Die dritte Prüfung – Die Kammer des Feuers
Nach der Kammer des Frostes vergingen einige Tage in Ruhe. Ravielle lebte im Rhythmus des Klosters: morgens half sie beim Holzhacken im Hof, mittags beim Mahlen des Korns, abends hörte sie den Gesängen der Mönche zu. Die einfachen Arbeiten stärkten ihren Körper, die beständige Ruhe ihre Gedanken. Zum ersten Mal seit Caer Morlen fühlte sie so etwas wie Frieden. Doch tief in ihr wusste sie, dass dies nicht von Dauer war.
Eines Nachts erwachte sie von einem beißenden Geruch. Rauch. Als sie die Augen öffnete, sah sie Flammen an den Wänden ihres Zimmers züngeln. Panik schoss durch sie – die Bretter knisterten, das Holz splitterte, und die Luft wurde brennend heiß. Sie wollte zur Tür, doch als sie die Hand ausstreckte, stürzte die Wand in sich zusammen. Kein Fluchtweg blieb.
Stattdessen öffnete sich die brennende Mauer zu einem Gang aus Feuer, der sie in eine neue, noch unheilvollere Kammer führte: die Kammer des Feuers. Hier war kein stilles Gefängnis wie die Nacht, kein frostiges Grab wie der Eisraum zuvor. Hier tobte ein lebendiges Inferno. Flammen leckten an den Steinen, Funken tanzten wie wilde Geister. Später brach der Boden auf, und zähe Ströme aus rotglühender Lava fraßen sich durch die Fugen.
Edzards Stimme drang durch das Donnern der Hitze:
„Feuer ist der Prüfstein aller Dinge. Es vernichtet – oder es läutert. Wenn du es fürchtest, wird es dich verschlingen. Wenn du es annimmst, wird es dich härten. Du musst lernen, nicht nur im Feuer zu überstehen, sondern es in dich zu nehmen.“
Die Hitze raubte Ravielle fast den Verstand. Ihre Kehle war trocken, jeder Atemzug schmerzte. Doch Edzard lehrte sie Techniken, wie sie die Atemzüge flach und ruhig halten konnte, wie sie die Bewegung ihres Körpers der Glut anpasste. Er zeigte ihr, wie man in der Nähe von Lava den Boden liest, um sichere Stellen zu finden, und wie Feuerholz geschichtet werden kann, um aus Flammen Licht und Wärme statt nur Zerstörung zu gewinnen.
Ravielle fiel mehr als einmal an ihre Grenzen. Ihr Kleid war an den Säumen angesengt, ihr Körper erschöpft. Doch auch hier fand sie Rettung in ihrer Musik. Wenn sie spielte, erhoben sich die Töne wie klare Wasserbögen gegen die Glut. Das Feuer tobte weiter, doch es brannte sie nicht mehr nieder – es tanzte mit ihren Melodien, als hätten Flamme und Klang eine gemeinsame Sprache.
Die Tage vergingen in Qualen und in Erkenntnissen. Irgendwann spürte sie, dass das Feuer nicht mehr Feind war, sondern Spiegel: Es spiegelte ihre Wut, ihre Angst, ihre Leidenschaft – und ihr Durchhaltevermögen. Als die Lava versickerte und die Flammen erloschen, stand Ravielle inmitten verkohlter Steine.
Edzards Stimme erklang erneut, ruhig und voller Gewicht:
„Du bist durch die Nacht gegangen. Du hast den Frost gemeistert. Und nun hast du das Feuer in dir erkannt. Von nun an trägst du seine Glut, ohne zu verbrennen.“
Als die Wände wieder zu grauem, kühlem Stein wurden und die Hitze wich, wusste Ravielle, dass sie mehr geworden war, als sie zuvor gewesen war. Nicht nur eine Überlebende – sondern eine, die Nacht, Frost und Feuer in sich trug.
Die vierte Prüfung – Die Kammer der Spiegel
Nach der Glut des Feuers vergingen wieder einige Tage, in denen Ravielle im Klosterleben Kraft sammelte. Sie half in den Gärten, knüpfte Körbe und lauschte den Gesängen der Brüder. Alles wirkte friedlich – fast zu friedlich. Doch sie wusste, dass Edzard sie bald wieder rufen würde.
Und er tat es. Diesmal führte er sie nicht in eine kalte, feuchte Halle oder eine glühende Kammer. Stattdessen brachte er sie in einen hohen, kreisrunden Raum, dessen Wände von oben bis unten mit Spiegeln bedeckt waren. Kein Feuer, kein Frost, keine Finsternis – nur endlose Spiegelungen ihrer selbst.
„Dies ist die schwerste Prüfung,“ sagte Edzard. „Hier wirst du nicht gegen die Elemente kämpfen. Hier wirst du gegen dich selbst bestehen müssen.“
Zuerst war Ravielle verwirrt. Sie sah nur sich selbst, hundertfach, tausendfach. Ihre Gestalt verschmolz mit den Spiegelbildern. Doch bald begann sie, Dinge zu sehen, die nicht stimmten: In einem Spiegel war sie blutüberströmt. In einem anderen stand sie mit brennender Laute. Wieder in einem anderen blickte ihr die junge Ravielle entgegen, die noch lachte und sang – ein Schatten aus längst verlorenen Tagen in Caer Morlen.
Je länger sie sah, desto mehr rissen die Spiegel an ihrem Inneren. Schuld, Angst, verlorene Freude, unausgesprochene Wünsche – alles spiegelte sich zurück. Sie versuchte, die Augen zu schließen, doch ihre Stimmen schrien in ihrem Kopf weiter.
Erst als sie ihre Laute spielte, fand sie Ruhe. Der Klang durchdrang das Wirrwarr, und langsam ordneten sich die Spiegelungen. Die verzerrten Bilder verschwanden, die blutigen Szenen lösten sich auf. Nur sie selbst blieb – so wie sie war, mit allen Wunden und allen Stärken.
Edzards Stimme erklang leise, doch voller Gewicht:
„Du hast die Nacht gehört, den Frost ertragen, das Feuer angenommen. Nun hast du dich selbst erkannt. Dies ist die schwerste Prüfung, Ravielle – denn niemand kann dich so sehr zerstören wie du selbst.“
Als sie die Kammer der Spiegel verließ, fühlte sie sich schwächer als je zuvor – und zugleich stärker. Denn sie wusste nun: Sie konnte sich selbst nicht mehr entkommen, aber auch nicht mehr verleugnen.
Nach der Kammer des Frostes vergingen einige Tage in Ruhe. Ravielle lebte im Rhythmus des Klosters: morgens half sie beim Holzhacken im Hof, mittags beim Mahlen des Korns, abends hörte sie den Gesängen der Mönche zu. Die einfachen Arbeiten stärkten ihren Körper, die beständige Ruhe ihre Gedanken. Zum ersten Mal seit Caer Morlen fühlte sie so etwas wie Frieden. Doch tief in ihr wusste sie, dass dies nicht von Dauer war.
Eines Nachts erwachte sie von einem beißenden Geruch. Rauch. Als sie die Augen öffnete, sah sie Flammen an den Wänden ihres Zimmers züngeln. Panik schoss durch sie – die Bretter knisterten, das Holz splitterte, und die Luft wurde brennend heiß. Sie wollte zur Tür, doch als sie die Hand ausstreckte, stürzte die Wand in sich zusammen. Kein Fluchtweg blieb.
Stattdessen öffnete sich die brennende Mauer zu einem Gang aus Feuer, der sie in eine neue, noch unheilvollere Kammer führte: die Kammer des Feuers. Hier war kein stilles Gefängnis wie die Nacht, kein frostiges Grab wie der Eisraum zuvor. Hier tobte ein lebendiges Inferno. Flammen leckten an den Steinen, Funken tanzten wie wilde Geister. Später brach der Boden auf, und zähe Ströme aus rotglühender Lava fraßen sich durch die Fugen.
Edzards Stimme drang durch das Donnern der Hitze:
„Feuer ist der Prüfstein aller Dinge. Es vernichtet – oder es läutert. Wenn du es fürchtest, wird es dich verschlingen. Wenn du es annimmst, wird es dich härten. Du musst lernen, nicht nur im Feuer zu überstehen, sondern es in dich zu nehmen.“
Die Hitze raubte Ravielle fast den Verstand. Ihre Kehle war trocken, jeder Atemzug schmerzte. Doch Edzard lehrte sie Techniken, wie sie die Atemzüge flach und ruhig halten konnte, wie sie die Bewegung ihres Körpers der Glut anpasste. Er zeigte ihr, wie man in der Nähe von Lava den Boden liest, um sichere Stellen zu finden, und wie Feuerholz geschichtet werden kann, um aus Flammen Licht und Wärme statt nur Zerstörung zu gewinnen.
Ravielle fiel mehr als einmal an ihre Grenzen. Ihr Kleid war an den Säumen angesengt, ihr Körper erschöpft. Doch auch hier fand sie Rettung in ihrer Musik. Wenn sie spielte, erhoben sich die Töne wie klare Wasserbögen gegen die Glut. Das Feuer tobte weiter, doch es brannte sie nicht mehr nieder – es tanzte mit ihren Melodien, als hätten Flamme und Klang eine gemeinsame Sprache.
Die Tage vergingen in Qualen und in Erkenntnissen. Irgendwann spürte sie, dass das Feuer nicht mehr Feind war, sondern Spiegel: Es spiegelte ihre Wut, ihre Angst, ihre Leidenschaft – und ihr Durchhaltevermögen. Als die Lava versickerte und die Flammen erloschen, stand Ravielle inmitten verkohlter Steine.
Edzards Stimme erklang erneut, ruhig und voller Gewicht:
„Du bist durch die Nacht gegangen. Du hast den Frost gemeistert. Und nun hast du das Feuer in dir erkannt. Von nun an trägst du seine Glut, ohne zu verbrennen.“
Als die Wände wieder zu grauem, kühlem Stein wurden und die Hitze wich, wusste Ravielle, dass sie mehr geworden war, als sie zuvor gewesen war. Nicht nur eine Überlebende – sondern eine, die Nacht, Frost und Feuer in sich trug.
Die vierte Prüfung – Die Kammer der Spiegel
Nach der Glut des Feuers vergingen wieder einige Tage, in denen Ravielle im Klosterleben Kraft sammelte. Sie half in den Gärten, knüpfte Körbe und lauschte den Gesängen der Brüder. Alles wirkte friedlich – fast zu friedlich. Doch sie wusste, dass Edzard sie bald wieder rufen würde.
Und er tat es. Diesmal führte er sie nicht in eine kalte, feuchte Halle oder eine glühende Kammer. Stattdessen brachte er sie in einen hohen, kreisrunden Raum, dessen Wände von oben bis unten mit Spiegeln bedeckt waren. Kein Feuer, kein Frost, keine Finsternis – nur endlose Spiegelungen ihrer selbst.
„Dies ist die schwerste Prüfung,“ sagte Edzard. „Hier wirst du nicht gegen die Elemente kämpfen. Hier wirst du gegen dich selbst bestehen müssen.“
Zuerst war Ravielle verwirrt. Sie sah nur sich selbst, hundertfach, tausendfach. Ihre Gestalt verschmolz mit den Spiegelbildern. Doch bald begann sie, Dinge zu sehen, die nicht stimmten: In einem Spiegel war sie blutüberströmt. In einem anderen stand sie mit brennender Laute. Wieder in einem anderen blickte ihr die junge Ravielle entgegen, die noch lachte und sang – ein Schatten aus längst verlorenen Tagen in Caer Morlen.
Je länger sie sah, desto mehr rissen die Spiegel an ihrem Inneren. Schuld, Angst, verlorene Freude, unausgesprochene Wünsche – alles spiegelte sich zurück. Sie versuchte, die Augen zu schließen, doch ihre Stimmen schrien in ihrem Kopf weiter.
Erst als sie ihre Laute spielte, fand sie Ruhe. Der Klang durchdrang das Wirrwarr, und langsam ordneten sich die Spiegelungen. Die verzerrten Bilder verschwanden, die blutigen Szenen lösten sich auf. Nur sie selbst blieb – so wie sie war, mit allen Wunden und allen Stärken.
Edzards Stimme erklang leise, doch voller Gewicht:
„Du hast die Nacht gehört, den Frost ertragen, das Feuer angenommen. Nun hast du dich selbst erkannt. Dies ist die schwerste Prüfung, Ravielle – denn niemand kann dich so sehr zerstören wie du selbst.“
Als sie die Kammer der Spiegel verließ, fühlte sie sich schwächer als je zuvor – und zugleich stärker. Denn sie wusste nun: Sie konnte sich selbst nicht mehr entkommen, aber auch nicht mehr verleugnen.