Musik
“In die Magieakademie – JETZT!”
Dem Erzmagier reicht ein Blick auf die Hörner auf Alecs Kopf, um zu agieren. Unruhe, Spannung und Ungewissheit liegen in der Luft. Die Atmosphäre füllt den Ritualraum der Akademie.
Alec hört weitere Stimmen. Magier, Kameraden, Würdenträger. Ein paar von ihnen würde er Freunde schimpfen, aber was bedeutet das schon? Er weiß längst, dass jeder seinen eigenen Ambitionen folgt. Getrieben vom Hunger nach Macht, Ansehen oder Wissen. Kann er wissen, ob sie sich gegen ihn wenden? Ob der Klinge, die ihn einst verteidigte, jetzt zum Todesstoß ansetzt? Die Stunden (oder waren es Tage?) im Unterreich haben ihn gelehrt, dass jeder Masken trägt, die jederzeit fallen können.
Schmerz durchzuckt seinen Leib, als er in der Mitte des Ritualkreises gebracht wird. Das Gefühl ist ebenfalls ein alter Bekannter, einer, mit dem er sich längst arrangiert hat. Alec weiß nicht, was ihm bevorsteht. Er traut Golga nicht über den Weg. Bisher kam er gut durchs Leben, indem er sich möglichst von Magie ferngehalten hat. Den Luxus hat er nicht mehr. Jetzt beherrscht Magie seinen eigenen Körper, sein Sein, und obwohl er sie nicht kontrollieren oder nutzen kann, wird sie sein stetiger Begleiter sein. Die mattvioletten Risse auf seiner Haut glimmen, als Golga den Bannkreis mit Magie flutet.
Furcht steigt seine Kehle empor. Sein einäugiger Blick flitzt durch den Raum und sucht nach etwas Bekanntem, an das er sich klammern kann. Und findet Sorsha.
Sie ist hier. Natürlich ist sie hier. Seine Finger zucken und sie greift nach seiner Hand. Ja, daran kann er sich klammern. Wenn er einen Grund zum Kämpfen braucht, dann sollte es wenigstens eine Frau sein.
Bah, wie romantisch.
Einen Herzschlag später spürt er eine zweite Berührung. Cataleya hat ebenfalls nach seiner Hand gegriffen. Die beiden Säulen des Reiches knien nebeneinander und buhlen darum, wer ihm eine Stütze sein darf. Alec könnte schwören, dass sie sich konkurrierend ansehen.
“Wie ssspannend. So ein Menssschlein bissst du also?”
“Halt die Klappe, Nerxos”, knurrt er in Gedanken.
Für Widerworte hat er immer Kraftreserven.
Die Situation ist vielleicht ein klein wenig pikant. Aber darum kann er sich sorgen, wenn er die Nacht überlebt. Der Groll besitzergreifender Frauen kann nicht übler sein als eine dämonische Besessenheit.
Golga wirft indes mit Befehlen und Worten der Macht um sich. Alec nimmt das Geschehen nur am Rande wahr. Nerxos hat längst begriffen, dass er im Mittelpunkt steht und den Schluss gezogen, dass es nicht zu seinem Besten ist. Hier steigt keine Willkommensfeier. Das
Ding in Alec windet sich, als Golga einen Analysezauber wirkt.
Alec versteht nichts von dem, was gesagt wird und geschieht. Doch er sieht vor seinem inneren Auge ein Konstrukt, das den Blutgefäßen seines Körpers ähnelt. Wie ein Spinnennetz zieht es sich über seine Organe, Muskeln und Gliedmaßen und pulsiert.
Bildet er sich das nur ein? Vielleicht ist er dem Wahnsinn doch näher, als er denkt.
Die analysierende Magie des Erzmagiers tastet sich mit ihren Fühlern durch Alecs Leib.
Nein, Hülle. Er ist nicht mehr als eine leere Hülle, die von Nerxos ausgewählt wurde. Nerxos hat den Steinmetz bewusst gewählt. Das Menschlein sollte dankbar sein, dass er eine solche Aufmerksamkeit erhält! Alles, was ihn an dem bemitleidenswerten Menschen interessiert, ist das mickrige Wissen, dass er während seiner kurzen Lebensspanne erlangt hat. Nerxos war zuerst da! Das ist Nerxos Hülle! Er wird bestimmt nicht vor einem aufdringlichen Magier kuschen. Niemalsss!
Bevor das passsiert, zerreißt er die Hülle.
“Er versucht zu entkommen”, warnt der Magier.
Ganz recht.
Nerxos huscht vor dem Einfluss davon. Er wandert durch die Hülle und sucht sich Stellen, um einen Ausbruchversuch zu starten. Dabei saugt er jeden Laut der Qual auf den der Mensch von sich gibt. Nerxos lässt eine Rippe brechen wie einen trockenen Zweig. Sein Publikum zuckt mitfühlend. Nerxos gibt ihnen mehr, mehr Leid, mehr Furcht. Er demonstriert seine Dominanz und zeigt den verzweifelten Menschlein, womit sie es zu tun haben. Nerxos spürt beneidende Blicke auf den Hörnern seiner Hülle, als er sie weiter durch die Kopfhaut brechen lässt. Nerxos perfektioniert die Windung. Er setzt die letzten Pinselstriche bei einem Gemälde. Nur, um einen Atemzug später nach einem Messer zu greifen und die Leinwand aufzuritzen.
“Ich muss in ihn rein. Schützt mich. Wenn ich rauskomme und Töte sage, dann schlagt ihm ohne Zögern den Kopf ab.”
“Wie sssie mit dir umgehen. Und jene nennssst du Freunde? Nerxos tut dir einen Gefallen. Er bringt dir Erlösssung von den grausssamen Menschen.”
“Alec, bist du noch da?”, will der störende Magier wissen. Golga steht regungslos im Ritualkreis, der Blick leer und mit leuchtenden Hautmalereien. Nerxos zischt unzufrieden, als er Zeuge der Macht wird, die in dem Erzmagier schlummert.
“Ja, verdammt”, murrt Alec.
“Ich werde ihn jetzt jagen. Wenn du kannst, dann führe mich zu ihm. Du brauchst es dir nur vorzustellen.”
“Lasss Nerxosss in Ruhe”, zischelt Nerxos und huscht Schutz suchend durch den Körper, als er die mystische Energie wahrnimmt, die nach ihm tastet. Doch plötzlich packt ihn ein Griff, entschlossen und kraftvoll, dass er nur von dem hünenhaften Schmied stammen kann. Nerxos quiekt, als Alec die Kontrolle übernimmt und ihn festhält.
“Nein, nein, nein!”
Alecs ganzer Körper spannt sich an. Er mobilisiert seine letzte Kraft und glaubt, die Muskelstränge vor Anstrengung knarzen zu hören. Sein Wille kennt nur ein Ziel: Den Eindringling festzuhalten, damit Golga kurzen Prozess machen kann.
“Dein Tod heißt Golga von Assuan! Kal Corp Zan!”
Die Runen des Bannkreises glimmen auf wie Golgas Tätowierungen. Die Anwesenden blinzeln gegen das grelle Licht. Die pulsierende Energie durchdringt und reinigt seinen Körper. Dabei leuchtet sein Faerzress in einem mystischen Licht. Nerxos stößt einen letzten, zischelnden Schrei aus und verstummt anschließend.
Auf ewig?
Alec schnauft schwer und sein Bauch hebt und senkt sich wie ein Blasebalg. Sein geschundener Körper erhält etwas Kraft zurück, belebt von heilender Magie und verstärkt durch die Geisteskraft der anwesenden Magier. Er lässt sich einen kurzen unachtsamen Moment in den Strudel fallen, der ihn trägt und schützt. Dabei entgeht ihm fast, dass Golga noch einen Zauber wirkt, der für die Anwesenden unbemerkt bleibt. In Alecs Kopf manifestiert sich ein Bild von Golga, im Halbprofil, wie er ihm freundlich und harmlos zulächelt. Zwinkert er etwa? Drei Worte hallen dabei durch seinen Kopf wie aus dem Mund des Magiers.
“Freund und Helfer.” Dieser dreiste Magier.
Da hol ihn doch der Teufel.
“Es ist geschafft”, verkündet Golga. Alec entspannt sich auf die Worte hin. Er blinzelt hinter einem Schleier aus Überlebenskampf und Qual hervor. Cataleya steht über ihm, mit gezücktem Zweihänder und entschlossener Miene. Sie scheidet die Klinge und wirft einen kritischen Blick hinab.
“Magus von Assuan. Ist das mit den Hörnern normal?”, erkundigt sich die Säule des Krieges.
“Nein, ist es nicht. Aber es sind jetzt seine. Sie sind ein Teil von ihm.”
Faerzress und Hörner? Himmel, Arsch und Schwefel. Das sind ja Aussichten.
Welch schöner Ausgang dieser Geschichte. Der Dämon ist vernichtet, der Mensch am Leben, wenn auch gezeichnet. Alec und Golga lebten glücklich, bis ans Ende ihrer ... Moment, Golga? Alec und Sorsha reiten auf einem mitternachtsschwarzen Rappen in den Sonnenuntergang. Es wäre ein schönes Ende, das gleichzeitig den Beginn für etwas Neues markiert.
Aber der Drache ist nicht besiegt. Der Auslöser des Ganzen schwebt noch immer wie ein Damoklesschwert über dem Schmied. Wie wird die Ilharess auf das reagieren, was sie geschaffen hat, obwohl sie vernichten wollte? Wird sie es zu Ende bringen?
Gewalt ist das Werkzeug des Willens, zerstörend und schöpfend zugleich.
Nein, diese Geschichte ist noch nicht beendet. Der "Held" gelangt zurück in die bekannte Welt, nur um erneut den Abstieg zu wagen.
Das Unterreich ruft nach ihm und Alec gehorcht.