Kaled hatte eine lange Reise hinter sich und war erst vor kurzem in Nebelhafen angekommen. Nichts bei sich außer der Kleidung an seinem Leib und einen Brief an einen Mann, den er nie zuvor gesehen hatte. Aber es gab keinen Raum für Zweifel, denn die Tapferkeit verlangte es, die Unsicherheit beiseitezuschieben und seinem Auftrag zu folgen.
Niedere Arbeiten waren Kaled nicht fremd. Um sich eine Ausrüstung zu verdienen, schuftete er auf den Feldern und in der Mine - wie er es schon in seiner Kindheit getan hatte. Der Herr erkannte die Demut in dem jungen Krieger und kreuzte Kaleds Weg mit einem Zwerg, der ihm eine für Kaleds empfinden herausragende Rüstung verkaufte. Kaled zahlte alles, was er besaß, wusste aber, dass er weiterhin eine Schuld zu begleichen hatte. Kurz darauf kaufte Kaled das günstigste Pferd, das er für gesund hielt, und machte sich auf den weiten Weg nach Solgard.

Als er die Krypta passierte, hielt er inne. Hier lauerten Untote. Sein Auftrag war es, dem Herrn zu dienen, und Ihm zu dienen war nicht möglich, ohne sich tapfer der Gefahr zu stellen. So unterbrach er seine Reise und ließ den Untoten ihre gerechte Erlösung zukommen. Danach führte sein Weg durch die Wüste. Er ritt in der Dämmerung, rastete an einer Oase und nutzte den Morgengrauen, um der gleißenden Sonne zu entgehen. Das endlose Meer aus Sand erinnerte ihn an seine Heimat und an das Leben, das er zurückgelassen hatte. Es gab ihm Zeit, sich zu besinnen: Warum war er hier? Wessen Wille führte ihn? Zweifel wurden durch unbändigen Willen beiseitegewischt. Noch vor dem Mittagsgebet erreichte er Solgard. Bevor er sich seiner Mission widmete, versorgte er sein Pferd mit Wasser und Futter – eine Geste der Dankbarkeit für den treuen Dienst auf der schweren Reise, die er sich selbst nicht gönnte.
Nun musste er den Empfänger seines Briefes finden. Er verbrachte die heiße Mittagszeit damit, sich einen Überblick über die Stadt zu verschaffen. In der Miene fand er schließlich jemanden, der ihm den Weg weisen konnte. Jetzt blieb es ihm nur noch, zu warten.
Als Krotar Thorakar die Bank betrat, erkannte Kaled ihn sofort, obwohl er ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Der Mann strahlte eine Autorität aus, die keinen Zweifel ließ. Mit gesenktem Blick trat Kaled vor, zog den Brief hervor und überreichte ihn in demütiger Haltung.
Der Heerführer las, und Kaled spürte seine Überraschung. Was mochte er denken? Ein junger Mann, kaum mehr als ein Junge, kommt aus einem fernen Land und übergibt ihm ein Schreiben, das verkündet, dass der Jüngling nun im Dienst von Krotar sei – ein leibeigener Glaubenskrieger, gesandt, um dem Heerführer im Namen des Herrn zu dienen. Kaled erwartete Skepsis, vielleicht Ablehnung. Doch stattdessen begegnete ihm Krotar mit Güte. Er nahm Kaled nicht nur in seinen Dienst, sondern kümmerte sich um ihn mit ehrlicher Zuneigung, statt ihn wie bloßes Eigentum zu behandeln. Zusammen mit dem Priester Amarius rüstete er den jungen Krieger mit allem aus, was sie als hilfreich ansahen.
Kaled rang um seine Fassung. Er war in den Kriegsdienst für den Herrn geboren – als niedrigster Rang im Heer eines wüstenbraunen Landes namens Rakh, geboren, um zu kämpfen und zu sterben. Sein Leben lang hatte er gelernt, dass er keinen Namen, keinen Rang, keine Ehre außerhalb seines Gehorsams haben würde. Sein Wert lag allein darin, seinem Besitzer zu dienen und in dessen Dienst gegen die Feinde des Herren zu kämpfen. Doch Krotar kümmerte sich liebevoll um Kaled, sprach von Menschenwürde und schenkte dem Leibeigenen noch am selben Abend das Bürgerrecht der Stadt. Kaled rang um Worte. Er konnte diese Großzügigkeit nur als eine Art Prüfung begreifen. Also tat er, was ihm vertraut war – er gehorchte. Wenn er Krotars Angebot des Bürgerrechts als Befehl seines Herren ansah, dann war es nicht Hochmut, sondern Gehorsam, oder?
Doch Krotars Güte kannte keine Grenzen. Als er Kaled entlockte, dass der junge Krieger sein Leben im Dienste des Herren verbracht hatte und dies bis an sein Lebensende tun werde, fragte Krotar den jungen Krieger, ob er in den Paladinorden eintreten wolle. In seiner Heimat wäre das Häresie gewesen und Kaled rang erneut um Worte, die mit seinen verinnerlichten Werten im Einklang standen. Ein Leibeigener als Anwärter des Paladinordens? Die Gnade des Herren für einen Sklaven? Das Licht des Herrn auf der Seele eines Unwürdigen? War es tapfer, gegen alles zu verstoßen, was er bis dahin gelernt hatte, oder war es Hochmut, einen Rang anzustreben, der ihm nicht zustand?
Kaled hatte keine Antwort.
Das spärliche Öl auf seinem Putzlappen war längst verteilt. Bald würde die Sonne aufgehen. Kaled legte seine Waffen vor sich nieder, schloss die Augen und sprach ein spontanes Gebet.
O Herr, gib mir die Kraft, zu erkennen, was Recht ist.
Er würde sich auf das Morgengebet vorbereiten. Doch seine Gedanken blieben unruhig.