Haut so weiß wie Schnee, Lippen so rot wie Blut, eine Seele so schwarz wie Angol
Es waren bereits Wochen vergangen, seit sie das Ritual im Zuge von Nathans Bemühungen um die Wettermaschine durchführten. Bisher schien es, als wäre es geglückt… nun, wenn man davon absah, dass Tristan seither das Leben als Unsterblicher führte. Aber der Bursche beklagte sich nicht. Langsam wurde es Zeit dem Schutz der Maschine noch einen weiteren hinzuzufügen. Dies machte ein neues Ritual nötig. Eines, wobei sie die Anwesenheit von Paladinen oder Amazonen nicht gebrauchen konnte. Sie hatte vor ihren ganz eigenen Schutzzirkel um die Maschine zu legen. Sie wollte die gefallenen Seelen um Beistand bitten. Sollten die gefallenen Soldaten und Soldatinnen der Amazonen, Hochelfen und Silberburger Wachmannschaften doch ihren Dienst auch im Leben nach dem Tod fortsetzen. Genügend ruhelose, wütende Seelen streiften auf jeden Fall noch auf der Ebene umher.
Sie würde auf jeden Fall wieder Rorek für die Durchführung benötigen. Vielleicht auch Samara. Auf Tristan brauchte sie derzeit nicht zählen, dieser würde noch für eine ganze Weile außer Gefecht sein, bis er wieder mit der Welt und sich selbst zurechtkam. Es war wirklich Glück, dass sie ihn retten konnten und noch mehr, dass er nicht mit seinem Schicksal haderte. Zumindest bisher.
Während Rorek seine Rituale mit Bergkristall durchführte, würde Vyktorya auf ein weitaus selteneres Material zurückgreifen, welches sie keinesfalls bei Tor an der Magieakademie erhalten würde. Vermutlich würde sie auch auf allen Schwarzmärkten in diesem Land vergeblich danach suchen. Sie selbst hatte als eine der Wenigen Zugriff darauf. Der Schwarze Angol. Und sie war wirklich froh, dass Shirin die Position des Todesquarzes nicht preisgab, jedenfalls bis jetzt nicht.
Kalte, abgestandene Luft war das Erste, was ihr entgegenschlug, nachdem sich der Ort nach ihrer magischen Reise vor ihr geformt hatte. Danach spürte sie sofort diese vertraute Macht, welche sehnsüchtig lockend nach ihr rief, um ihre Macht zu stärken und gleichzeitig an ihrer Lebenskraft zu zehren. Kein Licht drang in diese Höhle und so konnte selbst sie noch nicht einmal Schemen erkennen. Darum lauschte sie, angespannt und lauernd, bis sie den rasselnden Atem und keuchende Stöhnen in der Dunkelheit hörte. „In Lor!“, raunte sie leise und kurz danach starrte sie in die starren, milchigen Augen des untoten Magiers. Der Lich starrte zurück und hob bereits die Arme, um sich seiner Zauber zu besinnen und sie anzugreifen. Doch Vyktorya bleckte die Fänge und konzentrierte ihre eigene Macht auf ihn. „Still!“, fauchte sie leise und weitete ihre Dominanz aus. Der Lich zögerte, die knochigen, halb verfaulten Arme noch immer erhoben und röchelnd schwenkte er den knöchernen Schädel hin und her, als wolle er das Gefühl der Unterdrückung abwerfen. Doch Vyktorya war unerbittlich. Es war nicht das erste Mal, dass sie einen niederen Untoten unterwarf. Und auch wenn sie den Ausdruck hasste, so war sie doch selbst Untot und dazu eine Nekromantin. Er würde sich ihr fügen, ob er wollte oder nicht. „STILL!“, donnerte sie nun erneut und spürte dabei, wie die Blutmagie in ihren Adern wallte und ihre Präsenz für das Wesen vor sich erhöhte. Mit einem fast mitleiderregenden Krächzen stand der Lich nun still und der knöchrige Leib sackte leicht in sich zusammen, als er schließlich von seinem Vorhaben sie anzugreifen abließ und starr an Ort und Stelle stand. Einen Moment wartete die Ritualistin noch ab, ehe sie zur Seite trat. Der Untote starrte weiter stumpf gerade aus, die verdorrten Lippen halb geöffnet. Zufrieden nickte sie und trat hinter den Untoten. „Vas An Corp Ex!“ Ihre Hände legten sich auf den starren Leib und schickten die vernichtende Kraft tief in den Lich. Dieser ließ ein schrilles Kreischen ertönen, zuckte schmerzerfüllt zusammen und wurde aus seiner Starre gerissen. Er wirbelte herum, taumelte auf seinen dürren Beinen und wollte bereits nach seiner Widersacherin greifen. Ungerührt starrte diese zurück „An Corp Ex!“, ließ sie erneut den Zauber auf den Lich einprasseln und sah zu, wie dieser zusammensackte und förmlich in seine Einzelteile und schließlich zu Staub zerfiel.
Nun war sie alleine. Endlich.
Ihre Aufmerksamkeit lenkte sich nun auf jene, tiefschwarze Säule, die inmitten der kleinen Höhle stand. Der Quarz war so schwarz, dass er jegliches Licht zu verschlucken schien und man nicht einmal erahnen konnte, wie die Oberfläche beschaffen war. Die nekrotische Macht war für Vyktorya förmlich zu schmecken. Sie wusste, dass Sterbliche und Nicht-Nekromanten von diesem Stein abgestoßen waren und möglichst schnell die Flucht ergreifen wollten. Nicht so sie. Ihre vampirische Natur und ihre Verbindung zum Äther waren ein gefundenes Fressen für den Schwarzen Angol-Quarz. Er wollte sie, rief sie, lockte sie. Und Vyktorya wollte mit jeder Faser ihres Körpers diesem Drängen nachgeben. Oh ja… diese Macht… diese Energie, welche er versprach. Wie immer, wenn sie dieser Macht ausgesetzt war, schauderte sie wohl und schloss zunächst die Augen. Sie musste ihre Gedanken sortieren, sich fokussieren. Niemals durfte sie diesem Drängen nachgeben. Es war wie der Durst nach Blut. Das ständige ziehen in ihrer Kehle wurde stärker. Es war ein gefährlicher Handel, doch sie war stärker. Sie musste stärker sein.
Sie öffnete die lavendelfarbenen Augen wieder und trat auf das lockende Quarz zu. Von ihrem Gürtel löste sie einen kleinen, rötlich schimmernden Dolch, dessen Klinge sie ungerührt über ihre Handfläche zog. Das dort vernarbte Gewebe klaffte auf und rote Blutstropfen quollen hervor.
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Vorsichtig löste sie vier Splitter auf diese Weise aus dem Quarz. Mit einem zarten leisen Laut, wie das Fallen von Kieselsteinen, landeten sie auf dem Höhlenboden. Hastig bückte sie sich danach, um die kostbaren Stücke rasch aufzuheben und spürte sofort ihren Fehler. Ihre ungeschützten Finger begannen zu kribbeln und der hungrige Sog des Angols zerrte noch stärker an ihre Vitae. Sie fauchte verärgert und zugleich genüsslich, denn was ihr an Vitae entzogen wurde, schien sich in ihrer Macht zu stärken. Sie hörte den Ruf des Äthers, sah den Strom der Seelen, welcher in das Reich der Toten floss, umso deutlicher und fühlte sich, als wäre sie wahrlich eine Herrscherin über Leben und Tod. Es kostete sie starke Überwindung die kleinen Splitter in einen mit Samt gefütterten Beutel zu legen und diesen sorgfältig zu verschnüren. Und noch mehr Überwindung benötigte sie, um die Worte der Macht zu sprechen, welche sie wieder fort von diesem Ort trugen.
Heredium war ihr Ziel. Instinktiv. Hungrig. Gierig. Sie hatte sich kaum vollständig manifestiert, als sie das Podest des Reisemagus bereits hastig verließ und in Richtung des Blutbrunnens stürzte, um eilig ihren Hunger zu stillen. Das Blut war erfrischend, schien jedoch abgestanden und schal zu schmecken, jetzt wo dieser süße Ruf des Angols fort war. Es fühlte sich im ersten Moment an, als hätte sie etwas Wichtiges verloren. Ja, Macht hatte eben seinen Preis.