Die Suche nach dem Glauben - Bathor Darez

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Bathor Darez
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Re: Die Suche nach dem Glauben - Bathor Darez

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Expedition ins Sumpfland
Aufstiegsquest Jaster - aus der Sicht von Bathor

AKT I

Es war ein schöner, warmer Abend in Solgard. Die letzten Sonnenstrahlen erhellten das Wasser im großen Brunnen am Marktplatz, während Krieger, Magiekundige und Abenteurer sich versammelten, um zur wöchentlichen Dämonenjagd aufzubrechen. Bathor saß auf seinem stattlichen Pferd, den Blick fest auf die Menge gerichtet, und spürte die Vorfreude in der Luft. Um ihn herum summten die Gespräche der Teilnehmer; die Aufregung war greifbar. Diese Jagden waren von einer gewachsenen Tradition geprägt, doch an diesem Abend sollte etwas Außergewöhnliches geschehen.

Plötzlich durchfuhr Bathor eine innere Wärme, die ihn in ihren Bann zog. Es war ein angenehmes Gefühl, ähnlich dem, das er verspürte, wenn seine geliebte Lana an seiner Seite war. Während er diesen Gedanken nachhing, bemerkte er, wie die Menge still wurde. Verwirrte Blicke suchten nach der Quelle dieser plötzlichen Stille. Bathor folgte ihrem Blick und erblickte eine beeindruckende Figur, die aus dem Licht trat. Ein Engel, so schön wie der strahlendste Morgen, dessen blonde Haare im Sonnenlicht schimmerten. Ihr Federkleid war rein und weiß, so unberührt wie der frisch gefallene Schnee.

„Jaster“, sprach der Engel mit einer Stimme, die sowohl sanft als auch mahnend war, „du hast den Weg der Tugenden verlassen. Kehre zu dir selbst und zum Glauben zurück.“ Bathor erstarrte. Sein Herz schlug schneller, als er seinen Bruder Jaster sah, der abseits stand, verloren in seinen Gedanken. Der Engel schien in seinen Augen zu lesen, als ob ihre Worte direkt zu seiner Seele sprachen.

Bathor konnte kaum glauben, was er da sah. Noch nie hatte er einen Engel getroffen, geschweige denn einen, der so direkt mit einem seiner Lieben sprach. Die Schwere der Situation drückte auf sein Herz. Er stieg von seinem Pferd und kniete nieder, das Ankh in seinen Händen fest umschließend. Der Moment war magisch, und dennoch schmerzlich. Ein Teil von ihm wollte die Schönheit und Reinheit dieses Geschehens für immer festhalten, während ein anderer Teil von ihm in Sorge um seinen Bruder zerrissen war.

Die Worte des Engels schwebten weiterhin im Raum, während die Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit zwischen Bathor und Jaster wie Schatten über ihn gingen. Jaster, der einst mit ihm gelacht hatte, der mit entschlossenem Ziel durch die Wälder gezogen war, um Unrecht zu bekämpfen, schien nun eine andere Richtung eingeschlagen zu haben. Bathor hatte es nicht bemerkt – die Anzeichen waren schleichend gewesen, seine Tragödie umso tragischer.

Als der Engel verschwand, wirbelte ein leichter Wind durch die Versammelten. Bathor erhob sich, doch der Zauber dieses Augenblicks blieb in der Luft hängen. Wie ein unerfüllter Schwur nahm er seinen Platz wieder ein, wobei er einen besorgten Blick auf Jaster warf. Waren die Zweifel, die ihn quälten, berechtigt? War sein Bruder wirklich vom rechten Weg abgekommen?

„Krieger! Magiekundige! Lasst uns aufbrechen!“, rief der Anführer der Gruppe, und mit ihm brachen die Kämpfer in fröhliches Gemurmel und Gemurmel des Mutes aus. Doch Bathor bemerkte, dass Jaster in Gedanken versunken blieb, während sie sich auf den Weg machten, um die Dämonen zu jagen. Er dachte über die Worte des Engels nach und was sie für seinen Bruder bedeuteten könnten.

Die Reise führte sie in die tiefen, dunklen Kammern des Turmes, wo die Schatten lebendig wurden und die Dunkelheit flüsterte. Bathor kämpfte tapfer, doch sein Geist war nicht bei der Sache. Immer wieder glitt sein Blick zu Jaster, der wie abwesend seine Klinge schwang, ohne die Freude und den Elan zu zeigen, die er einst besessen hatte. Bathor sah den Schmerz und die Traurigkeit in seinem Bruder, jedoch wusste er nicht, wie er ihm helfen sollte.

Nach Stunden des Kampfes gegen die finsteren Kreaturen, die das Land heimsuchten, fanden sie schließlich am Brunnen wieder.
Bathor schaute an dem Tag ein letztes Mal zu seinem Bruder und er fragte sich selber....
„Jaster, was ist mit dir geschehen? Der Engel… sie hat dich gewarnt.“


 
„Der Schatten in der Oase“
Aufstiegsquest Jaster - aus der Sicht von Bathor

AKT II

Die Sonne stand noch tief über Solgard, als ich das leise Glockenspiel des Rathauses vernahm. Ein weiteres Treffen sollte es werden, so hieß es – ein Austausch darüber, wie wir jenen Banditen, die einst das Schwert gegen die Fischer erhoben hatten, nun Einlass in unser frommes Leben gewähren könnten. Ich war skeptisch, gewiss, aber das Gleichgewicht verlangt nicht nur Strenge, sondern auch Mitgefühl.
 
Wir waren gerade erst eingetroffen, als ein Mann, der mehr Schatten als Mensch zu sein schien, durch die Gassen hetzte. Seine Stimme überschlug sich fast vor Panik:
„Die Oase! Die Menschen… sie sind krank! Sie haben Fieberträume! Bitte, helft uns!“

Mein Blick kreuzte den von Jaster – kühl, entschlossen. Ohne ein Wort folgten wir dem Mann, gemeinsam mit Magiern, Bürgern und weiteren aus dem Orden.
 
Was wir in der Oase vorfanden, erschütterte selbst mein festes Herz: Männer und Frauen lagen matt auf Matten und in den Armen der Ihren, murmelten Worte ohne Sinn, starrten mit leeren Augen in den Himmel. Kinder weinten nicht einmal mehr. Nur das Fieber sprach noch aus ihren kleinen Gesichtern.
 
Ich kniete nieder, legte feuchte Tücher auf heiße Stirnen, betete leise.
„Herr, schenke diesen Seelen Frieden im Geist und Ruhe im Herzen.“

Plötzlich – ein Knall, als habe der Himmel selbst beschlossen, sich zu öffnen.
 
Wir fuhren auf. Die Erde bebte, und Staub stieg auf wie Nebel. Die Höhle, nahe der Oase, war eingestürzt. Jaster und Van de Mork waren dort gewesen... und nun verschüttet. Ich rannte mit anderen zur Unglücksstelle, die Hände blutig vom Räumen des Schutts. Der Schweiß brannte in meinen Augen. Und dann…
 
Die Luft wurde kalt.
Kalt. Inmitten der Wüste.
 
Ich hielt inne. Die Welt um mich verlor ihre Farben. Schatten krochen aus dem Sand, huschten zwischen Palmen, tauchten aus dem Boden auf wie Flüche.
Kreaturen der Dunkelheit.
 
Ich schob zwei fiebernde Kinder hinter einen Brunnen und griff zum Hammer. Kein Gebet mehr – nur mein Herz, mein Wille und das Licht in mir.
„Im Namen des Herrn! Zurück in die Schatten, wo ihr herkommt!“

Wir kämpften. Jeder Schlag hallte in mir wider wie ein Ruf gegen das Vergessen. Ich sah die anderen – Seite an Seite, mutig, entschlossen. Es war, als ob wir selbst das Gleichgewicht gegen die Dunkelheit verteidigten.
 
Dann wurde es still. Zu still.
 
Aus der Tiefe der Höhle drang das Echo von Stahl auf Stahl. Schwerter kreuzten sich, dumpfe Schläge, Schreie wie aus der Seele selbst gerissen. Ich erkannte
Jasters Stimme – nicht in Worten, sondern im Klang seines Kampfes. Kein gewöhnlicher Feind wartete dort unten auf ihn.
 
Ich wusste es – tief in meinem Innersten:
Er kämpfte gegen sich selbst.

Sein Zorn, seine Schuld, seine Zweifel – sie alle hatten Gestalt angenommen. Vielleicht durch dunkle Magie. Vielleicht, weil ein Teil von uns nie wirklich schweigt. Ich konnte ihn nicht sehen. Doch ich fühlte jeden Schnitt, jeden Schrei. Es war, als würden alte Ketten zerreißen.

Und dann – ein Flüstern. So leise wie der Wind, so klar wie das Licht.
„Du hast deine letzte Prüfung bestanden, Großmeister Jaster.“

Ich wusste, es war nicht der Wind.
Ein Engel war bei ihm gewesen.

Als Jaster aus der Höhle trat, das Licht der Oase im Rücken, war da kein Zweifel mehr. Er war nicht nur zurückgekehrt – er war verändert. Nicht härter, nicht zorniger, sondern gereinigt. Die Dunkelheit hatte ihn geprüft. Und er hatte nicht nur überlebt – er hatte gewonnen.
Ich trat zu ihm, legte meine Hand auf seine Schulter.
„Willkommen zurück, Bruder.“
Er sah mich an. Kein Wort musste gesprochen werden. In diesem Blick lag alles – Schmerz, Reue, Gnade… und Stärke.

Ich war stolz.
Nicht nur auf ihn.
Sondern auf das, wofür wir kämpfen.
Für das Licht. Für das Gleichgewicht. Für Solgard.
Bathor Darez
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Re: Die Suche nach dem Glauben - Bathor Darez

Beitrag von Bathor Darez »

„Zwischen den Zeilen der Tugend – im Wandel der Zeiten“
 
Der Raum war still, nur das gleichmäßige Ticken der Sanduhr begleitete Bathors Atem. Die letzten Strahlen der Abendsonne fielen schräg durch das Buntglasfenster seines Studierzimmers, tauchten den Schreibtisch in warmes Gold. Vor ihm lag die heilige Schrift des lichten Herrn, aufgeschlagen an dem Kapitel, das über die Tugenden sprach – nicht in bloßen Worten, sondern in Ruf und Pflicht.
Er hatte sie unzählige Male gelesen. Doch heute… las er sie mit anderen Augen.
Denn er war nicht mehr der gleiche.
Die Ereignisse im Armenviertel hallten noch in ihm nach. Das Dunkel, das über die Oase kroch. Die Krankheit, die Fieberträume, der Kampf gegen die Schatten.
Vorheras, der Zerrspiegel der Arroganz. Und Jaster – Bruder im Geiste – wie er gegen sich selbst kämpfte. Gegen seinen eigenen Zorn.
Und Amarius… wie er mit göttlichem Licht erfüllt zum Hohen Priester aufstieg.
Bathor war Zeuge all dessen gewesen.
 
Und er fragte sich: Was bin ich? Was ist meine Rolle zwischen ihnen?


Rechtschaffenheit 
 
„Handle in der Wahrheit – auch wenn dich Lüge umgibt.“
Bathor erinnerte sich an das erste Treffen mit den Kranken in der Oase. Wie leicht wäre es gewesen, sie abzuweisen – als ehemalige Banditen, Fremde im Glauben. Doch in jedem glühenden Blick eines fiebernden Kindes sah er denselben Schmerz, den auch Bürger Solgards kannten. Er hatte sie behandelt, als seien sie Brüder und Schwestern. Das war Rechtschaffenheit: nicht nur Gesetz, sondern Gerechtigkeit mit Herz.


Tapferkeit

Er spürte wieder den kalten Schweiß auf der Stirn, als die Dunkelheit über sie hereinbrach – mitten in der Wüste. Schattenhafte Gestalten, Kälte in der Luft. Und doch hatte er nicht gezögert, war an die Front gerannt, die Kinder in Sicherheit gebracht.
Doch mehr noch: Tapferkeit war, Jaster zu vertrauen, als dieser in die Höhle ging, um sich seinem inneren Feind zu stellen.
Bathor hatte nicht eingreifen können – er hatte glauben müssen. Still. Stark. Tapferkeit bedeutete manchmal auch: loslassen.


Gerechtigkeit
 
„Nicht das Urteil allein ehrt dich – sondern wie du es sprichst.“
Er hatte gesehen, wie sich selbst Jaster einst fast verlor. Wie der Zorn in ihm wütete, wie sein Griff nach den Tugenden schwankte. Und doch – niemand verurteilte ihn. Weil auch Bathor wusste: Der Kampf gegen das Böse beginnt oft im eigenen Herzen. Und Gerechtigkeit kann nur gedeihen, wenn man das sieht – und verzeiht.


Ehre

Die Ernennung Amarius’ zum Hohen Priester hatte Bathor stolz gemacht – aber auch demütig. Er erinnerte sich an den Moment, als Amarius fast verblutete, als sie seine Wunden versorgten, beteten, weinten. Und nun war dieser Mann der Träger göttlicher Gnade.
Ehre war es, nicht zu beneiden, sondern zu stützen. Ehre war der Schritt zurück – um jemand anderem Raum zum Leuchten zu geben.


Demut

Er sah sich selbst, nach der Schlacht im Armenviertel, wie er vor der Tür des Heilerhauses stand. Schweiß, Staub und Blut klebten an seiner Rüstung. Die Wunden waren tief – nicht nur an Körpern. Auch in Herzen.
Und doch wagte er es kaum, sich einen „Held“ zu nennen. Denn in Wahrheit hatte der Herr gewirkt – durch Engel, durch Glauben, durch andere.
Demut war der Schlüssel, der ihn davor bewahrte, zu vergessen, wem er diente.


Mitgefühl

Die kleinen Dinge. Ein nasses Tuch auf einer Stirn. Ein Gebet für einen Unbekannten. Ein stilles Gespräch mit einem Soldaten, der einen Freund verloren hatte.
Bathor war Paladin, ja. Aber mehr noch war er jemand, der die Seelen sah – nicht nur die Schuld. Jaster hatte einst gesagt: „Du bist das Feuer im Wasser und das Wasser im Feuer.“ Bathor verstand nun, dass Mitgefühl das Wasser war – das auch das wildeste Feuer besänftigen kann.


Opfer

So viele hatten gegeben. Elaine und Pandor, die Schmerzen erlitten. Jaster, der gegen sein Spiegelbild kämpfte.
Doch das größte Opfer war oft unsichtbar.
Es war Bathor selbst, der seine Zweifel verschwieg.
Der seine Sehnsucht nach einem einfachen Leben begrub.
Der sein Leben nicht als sein Eigentum betrachtete – sondern als Werkzeug. Für Solgard. Für den Herrn.


Spiritualität
 
„Sie ist die Summe aller Tugenden – und mehr als jede einzelne.“
In dieser Nacht, mit dem Buch vor sich und den Kerzen fast erloschen, verstand Bathor.
Er war kein Amarius. Kein Jaster. Nicht der Prophet. Nicht der Großmeister.
Er war das Gleichgewicht.
Zwischen Licht und Schatten. Zwischen Urteil und Barmherzigkeit. Zwischen Schwert und Gebet. Zwischen Vergangenheit und Hoffnung.
Und genau dort – zwischen allem – war sein Platz.
Nicht der lauteste. Aber der standhafteste.
Er schlug das Buch zu. Stand auf. Ging zum Fenster. Und blickte über das nächtliche Solgard.
„Herr,“ flüsterte er, „mache mich zu einem Diener, der nicht glänzt – sondern trägt.“
„Lass mich das Gleichgewicht sein, wenn andere straucheln.“
„Lass mich Licht sein – selbst im Zwielicht.“


Und so begann ein neuer Tag für Bathor – lange bevor die Sonne aufging.
Bathor Darez
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Re: Die Suche nach dem Glauben - Bathor Darez

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„Die Feder im Gleichgewicht“

Es war still im Haus von Bathor. Nur das Rauschen des Windes zwischen den Dachziegeln und das leise Knistern der Öllampe begleiteten die späte Stunde. Bathor saß aufrecht an seinem schweren Schreibtisch, der aus hellen, schlichtem Holz bestand. Die Fläche war ordentlich – einige kleine Gläser mit getrockneten Kräutern, zwei aufgeschlagene heilige Schriften, eine Rune der Besinnung aus grünem Glas.
In der Mitte jedoch: ein unbeschriebenes Pergament, noch jung, fast feierlich rein.
 
Er atmete tief durch. Die Feder ruhte in seiner rechten Hand, frisch geschnitten, bereit. In der linken Hand hielt er eine zerknitterte Notiz, auf der nur ein einziger Satz stand, den er sich vor Tagen notiert hatte:
„Lehre, nicht mit dem Hammer – sondern mit der Seele.“

Bathor hatte in den letzten Wochen viel gesehen. Dunkelheit, Verzweiflung, Barmherzigkeit. Der Pfad des Paladins war oft schmerzhaft klar – doch für die jungen Seelen, die zu ihm kamen, war es ein Nebel aus Worten und Regeln. Ihnen fehlten nicht die Gebete, sondern die Bilder.
 
Er erinnerte sich an seine eigene Novizenzeit. Wie schwer es war, Mitgefühl zu fühlen, ohne eine Geschichte zu kennen, in der man es erleben konnte. Und so hatte sich in seinem Geist eine Idee geformt: Eine Fabel, eine Erzählung. Keine Wahrheit im weltlichen Sinn – doch wahr in ihrer Lehre.
 
Er würde sie „Im Schatten geboren – im Lichte gewachsen“ nennen.
Ein einfacher Titel. Fast zu poetisch. Und doch trug er alles in sich, was Bathor vermitteln wollte.
Er setzte die Feder an.
„Es war einmal ein Junge, dessen Magen leerer war als sein Herz.“
„Er stahl – nicht aus Bosheit, sondern aus Angst, dass der morgige Tag zu lang sei.“
„Doch eines Tages begegnete er einem, der nicht strafte, sondern fragte.“

Bathor schrieb nicht hastig. Jeder Satz wurde abgewogen, als sei er ein Gebet. Immer wieder hielt er inne, wärmte sich die Finger an der Tasse mit getrockneter Melisse, und blickte in das Licht der Lampe. Der Junge, den er da beschrieb – Lior, so nannte er ihn – war niemand, den er kannte. Kein Waisenjunge der Stadt. Keine reale Gestalt. Und doch war er wahrhaftig – weil er ein Teil von jedem war, der je auf dem Pfad des Lichtes gestrauchelt war.
„Der Junge war kein Sünder“, murmelte Bathor leise, „er war ein Spiegel.“

Kapitel für Kapitel formte sich die Geschichte: Wie Lior aus Angst handelte, dann staunte, dann lernte. Wie er ein altes Brot teilte. Wie er weinte, als er zum ersten Mal betete. Wie er Fehler machte – und dennoch weiterging.
 
Nach jedem Abschnitt schrieb Bathor eine kleine Randnotiz für die Novizen:
  • „Wie würdest du handeln, wenn keiner dich sieht?“
  • „Ist Mut nur das Erheben des Schwertes – oder auch das Neigen des Hauptes?“
Die Tugenden des Herrn flossen nicht als Überschriften ein, sondern als lebendige Prüfungen im Alltag des fiktiven Lior:
Demut, als er erkannte, dass er nicht besser war als jene, die ihn verhöhnten.
Aufrichtigkeit, als er den Paladin nicht belog, obwohl die Wahrheit schwer war.
Gerechtigkeit, als er einem Dieb half, statt ihn zu schlagen.
Mitgefühl, als er dem Jungen half, anstatt ihn anzuprangern.
 
Und während Bathor schrieb, spürte er, wie auch in ihm etwas ruhiger wurde.
Dies war nicht nur eine Lehrgeschichte. Es war seine Art, zu geben. Nicht in Form von Tränken, Waffen oder Schutz – sondern durch Erkenntnis.
„Ein Paladin mag mit Schild und Schwert kämpfen,“ sprach er leise, „doch wer nicht mit Worten heilen kann, der rettet keinen Glauben.“

Als die letzten Worte geschrieben waren, hatte die Nacht längst der Dämmerung nachgegeben. Bathor rollte das Pergament ein, versiegelte es mit grünem Wachs – das Symbol seines Pfades des Gleichgewichts. Dann stellte er es zu den lehrhaften Schriften in der Truhe unter seinem Altar. Möge eines Tages ein junger Novize es öffnen, lesen – und sich fragen, ob auch in ihm ein kleiner Lior lebt.

Er stand auf, streckte sich. Ein letztes Mal blickte er auf das Fenster, durch das nun Licht fiel – nicht das eines flackernden Dochts, sondern das des kommenden Tages.
„Kein Werk der Feder ist klein, wenn es das Herz bewegt,“ sprach er.
Und so begann für Bathor ein neuer Tag, wie immer: in Stille, im Dienst – im Licht.
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