Adamantit. Eine perfekte Legierung aus Schattenstein und Valorit. Die Legierung war begehrt, die Herstellung schwierig. Und doch würde er eine ganze Menge davon brauchen. Er hatte erst kürzlich… «Verdammte Linthar…» entwich es ihm ein weiteres mal. Erst kürzlich hatte er ihr rudimentär erklärt, was es bei der Herstellung eines Ambosses zu beachten gab und wie man einen guten Amboss als solchen erkennen konnte. Wertvolles Material, in rauen Mengen und dazu kam harte Arbeit. Er würde einen schweren, widerstandsfähigen Hammer brauchen, um das Metall zurecht zu hämmern. Danach vielleicht eine neue Schulter.

Dazu kamen noch einige Truhen, Regale. Genügend Möglichkeiten, Rüstungen und Waffen aufzustellen. Materialien die gelagert werden wollten. Mindestens ein grosser Arbeitstisch für feinere Arbeiten, ein Schleifstein, um Klingen zu schärfen. Wasser und Ölfässer, um Klingen zu härten. Gussformen für die Rohlinge. Die Liste wurde länger und länger. Wenn er sich recht erinnerte, sollte die Kaverne nach Möglichkeit noch etwas vergrössert werden. Also brauchte er Schaufeln und Picken. Vielleicht auch einen noch stärkeren Rücken. Denn dabei, Wände abzutragen und Felsbrocken zu zerkleinern, nur um sie am anderen Ende der Kaverne wieder zu einer Mauer aufzuhäufen, würde man ihm kaum helfen wollen. Und selbst wenn ihm vor der fast monumental anmutenden Aufgabe graute, er wollte möglichst alles allein machen. Drei Arme mehr und ein paar Stunden mehr pro Narbondelzyklus, dann würde er es schon schaffen.

Sie wollte sich auch einbringen. Er musste ein weiteres Verfluchen ihres Namens nicht unterdrücken, denn hier war es nicht notwendig. Er war gespannt darauf. Jetzt erinnerte er sich auch wieder, wie man auf den Amboss zu sprechen kam. Vibrationen beim Schmieden. Frustriert fuhr er sich mit der Hand durch die Haare. So oft sie Mühe hatte, seinen Ausführungen zu folgen, konnte er die ihren manchmal nicht richtig greifen. Daran mussten sie Arbeiten und die Schmiede war wohl eine Gelegenheit, auf dieser Ebene… besser zu werden. Zuletzt folgten auf dem Pergament dann noch einige Fragezeichen, denn bis hierhin war das meiste, was er aufgeschrieben hatte nichts, was man in einer normalen Werkstatt nicht auch finden könnte. Und die Schmiede würde mehr werden als eine Werkstatt an einem etwas sonderbaren Ort.

Ein schnell gezogener, gerader Strich trennte diese Aufgabe von der nächsten. Eine gute Weile sinnierte er an dem Punkt. War sich unschlüssig, in welcher Reihenfolge er alles weitere angehen wollte. Drei, vielleicht vier weitere Aufgaben standen noch an. Eine davon zumindest hatte in erster Linie mit ihm selbst zu tun. Als ob die Reihenfolge seiner Notizen irgendeinen Einfluss auf die Wirklichkeit hatte. Er schüttelte seinen Kopf, manchmal war er wirklich einfältig. Er wollte nicht zu viel preisgeben, also schrieb er keine weiteren Worte auf. Nur Skizzen. Nicht zu vergleichen mit denen der Linthar. Geprägt von seinem Schriftbild, geprägt von seiner Arbeit. So wie er keinen Hammerschlag zu wenig oder zu viel setzte, zog er den Federkiel genau so oft über das Pergament, wie es notwendig war, um die bildliche Notiz festzuhalten. Genauste, klare Linien, von sicherer Hand geführt. Geschwungen, ohne die Feder neu anzusetzen. Keine Tinte, die verschmiert wurde. Angedeutete Details, wo sie wichtig waren.

Das Antlitz einer Elfe, geprägt von zwei parallel verlaufenden Linien, die einen Stirnreif zeigten, welcher das Haar bändigte, sie krönte. Daneben das Bild eines Edelsteins, als solcher erkennbar anhand der Acht geschliffenen Kanten. Weniger deutlich, das angedachte Bild der Spinne, welches er mit Tinte auf Pergament kaum erreichen würde. Dazu wäre Licht notwendig und eben der Edelstein, von dem dieses reflektiert werden konnte. Mittig darunter noch das Abbild eines Hammers. Kein einfacher Schmiedehammer, auch kein Tischlerwerkzeug. Das Gegenstück zum Lied der Spinne. Waffe und Werkzeug in einem. Der formgegebene Zorn des Schmieds. Ein etwas längerer Stiel, sich nach unten hin etwas verjüngend. Ein Spitz zulaufender Knauf. Unvollendet war diese letzte Zeichnung, ein all zu klares Bild hatte er davon nicht. Warum nur fand sich dieses Bild nun als letztes auf dem Pergament?

Er hob den Blick an und schaute zu einem Fenster hinaus in die Stadt. Kurz kräuselte sich die Stirn. Der Narbondel stand schon höher als erwartet. Kurz schreckte er auf, ehe das Pergament zusammengerollt in der Tasche verstaut wurde. Er hatte noch eine ganze Handvoll Aufgaben vor sich, die, wenn auch eher klein und nebensächlich, ungemein gerne aufgeblasen und mit vermeintlicher Wichtigkeit versehen wurden, wenn sie denn einmal vergessen gingen.
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