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"In grauer Finsternis stand ich verlassen,
Bewegungslos und schauernden Gebeins;
Ich fühlte kalt und mein schlagend Herz erfassen,
Und ein entsetzlich Auge sank in meins.
Ich floh nicht mehr; ich fesselte das Grauen
Und fasste mühsam meines Auges Kraft;
Dann überkam vorahnend mich Vertrauen
Zu dem, der meine Sinne hielt in Haft."
Theodor Storm
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Vollendetes Werk
Schwer lag der Gestank von Blut und Verwesung im Keller der Magieakademie zu Surom. Ein Haufen von Kadavern gefallener Harpien, teilweise gestapelt auf einer Schubkarre, teilweise hinuntergerutscht und auf den Bpden liegen. Die einstigen stolzen Schwingen wie zerfetzte Banner, das Gefieder stumpf und trostlos, die Augen kaum mehr als milchig trübe Spielmurmeln. Über allem lag das monotone Summen der Fliegen und die trügerische Kälte des beginnenden Abends.
Die Schwarzhaarige trat mit langsamen Schritten an diesen Haufen heran, sie hätte diesen Moment lieber für sich allein gehabt, fern von neugierigen Blicken und doch versuchte sie eine selbstbewusste äußere Erscheinung aufrechtzuerhalten. Unter der Fassade ruhiger Kontrolle nagte jedoch eine nervöse Spannung an ihr, genährt von dem ständigen, stichelnden Schnattern der Elster in ihrem Inneren. Jede Silbe des Spottes schnitt tief, rief Zweifel und Selbstvorwürfe hervor, doch Aastha zwang ihre Miene zur Ruhe. Kein Zittern, kein Zögern durfte sichtbar sein, nicht vor den anderen. Entschlossen, jeglichen Makel zu vermeiden, hielt sie an dieser äußerlichen Kälte fest, bis sie selbst begann, sie zu glauben.
Ohne Zögern griff sie nach den Beinen einer der Harpien und begann, den schweren, starr gewordenen Körper von den anderen fortzuziehen. Das Geräusch des schleifenden Fleisches über Stein schnitt durch die Stille. Mühsam, aber unbeirrbar, schaffte sie es, den Kadaver zu separieren. Dann ließ sie ihn mit einem dumpfen Schlag fallen und schnaufte.
Hinter ihr erklang Katherines ruhige Stimme, die sich an die anderen Anwesenden gewandt hatte - ein Hintergrundflüstern für die Nekromantin, die sich versuchte zu konzentrieren.
»Aastha wird nun zuerst ein Ritual vorführen. Ein Ritual zur Erschaffung eines nekromantischen Dieners.«
Die Finger der Schwarzhaarigen tasteten bereits nach der Flasche in ihrer Tasche. Der Korken löste sich mit einem trockenen Knacken, und der metallische Geruch von Blut breitete sich aus. Mit sicherer Hand goss sie die rote Flüssigkeit in einem gleichmäßigen, formschönen Kreis um den toten Leib. Tropfen glitzerten im Licht der Fackeln, als sie zu einer geschlossenen Linie zusammentrafen. Im Blut, vor allem jenen der Dämonen oder Drachen, lag eine magische Kraft, an der sie sich bedienen wollte. Ihre Finger tauchten sich erneut in das Blut und begannen, Runen zu zeichnen, die mit dem Kreis verbunden wurden, sie sollten dem Bannkreis ein Konstrukt geben, an dem sich die Kraft halten konnte. Eine Richtung die gewiesen wurde, ein Anker der gegeben wurde.
Mit ruhiger Hand vollendete sie das Muster, wischte das getrocknete Blut achtlos an ihrem Mantel ab und richtete sich auf. Ein tiefer Atemzug. Dann ein zweiter. Ihre Schultern spannten sich, und für einen Moment stand sie einfach da - still, konzentriert, mit der Absicht, die innere Ruhe zu finden, um ihren Willen zu formen.
"Konzentrier dich, Diebin." Klapperte die Elster in ihr, mit einem giftigen und verhöhnenden Unterton. "Oder willst du vor den Augen aller scheitern? Denkst du wirklich, dass es dir gelingen wird?"
Ein Zucken huschte über ihre Lippen, doch sie ignorierte die Stimme, versuchte die schattenhafte, dunkle Präsenz in ihrem Inneren zur Seite zu schieben, was ihr allerdings nur bedingt gelang.
»Ich aktiviere zuerst den Bannkreis.« Erklärte sie ruhig gegenüber Katherine, deren wachsamen Blick sie auf sich lasten spürte, wie ein schwerer Sandsack. »Die Sicherheitsmaßnahme. Dann widme ich mich der Erschaffung.«
Die Weißhaarige nickte nur und wich einen Schritt zurück. Aastha schloss die Augen, tiefes Durchatmen, das Sammeln ihrer Konzentration, das Ausstrecken ihrer Sinne, um die lose Kraft aus jener fernen Quelle für sich zu sammeln. Sie spürte sie … dünne, zitternde Fäden, die sich lösten und sich nach und nach sammelten und sich ihren Willen zu unterwerfen, die nötige Kraft, die sie so nach und nach sammelte und ballte, bis sie glaubte, dass es so weit war.
»In Jux Grav.«
Die zuvor gesammelte Kraft gab sie an den Kreis aus Blut, speziell die Runen weiter, immer mehr, wie um sie ordentlich zu füttern und aufzubauen. Optisch veränderte sich kaum etwas, doch Aastha fühlte ob der Nähe das Flirren der Kraft im Kreis, der Bannkreis, der sich nun wie ein Bogen aktiv spannte, um etwaige Gefahren im Inneren einzuschließen.
Ein kurzer Schauer durchfuhr sie, als ein Stückchen der Last ob des ersten Erfolgs von ihr abbröckelte. "Du hast Angst." Höhnte die Stimme in ihr. "Wie erbärmlich menschlich."
Sie atmete scharf aus und verkniff sie die Antwort, die bestimmt für Verwirrung bei den Anwesenden gesorgt hätte - denn keiner, keiner bis auf Sorsha, wusste um die Last, die sie in ihrem Inneren trug. Sie drängte die Präsenz wieder zurück und begann erneut sich zu konzentrieren, die Kraft zu sammeln, für den nächsten und letzten Schritt.
»In Corp Xen!«
Die Stimme dieses Mal klarer und streng, als würde sie damit ihren Willen eines Befehles gleich hinausbellen wollen. Die gesammelte Energie lenkte sie auf den Kadaver, der in der Mitte des Kreises lag, zusammen mit dem Willen, das, was dort entstand, nicht nur erschaffen, sondern auch unterwerfen zu wollen. Ein dunkles Leuchten breitete sich aus, das Blut des Kreises floss wie lebendig auf die Harpyie zu, zog in ihr Fleisch, tränkte Federn und Knochen. Ein widerwärtiges Schmatzen folgte, als Sehnen sich neu formten, Knochen knackten und sich wieder zusammensetzten.
Die Schwarzhaarige fühlte ihren Puls rasen, aufkeimende Aufregung, die sie versuchte zu unterdrücken. Kontrolle. Konzentration. Ruhe. Rief sie sich immer wieder in Erinnerung, während der Kadaver begann sich zu regen. Ein Flügel zuckte, dann ein zweiter und letztendlich stieß die untote Kreatur ein grässliches Kreischen aus. Ein nervöses Zucken ging durch die Finger der Nekromantin, doch letztendlich richtete sich ihre Erschaffung auf und starrte sie einfach regungslos, mit leeren Augen ab - abwartend, gehorsam.
Für einen Moment stand Aastha einfach nur reglos da, das Herz in der Kehle, bis sie sich wieder so weit gesammelt hatte. Sie atmete tiefer durch, schloss die Augen einen Moment, versuchte mit einem festen Griff in ihren Nacken das störende Geschnatter der Elster auszublenden. Katherines Worte und ihre Bewegung im Augenwinkel, als sie näher tritt, riss sie schließlich wieder aus dem Moment des inneren Kampfes.
»Hervorragend. Du hast ihr deinen Willen perfekt aufgezwungen und sie an dich gebunden.«
Der darauf folgende Applaus von Katherine und den anderen, nahm sie kaum wahr. Ihr Blick hatte sich noch nicht von der Untoten Harpyie gelöst. IHRE Schöpfung, geschaffen durch IHRE Macht.
"Deine Macht? Vergiss nicht, Menschlein, woher diese Macht eigentlich stammt…"
Der Spott der Elster führte zu einem leicht genervten Schnaufen, doch die Schwarzhaarige hatte Glück, dass bereits Aufbruchstimmung herrschte und Katherine die Anwesenden für die folgenden Schritte anwies. Die restlichen Kadaver sollten über einen magischen Pfad in die Wüste, zur Oase transportiert werden. Dort sollte das große Ritual stattfinden, um Furcht und Gewalt in das Reich der Solgarder zu bringen. Die neue Diener folgte ihr gehorsam.

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