Bjornar

Rollenspielforum für Geschichten.
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Bjornar
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Der Schrei

Beitrag von Bjornar »

Als er nach einer kurzen blauen Stunde heimkehrte, stand es da. Fertig! Die Alben und Kobolde mussten das Bau-Wunder in einer einzigen zauberhaften Nacht vollbracht haben. Ein Haus. Sein Haus! Er hatte es herbeigeträumt, sie hatte es herbeigesungen. Der Runenhase huschte um die Ecke des Gartenzaunes und verschwand im Wald. Er gluckste fröhlich und winkte ihm nach. Hier würde er glücklich sein. Das Kinderlachen hatte er in der Traumvision bereits gehört. Es hallte noch in seinen Ohren.

Er ging hinein. Klopfte prüfend auf die hölzernen Wände. Starke Balken, die die Musik wärmer und schöner zurückwerfen würden. Er stampfte auf die Bodendielen. Ein großer Hohlraum lag darunter. Die Winterhöhle, die er suchte! Er musste nur noch den Eingang aufbrechen.

Das Haus war mächtig und leer. Ein paar Dinge fehlten noch. Fenster und Türen. Pelze auf dem Boden, ein prasselndes Herdfeuer. Volle Vorratskammern und Vieh.

Menschen.

Lachen.

Lieder.

Kleinigkeiten! Das würde sich bald alles einrichten. Es würde wie von allein herbeikommen.

Er ging wohlgemut aus dem Haus, sich ausmalend, was hier noch so alles auf ihn zu käme? Er würde nie fertig werden, mit dem Bauen, solang das Haus lebt. Das hatte der Schmied ihm gesagt. Er zuckte mit den Schultern. Wohlauf! Noch lag es stumm. Aber er würde ihm schon Leben eintreiben! Voller Tatendrang machte er sich auf die Suche nach denen, die ihm dabei helfen werden.

Wie ihm das Bauwerk beim Fortgehen so in den Rücken starrte! Mit seinen blinden Augenhöhlen und dem aufgerissenem Tor-Maul, dem ordentlich gescheitelten Dach. Es schnüffelte ihm nach, wie ein brünstiger Eber. Lag da ein hungriger Riese, kurz vor dem Erwachen?

Seine Brust hob sich schneller und schneller. Er sah sich rings um, erblickte Fjord, Berge und Wälder.
Das Dröhnen von Haldron’s Opfertrommeln begann in seinen Ohren zu hämmern.

Er wusste nicht warum, er wusste nicht woher, aber aus den tiefen seiner Kehle entrang sich:

Ein Schrei!


Bjornar - Der Schrei.png



***


Musik:
Franz Schubert. Schwanengesang D.957 - Der Doppelgänger (Heinrich Heine)
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Bjornar
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Wild und Wilder

Beitrag von Bjornar »

Was gestern Nacht in der Klamm zu den Nordlanden wirklich geschah

💀 💀 💀


:roll: :roll: :roll:
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Bjornar
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Ehrloser. Erlöser.

Beitrag von Bjornar »

In diesen Tagen begleitete er Segimer des öfteren, wenn der mittels Traumreisen auf den Geisterpfaden der kleinen Tarsnjor den Weg weisen musste. Gleichzeitig hatte die Wilde Jagd getobt. Heute hatte er Aleya's Lied darüber gehört, zusammen mit Almina waren sie wohl die ersten, die dem wundervoll traurigen Gesang lauschen durften. Er hatte dies als Aleyas Abenteuer gefeiert, sie geherzt und sich über ihre Rückkehr gewaltig gefreut. Er hatte ihr seinen Neid gestanden, dass er selbst nicht von der Jagd geholt worden war. Sie hatten gelacht darüber. Aber in einem Jahr, da würde es sicher eine neue Gelegenheit geben, mit den Verfluchten über den Nachthimmel zu reiten. Ob er dann wohl dabei sein konnte?

Worüber keiner Lachen konnte, war der Tod des Weissen Hirsches. Aleya und Ynge und Freyja waren gleich besorgt, als er ihnen sagte, dass er sich von Cataleya eine Sense hatte schmieden lassen. Zu einem teuren Preis, gewiss? Seine Seele etwa? Was soll das schon sein! Er war überzeugt, dass er mit so einer Waffe eine Bluternte einfahren konnte, groß genug, um Grimlas Lebensgeist zu nähren und zu stärken, für seine Reise, für die Rückkehr seines Segens nach Fjellgat.
Eifrig jagte und opferte er den beiden Grimmbäumen. Eifrig genug, dass er nach wenigen Tagen bereits wieder zu Cataleya gehen konnte, mit ausreichend Blutsteinen in der Hand, die Sense zu erwecken. Diese opferten sie am geheimen Keller-Altar der Blutgöttin und mischten ihre eigenes dabei. Die Waffe begann zu singen und hatte nun auch einen Namen.


EHRLOSER...



Chaos Bjorni.png



Das hatte Bjornar verstanden, so lautete die Namensrune der Waffe. War er Opfer eines grausamen Streichs der hinterlistigen Cataleya geworden? Sollte er mit einer Waffe der Schande durch die Welt ziehen? Die Schande, dass er den Johtar Rashka allein gelassen hatte, nicht mit ihm gemeinsam den Grimla-Spross beschützt hatte? Zu zweit hätten sie das Leben des Heiligen Tieres bewahren können, gewiss! Er war ganz in der Nähe gewesen.
Bevor sich aus seiner Verwirrung der Zorn entladen konnte, klärte Cataleya das Missverständnis auf. Er hatte falsch gehört.



ERLÖSER...!



So hieß die Rune auf der Waffe in Wirklichkeit! Sie würde die Sonnen-Ritter erlösen, von ihrem Wahnsinn. Sie würde das Blut seiner Opfer von der Gefangenschaft in ihren Körpern erlösen. Sie würde ihn stärken und von den Wunden im Kampf erlösen. Sie würde den Norden erlösen von allen Fremden, die dort nichts verloren hatten. Und noch mehr, sagte sie, aber das verstand er nicht, es war ihm egal.

Man floh vor ihm nun im Norden.
Man mied ihn, das spürte er.
Man hörte auf seine Warnungen.
Das war neu.

Es war seltsam, als er seine Reflektion im klaren Eis des Gletschersees sah, wie er so da stand, ganz ruhig, ein grimmer Wächter des Nordens, da erkannte er sich selbst kaum wieder.



Chaos_Bjorni.png


Erst recht erkannte er sich nicht wieder, als er daheim war. Zusammen mit Freyja, ohne Waffe, ohne Rüstung und all das....

Da war er so lieb und liebevoll. Da war er so froh und fröhlich! Mehr noch, als zuvor. Da war er einfach Bjornar. Aber einer, den wohl die wenigsten da draussen überhaupt noch zu sehen bekämen oder finden konnten, hinter der Maske, vor der Klinge.

Vielleicht, vielleicht hatte er sich ja doch nicht so sehr geirrt, als er sich verhört hatte, bei der Namensgebung der Waffe. Vielleicht lagen die beiden Dinge auch einfach wirklich zu dicht beeinander.

Verwirrt von alledem, der Kälte in seinem Äusseren, der Hitze in seinem Inneren, da liebte er so sehr, wie noch nie zuvor.

Das würde schon alles seine Richtigkeit haben, dachte er. Denn es fühlte sich an, wie der Preis, denn man für eine große Geschichte zu zahlen hatte.
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Bjornar
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Blut für den Lebensgeist

Beitrag von Bjornar »

Blut für den Lebensgeist.png


Seine Seele brannte. Das Fell des blutigen Hirschkopfs auf seinem eigenen Schädel stank nach Mord und Rauch, das Geweih schnitt in die Stirn. Der Zorn über den Verlust des Grimla-Sprosses stand ihm im Nacken. Vor die Tore! Soviel hatten ihm die Greifen erfolgreich eingebläut, kein Schwert-Tanz in der Stadt. Vor dem Tor Nebelhavns lauerte er, wartete, hob die Sense gegen den Schänder. Zur Antwort: Verfluchtes Feuer des Herrn zerbarst auf ihm, fraß durch Haut und Leder, riss ihm die Kraft aus den Knochen, bis der Boden ihn nahm und sein Atem nur noch dampfend in den Kies troff. Das gleiche Feuer, dass den Hirsch verschlang.
Der Ritter wich zurück, doch die Brandwunden des Nordmanns trieften, offen wie ein Quell. Er war auf dem Weg zu den Ahnen, glorreich gefallen. Lange vergoss er freigiebig sein Blut, es würde die Grimmen Wurzeln nähren, den Hirschgeist stärken auf dessen Weg. Aber Aeiti half: Weißer, heilender Nebel rollte heran, schmerzstillend, süßlich wie Eisen, gab dem Zorn Nahrung—und der Leib gehorchte wieder, krümmte sich, stand. Die Sense kratzte eine Blutspur in den Weg. Das Tier in ihm hob den Kopf. Der Ritter noch immer nahe, wich zurück.
Er witterte, jagte. Der Hufschlag, die Rüstung, das Schaben der Sporen: Ziel. Er sprang, riss den Mann aus dem Sattel, beide im Geröll, Fäuste, Knöchel, Zähne. Seine Arme schlossen sich wie eine Bärenfalle. Der Stahl des Gegners stieß, der Atem roch nach Blut. Der Ritter stemmte, hievte, suchte Hebel; Bjornar presste, würgte, sein Puls hämmerte ihm das Kriegslied in die Schläfen.
Er heulte. Der Wald antwortete, und Waelbjarn kam—Fell, Gewicht, Speichel, die Erde bebte unter den Tatzen. Gemeinsam drängten sie den Gepanzerten. Gebete rissen Lichtfetzen in die Luft, doch das Brummen in Bjornars Brust trieb ihn weiter, bis die Muskeln zu brennen begannen.
Der Ritter rang sich frei, kam wieder in den Sattel. Das Schlachtross stob. Bjornar taumelte hinterher, Schritt, noch ein Schritt—die Welt kippte. Knie in den Dreck, Pranken griffen in die Luft, Blut im Mund. Der Körper verweigerte den Krieg; der Wille nicht. Dann riss es ihn endgültig zu Boden. Der Bär hob ihn, zäh und steif, und schleifte den Herzriesen heimwärts, während der Feind im Galopp davontrug.
Zurück blieb der Geschmack von Asche und Hass—und die Gewissheit, dass die Jagd nicht beendet war. Die Sense hatte das Blut des Schuldigen gekostet.
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Bjornar
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EIERDIEB

Beitrag von Bjornar »

Eierdieb.png


Eens, zwey, fülle – jeg zähl neyt gud, de Finga gehn mir aus!
Im Handels-Tausch, da soll jeg Eia klaun, zu Riesenhauf, was fyr een Graus!
Eidergansgekreische, wenn jeg unnerm Federarsch ins Nestchen krall un fang.
Richtich? Hunnert-un-Drey? Noch dreissige Hunnerte! Meyn Zählgeist wankt den Hang entlang.
Das iss een teuriges Kleiderfrauenstück un Davind brüllt: „Mehr Ei, du Bär!“
In mey Brust rutscht myr das Jagd-Herz hin un her! So fülle Eia – un noch mehr!
Eia, Eia überall, im Bärenfell, in Beutesack un Bart – se gehn zu Bruch, gelb is der Schnee!
Bjornar besta Jägersammler, DER bin jeg! .... nur Großzahln zähln? Das neyt! O weh!
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Bjornar
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Wieso? Weshalb? Warum?

Beitrag von Bjornar »

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"Das Absurde entsteht aus der Gegenüberstellung des Menschen, der fragt, und der Welt, die vernunftwidrig schweigt.“
Albert Camus. Der Mythos des Sisyphos



Armer Tor; die Antwort war einfach. Die Fragen, die aber hatten es in sich.
Sich diese Fragen zu stellen, raubte ihm den Schlaf, klar, denn der Kopf und die Brust schmerzten ja so höllisch.
Zunächst also das Einfache. Die Antwort war:
… weil er heute wieder einmal mächtig eins vom verfluchten Jaster über den Schädel bekommen hatte.
Aber die Fragen, die hörten einfach nicht auf und sausten und brausten und schwirrten durch das erschütterte Gehirn.


Warum? Warum war das geschehen? Warum hatte er gestern gegen das Schild dieser Nebelhafener Greifen-Eishexe getreten? Was machte ihn daran so wütend und verzweifelt? Wieso wusste selbst Rou nicht, wer diese Kali war, die die Macht hatte, die gesamte Insel in ihren Bann zu ziehen und mit etwas zauberhaftem Tand und Nippes um den Verstand zu bringen? Wo war diese Gottheit der Vergnügungssucht den ganzen Rest des Jahreslaufes anzutreffen, wo war ihr Himmelreich, was ihre Geschichte? Mochte sie vielleicht Apfelkuchen? Oder doch lieber rohe Hirschleber? Wieso ausgerechnet der Norden? Woher kam dieser Spott und Hohn der ganzen Insel auf den Stamm der Trymm'takk?

War es das gewesen, das ihn wahnsinnig, nur mit einem Kürschnermesser bewaffnet auf den Lebens-Schänder losgehen lies? Heute… es war doch heute gewesen… ?
Oder war da mehr?
Wieso zum Beispiel weigerte sich sein angehendes Weib, das Haus in Ordnung zu halten? Den Reichtum zu mehren? Die Tür zu befestigen? Wieso war sie nicht, wie Solvajg gewesen war, die Herrin der Höfe von Fjellgat, die immer alles in Ordnung hielt? Wieso hatte sie ihn, der nicht bis Zehn zählen kann, zum Handel auf den Markt geschickt? Weil dem verfluchten Haus seine Arbeit nicht genug war? Wozu brauchte das Haus denn überhaupt Groschen? Wer braucht schon Groschen?
Er hatte dem Bedall einen „Lebensvorrat“ - so sagte der - an Federn eingetauscht, gegen diese Groschen, aber wieviel waren eigentlich genug Federn für ein ganzes Leben? Und wieso waren die vielen Federn – drei riesige Riesenhaufen! – so schwer, dass er ein Lastentier brauchte, um sie nach Nebelhafen zu schleppen? Wieso waren dann aber die noch vieleren goldenen Groschen so leicht, dass er den Haufen mit einer Hand zum Groschenverwahrer schieben konnte? War er betrogen worden? Drei schwere Haufen Federn, gegen einen leichten Batzen Gold?

War es dieser unseeligen Tausch-Händlerei wegen, dass er keine Kriegsmaske, keine Erlöser-Sense, keine Brandzeichner-Axt zur Hand hatte, als er über den Spottschandfeind stolperte? Wieso sprang er vom Bären, nur mit Solvajgs ordentlichem Kürschnermesserchen in der Pranke? Seine gewaltige Faust hätte dem Feind doch sicher wenigstens etwas mehr Schmerzen bereitet, als die harmlose Klinge? Wollte er ihm wortwörtlich das Fell über die Ohren ziehen?
Als der ehrlose Schurke ihn dann von seinem hohen Ross herab verächtlich mit einem Kolbenhieb auf die Bärenkappe zu Boden sandte, wieso redete er dann noch auf ihn ein? Wieso brachte er es nicht zu Ende?

Warum bei allen Geistern war die kleine Hathran Tarsnjor dabei gewesen, hatte nur zugeschaut? Wieso donnerten die Geister auf ihren Ruf hin ihn an und nicht den Lästerer von Leben und Liebe? Weshalb wachte er überhaupt wieder auf, am Hain des Grimla-Sprosses, mit nichts als dieser Beule am Kopf? Warum nur hatte er es wieder nicht vollbracht, sein Blut ehrenhaft am Ort der Schande zu vergießen und damit den besudelten Schnee reinzuwaschen? Den Lebensgeist mit seinem Herzblut zu heilen?

Wieso hörte er, als er des Abends noch immer am Ort der Trauer hockte, Gelächter über den Eissee schallen, und weshalb waren da gleich noch einmal so viele Freunde und Feinde einträchtig damit beschäftigt, vergnügt über den See zu schusseln? Warum brach die verdammte Scholle nicht unter ihrer Last und verschlang sie allesamt, miteinander vereint in freundschaftlicher, letzter Umarmung?

Waren die wirklich alle da gewesen, oder war das nur ein schlimmer Traum?

Das musste wohl so gewesen sein, denn er hatte doch wieder eins über den Schädel bekommen gehabt, von diesem aufgeblasenen Wichtel-Ritter… oder?


Als er sich verwirrt nach Hause schleppte, weg von der johlenden, albernen Menge, zurück in sein Kellerloch, da dachte er:
'Ich bin ein kranker Riese… ich bin ein böser Riese. Ein abstoßender Riese bin ich. Ich glaube, meine Leber ist krank.'

Etwas in ihm bebte, brummte, donnerte, gluckste. Er streichelte liebevoll über seine Seite, tätschelte sich ein paar Mal und sagte in den Wind:
„Übrigens habe ich gar keinen blassen Dunst von meiner Krankheit und weiß gar nicht mit Sicherheit, was an mir krank ist.“

Dann schwoll und hob und brach von jenseits der tiefsten Tiefen seines Riesenwesens hervor…



…ein gewaltiges...






…ein schallendes...








Gelächter. (<= click!)



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Bjornar
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Hagarsskeid, Grimluvængir, Galdrglym

Beitrag von Bjornar »

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Hagarsskeid, Grimluvængir, Galdrglym.png



'Solln die Svag doch endlich aufhören mit Singen', dachte er und vergrub den Kopf tief unter den dicken Schlafpelzen. Es half nichts. Er, der große Schläfer, Bjornar Bärensohn, Herr der Schnarchstürme, brachte es nicht fertig. Der geliebte Schlaf war heute nur ein zappelndes Ding, ein nervöses Reh, das durch seine Gedanken sprang. Wo war der Bär, der sich über ihn legte und die Welt bedeckte, das Denken auslöschte? Er musste außer sich sein, denn wer hätte gedacht, dass Bjornar jemals von Musik und Gesang genervt sein könnte? Und doch.

Eigentlich wollte er fettgefressen Winterschlaf halten. Monatelang nur atmen, hungern und träumen. Kinder kriegen dabei, vielleicht. Aber Fjellgat hatte beschlossen, jetzt zu hauen, zu schaben, zu hämmern, zu nieten, zu teeren. Und zu sägen, bei allen Göttern und Grimlas Geweihen, wie nervten die Sägen! Suromer Handwerker hatten die Dinger angeschleppt, diese Baummordwerkzeuge, die nun tagaus, tagein ihr Wolfsgeheul anstimmten. Seit wann, bei Ppyrs bunter Schuppe, wurde ein Drachenschiff denn zurechtgesägt? Der Rumpf hatte aus einem Stamm zu sein, aus einer einzigen, gewaltigen Eiche!

Da hämmerte also der Stamm und die Svag sangen dabei. Natürlich sangen sie. Denen war das Singen beim kurzen Tagewerk das liebste; je kürzer der Tag, desto länger das Lied. Es drang bis in seine Höhle, in seine Schlafhöhle, seine Denkgrube, sein Bärenloch, sein Frühlingstraum. Die glich einem vollgestopften Schatzkeller. So ruhelos war er, dass er zu seltsamen Zeiten durch die Nordlande trottete, blutdürstig schnuppernd nach Solgarder Weißkutten. Die aber ließen sich nicht blicken, die feigen Wüstenkäfer! Auch Hakker-Dawi waren selten geworden.
Täglich oder nächtlich, er hatte den Überblick verloren, kam er am Blut-Hain vorbei. Unter Haldron, Ragnar und Tarsnjor und den anderen war der Ort der Schande zu einem Ort der Erinnerung geworden, ein Knochen im Hals der Welt, der nicht zu schlucken war. Es mochte der wahre Grund für seine Rastlosigkeit begraben liegen, zwischen den Wurzeln und dem Lebens-Blut. Er stahl das goldene Kettchen von Aeitis Fußknöchel, den Pfand seiner Liebe, und legte es an zu den anderen Opfergaben für den Grimla-Spross. Das in Wirklichkeit deswegen nichts war, wie zuvor, wusste er schon, irgendwo, innendrin. Es hielt ihn nicht davon ab, in Fjellgat den einen oder anderen Sänger oder Schiffsbauer wegen ihres Lärms anzufauchen, als wären sie die Schuldigen am Aufruhr in seinem Inneren.



Screenshot 2025-12-02 195434.png



Andere Fremde im Norden grollte er neuerdings an, verwies sie auf das Grab, oder lud sie ein, mit ihm Drachen im Jammerfjord zu jagen. So konnte er sehen, wie gefährlich sie wirklich waren. Manchmal richtete er dabei die Mäuler der zornigen Eisdrachen mit ihrem Frostodem absichtlich auf die Fremden, um zu sehen, wie behände sie davonsprangen, die Wichtel. Wie etwa jene schmächtige Gestalt, die sich neuerdings auch im Norden umhertrieb. Den meisten gelang es. Ihre Akrobatik und Flüche bereiteten ihm Vergnügen. Es sollte niemand denken, der Norden sei ungefährlich.

Zumeist aber tat er, was er gut konnte: Er schleppte Beute-Plunder heran. Alles, was sich jagen ließ, nicht schnell genug weggeräumt wurde, was glänzte, knirschte, roch, halb kaputt war oder vielleicht einmal wichtig sein könnte. Seine Bärenhöhle war bis unter die Decke voll, die Plunderkiste prall. Sein kleines Weibchen würde das irgendwann reinigen und dem Stammes-Schatz hinzufügen --- weil sie gut war? Sie jedenfalls hielt in diesen Tagen besseren Winterschlaf, schaute verträumt und verliebt aus den Fellen, kam aber selbst fast nie hervor, so dass er bereits befürchtete, er werde bald lebendig unter all der Beute begraben sein.

Sein Schlaf war derart durcheinandergeraten, dass er die Abenteuer des Stammes verpasste, Raubzüge mit den Suromern, Ausflüge zur Verfluchten Stadt. Er verdöste sie, tappte zu spät los, kam an, wenn alles vorbei war, hatte noch nicht mal Erzählungen von den Großtaten der anderen gehört. Auch während der Stammestreffen wälzte er sich in den Fellen umher, dachte, ‚Da hätt ich aber jetzt dabeisein müssen‘ und drehte sich wieder um.

Irgendwann hatte er aufgegeben, schlafen zu wollen, und war aus der Höhle gefallen, halb angezogen, halb träumend. Nun saß er da neben der Werft, breit hingegossen auf einem Baumstamm, den Ynge ihm zurechtgehauen hatte, wie einen Waldes-Thron. Die Schnauze tief im Pelz, die Lider halb geschlossen, der Blick schweifte irgendwo zwischen Schiffsbau und Horizont. Es war kein Eifer in seinen Gliedern, kein Wille zur Bewegung.

Doch wehe dem, der glaubte, er täte nichts! Er beobachtete. Er sann. Seine Gedanken brodelten wie die beste Fischsuppe. In seinem Bärenherzen formte sich ein Gefühl, das dem Winterschlaf ähnelte, nur wacher, ein Brüten über dem Treiben der anderen.

Sie waren prächtig anzusehen, die Riesen von Fjellgat. Es gab nicht viele Trymm‘takk, wenn man zählte, eine Handvoll, vielleicht zwei. Doch jeder von ihnen verrichtete die Arbeit von fünf Wichteln. Wo anderswo Männer mit Flaschenzügen und Flüchen einen Balken wuchten mussten, packte hier ein Trymm’takk zu, hob das Ding, als wäre es ein Ast, den man zur Seite legt.

Vor ihm reckten sich die neuen Rümpfe in ihrer Nacktheit, ohne Segel, noch ohne Drachenkopf, aber bereits wie Schuppenhaut in der Sonne. Zwischen den Gestellen bewegten sich seine Stammesgeschwister. Schulter an Holm, Hüfte an Kiel, einer stemmte, eine drückte, ein dritter hielt mit einem Finger fest, wo man anderswo Keile und Seile brauchte. Irgendwo stand ein Rothaariger und rezitierte die Vorzüge von geteertem Ziegenhaar beim Kalfatern, als hinge daran das Schicksal der Welt. Tarabasch wusste über alles Bescheid, und grollte den Eifer zurecht. Es war ein Arbeitstanz und ein Schwirren von Händen. Ein Seeungeheuer lag da, und eine Handvoll Riesen formten ihm Flossen und Rücken. Bjornar saß auf seinem Holz und genoss das alles, wie andere verzückt in ein Feuer blicken, still und zufrieden. Dabei dachte er! Das war Arbeit genug. Er war der geistige Zeuge des Unternehmens. Er fühlte sich nicht unnütz. Er war das Gegenstück zum Handwerker: Träumer, Seher, Sinngeber. Wären sie alle wie er, gäbe es kein Schiff, aber viele Gedanken über Schiffe.

„Das Zusehen ist die reinste Form des Tuns“, brummelte er zur Luft, zu Runheri, dem Hasen, der ihm durch die Hecke gefolgt war. Ein Bursche, der mit rußigem Gesicht an ihm vorbeistolperte, hörte nur die letzten Worte: „Wer nur mit den Händen schafft, baut Bretter. Wer mit den Augen schafft, sieht das Schiff, bevor es merkt, dass es ein Schiff geworden ist.“



Er seufzte, als sei dieser Gedanke ein schwerer Balken gewesen, den er ganz allein hatte tragen müssen, und ließ sich tiefer in seinen Pelz sinken. Die Arbeit der anderen war ein Fest aus Schlägen, Flüchen, Lachen und Geheul. Er, Bjornar, war einfach da. Die Schiffe nahmen Form an, und er verlieh ihnen in seiner Vorstellung Seele. Vielleicht würde er später eine der drei Runen in den Kiel ritzen, die Segimer ihn gelehrt hatte. Aber nicht jetzt. Jetzt war Denken dran.

Das Pochen von Hammer auf Holz lullte ihn ein. Der Atem wurde tiefer, der Blick blieb. In diesem Zwischenraum begannen die Namen der Schiffe über der Werft zu tanzen. Drei sollten es sein, drei Langschiffe. Jedes sollte eine Geschichte tragen, wie Ormen Lange, die Lange Schlange, Ormen Skamme, die Kurze, und Kovakarhu, der fliegende, goldene Bär. Schiffe mit grässlichen Zähnen und je einem ganz eigenem Wesen.

Das erste gehörte zu Tarabasch Hagarson. Der Baumeister mit rußigen Händen, der die Bretter kannte, als wären sie Verwandte, dessen Vater Schiffsbaumeister war und der sich vielleicht am meisten von allen nach der Ferne sehnte. Ein Mann, ein Freund, dessen Hände mit dem Holz sprachen. „Taras Ormr“, murmelte Bjornar. Tarabaschs Schlange. Eine, die nicht faucht, sondern liegt und stärker ist als der Fluss. Eine, die gewaltig war und über die es viel staunendes Gelächter geben würde. Oder „Taraskeid“, wie die Skeid-Schiffe der Könige. „Hagarsskeid“, das rollte gut über die Zunge. „Hagars Bjarn“, nach dem Bären, nur ohne Gold, dafür mit Ruß. In seinem Kopf wuchsen Namen wie Eisblumen. Einige schmolzen, andere blieben. Für Tarabasch fühlte sich „HAGARSSKEID“ richtig an, ein Schiff, so nüchtern gebaut wie sein Meister, benannt nach dessen Vater, der Stolz auf ihn herab sah.

Das zweite trug Trauer im Kiel. Der Weiße Hirsch, Grimlas Spross, lag noch in ihm. Sein Blut, sein Sterben, das Licht in den Augen, das leuchtende Fell. Bjornar spürte wieder ein Ziehen hinter dem Brustbein. „Grimlas Klage?“ Zu weich. „Hvíti Hjörtur“, der Weiße Hirsch, klang gut, es fehlte der Stich. „Grimlu Sproti“, „Spross Grimlas“ wirkten wie Gebete, wie das Lied der geliebten Freyja. Vielleicht „Hjörtur-Skuggi“, Hirschschatten, oder - Er legte alles zusammen - „Hvíthjört Grimlu Sproti“?
In seinem Kopf nannte er es schließlich „GRIMLUVÆNGIR“, Grimlasflügel, ein Schiff, das über die Wellen glitt wie der Hirsch des Lebens über den Schnee rannte: voller Hoffnung.

Das dritte war Musik. Anders, als das Geheul, das ihm den Schlaf fraß. Etwas Tieferes. Ein Schiff, dessen Namen wirklich sang. Er dachte an den Refrain der alten Lieder, Glymur dansur í høll, dans sláið ring. „Glymjandi“, der Klingende. „Dansa-Glym“. „Hallglymja“, das Hallengeläut. „Galdrbrim“, Gesang der Gischt, Wellen, die wie Kehlklang gegen den Rumpf schlagen. „Tranen“ war vergeben, der Kranich des Königs. Vielleicht „Trymmdans“, Tanz der Trymm’takk, oder „Kvæðasund“, Liedfahrwasser. Schließlich legte sich ein Ton: „GALDRGLYM“. Ein Schiff mit Zauberliedern im Holz.



Bjornar lächelte wie ein Kind nach dem ersten Schluck Honigwein. Drei Schiffe, drei Seelen, drei Geschichten, die noch nicht geschrieben waren. Und er hatte ihre Namen gewittert, ohne sich zu rühren. Man konnte im Sitzen viel tun, im Halbliegen auch.
Leise, kaum lauter als sein Atem, fing er an zu summen. Der halbvergessene Vers von Ólaf und Ormen und Einar stolperte durch den Kopf, stieß an, verlor Wörter, klaute neue, zog sich Fjellgats Farben an:

Wollt ihr nun mein Lied vernehmen,
wollt ihr meinen Worten trau’n,
von Rashka, Tyra, Yngvildr
will ich wirr die Reime bau’n.

Glymmt der Tanz in der Hall’,
schlagt an den Ring,
fröhlich ziehn die Trymm’takk-Kinder
zum Trymm’takk-Thing.


Drakkar wird aus Fjellgats Eichen,
stark ist auf ihm jedes Herz,
Haldron Zornbringer lacht drunter,
tritt ins Holz den alten Schmerz.

Glymmt der Tanz in der Hall’,
schlagt an den Ring,
Ragnar, Tarsnjor, Freyja reiten
zum Trymm’takk-Thing.


„Freyja sollst du meine nennen, Sangesmaid mit festem Blick …“

Der Reim verrutschte. Rashka stand im falschen Vers, torkelte aus einer Zeile in die andere, Tyra schob sich zwischen Orm und Knorr, und irgendwer „warf den Bogen“ und „Fjellgat aus der Hand“. Alles war an der falschen Stelle und fühlte sich doch richtig an. Der Refrain blieb übrig wie ein Schaukeln im Bauch, kurz bevor der Seemann sich in den Sturmwind übergab:

Glymmt der Tanz in der Hall’,
schlagt an den Ring,
fröhlich reiten Fjell und Surom
zum Trymm’takk-Thing …


Versteckt:Versteckten Text anzeigen
Der Song "Ormurin Langi" („Die Lange Schlange“) von Týr basiert auf einer traditionellen färöischen Ballade (kvæði), die das epische Langschiff von König Olav Tryggvason (reg. 995–1000) besingt und seine Niederlage in der Seeschlacht von Svold (9. September 1000) erzählt.



Die Wörter lösten sich auf und die Melodie verknotete sich. Bjornar wusste nicht, wohin die Reise auf den drei Drachen von Fjellgat sie führen würde. Irgendwohin weit fort, wo Fjorde Erinnerungen sind und das Meer eine Wüste, die selbst den Sternkundigen unbekannt ist. Das war ihm im Halbschlummer egal. Wichtig war, dass der Stamm gemeinsam gehen würde. Sie würden nicht am Ufer stehen, während andere Sagen schrieben. Sie würden auf den Drachen reiten, auf den neuen Rümpfen, als säßen sie auf Seeungeheuern, die sie über den Rand der Welt trügen. Ob dahinter Land lag oder nichts, würde sich dann schon klären. Jetzt genügte ihm, dass Holz gewachsen, Namen gefunden, Lieder gestolpert, Ziegen eingefangen waren und dass er, Bjornar, mit den Seinen in den Bauch eines Drachen steigen würde, wenn es so weit war. Er wusste schon immer, eines Tages würde er Drachen zähmen! Bis dahin würde er hier sitzen, halb wach, halb Lied, und aufpassen, dass alles richtig gemacht wurde.

Noch ehe dieser Gedanke zur Ruhe kam, kroch ein anderer in sein Bewusstsein, der von Blut und Weihe. Er erinnerte sich daran, dass er sein Opfertier für Ragnar eingefangen hatte, eine stolze Bergziege mit Bernsteinaugen und Hörnern wie Wurzeln, die unten im Gatter stampfte und schnaubte. Krafthorn war ihr Name. Ihr Blut würde über die Rollen fließen, über Kiel und Planken spritzen, damit die Schiffe nicht nur Holz und Eisen waren, sondern Herzschlag und Atem bekamen. So hatte man es ihm erzählt, so stand es in Köpfen. Ein Schiff, das ohne Blut ins Wasser geht, bleibt träge wie ein nasser Ast. Ein Schiff, das über Opfer rollt, erwacht und springt wie ein Tier.

In dieser Zone zwischen Wachen und Tagtraum stieg das alte, harte Lied in ihm auf, von Zeiten, in denen nicht Ziegen, sondern Sklaven und Gefangene an die Lunnar gebunden wurden, an die Rundhölzer. Rollen voll Menschenblut, Kiel, der sie Knochen für Knochen in die Erde drückte, während das Volk jubelte oder schwieg. Er sah, halb mit innerem Blick, halb mit Zähnen im Herz, wie Jaster Darez, Weißkutte und Mörder des Grimla-Sprosses, dort lag. Der Heerführer von Solgard als Wurm, mit Armen und Beinen an die Rollen gespannt, das Gesicht weißer als der Hirsch, den er erschlug, während der neue Drachenrumpf, Hagarsskeid, Grimluvængir, Galdrglym, welcher auch immer, langsam über ihn rollte --- oh so langsam und unerbittlich knirschend!


Hagarsskeid, Grimluvængir, Galdrglym_Stapellauf.png

Sein seliges Lächeln begleitete diesen Gedanken. Erinnerung, Rachsucht und Müdigkeit mischten sich zu einer Vorstellung, honigsüß und beissend, wie Schnee auf einer Wunde. Dies wäre die Art von Gerechtigkeit und Stärke, die der Steinwächter Halvard von den Trymm’Takk gefordert hatte, als er ihnen das Bündnis mit den Drochsaal-Anbetern von Surom angeraten hatte.

Er schnaubte leise, zog die Schnauze tiefer in den Pelz und blieb, weder schlafend noch wach, wie ein Wächterbär auf seinem Holzthron hocken, während unten das Holz geformt wurde, das Blut wartete, die Erlöser-Sense und die Drachenschiffe in seinen Gedanken kreisten.

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