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» Im Wandel der Zeit «
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Jahre waren im Fluss der Zeit versiegt und doch fühlte sich manches nur wie der Moment eines unwichtigen Wimpernschlages für Shira'niryn an. Die Politik der Menschen hatte etwas Sprunghaftes und Schnelllebiges an sich, sie konnte nicht lange Gefallen an irgendetwas finden, was damit zusammenhing. Vielleicht lag das aber auch an der Denkweise der Zweibeiner, die sie nicht richtig verstand, oder nachvollziehen konnte. So viele Widersprüche, so viele leere Worte, als würde sie sich versuchen, mit etwas zu schmücken, was sie nicht beherrschen würden. Vielleicht lag es aber auch an ihrer eigenen Art, die sich nicht unbedingt mit jener der Menschen identifizieren ließ. So hielt sie selber sich jedoch mittlerweile aus den meisten Angelegenheiten der Menschen heraus - jene hatten mehr als einmal bewiesen, dass ihr Rat auf taube Ohren treffen würde und mehr als einmal hatte sie beobachten können, wie die Menschen sich ihren eigenen Strick knoteten, nur um sich genau diese Schlinge selber um den Hals zu legen. Sie hatte es aufgegeben. Es war unwichtig geworden. All die Jahrtausende an Erinnerungen in ihrem Körper, hatten bewiesen, dass es sich immer und immer wieder wiederholen würde.
Die Gemeinschaft der Bewahrer hatte sich verändert. Mit dem Verschwinden ihrer mehr menschlichen Mitglieder, welche eben nicht nur die Menschlichkeit, sondern auch das Familiäre in die Reihen gebracht hatten, blieb nur noch ein Raum voller staubiger Bücher, glänzender Artefakte und nahezu unüberwindbaren Aufgaben. Lange genug hatte sie versucht sich in dieser Gesellschaft einzufügen, doch mittlerweile wusste sie, dass sie sich niemals in diese integrieren könnte, ohne einen Teil von sich selber aufzugeben. Das Konstrukt einer Familie, was sie damals hatte versucht aufzubauen, war niedergegangen und hatte dem anderen Zweck mehr Raum geschaffen.
Bewahren, Behüten, Beobachten, Beschaffen.
Die Trauer über diesen Umstand hielt nicht lang, denn wenn sie ehrlich war, so brauchte sie nur eine Person, um die Geborgenheit zu erleben, nach der sie sich in jungen Jahren gesehnt hatte. Die Verbindung zum Drachenmagier war mit dem Segen des Sternendrachens nur noch stärker geworden und nährte den kleinen Funken Menschlichkeit, der durch ihren Ursprung in ihrem Kern vorhanden war. Einen Umstand, den sie äußerst ungern zugab, denn das Letzte, was sie wollte, war mit der Weißhaarigen in Verbindung gebracht zu werden. Jede Erwähnung der weißhaarigen Hexe fühlte sich wie ein unerträglicher Pelz auf ihrer Zunge an, als würde sich dieser Teil ihrer Herkunft unnachgiebig an ihr festklammern und sie nicht loslassen wollen. Wie gerne hätte sie alle Erinnerungen an diesen Menschen ausgelöscht - aber wusste sie auch, dass es das nicht besser machen würde. Sie konnte schlicht nicht davon rennen, sie besaß diese Seite, wenn auch nur als kleinen Teil von sich und sie war sich auch im Klaren darüber, dass es gerade die Verbindung zum Drachenmagier war, die diesen Funken wach hielt und näherte. Etwas, was sie noch immer lernen musste, zu akzeptieren.
Der Tod Naeldirs riss eine tiefe Wunde. Eine Wunde, die nicht einmal Livius zu schließen vermochte, denn immerhin hatte jener zu den wenigen Vertrauten gehört, die sie irgendwie kannte. Auch dass sein letzter Wunsch, dessen Ausführung sie versprochen hatte, ein solches Risiko mit sich brachte, gefiel ihr nicht. Sie war nicht dumm genug, ein uraltes, schöpferisches Wesen zurück in die Welt zu holen, ohne für eine gewisse Sicherheit zu sorgen - auch wenn sie in der Öffentlichkeit eine unnachgiebige Art an den Tag legte und jeden, der sich in den Weg stellte, verdeutlichte, dass der Wunsch umgesetzt werden würde -
komme was wolle. Sie hatte dem Fürsten des Hauses Tir'Daer versprochen, Ba'thal zu befreien. Das Versprechen eines Drachen würde niemals gebrochen werden, selbst wenn man es wollte - es war einfach ein unausgesprochenes Gesetz, eine Regel, die nicht aufzulösen war. Aber sie hatte Naeldir niemals versprochen, wie genau Ba'thal zurück auf diese Welt finden würde, oder unter welchen Umständen. Der Leichtsinn in dieser Sache, der ihr von anderen nachgesagt wurde, war so durchaus verständlich - denn keiner wusste, was Shira'niryn eigentlich getan hatte. Keiner, außer Livius, wusste, wie sie den Körper des Elfen verändert hatte, um sicherzugehen, dass Ba'thal niemals außer Kontrolle geraten würde.
Zum Glück zeigte sich mit der Zeit, dass der wiedergekehrte Lichtelf zwar radikal war, doch auch lernfähig. Eine Gestalt, aus einer Zeit voller Tod, Verrat und Leid. Natürlich brauchte es eine ganze Weile, damit er sich mit der neuen Umgebung akklimatisierte und mittlerweile konnte der kleine Kristalldrache mit seiner Entwicklung eigentlich recht zufrieden sein. Ein paar Ecken und Kanten hatte er noch, aber es wäre nicht Naeldirs Erbe, wenn dieses Wesen ohne jegliche Kanten wäre. Vermutlich hätte jeder andere Hüter schon die Rettungsleine gezogen, bei den gefährlichen Anwandlungen, die Ba'thal immer wieder gezeigt hatte, aber Shira'niryn war recht tolerant. Sie kannte unnachgiebiges, radikales und absurdes Verhalten vom Drachenmagier. Die Zeit glättete jeden Stein, floss sie nur lang genug.
Das Zeichen der Bewahrer zierte mittlerweile nicht nur die Kleidung des Lichtelfen, sondern hatte letztendlich auch im Verborgenen seinen Platz bei anderen Vertrauten gefunden, die es in der Öffentlichkeit jedoch vorzogen, sich nicht als Teil der Gemeinschaft zu offenbaren. Kein Umstand, den sie bedauern würde, Eitelkeit oder gar Stolz in Bezug auf irgendwelche weltliche Macht war ihr fremd - wichtig waren die Ziele der Gemeinschaft und jene würden eher erreicht werden, je mehr Hüter sich anschlossen. Je mehr Augen in unterschiedlichen Gefilden und Gesellschaften vorhanden waren, je mehr Wissen würde sich anhäufen. Sie konnte über diese Entwicklung eigentlich nur zufrieden sein und sie schätzte ein jedes Mitglied, egal ob es eine stets schlecht gelaunte Naemi, ein radikaler Ba'thal, ein zwielichtiger Golga oder eines der mehr schweigsamen "geheimen" Mitglieder war. Alles befand sich im Gleichgewicht, ob sie sich darüber bewusst waren oder nicht.
Was auch immer in der Zukunft kommen würde, sie war sich sicher, dass sie sich aus elendigen, langen und öden Verhandlungsgesprächen heraushalten würde. Politik oder andere Machenschaften dieser Art überließ sie Ba'thal oder Livius - den beiden stand diese Aufgabe wesentlich besser und vermutlich waren sie auch weitaus geübter darin, als sie selber es jemals hätte sein können. Der unvermeidliche Untergang der alten Welt hatte auch für sie einen Schlussstrich gezogen. Der Neuanfang würde an neuen Ufern warten und vergessen sein sollte alter Groll oder alte Ziele. Sie hatte ganz eigene Pläne. Pläne, die sie eher am Quell des Ursprungs verharren ließen, zusammen mit den schweigsameren Mitgliedern der Gemeinschaft. Sie war Teil der Natur und ein Abbild im astralen Netz, beides fühlte sie mit jedem Moment ihres Daseins und über beidem würde sie hüten. Sie konnte nur hoffen, dass sie nicht wieder einen Teil ihrer selbst aufgeben musste, denn etwas würde kommen, von dem sie nicht wusste, ob sie dazu in der Lage wäre.
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