Schattenherz

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Schattenherz
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Re: Schattenherz

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Die dritte Prüfung – Die Kammer des Feuers


Nach der Kammer des Frostes vergingen einige Tage in Ruhe. Ravielle lebte im Rhythmus des Klosters: morgens half sie beim Holzhacken im Hof, mittags beim Mahlen des Korns, abends hörte sie den Gesängen der Mönche zu. Die einfachen Arbeiten stärkten ihren Körper, die beständige Ruhe ihre Gedanken. Zum ersten Mal seit Caer Morlen fühlte sie so etwas wie Frieden. Doch tief in ihr wusste sie, dass dies nicht von Dauer war.

Eines Nachts erwachte sie von einem beißenden Geruch. Rauch. Als sie die Augen öffnete, sah sie Flammen an den Wänden ihres Zimmers züngeln. Panik schoss durch sie – die Bretter knisterten, das Holz splitterte, und die Luft wurde brennend heiß. Sie wollte zur Tür, doch als sie die Hand ausstreckte, stürzte die Wand in sich zusammen. Kein Fluchtweg blieb.
 Stattdessen öffnete sich die brennende Mauer zu einem Gang aus Feuer, der sie in eine neue, noch unheilvollere Kammer führte: die Kammer des Feuers. Hier war kein stilles Gefängnis wie die Nacht, kein frostiges Grab wie der Eisraum zuvor. Hier tobte ein lebendiges Inferno. Flammen leckten an den Steinen, Funken tanzten wie wilde Geister. Später brach der Boden auf, und zähe Ströme aus rotglühender Lava fraßen sich durch die Fugen.
 Edzards Stimme drang durch das Donnern der Hitze:
„Feuer ist der Prüfstein aller Dinge. Es vernichtet – oder es läutert. Wenn du es fürchtest, wird es dich verschlingen. Wenn du es annimmst, wird es dich härten. Du musst lernen, nicht nur im Feuer zu überstehen, sondern es in dich zu nehmen.“

 Die Hitze raubte Ravielle fast den Verstand. Ihre Kehle war trocken, jeder Atemzug schmerzte. Doch Edzard lehrte sie Techniken, wie sie die Atemzüge flach und ruhig halten konnte, wie sie die Bewegung ihres Körpers der Glut anpasste. Er zeigte ihr, wie man in der Nähe von Lava den Boden liest, um sichere Stellen zu finden, und wie Feuerholz geschichtet werden kann, um aus Flammen Licht und Wärme statt nur Zerstörung zu gewinnen.
 Ravielle fiel mehr als einmal an ihre Grenzen. Ihr Kleid war an den Säumen angesengt, ihr Körper erschöpft. Doch auch hier fand sie Rettung in ihrer Musik. Wenn sie spielte, erhoben sich die Töne wie klare Wasserbögen gegen die Glut. Das Feuer tobte weiter, doch es brannte sie nicht mehr nieder – es tanzte mit ihren Melodien, als hätten Flamme und Klang eine gemeinsame Sprache.
 Die Tage vergingen in Qualen und in Erkenntnissen. Irgendwann spürte sie, dass das Feuer nicht mehr Feind war, sondern Spiegel: Es spiegelte ihre Wut, ihre Angst, ihre Leidenschaft – und ihr Durchhaltevermögen. Als die Lava versickerte und die Flammen erloschen, stand Ravielle inmitten verkohlter Steine.
 Edzards Stimme erklang erneut, ruhig und voller Gewicht:
„Du bist durch die Nacht gegangen. Du hast den Frost gemeistert. Und nun hast du das Feuer in dir erkannt. Von nun an trägst du seine Glut, ohne zu verbrennen.“

 Als die Wände wieder zu grauem, kühlem Stein wurden und die Hitze wich, wusste Ravielle, dass sie mehr geworden war, als sie zuvor gewesen war. Nicht nur eine Überlebende – sondern eine, die Nacht, Frost und Feuer in sich trug.
 
 
  

 
 Die vierte Prüfung – Die Kammer der Spiegel
 
 
 Nach der Glut des Feuers vergingen wieder einige Tage, in denen Ravielle im Klosterleben Kraft sammelte. Sie half in den Gärten, knüpfte Körbe und lauschte den Gesängen der Brüder. Alles wirkte friedlich – fast zu friedlich. Doch sie wusste, dass Edzard sie bald wieder rufen würde.
 Und er tat es. Diesmal führte er sie nicht in eine kalte, feuchte Halle oder eine glühende Kammer. Stattdessen brachte er sie in einen hohen, kreisrunden Raum, dessen Wände von oben bis unten mit Spiegeln bedeckt waren. Kein Feuer, kein Frost, keine Finsternis – nur endlose Spiegelungen ihrer selbst.
 „Dies ist die schwerste Prüfung,“ sagte Edzard. „Hier wirst du nicht gegen die Elemente kämpfen. Hier wirst du gegen dich selbst bestehen müssen.“
 Zuerst war Ravielle verwirrt. Sie sah nur sich selbst, hundertfach, tausendfach. Ihre Gestalt verschmolz mit den Spiegelbildern. Doch bald begann sie, Dinge zu sehen, die nicht stimmten: In einem Spiegel war sie blutüberströmt. In einem anderen stand sie mit brennender Laute. Wieder in einem anderen blickte ihr die junge Ravielle entgegen, die noch lachte und sang – ein Schatten aus längst verlorenen Tagen in Caer Morlen.
 Je länger sie sah, desto mehr rissen die Spiegel an ihrem Inneren. Schuld, Angst, verlorene Freude, unausgesprochene Wünsche – alles spiegelte sich zurück. Sie versuchte, die Augen zu schließen, doch ihre Stimmen schrien in ihrem Kopf weiter.
 Erst als sie ihre Laute spielte, fand sie Ruhe. Der Klang durchdrang das Wirrwarr, und langsam ordneten sich die Spiegelungen. Die verzerrten Bilder verschwanden, die blutigen Szenen lösten sich auf. Nur sie selbst blieb – so wie sie war, mit allen Wunden und allen Stärken.
 Edzards Stimme erklang leise, doch voller Gewicht:
„Du hast die Nacht gehört, den Frost ertragen, das Feuer angenommen. Nun hast du dich selbst erkannt. Dies ist die schwerste Prüfung, Ravielle – denn niemand kann dich so sehr zerstören wie du selbst.“

 Als sie die Kammer der Spiegel verließ, fühlte sie sich schwächer als je zuvor – und zugleich stärker. Denn sie wusste nun: Sie konnte sich selbst nicht mehr entkommen, aber auch nicht mehr verleugnen.
Schattenherz
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Re: Schattenherz

Beitrag von Schattenherz »

Tagebuch – Die Kammer des Feuers
 
 
 
„Nach der Kälte kamen Tage der Ruhe. Ich half den Mönchen im Kloster, trug Wasser, mahlte Korn, sammelte Holz. Es war einfaches Werk, und doch heilte es meinen Körper und meinen Geist. Ich fühlte fast, als könnte ich hier bleiben. Doch in mir wusste ich, dass die nächste Prüfung kommen würde.
 
Letzte Nacht kam sie – nicht durch eine Tür, sondern in Flammen. Ich erwachte im Rauch, die Wände meines Zimmers brannten. Ich suchte den Ausweg, doch die Wände selbst gaben nach, und durch ihr Niederbrennen öffnete sich der Weg in die Kammer des Feuers.
 
Hitze, so unerträglich, dass jeder Atemzug mein Innerstes verbrannte. Flammen leckten an Stein und Boden, später brach Lava hervor wie ein zorniger Strom. Ich wollte fliehen, doch Edzards Stimme hielt mich: ‚Feuer vernichtet – oder läutert. Es wird dich verschlingen, wenn du es fürchtest. Doch wenn du es annimmst, wird es dich stärken.‘
 
Ich kämpfte gegen die Glut, gegen die Trockenheit in meiner Kehle. Er lehrte mich, Atem und Bewegung dem Feuer anzupassen, den Boden zu lesen, sichere Wege zu finden. Doch selbst mit seinem Rat fühlte ich mich oft am Ende meiner Kräfte. Meine Kleider brannten an den Rändern, mein Körper zitterte vor Erschöpfung.
 
Da griff ich zur Laute. Jeder Ton war wie Wasser in der Dürre, und das Feuer schien zu lauschen. Es wich nicht – doch es tanzte, als wollte es mitspielen. Ich spielte, bis meine Finger wund waren, und fand in der Musik einen Weg, das Feuer zu ertragen.
 
Am Ende stand ich zwischen verkohlten Steinen, und Edzard sprach: ‚Nun trägst du die Glut, ohne zu verbrennen.‘
 
Ich verlasse die Kammer gezeichnet, doch ungebrochen. Nacht, Frost und Feuer – sie sind Teil von mir geworden. Und doch frage ich mich: Welche Prüfung wartet als Nächstes?“
 
 
 
Tagebuch – Die Kammer der Spiegel
 
 
 
„Nach dem Feuer kamen wieder Tage der Ruhe. Ich half im Garten, flocht Körbe, lauschte den Gesängen der Brüder. Alles schien friedlich, fast zu friedlich. Doch in mir wartete schon die Ahnung, dass die nächste Prüfung kommen würde.
 
Heute führte Edzard mich in einen runden Saal, dessen Wände vollständig aus Spiegeln bestanden. Kein Frost, keine Flammen, keine Dunkelheit – nur endlose Bilder meiner selbst.
 
Zuerst war ich verwirrt. Ich sah mich tausendfach gespiegelt. Doch bald begann der Schrecken: In einem Spiegel war ich voller Blut, in einem anderen verbrannte meine Laute. Und dann sah ich das Mädchen, das ich einst gewesen war – lachend, sorglos, bevor Caer Morlen in Asche fiel.
 
Die Spiegel zeigten nicht nur mein Gesicht, sie zeigten meine Schuld, meine Angst, mein verlorenes Glück. Ich wollte die Augen schließen, aber ihre Stimmen hallten weiter in mir, schrien lauter als die Flammen in der Kammer des Feuers.
 
Erst als ich zur Laute griff, fand ich Halt. Die Töne durchbrachen das Chaos. Mit jedem Lied ordneten sich die Spiegel, die Fratzen verblassten, die Wunden verschwanden. Am Ende blieb nur ich zurück – mit all meinen Schwächen, meinen Narben, aber auch mit meiner Stärke.
 
Edzard sprach: ‚Dies ist die schwerste Prüfung. Niemand kann dich so sehr zerstören wie du selbst.‘
 
Ich habe mich gesehen. Nicht nur, wie ich war – sondern wie ich bin. Es war schwerer zu ertragen als Frost oder Feuer. Doch nun weiß ich: Ich kann mir selbst nicht entkommen, und vielleicht muss ich das auch nicht.“
Schattenherz
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Re: Schattenherz

Beitrag von Schattenherz »

Die fünfte Prüfung – Die Kammer der Stimmen
 
 
Nach der Kammer der Spiegel gönnte Edzard Ravielle länger Ruhe. Eine Woche lang arbeitete sie Seite an Seite mit den Mönchen: sie flickte Netze, bereitete Mahlzeiten, schrieb Liedzeilen für die abendlichen Gesänge. Es war eine stille, heilsame Zeit, doch in ihrem Innern brannte die Frage, wann die nächste Prüfung kommen würde.
 
Eines Abends brachte Edzard sie nicht in eine Kammer, sondern in die große Halle des Klosters, die sie bisher nur aus der Ferne gesehen hatte. Der Raum war gewaltig, von Säulen getragen, und sein Dach verlor sich in Dunkelheit. Dort erklang es: Stimmen. Zuerst leise, wie ein fernes Raunen, dann lauter, wie ein Chor, der aus den Mauern selbst zu kommen schien.
 
„Dies ist die Kammer der Stimmen,“ sagte Edzard. „Sie werden dich rufen, locken, verführen. Manche klingen süß, andere schrecklich. Sie alle sind Teile der Welt – und Teile von dir. Deine Prüfung ist es, die wahre Stimme zu finden: die deine.“
 
Ravielle lauschte. Die Stimmen wurden lauter, vielstimmiger. Einige flüsterten ihr Versprechungen zu: Ruhe, Vergessen, endlose Freude. Andere schrien sie an, voller Zorn und Hass, riefen sie bei Namen, die niemand mehr kennen konnte. Wieder andere sangen Lieder, so schön, dass sie ihr Herz brechen wollten.
 
Bald verlor sie das Gefühl, wer sie war. Ihr Herz raste, ihre Hände zitterten. Doch dann griff sie nach der Laute. Mit bebenden Fingern schlug sie die Saiten an – zuerst unsicher, dann fester, bis ihre Melodie den Chor der fremden Stimmen durchschnitt.
 
Einige der Stimmen verstummten sofort, andere wurden leiser, und wieder andere antworteten, indem sie ihre Töne aufnahmen und weitertrugen. Ravielle spielte weiter, sang schließlich selbst, leise, aber mit aller Kraft, die ihr blieb.
 
Da geschah es: Aus all den Stimmen schälte sich eine einzige heraus. Eine, die nicht gegen sie sprach, nicht lockte, nicht schrie. Es war ihre eigene Stimme – klar, schlicht, wahr. Sie war nicht so mächtig wie die Chöre, nicht so süß wie die Lieder. Doch sie war echt.
 
Als sie endete, herrschte Stille. Edzards Stimme erklang aus den Schatten:
„Du hast dich in der Nacht gehalten, dem Frost getrotzt, das Feuer angenommen, die Spiegel überstanden. Nun hast du deine eigene Stimme gefunden. Das ist der Kern deiner Kraft – mehr als Dunkelheit, Kälte oder Glut.“
 
Ravielle stand allein in der Halle, ihre Laute in den Armen. Sie wusste nun, dass ihre Musik nicht nur Waffe oder Trost war – sondern Wahrheit.

Die sechste Prüfung - der Götter ehren?
 
 
Nach der Halle der Stimmen vergingen mehrere Tage, in denen Ravielle das Klosterleben wieder in ruhigen Bahnen erlebte. Sie sang bei den abendlichen Messen, half den Novizen beim Sortieren der alten Schriften und lauschte manch stiller Legende, die in den Hallen weitergetragen wurde. Alles wirkte friedlicher als zuvor, doch in dieser Ruhe schwelte eine Erwartung – Edzard würde sie bald wieder prüfen.
 
Und so kam es. Eines Abends führte er sie nicht in eine Kammer aus Stein oder Feuer, sondern in die Bibliothek des Klosters – einen gewaltigen Raum, erfüllt vom Geruch alten Pergaments und Wachslichts. Dort entrollte er eine Reihe vergilbter Schriften und begann zu sprechen.
 
„Dies ist keine Prüfung der Sinne, Ravielle,“ sagte er. „Dies ist eine Prüfung des Verstandes und deines Herzens. Höre die Geschichten der Götter.“
 
Er erzählte von der lichten Gottheit, die Hoffnung und Schutz versprach, deren Priester den Menschen Nahrung und Trost gaben – aber auch Gehorsam forderten, blind und ohne Fragen.
Dann sprach er von der dunklen Gottheit, die Macht und Geheimnisse versprach, deren Jünger Wissen und Stärke gaben – aber auch Verderben und Gier säten.
 
Beide Mächte, so erklärte Edzard, lockten die Menschen mit Versprechungen. Licht mit seiner Wärme, Dunkelheit mit seiner Tiefe. Und doch waren beide gleichermaßen Ketten, in die sich die einfachen Leute aus Angst oder Sehnsucht legten.
 
Ravielle hörte schweigend, das Herz schwer. „Aber sind die Götter nicht die Zuflucht der Schwachen?“ fragte sie.
 
Edzard nickte. „Ja. Für jene, die das einfache Leben führen, die den Pflug lenken, den Herd hüten, das Kind in den Armen wiegen – für sie sind die Götter ein Halt. Doch für dich, Ravielle, darf das nicht genügen. Halt muss aus dir selbst kommen. Du hast die Nacht überstanden, den Frost gemeistert, das Feuer gezähmt, dich im Spiegel ertragen und deine Stimme gefunden. All dies sind Schritte auf dem Weg, unabhängig zu werden – nicht von den Göttern, sondern von dir selbst.“
 
In diesem Moment sah Ravielle die Prüfung klar. Es war keine Halle, kein Element, kein Kampf. Es war die Erkenntnis, dass die Götter ihr weder Weg noch Ziel geben konnten. Sie musste selbst der Grund ihres Stehens sein.
 
Edzards Worte hallten in ihr nach:
„Die Götter sind nicht dein Feind. Aber sie sind auch nicht dein Halt. Sie gehören den Menschen, die sie brauchen. Dein Halt aber bist du – und das, was du aus deinen Prüfungen gemacht hast.“
 
Ravielle verließ die Bibliothek in tiefer Stille. Zum ersten Mal fühlte sie keine Furcht, keine Erschöpfung. Sie fühlte Klarheit.
Schattenherz
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Re: Schattenherz

Beitrag von Schattenherz »

Tagebuch – Die Kammer der Stimmen
 
 
 
„Nach den Spiegeln durfte ich eine ganze Woche rasten. Ich arbeitete mit den Mönchen, flickte Netze, mahlte Korn, schrieb Zeilen für die abendlichen Gesänge. Es tat gut, wieder im einfachen Werk zu versinken. Doch in mir brannte die Gewissheit: Die nächste Prüfung würde kommen.
 
Heute Abend führte Edzard mich in die große Halle, die ich bisher nur aus der Ferne gesehen hatte. Kaum betrat ich sie, hörte ich sie: Stimmen. Erst leise wie Wind, dann lauter, bis sie wie ein ganzer Chor die Wände erfüllten.
 
Sie flüsterten mir Ruhe und Vergessen zu, schrien mich an mit Zorn und Hass, sangen Lieder, so schön, dass mein Herz daran zerbrechen wollte. Ich verlor mich beinahe darin. Wer war ich? Wer sprach zu mir? Ich wusste es nicht mehr.
 
Da griff ich zur Laute. Zitternd zuerst, dann fester. Meine Melodie schnitt durch das Stimmengewirr, und manche verstummten, andere antworteten. Schließlich sang ich selbst, leise, mit aller Kraft.
 
Und da war sie – eine Stimme, die aus allen anderen heraustrat. Nicht lockend, nicht drohend, nicht süß. Nur echt. Meine eigene.
 
Als alles schwieg, sprach Edzard: ‚Du hast deine Stimme gefunden. Das ist der Kern deiner Kraft.‘
 
Ich weiß nun, dass meine Musik nicht nur Trost ist und nicht nur Waffe. Sie ist Wahrheit. Und solange ich sie habe, werde ich mich nicht verlieren.“



Tagebuch – Die Prüfung der Götter
 
 
 
„Seit der Halle der Stimmen sind einige Tage vergangen. Ich sang mit den Brüdern, half in der Bibliothek, ordnete alte Schriften. Alles wirkte friedlich, fast vertraut. Doch in mir wusste ich, dass Edzard mich wieder prüfen würde.
 
Heute führte er mich in die Bibliothek. Keine Kälte, kein Feuer, keine Spiegel. Nur Bücher, Pergamente, Kerzenlicht. Dort sprach er von den Göttern. Von der lichten, die Schutz verspricht, doch blinden Gehorsam verlangt. Von der dunklen, die Wissen und Stärke verheißt, doch Verderben mit sich bringt.
 
Ich hörte zu, und mein Herz wurde schwer. Sind die Götter nicht Zuflucht für die Schwachen? fragte ich.
 
Edzard nickte. ‚Ja, für die, die den Pflug führen, den Herd hüten, Kinder in den Armen wiegen. Sie brauchen die Götter. Aber du, Ravielle, darfst dich nicht an sie klammern. Dein Halt muss aus dir selbst kommen. Nacht, Frost, Feuer, Spiegel, Stimmen – all dies hat dich vorbereitet.‘
 
Ich spürte, dass dies die Prüfung war: zu verstehen, dass weder Licht noch Dunkel mir meinen Weg geben werden. Ich selbst muss ihn gehen.
 
Edzard sprach am Ende: ‚Die Götter sind nicht dein Feind. Doch sie sind auch nicht dein Halt. Dein Halt bist du.‘
 
Ich verließ die Bibliothek in Stille – und zum ersten Mal ohne Furcht. Was ich fühlte, war Klarheit.“
Schattenherz
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Re: Schattenherz

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Die Letzte Prüfung – Die Prüfung der Wahl
 
 
 
Die Monate nach der Prüfung der Götter waren von Schweiß und Schmerz geprägt. Ravielle lernte, den Bogen nicht nur als Instrument der Jagd, sondern als Waffe der Präzision zu führen. Die Klinge, die einst schwer und fremd in ihrer Hand gelegen hatte, wurde zu einer Verlängerung ihres Willens. Jeden Morgen übte sie mit den Mönchen im Hof, rannte Runden um die Mauern, lernte Fallen zu stellen, sich lautlos zu bewegen, zuzuschlagen und zu überleben. Zwei Monde lang stand das Kämpfen im Mittelpunkt – eine Prüfung der Ausdauer, des Körpers, der Entschlossenheit.
 
Und dann kam der Tag, an dem das Kloster erschüttert wurde. Hörner heulten im Tal, die Glocken der Türme dröhnten. Aus den Nebeln stiegen sie hervor – die Schwarzen Männer, dieselben, die einst Caer Morlen in Flammen legten und Ravielle alles genommen hatten.
 
Ravielle spürte, wie ihr Blut gefror. Panik wollte sie packen – doch da erinnerte sie sich an die Dunkelheit der Kammer der Nacht, an die Kälte des Frostes, an die Glut des Feuers, an die Stimmen, die sie in den Wahnsinn treiben wollten, und an die lichten wie dunklen Götter, die sie zu verführen versuchten. Nein. Sie war nicht mehr das Mädchen von damals.
 
Das Kloster erhob sich zur Festung. Fallgatter donnerten nieder, Bogenschützen auf den Zinnen spannten Sehnen, verborgene Tore öffneten sich, und aus ihnen brachen Mönche hervor – jeder von ihnen ein Krieger, still, diszipliniert, gnadenlos. Die Schlacht wütete bis in die Nacht. Schreie hallten zwischen den Mauern wider, Stahl traf auf Stahl, und das Dröhnen der Belagerung brach an den uralten Steinen wie Wellen am Felsen.
 
Doch diesmal waren es nicht die Bewohner, die verbrannten. Die Schwarzen Männer fielen einer nach dem anderen, ihr Zorn und ihre Brutalität reichten nicht gegen die Jahrhunderte der Vorbereitung, die in diesen Mauern schlummerten. Als die Sonne über den zerfurchten Hof stieg, lagen sie erschlagen zwischen den Steinen.
 
Nur einer kniete am Boden, gefesselt, blutverschmiert, aber am Leben. Der Anführer. Seine Augen flackerten wild, voller Hass und doch von Furcht durchzogen. Edzard stand neben ihm, die Hand fest an seiner Schulter, und wandte sich zu Ravielle.
 
„Dies ist deine letzte Prüfung,“ sagte er mit ruhiger Stimme. „Nicht Nacht, nicht Frost, nicht Feuer. Keine Spiegel, keine Stimmen, keine Götter. Nur du. Du und deine Wahl.“
 
Ravielle spürte, wie ihre Hände zitterten. Vor ihr kniete der Mann, der ihr Heim niedergebrannt, ihre Familie erschlagen, ihre Kindheit geraubt hatte. Alles in ihr schrie nach Vergeltung. Doch ebenso hallten die Worte der Prüfungen nach:
Die Nacht hatte sie gelehrt, dass Furcht vergeht.
Der Frost, dass Ausdauer Wärme schenkt.
Das Feuer, dass Zorn gezähmt werden muss.
Die Stimmen, dass ihre eigene Melodie stärker ist.
Die Götter, dass sie sich selbst vertrauen muss.
 
Und jetzt? Sollte sie richten – oder vergeben?
 
Edzard schwieg. Die Mönche sahen sie an, doch keiner wagte, das Urteil zu fällen.
 
Ravielle atmete tief. Dann griff sie nach ihrer Laute. Mit zitternden Fingern spielte sie ein einfaches Lied – das Lied, das sie einst für die Verstorbenen von Caer Morlen gesungen hatte. Die Töne schwebten durch den Hof, leise, eindringlich, voller Trauer und voller Kraft.
 
Als das letzte Echo verklang, erhob sie den Blick.
 
„Ich bin nicht wie ihr,“ sagte sie leise, an den Gefangenen gewandt. „Euer Schicksal ist nicht, in meiner Hand zu enden. Doch eure Taten werden euch einholen.“
 
Sie wandte sich ab – und Edzard nickte nur, als hätte er genau diese Antwort erwartet.
 
Die Schwarzen Männer waren besiegt. Und Ravielle hatte nicht nur überlebt. Sie hatte sich selbst gefunden.

Tagebuch – Die Prüfung der Wahl
 
 
 
„Zwei Monde lang lag mein Leben im Schwert, im Bogen, im Schweiß. Jeder Tag begann mit Übungen, jeder Abend endete in Erschöpfung. Ich dachte, das sei die Prüfung – und doch kam die wahre erst, als die Hörner der Schwarzen Männer im Tal erklangen.
 
Sie kamen wie damals in Caer Morlen – mit Feuer, mit Hass, mit rohem Blutdurst. Aber diesmal trafen sie auf Mauern, die nicht fallen, und auf Mönche, die nicht nur beten, sondern kämpfen. Der Hof des Klosters wurde zum Schlachtfeld. Schreie, Stahl, Blut – und ich mittendrin, mit Pfeil und Klinge. Ich fiel nicht, ich stand.
 
Am Ende blieben sie tot im Staub, bis auf den einen – ihren Anführer. Gefesselt, besiegt, kniend im Hof. Edzard stellte ihn vor mich. ‚Dies ist deine Prüfung, Ravielle. Deine Wahl.‘
 
Mein Herz bebte. Vor mir kniete der, der meine Heimat verbrannte, der meine Familie nahm. Alles in mir wollte sein Ende. Doch ich erinnerte mich: an die Nacht, an den Frost, an das Feuer, an die Stimmen, an die Götter. Alle hatten mir gezeigt, dass meine Kraft nicht aus Rache, sondern aus mir selbst wächst.
 
Also spielte ich. Mein Lied von Caer Morlen, meine Klage, meine Erinnerung. Die Töne trugen meinen Zorn davon und ließen nur Klarheit zurück.
 
‚Ich bin nicht wie ihr‘, sprach ich zu ihm. ‚Euer Schicksal ist nicht mein Schwert. Aber eure Schuld wird euch finden.‘
 
Edzard schwieg, doch in seinem Blick lag Zustimmung. Und ich wusste: Ich habe die letzte Prüfung bestanden.“
Schattenherz
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Re: Schattenherz

Beitrag von Schattenherz »

Die Weihe der Schattenherz
 
 
 
Wochen vergingen nach der blutigen Schlacht. Die Mauern des Klosters trugen noch die Narben des Angriffs – eingerissene Steine, Brandspuren, das Echo von Tod in den Fluren. Ravielle arbeitete Seite an Seite mit den Mönchen, die nun nicht mehr nur Brüder im Glauben, sondern Brüder im Kampf waren.
 
Gemeinsam trugen sie die Leichen der Gefallenen hinaus, legten Scheiterhaufen an und ließen die Flammen die Schrecken reinigen. Sie scheuerten Blutflecken von den Steinen, flickten Mauern, setzten Dachziegel neu. Jede Arbeit war schwer, doch Ravielle spürte, wie ihre Hände fest wurden, ihr Herz ruhiger, ihre Seele klarer. Das Kloster erstand wieder aus dem Blut – und mit ihm auch sie selbst.
 
Eines Abends, als der Hof wieder still und sauber war, bat Edzard sie, ihm in die große Messehalle zu folgen. Ravielle öffnete die hohen Türen – und blieb stehen. Hunderte Mönche standen in Stille, Kerzen erhellten die Hallen, Rauch von Räucherwerk zog durch die Luft. Alle Augen waren auf sie gerichtet.
 
Edzard führte sie zum Altar, und dort begann die Zeremonie. Mit Stimmen wie Donner riefen die Mönche uralte Worte, die Ravielle nicht verstand, doch die ihr Herz erzittern ließen. Edzard sprach:
 
„Ravielle, du hast die Prüfungen gemeistert – Nacht, Frost, Feuer, Spiegel, Stimmen, Götter, Wahl. Du bist nicht mehr Gast. Du bist nun Schwester unseres Bundes, Tochter der Weltenschlange.“
 
Ein Mönch brachte ein Kettchen hervor – ein Amulett in Form eines rußschwarzen Herzens. Es wurde ihr umgelegt, kühl und schwer auf der Brust. Dann traten weitere Brüder heran, und Ravielle spürte die Nadeln und die Tinte: eine gewaltige Drachenschlange, schwarz wie Kohle, breitete seine Schwingen über ihren rechten Oberarm und die Hälfte ihres Oberkörpers. Schmerz brannte sich ein, doch er war süß – ein Zeichen, das sie nie mehr verlieren würde.
 
Wochen verbrachte Ravielle danach im Kloster, nicht mehr als Prüfling, sondern als Schwester. Sie lernte von der Weltenschlange, von ihrem Streben nach Perfektion – in Geist, Körper und Können. Alles, was sie erduldet hatte, erschien ihr nun nicht mehr wie willkürliche Qual, sondern wie Teile eines Weges. Jede Prüfung war ein Schritt hin zu Vollkommenheit, so wie die Schlange sich selbst in den Schwanz beißt und unendlich erneuert.
 
Doch so wie die Schlange sich bewegt, so durfte auch sie nicht verharren. Eines Morgens trat Edzard zu ihr.
 
„Du bist bereit. Die Mauern des Klosters haben dich geformt – nun muss die Welt dich prüfen. Du bist Ravielle Schattenherz, Tochter der Weltenschlange im Verborgenen. Für die Menschen bist du eine Barde, eine Wanderin, eine, die singt und heilt und kämpft. Doch wir wissen: Du bist mehr.“
 
Mit dem schwarzen Herz um den Hals und dem Drachen auf der Haut verließ Ravielle die Tore. Im Herzen eine Geheimbündlerin der Weltenschlange – doch für alle anderen einfach nur:
 
 
Ravielle Schattenherz
Schattenherz
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Re: Schattenherz

Beitrag von Schattenherz »

Die Reise ins Weite
 
Die Tore des Klosters schlossen sich lautlos hinter ihr, und mit jedem Schritt auf dem steinigen Pfad fühlte Ravielle das Gewicht der vergangenen Monate leichter werden – und gleichzeitig schwerer. Sie trug nur wenig bei sich: einen schlichten Beutel mit Proviant, ihre treue Laute, Bogen und Klinge. Mehr brauchte sie nicht. Der Rest war in ihr gebrannt: die Prüfungen, die Narben, die Musik.
 
Die ersten Tage wanderten ihre Schritte durch Wälder, deren Bäume wie stille Zeugen über ihr wachten. Dort traf sie auf eine Gruppe von Zwergen, die in den Hängen nach Erzen suchten. Sie bot ihre Hilfe beim Schleppen schwerer Lasten an – und am Abend saßen sie um ein Feuer, tranken ein dunkles Bier und lachten über Geschichten, die sie kaum verstand, die aber doch Wärme in ihr Herz legten. Einer von ihnen, ein alter Bartträger namens Bóric, schenkte ihr eine einfache Brosche aus gehämmertem Kupfer: „Damit du dich erinnerst, dass wir dich zu unseren Freunden zählen.“
 
Wenige Wochen später begegnete sie einem Elfenvolk, das in einem stillen Hain unter gewaltigen Silberbuchen lebte. Dort lernte sie einen jungen Waldläufer kennen, Letharion, der sie zwei Tage begleitete. Seine Art war ernst, aber wenn er über die Sterne sprach, funkelten seine Augen wie das Firmament selbst. Sie übte mit ihm Bogenkunst, und auch wenn seine Schüsse weiter und präziser flogen, so merkte sie, wie ihre eigene Kraft gewachsen war.
 
So vergingen Wochen, vielleicht Monde, bis Ravielle in eine Stadt kam, größer als alles, was sie bisher gesehen hatte. Menschen, Händler, Schreie, Gerüche von Fleisch, Brot und Pferden – der Trubel schien nie zu enden. In den Straßen tobte das Leben, und in den Tavernen wurde gelacht, gestritten und gesungen.
 
Dort, in einer dieser Tavernen, hörte sie plötzlich eine Stimme. Ein helles, klangvolles Lachen. Als sie sich umwandte, blieb ihr Herz einen Moment stehen: Aleya. Mit ihrem schimmernden weißen Haar und der ungebrochen fröhlichen Art, als wäre kein Schatten in der Welt je über sie gefallen.
 
Die Wiedersehensfreude war groß, beinahe ungläubig. Zwei Tage verbrachten sie gemeinsam, erkundeten Märkte, kosteten fremde Speisen, lauschten den Musikanten und verloren sich in langen Gesprächen über all das, was seit Caer Morlen geschehen war. Für Ravielle war es, als hätte sie für kurze Zeit die Last der Welt abgelegt.
 
Am zweiten Abend betraten beide die Bühne der Taverne. Harfe und Laute, Gesang und Lachen – die Menschen verstummten, lauschten, und als sie geendet hatten, hallte tosender Beifall durch den Saal. Ravielle fühlte, dass dieser Augenblick sich in ihre Seele brannte.
 
Am nächsten Morgen trennten sich ihre Wege wieder. Ein letztes Lächeln, ein fester Händedruck, ein Blick, der mehr sagte als tausend Worte. Aleya zog nach Westen, Ravielle weiter gen Süden.
 
Auf der Reise durch neue Länder – über Hügel, durch Sümpfe, an hohen Bergen vorbei – schrieb sie ein Lied für Aleya. Es war ein Lied über Freundschaft, Licht im Dunkel und den Trost, den nur eine einzige Seele geben kann. Sie sang es in den Nächten, wenn die Sterne einsam über ihr wachten.
 
"Lied für Aleya
 
Im Schatten der Wälder, im Glanz der Stadt,
ein Lächeln, das mir den Morgen erwacht.
Dein Haar wie der Schnee, dein Herz so klar,
mein Lied trägt dein Echo, wo immer ich war.
 
Die Sterne erzählen von Freundschaft im Wind,
zwei Stimmen vereint, die Schwestern uns sind.
Und wenn wir auch wandern auf fernem Pfad,
so bleibt uns ein Band, das kein Schicksal zertrat.
 
Im Lachen dein Licht, im Gesang dein Glanz,
ein Reigen der Freude, ein ewiger Tanz.
Aleya, mein Trost, mein hellstes Lied,
wo Dunkelheit wohnt, dein Strahlen mich zieht."
 
Und so führte ihr Weg sie schließlich an die Küste. Die Straßen wurden breiter, die Luft schwerer vom Geruch nach Salz und Teer. Bald lag sie vor ihr: eine große Hafenstadt, voller Segel, Masten, Schreie der Händler und Möwen, die kreischend im Wind kreisten. Ravielle wusste: Hier beginnt ein neues Kapitel.

 
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