Der Weg der blauen Kriegerin

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Elnora Mevitt
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Der Weg der blauen Kriegerin

Beitrag von Elnora Mevitt »

Die letzten Tage waren ergiebig gewesen, und langsam fügte sich ein Bild zusammen – ein Bild, das ebenso beunruhigend wie unvollständig war. Elnora war zufrieden, dass es ihr gelungen war, so viele Informationen zu sammeln, doch die Umstände hätten wahrlich besser sein können.

In ihre markante blaue Kettenrüstung gehüllt, stand sie an der Brücke, den Blick in die Ferne gerichtet. Eine Verschnaufpause, wie diese, war ihr in den vergangenen Tagen selten vergönnt gewesen. Doch der Moment bot kaum Erholung, denn die Gedanken ließen sie nicht los.

Die Liste der Aufgaben schien endlos. Was würde als Nächstes kommen? Wäre es sinnvoll, selbst die Initiative zu ergreifen und vorzurücken, dorthin, wo die feindliche Armee vermutet wurde? Doch ein solcher Vorstoß wäre riskant. Die Verteidigung der Heimat würde geschwächt und es war ungewiss, ob die Greifen sich diesem Wagnis anschließen würden. Zu leicht könnten aufgeteilte Kräfte vom Feind einzeln überwältigt werden.

Ihre Gedanken kreisten und für einen Moment fühlte sie sich in ein altes Leben zurückversetzt – in die Zeit, als sie noch unter dem Banner der Wolfsbande stand. Damals hatte sie vieles gelernt und dieses Wissen kommt ihr nun zugute.

Mit einem tiefen Atemzug schloss sie kurz die Augen, bevor ihr Blick erneut über die Brücke glitt. Menschen überquerten sie, der Alltag schien ruhig. Doch diese Ruhe war trügerisch – die Ruhe vor dem Sturm. In der Ferne, tief in den Windungen ihres Geistes, hörte sie das Echo eines vertrauten Bellens. Der Schlachtenwolf, jener alte Begleiter, der in ihr erwachte, kratzte an den Rändern ihrer Gedanken.

Lange hatte sie diese Instinkte in ihrer Rolle als Bürgersprecherin beiseitegeschoben, doch nun drängten sie sich mit Macht zurück. Das Blut begann zu kochen, nicht aus Angst, sondern aus Vorfreude – die gespannte Erwartung eines bevorstehenden Kampfes. Doch diese Empfindung war bittersüß. Die Nähe des Feindes bedeutete auch Gefahr für jene, die sie zu schützen geschworen hatte was sie hadern ließ.

Dennoch wusste sie, dass, wenn die Klinge blitzte und das Blut zu pochen begann, ihre Entschlossenheit gestärkt würde. Es war schon immer so gewesen. Der Schlachtenwolf war ein alter Begleiter und auch jetzt würde er nicht von ihrer Seite weichen um die Aufgabe zu erfüllen.

Koste es was es wolle.
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Elnora Mevitt
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Re: Der Weg der blauen Kriegerin

Beitrag von Elnora Mevitt »

Unfassbar dumm.
Das war wohl die treffendste Beschreibung für die Situation, in die Elnora sich gebracht hatte.

Die Schlacht war vorüber – zumindest fürs Erste. Die Streiter hatten sich hinter die Barrikaden zurückziehen müssen, überwältigt von der schieren Macht der Truppen, die Jazzar aufgeboten hatte. Es wäre naiv gewesen, zu glauben, er würde mit weniger angreifen doch die Schnelligkeit mit der der Rückzug erzwungen wurde, hatte alle überrascht.

Während sich die Kämpfer hinter der Barrikade sammelten, war Elnora unachtsam geworden. Am Tor, wo sie mit Wache hielt, erklang plötzlich eine Stimme – Jazzar wie er sich mit seinen Untergebenen unterhielt.
Es war die Hoffnung oder vielleicht die blinde Naivität, der sie glauben ließ, irgendwo in ihm könnte Katherine Sawyer noch existieren.
Ein Aufruf, ein Weckruf vielleicht, könnte die Magierin dazu bringen, gegen den Geist zu kämpfen, der ihren Körper kontrollierte.
Elnora entschloss sich zumindest es zu versuchen. Sie rief über das Tor, forderte ein Gespräch mit Katherine Sawyer, wenn Jazzar wirklich an einer Verhandlung interessiert sei.
Ein Moment der Unachtsamkeit oder vielleicht der Erschöpfung – sie bemerkte anscheinend die Lücke nicht in der Barrikade. Bevor sie es realisierte, befand sie sich plötzlich außerhalb der Barrikaden, direkt vor ihrem Feind.

Der Preis war zu hoch den der anschließende kurze Austausch mit Jazzar brachte keine Erkenntnisse. Er endete mit Ketten an ihren Handgelenken und Füßen im Stall.

Jetzt lag sie da, auf dem kaltem, dreckigem Boden des Stalls. Immer wieder prüfte sie ihre Bewegungsfreiheit, suchte nach einem Winkel, nach einem Spielraum, doch die Fesseln gaben nicht nach. Frustriert unterdrückte sie ein Brüllen, das in einem tiefen, resignierten Schnaufen endete.
So hatte sie sich ihr Ende nicht vorgestellt. Nicht hier, nicht so. Lieber hätte sie mit einer Klinge in der Hand gekämpft hunderte niedergestreckt, bevor sie fiel. Stattdessen war sie wie ein gefesseltes Tier, zur Belustigung dieser dimensionsreisenden Wahnsinnigen.

Ein Augenblick der Verzweiflung überkam sie, während sie sich hektisch im Stall umsah. Sie kannte jeden Winkel dieses Ortes, doch die Ketten ließen ihr keine Möglichkeiten. Selbst wenn sie sich befreien könnte, sie würde kaum weit kommen bevor die Klingen der Wachen sie niederstrecken würden.
Ihre Gedanken kreisten, ein Strudel aus Selbstvorwürfen. Wie konnte sie nur so dumm sein? So unfassbar dumm?

Doch in dem ganzen Wirrwarr an Gedanken blitzte auch eine Erinnerung auf, ein Funken aus der Vergangenheit – ihr Mentor.
„Ruhe bewahren, egal wie aussichtslos die Lage scheint,“ hatte er einst gesagt. Tief atmete sie ein, ihre Brust hob und senkte sich schwer während sie versuchte, ihre rasenden Gedanken zu zähmen.

Noch steckte Leben in ihrem Körper. Noch gab es eine Chance und wenn sie nur auf den richtigen Moment wartete, vielleicht … nur vielleicht … könnte sie wieder handeln oder auf die Befreiung hoffen.

Eine kleine Hoffnung blieb.
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Elnora Mevitt
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Re: Der Weg der blauen Kriegerin

Beitrag von Elnora Mevitt »

Einige Wochen waren seit dem Überfall auf Nebelhafen vergangen, und Elnora wusste: Sie hatte Glück gehabt.

Es war wohl die Arroganz der Invasoren, die sie mit an die Front schleppten, um sie die vermeintlich unausweichliche Zerstörung der Verteidigung miterleben zu lassen. Doch diese Arroganz wurde ihnen zum Verhängnis. Ein Moment der Unachtsamkeit genügte und Elnora nutzte die Gelegenheit, ihrem Bewacher in den Rücken zu springen. Der Feind taumelte in die Frontlinie und wurde direkt von Kommandant Schwarzfels mächtiger Keule erwischt. Cataleya, die Templerin, zog sie sofort aus der Gefahrenzone und brachte sie zu den Heilern Gwendolyn und Soryia.

Ja, sie hatte Glück!

Die Tage nach der Schlacht verbrachte Elnora damit, sich zu sammeln und von den Strapazen zu erholen. Die unmittelbare Gefahr schien gebannt, die feindliche Macht vernichtet. Doch was mit Katherine geschehen war, das wusste sie nicht – und sie war sich nicht sicher, ob sie es überhaupt wissen wollte.

Das Haus, das einst voller Leben war, fühlte sich nun leer an. Noa und Meli waren kurz nach der Schlacht aufgebrochen. Wohin, das wusste sie nicht. Doch ihre Abwesenheit hinterließ eine spürbare Leere. Auch ihre Tage als Bürgersprecherin waren gezählt. In wenigen Tagen würde die Wahl entschieden sein, auch wenn es kaum Auswahl gab.

Elnora fühlte sich erleichtert. Die Bürde des Amtes hatte ihre Spuren hinterlassen. Obwohl sie stolz auf das war was sie für Nebelhafen erreicht hatte, spürte sie, dass die Politik ihre Kampffähigkeiten getrübt und ihre innere Wachsamkeit gedämpft hatte.

Die Welt schien sich zu verändern und sie selbst war keine Ausnahme. Seit Langem fragte sie sich, wohin ihr Weg sie führen sollte, doch eine Antwort hatte sie bis heute nicht gefunden.

Bleiben – das war keine Option. Der Gedanke an Stillstand war unerträglich. Es war an der Zeit, wieder zu packen. Viel Besitztum hatte sie ohnehin nie angesammelt. Heimisch zu werden, Reichtümer anzuhäufen – das war der Kriegerin nie vergönnt gewesen.

Nun kehrte die innere Unruhe, die sie so lange nicht gespürt hatte, mit voller Wucht zurück. Es war klar: Die Antworten, die sie suchte, würde sie nicht in Nebelhafen finden.

Elnora entschied, die Wahl noch abzuwarten. Doch danach würde sie aufbrechen, bereit, erneut hinaus in die Welt zu ziehen und ihren Weg zu finden und manches hinter ihr zu lassen.
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Elnora Mevitt
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Schatten der Vergangenheit

Beitrag von Elnora Mevitt »

Beginn von Akt 2

Lauernd lag die junge Kriegerin auf dem feuchten Waldboden. Die Kälte kroch durch ihre zerschlissene Kleidung, doch sie schenkte dem Frost keine Beachtung. Ihre funkelnden Augen, fest auf den schmalen Weg gerichtet, spiegelten Entschlossenheit wider – verborgen im Schatten neben den anderen Männern, die geduldig verharrten. 

Langsam glitten Elnoras Finger über die gespannte Sehne ihres Bogens. Jeder Atemzug – flach, leise – war wie ein unhörbares Flüstern in der Dunkelheit, ein beruhigendes Ritual vor dem bevorstehenden Sturm.

„Eh, Elnora …“ flüsterte Varrin, ihr Nebenmann, dessen Blick unablässig dem schmalen Pfad folgte.
„Wann, denkst du, tauchen sie auf?“

Mit einem leichten Schulterzucken – ihr zartes, siebzehnjähriges Gesicht verriet keine Unsicherheit – erwiderte sie trocken:
„Jucken dir schon die Finger, Varrin?“

Ein leises, zustimmendes Brummen entwich ihm, doch noch ehe er etwas weiter sagen konnte, durchbrach ein scharfes „Ssshhh!“ aus der Gruppe die Stille.
Dann – aus der Ferne – begann das dumpfe Rumpeln von Rädern auf feuchtem Erdreich, das Klirren des Zaumzeugs und gedämpfte Stimmen, noch zu weit entfernt, um sie ganz zu vernehmen. Bald zeichnete sich im schwachen Sternenlicht die Karawane ab. Die schlichte Kutsche, bewacht von Männern in glänzenden Plattenrüstungen, verriet, dass es sich nicht um gewöhnliche Händler handelte. Elnora sog die kühle Luft ein, ihr Blick wanderte über die Szene, jeden möglichen Fluchtweg, jede Bewegung kalkulierend.

„Der erste Pfeil – direkt am Kopf. Der Rest wird dann nicht mehr so agil sein …“ murmelte sie innerlich, als sie den entscheidenden Moment abwog.
Plötzlich spürte sie leichte Erschütterungen im Boden – jemand schob sich leise neben ihr durch den Dreck. Sie wusste sofort, wer es war.
„Viktor …“ flüsterte sie kaum hörbar.

Sein wettergegerbtes Gesicht war nur schemenhaft im Dunkeln erkennbar.
„Nora, bist du soweit?“

Ohne großes Zögern nickte sie. Ein Überfall war für ihre Bande nichts Ungewöhnliches, doch diese Karawane war stärker bewacht, als sie erwartet hatte. Ein ungutes Gefühl nagte an ihr – ein Gefühl, das sie zu verschweigen pflegte. Die Befehle waren klar, und der Hauptmann ließ keinerlei Widerspruch zu.
„Alle Verteidiger müssen handlungsunfähig werden“, erinnerte sie sich an die Anweisung. In der Kutsche befanden sich Waren, die für ihre Aufgabe von unschätzbarem Wert waren.

„Bereit machen!“ rief aus einer dunklen Ecke die markante Stimme des Hauptmanns, Alvaros Henig – unüberhörbar und bestimmt.
„Jeder kennt seine Aufgabe!“

Mit dieser Ansage geriet die Gruppe in Bewegung. Während einige leise ihre Pfeile an die Sehnen legten, löste sich ein kleiner Trupp aus dem Schatten, um sich dem Weg zu nähern. Elnora blieb an ihrer Position – ihr erster Angriff sollte aus der Ferne erfolgen.
Die Karawane kam näher. Räder knirschten auf dem feuchten Boden, die schweren Schritte der Reittiere hallten durch die Nacht. Die Wachen unterhielten sich in gedämpften Tönen, deren Worte mit jedem Meter klarer wurden.

„Kalte Nacht, hrrm …“ brummte einer der Bewaffneten, während er seinen Mantel enger zog.
Elnora atmete tief durch, spannte die Sehne und wartete.

Dann kam der Befehl:
„Jetzt!“

Die Pfeile zischten wie Schatten durch die Dunkelheit. Manche Pfeile trafen direkt in die Köpfe der Bewacher - panisches Wichern von Pferden und das dumpfe Rumpeln schwerer fallenden Körper waren zu vernehmen.

„Beim Herrn! Wir werden angegriffen!“ rief jemand laut in die Dunkelheit.
Elnora hielt inne. Ihre Finger umklammerten noch immer die Sehne, ihr Blick huschte zu Viktor, der sie ebenso fassungslos ansah.

Die Schlacht war kurz und brutal – bevor sie richtig begonnen hatte, war der Widerstand gebrochen, die letzten Kämpfer lagen im Staub.
Vorsichtig traten die Angreifer näher an die Kutsche heran, während Elnora und Viktor sich von der Gruppe lösten. Ihre Stiefel knirschten über den blutgetränkten Boden. Erst jetzt nahm Elnora die Rüstungen der Gefallenen wirklich wahr – keine Söldner, keine Knechte eines Adeligen. Das Wappen auf den Brustplatten war unverkennbar. 

„Das … sind keine Wachen eines Adeligen“, murmelte sie, ihre Stimme klang fremd in ihren eigenen Ohren.
„Viktor, was geht hier vor sich?“
Der alte Krieger sah sie an, sein Gesicht von Ratlosigkeit gezeichnet.
„Ich weiß es nicht“, hauchte er.

Von der Kutsche her drang nun die Stimme des Hauptmanns durch die Nacht:
„Los, bringt sie raus!“
Ein ersticktes Schluchzen mischte sich mit dem Scharren von Stiefeln auf Holz.
„Nein, bitte! Bitte nicht!“ riefen die Insassen der Kutsche, als sie – ein Mann, eine Frau, zwei Knaben – aus dem Inneren gezerrt wurden.
Der Hauptmann trat näher, verschränkte die Arme und musterte die Gefangenen.
„Wenn ich mich nicht irre, seid ihr Galvin“, sagte er kalt und geschäftsmäßig. „Wir sind hier, um das Kopfgeld einzustreichen.“

Elnora spürte, wie sich die Szene veränderte. Plötzlich war sie nicht mehr mitten im Geschehen, sondern eine stumme Beobachterin ihrer eigenen Vergangenheit. Sie sah sich selbst, zusammen mit Viktor, wie sie auf die Kutsche zuging.
„Du hättest einfach weggehen sollen …“ flüsterte ihre Erinnerung. Die Worte hallten in ihrem Kopf, Viktors Stimme schien gleichzeitig fern und nah.


Vor der Kutsche stand sie nun dem Hauptmann gegenüber.
Alvaros musterte sie mit einem prüfenden Blick.
„Elnora … das ist deine Feuertaufe“, verkündete er hart und unnachgiebig.
„Töte sie.“

Elnora erstarrte.

„Alvaros, das ist nicht unser Weg!“ rief Viktor eindringlich, als er sich einmischte.
„Wir plündern jene, die es verdienen!“
Alvaros drehte sich langsam zu ihm um.

„Die Befehle haben sich geändert, Viktor“, erklärte er mit eisiger Kälte. „Wir werden für diesen Auftrag gut bezahlt.“
„Alvaros! Das kann nicht dein –“ begann Viktor, doch wurde jäh unterbrochen:
„Halt die Schnauze, Viktor!“

Seine Stimme war wie ein Peitschenhieb und plötzlich senkte sich gespenstische Stille über die Szene – unterbrochen nur vom leisen Wimmern der Gefangenen und dem dröhnenden Herzschlag in ihren Ohren.

„Wenn ich dich nicht hier und jetzt hinrichten soll, dann führst du den Befehl aus, Elnora.“
Alvaros’ Stimme war kalt wie Stahl.

Die Gruppe erstarrte in gespannter Stille. Niemand widersprach, niemand regte sich. Alle warteten auf das nächste Kapitel dieses Schauspiels.

„Vielleicht wärst du heute noch am Leben …“
Diese Worte, ein Echo aus ihrer eigenen Vergangenheit, hallten in Elnoras Geist.
„Vielleicht …“

Viktors Antwort klang wie ein ferner Hauch in ihren Gedanken.
Gefangen in diesem  Nebel der Erinnerung, hörte Elnora sich selbst antworten.


„Hauptmann, sollten wir das nicht noch einmal überdenken? Es gibt noch einen Weg zurück.“
Ein gieriges Funkeln huschte über Alvaros Gesicht, während er sich über die Lippen leckte – als koste ihn bereits der Gedanke an den Ausgang dieser Konfrontation.
Dann, in einem einzigen, schnellen Schwerthieb, zerschlug er den Widerstand.
Galvin sackte lautlos zu Boden, sein Kopf rollte in den Dreck.
„Hab ich mir fast gedacht …“ spottete Alvaros, seine Stimme triefte vor Gleichgültigkeit.
Mit einer knappen Handbewegung gab er seinen Männern das Zeichen:
„Kümmert euch um den Rest.“

Gegenwart

Elnora erwachte schweißgebadet. Ihr Körper schoss ruckartig aus dem warmen Bett und ihr Atem ging hastig und unkontrolliert. Mit einer Hand presste sie sich an die pochende Schläfe, während ihr Kiefer unwillkürlich mahlte. Der Nebel des Schlafes verzog sich augenblicklich – doch der Traum, ja die Erinnerung, blieb lebendig: so als hätte sie den Staub des Schlachtfeldes gerade erst in den Lungen gespürt. Es war lange her, dass sie an ihr altes Leben gedacht hatte und doch hatte es sie heute Nacht besucht.

Mit einem tiefen Atemzug schälte sie sich aus den Laken. Ihre Füße berührten vorsichtig den kalten Boden, als sie leise zur Wasserkaraffe ging. Ein kühler Schluck benetzte ihre trockene Kehle, doch das bittere Gefühl in ihrer Brust blieb.
Ihr Blick schweifte durch das behagliche Zimmer – das Heim der Vildabans, das ihr seit Wochen Zuflucht bot.

Sie hatte dieses Leben hinter sich gelassen, war davor geflohen. Der Hauptmann hatte ihr offenes Aufbegehren schließlich nicht ungesühnt gelassen.

Sie wusste nicht, was schmerzhafter war an der damaligen Situation.

Dass die Wolfsbande ihre Prinzipien nach und nach verraten hatten - schließlich der Ort an dem sie ihr Leben lang aufwuchs.
oder
Dass Viktor für ihre Befehlsverweigerung mit dem Leben hinterher bezahlt hatte und sie nur kurz mit ihren eigenen davon kam.

Mit einem grimmigen Zucken der Lippen nahm Elnora den Becher in beide Hände und trat hinaus auf den Balkon. Die kühle Nachtluft umfing sie und erschöpft ließ sie sich in einen Stuhl sinken, während sie stumm in die Dunkelheit starrte.

Seit mehreren Wochenläufen lebte sie nun in Solgard und hatte sich diesem neuen Leben verschrieben. Doch inmitten der Gläubigen, unter denen sie wandelte, schien ihr Geist sich gegen die Akzeptanz zu sträuben. Der Traum – oder vielmehr das Echo ihrer Vergangenheit – hätte ein Einzelfall sein können, oder ein Zeichen, dass sie noch immer keine Ruhe gefunden hatte. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, all das zu verleugnen.

Elnora schloss müde die Augen. Vielleicht sollte sie mit jemandem darüber sprechen … Doch hier, im Herzen von Solgard, beschlich sie eine leise Angst vor der Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Vergangenheit – vor dem Aufreißen alter Wunden, die sie so mühsam verborgen hatte.
Die letzten Monde hatten ihr kaum Raum zum Nachdenken gelassen. Erst Ansilon, dann Silberburg, schließlich Nebelhafen – stets war sie weitergezogen, hatte sich distanziert von dem, was einst war. Sie hatte sich der Ordnung verschrieben, der Diplomatie Raum gegeben und den Zorn ihrer Vergangenheit langsam verblassen lassen.

Warum kehrte das nun zurück?

Ratlos starrte sie in die Dunkelheit, während die Müdigkeit langsam über sie kam. Irgendwann, ohne es zu merken, glitt sie in einen nun ruhigeren Schlaf.
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