Der Ritt nach Solgard war schweigsam, und oft glitt Karls Blick hin zu Geralt, der ihm sonderbar abwesend erschien, als belaste ihn etwas schwer.
Was ist nur in uns gefahren? dachte sich Karl.
Wir sind doch Solgarder, wir sollten uns nicht dermassen mit Barbaren vergnügen, neutrale Stadt hin oder her... Doch sogleich folgte ein anderer Gedanke:
Andererseits, es war ein gar freundlicher und angenehmer Abend. Vielleicht sind die Barbaren nicht ganz so unzivilisiert, wie das Volk es munkelt. Dieser Gedanke wollte ihn an diesem Morgen nicht mehr verlassen.
Auf halbem Wege nach Solgard beschlossen die Brüder, getrennt der Jagd nachzugehen, damit beide ins Reine kommen, mit ihren Gedanken. Doch am Abend trafen sie sich wieder, teilten das Gejagte und setzten sich gemeinsam zur Mahlzeit.
„Glaub mir, Bruder“, sprach Geralt, noch mit halb vollem Munde und einem Stück in Honig eingelegter Rippchen zwischen den Zähnen,
„der mächtige Bjornar kämpfte mit zwei Drachen zugleich! Und er trägt nicht Mals eine Plattenrüstung wie du!“
„Wie kam es denn überhaupt dazu, dass du mit ihm auf die Jagd gingst?“, fragte Karl.
„Wir sahen uns nach dem gestrigen Abend erneut bei den Frostogern. Er erzählte mir, was Solgarder mit ihrem heiligen Tier getan haben, und ich sagte ihm, dass mich dies zutiefst enttäuscht. Ich machte ihm deutlich, dass wir de Malas nichts mit solcher Schmach zu schaffen haben wollen.“
Karl blickte länger schweigend zu ihm.
„Wir sollten uns dennoch nicht mit Barbaren abgeben. Solgard ist im Kriege mit ihnen.“ Dann wandte er sich mit gespieltem Zorn an seinen Bruder:
„Und Vater sagte uns tausend Male, wir sollen nicht mit vollem Munde sprechen, du Esel!“
Geralt lachte laut auf, und Karl stimmte ein. Doch das Gelächter verklang so rasch wie es gekommen war, und eine ernste Stille legte sich über sie. Da sagte Geralt:
„Was aber, wenn dies alles nicht so bleiben muss? Wir könnten etwas ändern, wenn wir wollten.“
„Was meinst du?“, fragte Karl misstrauisch.
„Ich will nicht in Konflikte gezogen werden, die nicht die unseren sind, nur weil ich aus Solgard stamme. Verzeih, Bruder, aber hat Vater uns nicht stets etwas anderes gelehrt? Was hält dich noch an diesem Ort?“
Karl seufzte und schwieg. Man sah ihm an, wie schwer es ihm ums Herz war, doch er brachte nichts hervor.
„Du kannst hierbleiben, wenn du es willst“, fuhr Geralt fort.
„Aber ich werde diese Stadt verlassen. Ich werde mich Nebelhafen anschliessen. Thyra ist bereits dorthin gegangen, und ich werde ihr folgen. Rosalie und Eldrath sind ebenfalls dort. Was hält dich also noch hier, Bruder? Wir gehen gen Norden und halten uns fern von all den Streitigkeiten.“
Sie ruhten in jener Nacht, doch am frühen Morgen verliess Karl den Rastplatz allein. Er wanderte durch die Strassen Solgards und sah all die Schönheit, die ihm einst so vertraut war. Die Erinnerungen kamen ihm wie warme Winde entgegen: Geschäfte, die er tätigte, Menschen, die ihm halfen, und jene, denen er selbst beigestanden hatte. Doch trotz all dessen fühlte er sich nicht mehr wie zu Hause. Geralt würde fortgehen, und er wäre abermals allein. Nur der Herr allein wusste, wo Ernst, der dritte Bruder, sich herumtrieb.
Nach dem Rundgang begab sich Karl zur Stadtbank, wo er Geralt wiederfand.
„Na, du Ophidianer!“, rief Geralt ihm neckend entgegen.
„Wenn du willst, dass ich weiterhin deine Armbrust und Fechtwaffen schmiede und verzaubere, dann wäre ich an deiner Stelle vorsichtiger“, gab Karl mit einem Schmunzeln zurück.
„Und? Hast du dich schon entschieden?“
Karl schüttelte bloss sacht den Kopf.
„Nun denn“, sagte Geralt,
„ich habe alles, was ich brauche. Ich mache mich auf den Rückweg. Ich hoffe, wir sehen uns in Nebelhafen wieder und suchen uns dort eine Bleibe. Wenn nicht, dann werden unsere Treffen wohl rar sein.“
Er reichte Karl ein leeres Pergament.
„Entscheide dich. Schreib der Statthalterin, dass du die Stadt verlässt, und komm ins Reine mit deinem Gewissen, dann versiegle den Brief rot. Wenn du aber bleiben willst und du mit deinem Gewissen weiter ringen willst, dann schreibe mir eine Botschaft und versiegle sie blau. So weiss ich, was du gewählt hast, ohne es lesen zu müssen.“
Karl nahm das Pergament entgegen. Schweigend. Ein einziges Nicken beschloss das Gespräch.
In der Stadtbank Solgards setzte er sich zu Tische. Zwei leere Pergamente lagen vor ihm. Und so schrieb er:
Zum Grusse Tonya
Ich hoffe, Ihr seid wohlauf.
Ich bringe heute nicht freudige Botschaft. Mein Bruder Geralt und ich haben beschlossen, aus der Stadt auszutreten. So sehr uns die Menschen auch ans Herz gewachsen sind, so können wir uns doch mit mancher Ansicht Solgards, was die Kriege betrifft, nicht mehr identifizieren. Dies führte zu Konflikten für mich wie auch für meinen Bruder, die wir zu meiden suchten.
Ich hoffe, bei Gelegenheit mit Euch und den anderen darüber sprechen zu können.
Gebt Acht auf Euch und alles Gute.
Gezeichnet, Karl de Mala

Dann schrieb er auf das zweite Pergament:
Zum Grusse Bathor
Ich wollte Euch in Kenntnis setzen, dass mein Bruder und ich nach Nebelhafen ziehen werden. Aus diesem Grunde muss ich schweren Herzens aus dem Dienste als Gardist ausscheiden. Ich werde meine Ausrüstung bei Gelegenheit zurückbringen; nennt mir Zeit und Ort per Boten.
Es liegt gewiss nicht an Euch, denn Ihr wart ein ausgezeichneter Hauptmann und Führer. Doch einige Zwischenfälle haben mich zu diesem Entschluss bewegt.
Gerne würde ich einst persönlich mit Euch sprechen, wenn es Euch genehm ist.
Gezeichnet, Karl de Mala
