Kapitel I
Die Sonne begann mit ihren Aufstieg am Horizont und ihr grelles Licht tastete sich langsam durch die Fenster von Niriels Gemach. Die warmen Strahlen fielen sanft auf ihre Haut und weckten sie langsam aus dem Schlaf. Mit einer geübten Bewegung sprang sie förmlich aus ihrem Bett und zog sich direkt ihre Rüstung über, befestigte die Riemen und legte sich ihren Waffengurt um. An diesem Morgen sollte eine Jagd stattfinden. Niriel und ihre Schwestern wollten auf eine Jagd gehen, um ihr Volk mit frischem Fleisch zu versorgen. Die Steppe bot eine reiche Auswahl an Beute, von kleinen Wildtieren über flinke Antilopen bis hin zu kräftigen Rehen. Die Amazonen bereiteten ihre Waffen vor, überprüften die Sehnen ihrer Bögen und schärften ihre Klingen, bevor sie sich auf den Weg machten. Während sie durch das Gras der Steppe ritten, wurde ihre Aufmerksamkeit von einem beunruhigenden Anblick festgehalten: Eine gewaltige Rauchsäule stieg in der Ferne in den Himmel auf. Ein schwerer, beißender Geruch nach verbranntem Holz lag bereits in der Luft. Ohne zu zögern, trieben sie ihre Pferde an, um in die Richtung des aufsteigenden Rauches zu galoppieren. Als sie den Brandherd und die lodernden Flammen erreichten, erblickten sie ein erschreckendes Bild. Die Flammen hatten weite Teile der ohnehin trockenen Steppe erfasst, Sträucher und Bäume brannten lichterloh, während der Wind die Glut weitertrug. Doch das Seltsamste an diesem Feuer war das Fehlen von Spuren. Keine Fußabdrücke, keine verbrannten Körper, keine Zeichen eines Kampfes, nichts deutete darauf hin, dass hier eine Schlacht oder eine gezielte Zerstörung des Landes stattgefunden hatte. Ein zufälliger Funke, vielleicht ein Wassertropfen, der die Sonne wie eine Linse fokussiert hatte, konnte gereicht haben, um diese Katastrophe auszulösen. Plötzlich durchbrach ein klägliches Quieken die Umgebung. Niriel hielt inne, ihre Ohren stellten sich auf das Geräusch ein und fokussierten dieses. Es war ein Laut, der ihr bekannt vorkam. Ihr Herz schlug schneller, als sie erkannte, dass es der Ruf eines jungen Löwenbabys war, es klang verzweifelt, suchend und hoffnungslos zu gleich. Sofort setzte sie sich in Bewegung, huschte über den verbrannten Boden, wich einigen lodernden Flammen aus und suchte fieberhaft nach der Quelle des Geräuschs. Schließlich entdeckte sie es: ein winziges, zusammengekauertes Wesen, eingeklemmt in einem kleinen Kreis aus Steinen. Die Asche um den Steinkreis war schwarz und heiß, doch das Innere war unversehrt geblieben. Niriel kniete sich nieder. Das Fell des Löwenjungen war stellenweise versengt. Es zitterte, seine großen, goldenen Augen blickten ängstlich zu ihr auf. Ohne zu zögern nahm Niriel das verletzte Tier auf und trug es davon, fort von dem Feuer, fort von der Hitze und dem wohl möglichen drohenden Tod. Sie spürte, wie sich das kleine Wesen eng an ihren Körper schmiegte, seine winzigen kleinen süßen Krallen verhackten sich förmlich in ihren Lederriemen. Als sie eine sichere Entfernung erreicht hatte, setzte sie das Junge vorsichtig ab. Es zögerte nicht, sondern drückte sich sofort an ihre Beine, kauerte sich an sie, als wäre sie der einzige Schutz, den dieses Tier noch hatte. Niriel betrachtete das hilflose Löwenbaby mit abschätzendem Blick. Ihr Volk hatte seit Generationen eine tiefe Verbindung zu Katzenwesen, denn die Boten ihrer Göttin selbst, hatten sich ihnen immer in der Gestalt einer mächtigen Löwin offenbart. Diese Wesen waren nicht nur Tiere, sie waren Gefährten, Beschützer und ein Zeichen göttlicher Gunst. Mit dem Löwenjungen an ihrer Seite kehrte Niriel schließlich nach Servastae zurück, die Stadt ihres Volkes. Dort wurde das Junge Tier mit Neugier betrachtet. Es war vielleicht ein Zeichen ihrer Göttin, ein neuer Begleiter in ihrem Leben. Und so begann ein neues Kapitel in Niriels Leben... Niriel gab dem kleinen Löwenbaby den Namen Asaematorian.

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Kapitel II
Die Tage verstrichen und das einst so winzige Löwenbaby wurde immer größer. Wo Niriel auch hinging, folgte Asaematorian ihr auf Schritt und Tritt. Er begleitete sie überall hin, durchstreifte mit ihr die Wildnis und sogar bei den Jagden der Schwesternschaft war er stets an ihrer Seite. Doch mit den Jahren wurde klar, dass Asaematorian kein gewöhnlicher Löwe war. Er übertraf seine Artgenossen an Größe und Kraft, seine prächtige Mähne schimmerte in der Sonne und sein Blick war ernst, beinahe königlich. Dann kam der Tag, an dem die Natur ihren Lauf nahm. Der Instinkt eines Löwen ist es, ein Rudel zu führen. Und nun, da Asaematorian ausgewachsen war, verspürte er diesen Drang der immer mehr zunahm. Niriel bemerkte die Veränderung in seinem Verhalten. Die Art, wie er seine Schultern straffte, wie er sie aus den Augenwinkeln musterte, wie sein Schweif leicht zuckte, während er an ihrer Seite ging. Der Moment war unausweichlich, ihm klar zu machen, dass es nur einen Anführer im Rudel geben kann. In einer abgelegenen Lichtung kam es zu einem Duell zwischen den beiden. Niriel stand dem Löwen gegenüber, in ihrer leichten Amazonenrüstung, ein hölzernes Übungsschwert in ihrer Hand... Sie war bereit, bereit den Kampf mit ihm aufzunehmen. Sie wollte ihn nicht töten, wollte ihm nicht ernsthaft schaden, doch sie musste ihm zeigen, wer die wahre Anführerin ist. Asaematorian senkte seinen massiven Kopf, seine Ohren legten sich nach hinten und zuckten. Dann spannte er sich an und war bereit zum Angriff. Mit einem tiefen Knurren sprang er vorwärts, seine messerscharfen Krallen blitzten im Sonnenlicht auf. Niriel wich geschickt zur Seite aus, während der Löwe knapp an ihr vorbeischoss und die Erde unter seinen Pranken aufwühlte. Immer wieder griff Asaematorian an, doch Niriel war schnell, bewegte sich wie eine Tänzerin zwischen seinen Hieben hindurch. Sie versetzte ihm gezielte Schläge mit dem Holzschwert, jeder Treffer würde ihm spüren lassen, dass Niriel keine Jungschwester mehr ist, die er kontrollieren könnte. Doch auch sie blieb nicht unversehrt...seine Pranken streiften ihre Haut, hinterließen blutige Schnitte auf Armen und Beinen. Die Umgebung war erfüllt vom Brüllen des Löwen, von Niriels schnellen Atemzügen, vom dumpfen Klang des Holzes, das auf Asaematorian traf. Schließlich gelang ihr der entscheidende Treffer. Mit einer schnellen Bewegung rammte sie das Schwert gegen seine Flanke, brachte den riesigen Löwen ins Taumeln. Er knurrte, zitterte, rang mit seinem Stolz, doch dann senkte er langsam den Kopf.

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Seine Schultern entspannten sich, sein Blick wurde ruhiger. Und dann, zur Verwunderung Niriels, beugte sich Asaematorian leicht nach unten, eine Geste der Unterwerfung, eine stumme Anerkennung ihrer Stärke. Niriel selbst war völlig fertig und wurde von Schweißperlen, Blut und Dreck geziert. Leicht zitternd vor Erschöpfung trat Niriel vor, legte ihre blutverschmierte Hand in seine dichte Mähne. Asaematorian brummte leise, ein fast freundschaftlicher Laut. Dann, mit einer fließenden Bewegung, schwang sich Niriel auf seinen breiten Rücken. Die Hierarchie zwischen dem Löwen und Niriel war geklärt und mit dieser Bindung waren sie nun nicht nur Gefährten, sondern Krieger, die Seite an Seite kämpfen würden.

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