Kristallgeschichten

Rollenspielforum für Geschichten.
Benutzeravatar
Xa'Velle Belin
Beiträge: 156
Registriert: 29 Apr 2019, 14:12
Wohnort: Deux Ponts
Has thanked: 161 times
Been thanked: 56 times

Re: [Quest] Schlafende Artefaktwächter weckt man nicht...

Beitrag von Xa'Velle Belin »

Das es so endete hatte sie nicht kommen sehen. Nein, bis zuletzt hatte sie nicht begriffen, dass es darauf hinauslaufen wuerde. Im Nachhinein schalt sie sich selbst eine Naerrin.
Was hatte sie denn geglaubt, dass passieren wuerde?
Dass auf wundersame Weise Shirins Koerper wiederhergestellt und die darin befindlichen Seelen.. oder was auch immer.. repariert sein wuerden, nachdem die Elfen, Amazonen und Magier des Bundes zusammengekommen waren, um das Ritual durchzufuehren?
Dumme, einfaeltige Gans!
<<Na na na, Kleine, nimm es nicht so schwer.>>
Oh. Oh, oh, oh! Wenn sogar Skotos troestende Worte fuer sie uebrig hatte, dann musste es wirklich schlimm um sie stehen, dachte sie und schlug die Hand vor Augen.
<<Als deine luesternen Gedanken noch ohne Unterlass um den, von sich selbst so ueberzeugten, duerren, merkwuerdig riechenden Kerl kreisten, haette ich mir zwar die Klauen in den Leib stossen und die Gedaerme heraus reissen moegen.. aber.. dich ueber diese von ihnen viel gepriesene.. Magokratie.. lustig zu machen, zaehlte aber auch wirklich nicht zu deinen besten Einfaellen!>>
Die Haelfte des Satzes bekam einen eigentuemlichen Unterton, der verhiess, dass der Drache sich gerade zusammen riss, um nicht in lautes Gelaechter auszubrechen.

Jetzt war es an ihr, sich am liebsten die Gedaerme aus dem Leib reissen und die feinen Schlingen saeuberlich vor ihren Fuessen auftuermen zu wollen. Verdammter Skotos! Sie hatte nur darauf gewartet, dass er ihr dieses Trauerspiel buchstaeblich unter die „Nase rieb“.
<<Von welchen luesternen Gedanken redest du widerliches Geschoepf eigentlich? Meine Gedanken sind bluetenrein. Bluetenrein und unschuldig. Still jetzt!>>
<<Von wegen rein! Seit Tagen sind sie duester und schwer, von Trauer, Schmerz und Melancholie zerfressen. Eigentlich entspricht dies genau meinem Geschmack. An so etwas labe ich mich sooo gern. Aber diese Flut aus Erinnerungsfetzen am.. eigenen Leib.. zu erfahren, ertrage ich nicht laenger.>>
 
Stille machte sich breit. Eine zeitlang konnte sie ihren eigenen Gedanken nachhaengen.
Shirin hatte grosses Glueck gehabt, hatte Nimue festgestellt. Wenngleich ihr die Bundmagier bei jedem Aufeinandertreffen bisher unnahbar vorgekommen waren und ihr den Eindruck vermittelt hatten, stets ueber den Dingen zu stehen, so hatte sie begriffen, dass sie in der Hochmagierin nicht nur eine Verbuendete, sondern auch eine Freundin, mehr noch, eine Schwester gefunden hatten. Selbst wenn Shirin zuletzt wohl mehr Feinde als freundlich Gesinnte gezaehlt hatte, so wusste Nimue doch, dass dies keine Rolle spielte. Nicht die Anzahl derer, die sich nach dem Ableben an ihrem Grabe versammelten war wichtig, sondern wie tief sich die Versammelten Shirin gegenueber verbunden gefuehlt hatten. Und da bestand fuer Nimue kein Zweifel, tiefer haetten die Gefuehle auf Seiten der Trauernden nicht sein koennen.

Auch Livius, der vor langer Zeit in einem Gespraech einmal erwaehnt hatte, dass er sich mit Shirin eher notgedrungen umgab, weil er sich mit Naurm verbuendet hatte, hatte seine Meinung geaendert und war tief getroffen vom Verlust seiner Mentorin, die scheinbar auch zu einer wertvollen und hoch geschaetzten Freundin fuer ihn geworden war.
<<Ach. Schon wieder der Wolfskrieger..-Magier. Koennen wir uns nicht auf den anderen, den roten Wolf konzentrieren? Den Blutruenstigen meine ich. Das wuerde Spass machen, Epi’lhechthike! Ausnahmsweise wuerde ich es sogar gut heissen, wenn du der Frostweissen freie Hand laesst. Sie wird ihn gewiss dafuer strafen wollen, dass er es gewagt hat, dich anzuknurren. Ist es nicht so? Wie nennt ihr das? Rangfolge?>>
Der Drache draengte sich wieder in den Vordergrund und zog mit ganzer Kraft an ihrem ohnehin schon aufgeriebenem Geduldsfaden.
Wie es Ali’shondra, der Hueterin – es war doch der Amazone zu verdanken, Livius aus seinem todesaehnlichen Schlaf aufzuwecken und letztendlich zu heilen, oder nicht? – wohl gelungen war, hatte sie angesichts der Beerdigung der sterblichen Ueberreste Shirins gar nicht erst erfragt, aber das wuerde sie bestimmt bei einer sich bald bietenden Gelegenheit in Erfahrung bringen. Livius war am Leben- fuers Erste zaehlte nur das.
 
Als sie auf ihn getroffen war, hatte sie sich die groesste Muehe gegeben, sich nicht anmerken zu lassen, wie gross die Erleichterung war, ihn wohlauf zu sehen. Livius hatte ihre „weiche Seite“ in juengster Zeit viel zu oft belaechelt, er brauchte nicht auch noch zu wissen, wie viel Sorge es ihr bereitet hatte, ihn verletzt und dem Tode naeher als dem Leben sehen zu muessen. Ausserdem hatte er jemanden mit sich gefuehrt, der Nimues ganze Aufmerksamkeit eingefordert hatte.

Der Kristalldrache, der das Resultat des aufwaendigen und kraeftezehrenden Rituals war, trug den wohlklingenden Namen Shira’niryn. Sehr passend, befand Nimue. Ein Zusammenschluss aus den drei Seelen, die miteinander verschmolzen waren. Mit ihrer quirligen und direkten, aber auch nuechternen Art und Weise hatte der Drache sogleich Nimues Sympathie erlangt, der Anblick des smaragdgruenen Angolquarzwesens loeste zeitgleich aber auch Bekuemmerung aus. Als Shira’niryn auf sie zugetapst kam und sie betrachtete, schien sie sie aus einer Erinnerung Shirins wiederzuerkennen und sagte:    
„Sie war sehr traurig wegen dir.“
Bei den Alten! Die nur muehsam zurueckgehaltenen Emotionen, broeckelten augenblicklich wie in der Sonne trocknender Schlamm und ein kleiner, abgehackt klingender Laut loeste sich aus Nimue ploetzlich staubtrocken gewordener Kehle.

Als die Gruppe bestehend aus dem Kristalldrachen, der sich stets in der Naehe zu Livius hielt, Davion, Balthasar und Nimue komplett war, brachen sie nach Glaedi auf um den Leichnam Shirins zu bergen.
Die Begeisterung ueber die fremdartige Ebene die sie beim ersten Besuch verspuerte hatte, war wie weggeblasen. Umso naeher sie der Schlucht und somit auch dem Stein kamen, auf dem man sie aufgebahrt hatte, umso bleierner fuehlten sich ihre Beine an, sie hatte Muehe, ihre Schritte fortzusetzen. Die Magier hatten eine Diskussion gefuehrt, wie man mit ihrem Leib verfahren wuerde- sie war davon ausgegangen, dass Shirin ihren engsten Vertrauten offenbart haette, was sie sich gewuenscht haette. Wieso hatte sie selbst nicht gefragt?
<<Weil es unwichtig ist, Kleine! Was macht es fuer einen Unterschied? Es sind Knochen, nichts weiter.>>
<<Kein Wort mehr, ich warne dich, Skotos!>>
<<Ruhig Blut!>>
<<Nein, ich meine es ernst, du bist jetzt besser still. Mach es nicht noch schlimmer.>>

Trotz ihrer Warnung sprach der Drache weiter, aber er klang nicht angriffslustig.
<<Manchmal vergesse ich, dass die Menschen so eingeschraenkt und kleingeistig in ihrem Denken sind: Wieso beweinst du sie? Sieh das einmal so. Waere dies alles nicht passiert, waere sie, wie jeder andere Mensch, an den du dein Herz haengst, irgendwann einmal gestorben. Sie trug Naurm in sich, sie hat dir erzaehlt, was dies fuer Auswirkungen auf ihren Koerper hatte und dass sie schon laenger um die Konsequenzen wusste und darunter litt. Sie haette dem nicht sehr viel laenger stand halten koennen. Im Grunde genommen hatte sie doch grosses Glueck, dass sich so viele ihrer angenommen und dies fuer sie ermoeglicht haben. Die Lebensspanne eines Menschen, uebertrieben dargestellt, ist ein Augenaufschlag fuer uns, nicht wahr? Ihre Seelen sind gerettet worden- sogar alle. Miteinander vereint in diesem kleinen, huebschen Drachen. Und noch dazu wurden die Erinnerungen der Seelen erhalten. Moeglicherweise nicht alle. Zah’niryn kennen wir nicht, Shirin ist nicht mehr mit Naurm allein- vielleicht wird die Freundschaft zwischen euch nicht weiter bestehen, vielleicht wird sie eine andere werden und vielleicht seid ihr euch heute zum letzten Mal begegnet? Wer weiss das schon? Aber bedenke, dass sie uns nun moeglicherweise viel laenger auf unserem Weg begleiten koennte. Veraenderung muss nicht immer etwas Schlechtes sein. Ist das denn nichts? Troestet dich das nicht?>>

Wie vom Blitz getroffen war sie in ihrer Bewegung erstarrt. Wieviel Ueberwindung es ihn wohl gekostet haben musste, ihr seine Sicht der Dinge mitzuteilen? Er haette sie auch noch Tage, Wochen ..ewig.. so weiter leiden lassen koennen. Lag es wirklich daran, dass er sich selbst dieser Pein nicht laenger aussetzen wollte oder faerbte nicht nur sein schlechter Einfluss auf sie, sondern umgekehrt auch etwas von ihrem.. gu.. nun ja.. etwas von ihrem Einfluss auf ihn ab?
Ein Gefuehl, als wenn eine Tuere zugeschlagen wuerde, ergriff fuer einen Augenblick Besitz von Nimue. Ein Schmunzeln huschte ueber das fein geschnittene Gesicht. Das sie das hinterfragte hatte ihm offensichtlich nicht gepasst, hm!

Ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein, hatte sie wieder den Weg zum Gebirgsgipfel gewaehlt, den sie fuer gewoehnlich aufsuchte, wenn sie aufgebracht war oder nachdenken wollte. Doch als sie es begriff, denn es hing noch eine letzte, kaum wahrnehmbare Nuance des verbrannten Ginsengs in der aufgezehrten Erde, ergriff sie die Flucht.

Es wuerde, wenn ueberhaupt jemals wieder, lange dauern, bis sie diesen Ort wieder freiwillig aufsuchen wuerde. Nie wuerde sie das Bild vergessen, dass sich ihr geboten hatte, als der Bundmagier Shirins Leichnam behutsam in die Arme gehoben hatte. Als Balthasar seiner Gabe freien Lauf liess und seine Gestalt zu purem Feuer wurde, umfingen die Flammen den Koerper.

Mit einem gequaelten Gesichtsausdruck hatte Nimue stoisch, waehrend sich unaufhoerlich Traenen ihren Weg ueber ihre Wangen bahnten und ungebremst im weich-fliessenden Stoff des dunklen Kleides versickerten, den Anblick ertragen. Auch wenn es sie ungeheuerlich viel Kraft kostete, es waere ihr nicht richtig erschienen, den Blick abzuwenden.
Nach einer Weile hatte das Feuer den Leib vollstaendig verzehrt und mittels Telekinese wurden die Ueberreste in einer mitgebrachten Urne aufgefangen, versiegelt und mittels Erdmagie auf einer Bodenplatte verankert.

Dies war jetzt Shirins Ort. Ihre letzte Ruhestatt.
..Magic, madness, heaven, sin.. don't say I didn't say, I didn't warn ya..
Benutzeravatar
Shira'niryn
Beiträge: 414
Registriert: 20 Apr 2019, 10:43
Has thanked: 32 times
Been thanked: 53 times

Re: [Quest] Schlafende Artefaktwächter weckt man nicht...

Beitrag von Shira'niryn »

Der Plan war klar - diesmal ohne große 'Wenn oder Abers'. Sie hatte vom Fürst die Erlaubnis erhalten, seinen Namen zu nutzen, da keiner wissen würde, wer sie war und wer würde schon einer Fremden folgen? Es war auch viel zu kompliziert der breiten Masse es zu erklären... und viel zu gefährlich. So würden zu allen Völkern des alten Bundes ein Schreiben seinen Weg finden, genau so wie zu den Städten der Fraktionen, sowie deren Gruppierungen. Eine gesonderte Schrift findet seine Weg zum Magierbund.

Aufruf zur Vernichtung Thak'chrens

Nachdem der Angolquarzdrache bei der letzten Zusammenkunft zumindest stark beschädigt wurde, so dass er im Laufe der Nacht die Flucht ergriff, wollen wir uns nun der endgütigen Vernichtung dieser Gefahr widmen.

Thak'chren ist geschwächt und durch das letzte Aufeinandertreffen und dem Erforschen eines Bruchstückes seines Schuppenkleides wissen wir, womit wir ihm effektiv gegenüber treten können. Allerdings ist die Zeit auch diesmal nicht auf unserer Seite, da sein Heilungsprozess weiter voranschreitet, je länger wir warten.

So wollen wir in zwei Tagesläufen, am 19. des fünften Mondes, zur 9. Stunde nach dem Mittagsläuten uns an Reisepunkt der Nordberge versammeln.

Schwere, wuchtige Waffen mit roher Gewalt, große Kriegsgeräte und Erdmagie werden sich als äußerst effektiv gegen ihn herausstellen, doch auch jene, die keine dieser Dinge ihr Eigen nennen oder sie beherrschen, können einen Teil dazu beitragen, dieses Ungeheuer zu vertreiben.

Angelockt wird er durch den grünen Angolquarz in der Nähe, der von unseren Magiern entsprechend zu einem Signalfeuer umgewandelt wird.

gez.
Naeldir Tir'Daer
Tarcil en noss Tir'Daer


[OOC: 19.05. - 21 Uhr, Reisemagierpunkt Nordberge]
»• She wears strength and darkness equally well, the girl has always been half goddess, half hell. •«
~ Nikita Gill
Benutzeravatar
Livius Quintus
Beiträge: 359
Registriert: 29 Apr 2019, 12:41
Has thanked: 59 times
Been thanked: 19 times

Re: [Quest] Schlafende Artefaktwächter weckt man nicht...

Beitrag von Livius Quintus »

~•~

Von getauschten Rollen


~•~

Die letzten Tage waren wahrlich nicht einfach für mich. Die ganzen Gefühle und Informationen, die mich übermannt hatten, als ich so plötzlich aus der Dunkelheit gerissen wurde, mussten nach und nach verarbeitet werden. Das war keine einfache Aufgabe, vor allem, da meine ständige Begleitung – in Form eines smaragdgrünen, quirligen Kristalldrachens – mich immer wieder daran erinnerte, was in den letzten Tagen geschehen war. Und doch… spendete sie einen gewissen Trost. Da war etwas in ihr, dass mich an die Drei erinnerte und doch etwas Neues war. So richtig konnte ich es nicht in Worte fassen. Doch das musste ich auch nicht. Ich lernte ihre Anwesenheit, trotz der damit verbundenen Erinnerungen, in den letzten Tagen zu schätzen. Und das reichte.

Zugegeben, so 'jung' die kleine Kristalldrachin auch war, hatte sie eine bemerkenswerte Auffassungsgabe. Sie mochte zwar manchmal ein etwas kindliches Verhalten an den Tag legen, doch was ihre Entwicklung anbelangt, machte sie jeden Tag Fortschritte, die ich bisher bei keinem anderen Wesen beobachten konnte.
Begonnen hatte alles mit simplen Gesprächen, die wir führten, um die essentiellen Dinge zu klären. Wie habe ich mich zu verhalten? Was ist angemessen zu sagen, was nicht? Worauf muss ich Rücksicht nehmen? Die Meisten dieser Fragen kamen zugegebenermassen auf, weil sie Dinge von sich gab, die mich an vergangene Zeiten erinnerten und mit negativen Erinnerungen verbunden waren. Im Nachhinein jedoch bin ich froh, dass sie es tat. Dadurch konnte sie gleich ein paar wichtige Lektionen lernen, die ihr fortan in ihrem Leben helfen würden.

Manchmal erwischte ich mich darin, wie ich durchaus Spass daran hatte, ihr etwas beizubringen – wobei es auch seltener vorkam, dass sie überraschenderweise Worte für mich übrighatte, die mich nachdenklich stimmten. In gewisser Weise erinnerte es mich an die Gespräche mit Shirin oder Naurm – nur, dass die Rollen diesmal getauscht waren. Unweigerlich fragte ich mich, wie lange es noch so bleiben würde? Wie lange es wohl dauerte, bis sie 'alles' erlernt hat?

Eine Weile würde es gewiss noch dauern, davon war ich überzeugt. Die Zeit nutzten wir aber, um ihr magisches Können auf die Probe zu stellen. Verwandlungen war die erste Prüfung. Wir prüften ihr Können, indem ich sie verschiedene Tierarten annehmen liess, letztendlich auch die Form eines grossen Drachens. Sie brauchte zwar einige Ansätze, um die Wesen richtig zu formen, da sie anfangs aufgrund der verworrenen Erinnerungen teils noch etwas deformiert aussahen. Doch nach etwas Übung klappte es recht zuverlässig.
Grundsätzlich schien sie Mächte in sich zu tragen, die jene von Shirin und Naurm - letztere war natürlich durch die sterbliche Hülle, in der sie gefangen war, eingeschränkt – weit überstiegen. Sie war dazu in der Lage, Beschwörungen materialisieren zu lassen und Zauber zu sprechen, die nur die mächtigsten Magier beherrschten. Und das würde früher oder später auch die Welt ausserhalb der schützenden Insel erfahren, auf der wir aktuell zu Gast waren.

Die Dunkelelfen drohten Shirin vor der Falle damit sie zu töten, so sie scheiterte, das Drachenkonstrukt zu vernichten. Das stimmte mich nachdenklich. Wüssten sie um Shira'niryns Geburt würden sie vermutlich versuchen sie zu vernichten oder für ihre Zwecke zu missbrauchen.
Doch nicht nur sie bereiteten mir Sorgen. Selbst Davion, ein Magier des Bundes und ehemaliger Vertrauter von Shirin, war mir ein Dorn im Auge. Er beteiligte sich Erzählungen nach am letzten Ritual und half dabei, die Seelen zu einem neuen Wesen zu verschmelzen. Gerade er hätte doch dadurch Interesse an der Kristalldrachin haben müssen – so dachte ich zumindest. Stattdessen war das erste, wovon er zu sprechen begann, als er die Insel betrat, die Magokratie. Dieser fanatische, egoistischer Magier wusste wahrlich das Vermächtnis der ehemaligen Bundmagierin zu ehren. Der Gedanke, solche «Menschen» in ihrem Vorhaben unterstützt haben zu wollen, erfüllte mich mit Selbstverachtung. Mit seinem Tod muss er wahrlich alles Menschliche zurückgelassen und die Dreistigkeit, seine eigenen Interessen in den Vordergrund zu schieben, überhandgenommen haben. Der Gedanke an das Gespräch erfüllte mich mit Wut und ich musste mich wahrlich in Anwesenheit der hochelfischen Wache zurückhalten, diese nicht zum Ausdruck zu bringen. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass er auch noch versuchte einen Keil zwischen Shira und mich zu treiben, als ich mich zurückzog, ich hätte alles unternommen, um das Gespräch zu beenden. Doch ich musste aufpassen, nicht meine eigenen Interessen in den Vordergrund zu stellen. Ihre Sicherheit war zwar meine höchste Priorität, doch sie selbst äusserte den Wunsch, verstehen zu wollen, was Shirin in den Bundmagiern sah. Also beschloss ich mich entgegen meinem Willen, mich vorerst etwas zurückzuhalten und zu beobachten, was ihnen wichtiger war. Das Vermächtnis Shirins an ihrer Seite zu haben oder Shira'niryn als Werkzeug für ihre Ziele zu missbrauchen. Die Zeit würde es offenbaren.

Zeit. Etwas, wovon man viel braucht aber meist zu wenig hat. Und so verhielt es sich auch mit dem Drachenkonstrukt. Es war bekannt, dass Thak'chren sich im Kampf mit Zah'niryn, die sich aufopferte, schwere Wunden zuzog. Auch, dank Shira, dass Kristalldrachen längere Zeit bräuchten, um ihr Schuppenpanzer wieder zu regenerieren. Wir mussten somit handeln. Würden wir zu lange zögern, könnte es die Wunden schliessen und neue Kräfte sammeln. Ein Kampf wäre damit ausgeschlossen. Wie es das letzte Mal endete, wussten wir alle immerhin. Daher haben wir den kurzfristige Entschluss gefällt, die Bürger des Kontinents nochmal zusammenzurufen und Thak'chren zu einem der Angole zu locken, damit man das Konstrukt ein für alle Mal vernichten könnte. In meinem Inneren spürte ich die Unruhe, die sich aufbaute, in dem Wissen, dem Drachen bald wieder gegenüberzustehen, der so viele Opfer forderte. Doch Shira'niryns Zuversicht war anstreckend. Ich glaubte tatsächlich, dass wir Erfolg haben würden. Die Antwort auf unsere Frage, ob wir denn Erfolg haben werden oder scheitern würden, war nur ein Tag entfernt. Es galt sich vorzubereiten.

~•~
You either die a hero, or you live long enough to see yourself become the villain
Benutzeravatar
Livius Quintus
Beiträge: 359
Registriert: 29 Apr 2019, 12:41
Has thanked: 59 times
Been thanked: 19 times

Re: [Quest] Schlafende Artefaktwächter weckt man nicht...

Beitrag von Livius Quintus »

~•~

Als ich meine Augen aufschlug und den Blick durch die Angol-Höhle lenkte, fühlte ich, wie erschöpft ich wirklich war. Ich sass auf dem steinernen Boden, den Rücken an das goldene Kristallgebilde gelehnt. Meine Beine hatte ich zu einem Schneidersitz angezogen und Shira’niryn auf meinem Schoss gebettet, wo sie sich von dem Ritual und Kampf ausruhte. Auch wenn ich grösstenteils durch meine Müdigkeit in einem Halbschlaf gefangen war, konnte ich die Bewegungen des kleinen Kristalldrachen-Körpers wahrnehmen, dessen Äusseres sich nach und nach wieder zu regenerieren schien.

Dass der Kampf und das Ritual kräftezehrend werden würden, hatten wir erwartet. Gut, Shira’niryn hatte es deutlicher getroffen, wie mich. Sie musste immerhin einen Teil ihrer eigenen Energie in das Ritual speisen, um den Angol – wie sie selbst sagte – zum Singen zu bringen. Der anschliessende Kampf zerrte schliesslich so sehr an ihrer Kraft, dass sie beinahe das Bewusstsein verlor. Sorge machte sich in mir breit, denn ich fühlte, dass etwas geschehen war. Nachdem ich mich auf dem Platz umsah und im ersten Moment nichts erblicken konnte, wurde ich schliesslich fündig. Etwas abseits der Masse lag sie kraftlos am Boden. Sie flüsterte mir zu, dass ihre Verwandlung langsam nachgab und da dauerte es nicht lange, bis der Entschluss gefasst war: Sie musste weggebracht werden.
Berion bekam das Ganze mit und so schlug er vor, sie zur Insel zu bringen. Ich hätte schwören können, dass er die Erleichterung in mir spüren musste, jemand weiteres dabei zu haben, der uns unterstützen konnte.
Nach einer Weile erreichten wir endlich die Anlegestelle, die uns zur Insel führte. Der erste Plan war, sie zu Berions Haus zu bringen. Dort angekommen fiel uns aber rasch auf, dass keiner genügend Splitter hatte, um Shira ansatzweise neue Kraft zuzuführen. So sah ich mich vor zwei Optionen wieder:

- Das Versprechen an die Waldelfe brechen, ihr Volk zu benachrichtigen, wenn sie den braunen Quarz besuchen
- Den goldenen Angol aufsuchen, von dem nur wenige Bescheid wussten. Die Amazonen beschützten diesen zwar, aber sie wussten nicht, dass Livius das Wissen über die Höhle hatte.

Es dauerte somit nicht lange, bis ich mich für den goldenen Angol entschied. In Begleitung des Hochelfenfürsten Naeldir und dem Peth en Ithryn - Berion – brachen wir dorthin auf. Erfahrungen der letzten Tage zeigten, dass die Kraft in den Angolen dazu fähig war, Schäden an Shiras kristallenen Körper zu verheilen. Ein einzelner Splitter würde aber nicht ausreichen und so fanden wir uns etwa einen halben Stundenlauf nach dem Kampf in der Angolhöhle wieder. Hoffnung keimte in mir auf und tatsächlich zeigte sie relativ schnell positive Reaktionen auf die Kräfte des Angolquarzes.
Gewissheit, ob es funktionieren würde und ob Konsequenzen daraus folgen, hatten wir nicht. Der Hochelfenfürst wurde auch nicht müde, zu erwähnen, dass nur dieses Quarzvorkommen von dieser Art existierte, doch das kümmerte mich in diesem Moment nicht. Die Prioritäten lagen bei Shira’niryn. Dafür hätte ich auch den Angol komplett seiner Kraft beraubt, wäre es notwendig gewesen – doch wie die smaragdgrüne Kristalldrachin mir versicherte, benötigte sie nur etwas von dessen Kraft und ausreichend Ruhe.

Ruhe, etwas dass auch ich brauchte. Die Änderungen, die in meinem Körper vorgingen – so vermutete Shira, da Zah’niryn ähnliches voraussagte – raubten mir seit dem Erwachen ständig die Kraft. Wie lange das noch andauern würde, wusste ich nicht. Doch das war ein Problem, um das ich mich auch später kümmern konnte. Wichtig war, dass Shira’niryn wieder zu Kräften kam.

~•~
You either die a hero, or you live long enough to see yourself become the villain
Benutzeravatar
Ba'thal
Beiträge: 195
Registriert: 29 Apr 2019, 16:07
Has thanked: 17 times
Been thanked: 84 times

Re: [Quest] Schlafende Artefaktwächter weckt man nicht...

Beitrag von Ba'thal »

Der Morgen
 Das Gespräch mit dem Peth en Ithryn ging lang und bis spät in die Nacht. Berion wusste, was zu tun war. Der Tarcil selbst… nun, er wusste es nicht.
 “Ich habe gesagt, Ihr würdet es bereuen.”
 Er nickte unwillig.Er bereute es, wenn auch aus anderen Gründen. Seinen Namen herzugeben war keine leichte Entscheidung, doch auch Ba’thal bewilligte dies, aber Naeldir bezweifelte eine allzu hehre Absicht. Heute würde er als Feldherr und Befehlshaber auftreten müssen, doch war es lange her, dass er diese Aufgabe übernahm. Er war Fürst, kein Kämpfer. Ein leises Seufzen entglitt ihm, als er dies feststellte. Es war lange her...
 “Kein Kämpfer, kein Magier, was seid Ihr dann? Verteidigt Euer Volk und unser Vermächtnis oder geht zu den Sternen, Edhel.”
 Die Worte trafen ihn wie ein Donnerschlag. Mae, keine Skepsis. Kein Zögern. Ein letzter Dienst im Sinne der Völker. Er erinnerte sich an das Gespräch mit Shira’niryn und Livius Quintus, die seinen Namen wollten, um die Streiter zu versammeln, auch, weil die Zeit drängte, aber vor allem sollte niemand von der Drachin erfahren.
“Ihr werdet sie verteidigen. Bis zum letzten, denn ein Narr seid und bleibt ihr...”
 Keine Bitte, nur Hohn, doch Naeldir wusste, dies war ein Rat.. Der Letzte der Caledhil hatte gesprochen und der Tarcil würde gehorchen. Wie stets suchte er die Grotte auf, um sich vorzubereiten. Ruhe und Kraft würden notwendig sein, denn auch wenn sein Name dort stand, so war er doch noch nicht darauf vorbereitet. Zeit, einen Plan zu verfassen, denn nur vernünftige Vorbereitung verhindert völliges Versagen.
 
Der Abend
 Die Rüstung war angelegt, sein Aussehen präsentabel, eines Feldherrn angemessen. Fast bereit für die Schlacht. An ihm wäre es, dass sich alle vor der Höhle des grünen Angols versammelten, um dort den Drachen ein letztes Mal herauszufordern. Unwillkürlich fuhr seine Hand zum Schwertgurt und der Griff festigte sich um um den Griff des Ihildins. Zusammen mit Berion, Peth en Ithryn und seiner rechten Hand, würde er aufbrechen, sodass Berion… nunja, Magie bewirken konnte. Der Fürst vertraute ihm und gewiss wusste Berion, was zu tun war. Es war Zeit, aufzubrechen.
 “Ihr könnt nur verlieren, Edhel.”
 Solcherlei aufmunternde Worte waren nur bedingt hilfreich.
 
Der Kampf
 Gewiss, es war lange her, dass er ein Heer in eine Schlacht führte - und nichts anderes sollte dies werden. Mit einigen Problematiken.
 Hier hört jemand nicht zu, dort auch nicht, Worte müssen wiederholt werden. Der Tarcil wurde ungeduldig, insbesondere, als alles bekannt gegeben wurde und Shala, die Kaiserin der Amazonen, ihre Aufwartung machte. Natürlich waren sie eine gern gesehene Hilfe, doch die Zeit drängte, und er war etwas missmutig, für eine kurze Höflichkeit anzuhalten, war er doch soeben im Begriff, die Gruppe zum grünen Angolquarz zu führen.
 Dort sollten auf seine Anweisung die Ithryn Nimue, Berion und Thrilmanduil, die Shiras wahre Form kannten, helfen, die Präsenz des Angols zu verstärken, während die Ithryn Livius, Balthasar und Davion jedwede Eindringlinge, notfalls mit Gewalt, abhalten sollte.
 Nun, es nach einigen Gesprächen, die der Fürst selbst nicht mitbekommen konnte, fügten sich auch die Bundmagier und nahmen ihre Position ein. Alles lief nach Plan.
 Wären da nicht die duredhil gewesen.
 Es war zu erwarten. Sein Name stand dort. Das ihm diese… Kreatur vorgesetzt wurde, beleidigte ihn, sodass er auch jedwede Verhandlungen abbrach, was ein Glück war, trat dann doch Thak’chren, ihr aller Ziel, hervor und landete eindrucksvoll auf dem Boden. Vergessen waren die duredhil. Hierfür waren sie alle da. Shira’niryns Plan ging auf. Das Konstrukt wurde angelockt und es galt, es zu bezwingen.
 Nach einem kurzen Austausch in der alten Sprache, die er nur noch mühsam beherrschte, war offensichtlich, dass das Konstrukt “sterben” müsste. Freilich half es nicht, dass er selbst höchst undiplomatisch den Drachen als eine Perversität bezeichnete, wurden doch so viele Drrachenseelen für dieses Konstrukt geopfert. Der Kampf war unausweichlich.
 “An i bardor a i núr!” rief der Fürst. Für Heimat und Volk. Denn deswegen hatten sie alle sich hier versammelt.
 “Ihr werdet es bereuen, junger Edhel.”
 Keine tröstlichen Worte sprach Ba’thal, kalt wie eh und je.
 Doch der Tanz begann. 
Zuletzt geändert von Ba'thal am 21 Mai 2020, 01:14, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
Shira'niryn
Beiträge: 414
Registriert: 20 Apr 2019, 10:43
Has thanked: 32 times
Been thanked: 53 times

Re: [Quest] Schlafende Artefaktwächter weckt man nicht...

Beitrag von Shira'niryn »

~•~

»Vom Ende und vom Anfang«

~•~

Als würde man einen kleinen und idyllischen Waldsee in ein tosendes Meer verwandeln wollen, so dass dessen Wellen sich über weite Teile des Gefüges erstrecken würden. So sah der Plan aus, den grünen Angolquarz zum Singen zu bringen, ihn zu einem Signalfeuer für Thak'chren zu machen – auf dass der Angolquarzdrache gar nicht anders konnte, als dem Ruf zu folgen. Auch wenn sie Unterstützung von Thrilmanduil, Nimue und Berion hatte, so kostete sie es den größten Teil ihrer eigenen Kraft, die Angolquarzenergien zu lenken und zu formen.
Unvorsichtig vermutlich von ihr, so viel ihrer selbst aufzubringen, aber sie war jung und hatte noch keine Kenntnisse über die Ausmaße ihrer Kräfte. Jedoch war es das wohl wert, wenn sie an den Ausgang des Abends zurückdachte.

Endkampf.jpg

~•~

Es war geschafft.
Es war endlich geschafft.


Ein letzter Gedanke ehe sie spürte wie das Speisen des Grünen Angolquarzes und der daraus resultierende Kampf mit Thak'chren an ihrem Energiekern zerrte. Wie eine bleierne Dunkelheit die sich über ihre Sinne legte, war das einzige, was sie tat, ihre letzten Kräfte für die Verwandlung aufrecht zu erhalten – es wäre nicht abzusehen, was passieren würde, wenn jeder ihre wahre Gestalt sehen würde. Wieder einmal war sie Dankbar für den Splitter ihrer selbst in der Brust des Magiers, der bemerkte wie es ihr ging. Sie wusste letztendlich nicht einmal wie sie vom Schlachtfeld in die Höhle des Goldenen Angolquarzes gekommen war, denn als die Müdigkeit und Erschöpfung ihren Tribut forderten und ihre Verwandlung sich auflöste, war da auch für eine kleine Zeit nur verschlingende Schwärze die sie umfing.

Als sie wieder zu sich kam, bekam sie die Unterhaltungen der Anwesenden am Rand mit, doch erklangen sie weniger erfreut. Ein Streit zwischen dem Fürst und Livius? Sie konnte es nicht leiden wenn Streit und Missgunst in ihrer Nähe herrschten, erst Recht nicht wenn sie der Ursprung dafür zu sein schien. Sie war zu müde um darauf zu reagieren und ihre Glieder reagierten nicht, während das Leuchten in ihrem Inneren auf ein Minimum reduziert war. Die Energie die sie offenbar brauchte, reichte nicht aus um den Goldenen Angolquarz zu zerstören oder ihn seiner Kraft zu berauben, was eine gute Erkenntnis war, die ihnen wohl einiges an Missgunst ersparen würden. So spürte sie über die Nacht hinweg, wie ihre Kräfte nach und nach wieder zurückkehrten und sie wieder mehr sich selber und die Umgebung wahrnehmen konnte.

Sie fühlte die regelmäßigen, erschöpften Atemzüge und die Wärme des Mannes, mit welchem sie verbunden war und spürte den wachsamen Blick des Waldelfens, der sich bereit erklärt hatte, über die beiden zu wachen. Noch immer war sie ein wenig ermattet, doch funktionierte schon wieder alles so, wie es wohl funktionieren sollte. Noch mehr, durch den Kraftverlust hatte sie neue Erkenntnisse darüber erlangt, wie der Drachenangol-Kern in ihrem Inneren funktionierte und sich lenken ließ. Etwas was sie in Zukunft sicherlich für sich nutzen konnte und sie hatte auch schon eine Idee, was sie damit versuchen würde umzusetzen. Aber bis dahin galt es auch dafür zu sorgen, dass Livius sich erholen würde. Die ständige Müdigkeit die seine Tage überschattete bereiteten ihr zugegeben sorgen und sie wusste nicht so recht, wie sie das beheben konnte. Außerdem galt es den Streit zu schlichten, von diesem sie nur Bruchstückehaft etwas mitbekommen hatte. Thak'chren war wohl besiegt aber es schien so, als wäre es noch lang nicht das Ende der Unruhen.

~•~
»• She wears strength and darkness equally well, the girl has always been half goddess, half hell. •«
~ Nikita Gill
Benutzeravatar
Shira'niryn
Beiträge: 414
Registriert: 20 Apr 2019, 10:43
Has thanked: 32 times
Been thanked: 53 times

Re: Kristallgeschichten

Beitrag von Shira'niryn »

~•~

»Neue Wege und neue Erfahrungen«

~•~

Der Verlust des größten Teils ihrer Kraftreserven und somit die kurze Zeit der Schwärze, die sie umfangen hatte, hatte auch seine Vorteile mit sich gebracht. Von dem Tag an, an dem sie ihre Kräfte wieder am Goldenen Angolquarz auffrischen konnte, fühlte sie ihr Herz deutlicher, intuitiver und sie verstand wie es funktionierte. Als hätte die Schwärze einen Schalter umgeklappt, der sie nun verstehen ließ, wie diese sonderbare Kraft in ihrem Inneren funktionierte - wie die Drachenmagie des Drachenangols und Zah'niryn funktionierte.
Es dauerte eine gewisse Zeit, doch dann konnte sie auch ihren Kern, der Drachenangol den sie beseelte und der ihr diese Körper und diese Kraft gab, auch dazu animieren sich zu verändern. Keine Verwandlung für die man Reagenzien und Wörter der Macht brauchte, keine Verwandlung, deren Magie mit einem simplen Zauber gebannt werden konnte – sondern eine Verwandlung, die durch ihren Kern selber geschah. Wie ein Gestaltenwandler war sie mittlerweile in der Lage eine menschliche Gestalt anzunehmen – was unfassbar viele Vorteile mit sich brachte.

Zu einem waren da ganz klar die Hände, die ihr ganz neue Möglichkeiten offenbarten und zum anderen war die menschliche Gestalt wesentlich unauffälliger, als wenn sie als ein kleiner, smaragdfarbener Kristalldrache durch die Welt reisen würde. Sie hatte vermutlich nicht die gewöhnlichste und sicherste menschliche Gestalt, die sie sich gewünscht hätte, aber etwas an dem Verwandlungsprozess behinderte sie daran, die Gestalt gänzlich nach ihren Wünschen zu formen. Als wäre ein Teil von Shirins Seele dafür verantwortlich, dass sie unweigerlich Ähnlichkeiten zur Drachenmagierin annahm.
Zuerst war diese Tatsache mit einer großen Unsicherheit verbunden, sie wusste wie viel Schmerz der Tod der Magierin den Menschen in ihrer Umgebung gebracht hatte und nun selber ihr Gesicht zu tragen, fühlte sich falsch an – fühlte sich gemein an. Als würde sie Salz in eine Wunde oder Öl in ein Feuer gießen. Jedoch wurde sie eines Besseren belehrt, denn zumindest die ersten Menschen, denen sie in dieser Gestalt gegenüber trat, zeigten keinen Zorn ihr gegenüber – keinen Vorwurf.

Diese menschliche Gestalt hatte jedoch auch ihre durchaus relevanten Nachteile. Sie kostete ganz simpel ihrem Herz, ihrem Kern mehr Energie. Während sie, bei einem normalen Tagesablauf, in ihrer eigentlichen Gestalt mehr als einen Wochenlauf ohne die Ruhe an einem Angolquarz auskam, so merkte sie in der Menschengestalt schon nach wenigen Tagen, dass es an ihrem Inneren zerrte. Sie war schlicht größer und komplizierter aufgebaut als der kleine Kristalldrache. Zudem war da eine gewisse Schutzlosigkeit, ohne Schuppenkleid und ohne Flügel, die sie im Notfall um sich legen konnte, zu verharren – als müsste alles doppelt beobachtet und kritischer eingeschätzt werden.

Dieser größere Energieverbrauch war vermutlich der ausschlaggebende Grund, warum sie sich darüber Gedanken machte, wie sie diesen auf eine möglichst effektive Art und Weise stillen konnte. Es bot sich nicht in jeder Situation an, einfach zu einem Angolquarz zu reisen, um dort eine ganze Nacht schutzlos an einem Ort zu verweilen, der von vielen Wesen auf der Welt bekannt war. Sie musste den Quarz also irgendwie in den Turm kriegen und so verändern, dass er eine möglichst gute Energiequelle darbot. Sie hatte mit dem Fürsten der Elfen darüber gesprochen, wie so oft in den ersten Tagen ihres Lebens und sie waren zu dem Schluss gekommen, dass der Türkise Angolquarz sich am ehesten anbieten würde, da er sich über die Zeit selber wieder aufladen würde, wenn Shira'niryn ihn nicht gebrauchen würde. Ein Bett, oder gar eine Art Sarg, damit der Türkise Angol sie vollständig umschließen könnte war die nächste Idee, die genannt wurde und der Fürst gab auch zu verlauten, dass er unempfindlich genug sein sollte, damit er entsprechend bearbeitet werden konnte – würde man die passenden, möglichst großen Teile abbauen können. Die Idee war noch nicht weiter besprochen worden, doch die kleine Kristalldrachendame würde das sicherlich in der nächsten Zeit nochmal nachholen – wenn es nicht so viele andere Dinge gab, die sie beschäftigten.

Die Prüfung des Elfenvolkes von Ivren'mir war endlich überwunden und offenbar wurden Livius, wie auch sie, als 'Nicht vom Angolquarz korrumpiert' eingestuft, was ihnen erlaubte sich weiter auf Ivren'mir aufzuhalten. Als Gäste. Was es wohl brauchte, damit ein Elf, wie der Fürst, jemanden Freund nannte? Etwas hatte die Insel, dass sie dort gerne verweilte. Ob es nun die Kristalle im Zentrum waren, von denen sie vermutlich ihren Namen hatte, oder ob es die wunderschön Silberholzbauten waren, mitten in der grünen und bunten Natur. Vermutlich lag es auch schlicht am Volk der Hochelfen, denn sie fühlte sich sicher hier – vielleicht ein wenig gelangweilt, weil die Goldenen oftmals eine ganz andere Art zu Leben an den Tag legten, als Shira'niryn es für sich vorstellte. Anders war es da bei den Grünen! Sie hatte das Herz des Waldes noch nicht gesehen, aber Varyariel hatte ihr schon einen kleinen Eindruck davon vermitteln können, wie es dort aussehen musste und die kleine Kristalldrachendame mussten zugeben, dass die Neugierde sie fast zerfraß. Auch wenn Livius darüber nicht sonderlich erfreut wirkte, weil er wohl die Zivilisation vorzog, so konnte Shira'niryn den Tag gar nicht abwarten, an dem sie von Thrilmanduil und Varyariel eingeladen werden würden. Livius würde sie mitschleppen, ob er wollte oder nicht.

Die Verbindung die sie zum Splitter ihrer Selbst in der Brust von Livius hatte wurde mit der Zeit ebenso stärker – oder die Bindung zu Livius? Es war schwer zu erklären, aber es war als wäre das einfach eine Tatsache, die nicht umzustoßen war, dass sie eng miteinander verbunden waren und somit zusammengehörten. Wie Sonne und Mond, wie der Tag und die Nacht, wie das Licht und der Schatten. Es war vermutlich mehr als nur der Splitter, da auch ein Teil von Zah'niryn in ihm steckte, der sie letztendlich zum 'Leben' erweckt hatte und der Splitter war nur ein Bindestück? Sie konnte es noch nicht so richtig beschreiben, aber wenn er da war, war alles gut – auch wenn sie sich zunehmend Sorgen machte, über die Art wie er lebte oder die Dinge sah. Er hatte keine Probleme damit jemanden umzubringen oder Leid zuzufügen, begründete es mit einem Gleichgewicht welches er wahren würde und in Shira'niryn zog sich etwas schmerzlichst zusammen, wenn sie daran dachte Kummer oder Schmerz zu verbreiten. Vielleicht war das wirklich einer der Gründe, warum sie von Zah'niryn verbunden wurden? Sollten sie sich gegenseitig ausgleichen? Sollte sie seine Dunkelheit in Schranken weisen und er sie dazu bringen, nicht nur das Licht zu beachten? Ein letzter Akt der sterbenden 6. Brut, einer Wahrerin des Gleichgewichts und der Ordnung? Mit wem sollte sie über so etwas reden?

Und zu guter Letzt, neben den Sorgen um einen schattenhaften Jäger der hinter Livius her war und offenbar Drachenmagie nutzte, waren da auch diese Bundmagier, aus denen die kleine Kristalldrachendame nicht schlau wurde. Sie würde gerne verstehen, was Shirin dort gesehen hatte – sie würde gerne nachvollziehen können, wie die chaotischen Erinnerungen in ihrem Kopf zusammenpassten und wie die Dinge begründet waren. Der Schwarzhaarige der Beiden wirkte sehr... aufgeschlossen, freundlich und doch hatten seine Worte etwas an sich, was die Befürchtung in ihr manifestierte, dass sie ihn niemals zum Feind haben wollen würde. Etwas, das ihr sagte, das seine freundliche, fast schon sanfte Art binnen weniger Wimpernschläge zu einem Sturm umschlagen könnte, wenn er erkannte, dass sie eine Gefahr werden könnte. Der Weißhaarige war schwieriger. Er wirkte auf der einen Seite auch offen, interessiert und auf der anderen hatte er etwas an sich, was sich wie Ablehnung anfühlte und doch konnte sie es nicht richtig beschreiben. Balthasar sagte, es würde daran liegen, dass sie eine Fremde für die Beiden war. Eine Fremde mit dem Gesicht einer toten und geliebten Schwester. Konnte sie ihm diese Ablehnung da böse nehmen? Nein, sicherlich nicht. Vielleicht waren die Wunden auch noch zu tief, die Narben zu frisch, als dass das sie davon ausgehen könnte, ihr Handeln und Wirken genauer zu verstehen. Wenn jemand Zeit hatte, dann vermutlich sie und sie würde sich die Zeit nehmen, die sie brauchte um herauszufinden, was ihr Ziel in dieser Welt war.

~•~
»• She wears strength and darkness equally well, the girl has always been half goddess, half hell. •«
~ Nikita Gill
Benutzeravatar
Shira'niryn
Beiträge: 414
Registriert: 20 Apr 2019, 10:43
Has thanked: 32 times
Been thanked: 53 times

Re: Kristallgeschichten

Beitrag von Shira'niryn »

~•~

»Ich werde dich nicht begleiten, wenn du vor hast ein sinnloses Massaker anzutreten.«
»Und ich werde dich weder zwingen das zu tun, noch werde ich davon ablassen.«
»Dann trennen sich unsere Wege.«


~•~

Sie sah das Bild des Magiers noch deutlich vor sich, obwohl der Moment so viele Monde zurück lag, dass sie gar nicht sagen konnte, wie viele es genau waren. Die scharf geschnittenen Gesichtszüge mit den markanten Wangenknochen die in den Moment, als sie die Worte sprach, noch deutlicher seine Mimik untermalten und das animalische Gold der Augen, aus denen der rachsüchtige Wolf sprach. War es der Wolf... oder war es Livius selber? Egal welcher von Beidem es war, sie wusste das sie ihn nicht aufhalten könnte – nicht ohne seinen Zorn auf sich zu ziehen. Nicht so, dass sie es nicht irgendwann bereuen würde. Das Bild seiner Lippen welche sich zu einem schmalen Strich zusammenpressten und Kunde davon gaben, dass er nicht weniger verärgert darüber war, wie sie. Die Augenbrauen zogen sich zusammen, warfen die Stirn in zuerst skeptische anmutende Falten – ehe ein Schnaufen erklang.

Das Schnaufen und der Ausdruck der Augen sagte mehr, als er mit Worten hätte vermitteln können und sie spürte noch heute diese Gewissheit in ihrem Inneren, dass sie ein Teil von sich loslassen müsste. Er würde diesen Weg ohne sie gehen, genau so wie sie ihren Weg ohne ihn gehen müsste. Ein Gedanke der ihr Anfangs nicht behagte, denn der Splitter ihrer Selbst in seiner Brust sorgte nach wie vor dafür, dass sie sich zugehörig zu ihm fühlte, dass sie nur vollständig wäre, wenn er da wäre und doch hatte sie diese Worte der Trennung gesprochen.

Sie erinnerte sich noch immer daran, wie es sich anfühlte als die raue Hand ihre Wange berührte und in einer Geste des Abschieds die Lippen auf ihre Stirn gedrückt wurden. Es war diese schlichte Handlung, das leichte Zittern welches in den angespannten Nerven lag und das Gefühl des Bedauerns, welches sie durch ihre Verbindung zu ihm spürte, was diesen Moment um so viel endgültiger und vernichtender machte. Eine Geste die sagte, dass man sich vielleicht irgendwann wiedersehen würde, wenn man seiner Handlung nicht unterlag. Wie ein Abschied für eine unbestimmte Zeit.

Wenn sie daran zurück dachte, war da noch immer das drückende Gefühl in ihrer Brust, als der Magier seine Sachen packte und sich auf die Reise machte, welche einzig dem Zweck dienen sollte seine, in ihren Augen irrationale und absurde, Rachsucht zu befriedigen. Stumm hatte sie ihm nachgesehen, hatte versucht das Gefühl, wenn er in der Nähe war, noch so lange zu halten, wie sie konnte, doch irgendwann riss die Verbindung ob der Entfernung ab und zurück blieb nur noch sie und eine Leere dort, wo normalerweise immer die Präsenz des Magiers gewesen war.

~•~

Ein Jahr später war das Gefühl der Leere zwar nicht verschwunden, aber überschattet von vielen neuen Erfahrungen. Wie ein Eingang zu einer versteckten, steinernen Höhle, welcher über die Zeit mit unzähligen Ranken und grünschattierten Efeu zugewuchert wurde. Man wusste um die Existenz, doch registrierte sie nicht, so lange man nicht genau hinsah. Diese Reise hatte ohne Zweifel ihre Spuren an der jungen Drachendame hinterlassen und sie selber wusste noch nicht, ob es gute oder schlechte Spuren waren. Sie konnte nicht leugnen das die vergangenen Monde ihr die Welt aus einem anderen Blickwinkel gezeigt hatten und sie, ob des Fehlens des Magiers, jede Entscheidung selber überdenken und treffen musste.

Nicht jede Entscheidung war weise, nicht jede Entscheidung war richtig. Es gab Momente da bereute sie eine Handlung, zu der sie sich entschieden hatte oder wurde von der Natur der Menschen auf den Boden der Tatsachen zurück geholt. Die kindliche Natur, der einer gewissen Naivität angehaftet hatte, war über die Monde verschwunden, als wäre das junge Wesen sprungartig Erwachsen geworden. Nicht sanft, nicht unter behütenden elterlichen Schwingen, wie man es sich für ein Kind wünschen würde. Sondern eher brutal und unnachgiebig, einer Bruchlandung auf schroffen Gestein gleich, welches ein Teil des Lichts von ihr abschürfte, wie es auch bei zarter, menschlicher Haut durch einen Sturz der Fall wäre. Lernen durch Schmerzen und sie stand jedes Mal auf, ärgerte sich über ihre Naivität oder Dummheit, über ihre Gutgläubigkeit und Hilfsbereitschaft, dass es mit den Monden immer seltener wurde, dass sie ihrer ursprünglichen, fröhlichen Natur nachgab.

Sie wollte nicht wie die Magierin werden, die sie mit geboren hatte und doch verstand sie die Handlungen der Weißhaarigen immer mehr, je länger und je öfters sie sich, in ihrer Menschengestalt, unter den Menschen befand. Menschen waren gierig, sie waren egoistisch und uneinsichtig. Sie hatten keinen weitreichenden Blick für das Große und Ganze und lebten zumeist im Hier und Jetzt. Handlungen wurden grundlegend aus egoistischer Natur getroffen und selbst, wenn jemand behauptete, er würde es für jemand anderen tun, so war doch irgendwo meist ein Hintergedanke, der die Handlung antrieb. Das Verlangen gemocht zu werden, das Verlangen nach Reichtum, Macht oder Anerkennung – in jedem war dieser Funke, dieses Saatgut zu finden.
Selbstlosigkeit unter Menschen? Jemand der in der Lage war Objektiv über etwas zu entscheiden, mit einem Blick auf das Gesamtbild.
Shira'niryn zweifelte daran.
Den Menschen fehlte das Gespür und der Blick für das arkane Gefüge, egal ob einfacher Krieger, Handwerker oder selbst Magier. Sie alle sahen nur ein Bruchteil von dessen, was ein Drache, was sie sehen konnte. Wie konnte sie also wütend auf diese Spezies werden?
Gar nicht. Sie ärgerte sich mehr über ihre eigene, kindliche Dummheit, die sie in den ersten Monden ihres Lebens beherrscht hatte und doch war es nicht so, als würde sie die Menschen nun verteufeln, oder gar vernichten wollen.
Es waren einfach nur Menschen und vielleicht gab es unter ihnen ein paar wenige, die in der Lage dazu sein würden, den Blick, den Shira'niryn für die Welt hatte, zu lernen.

~•~

Als sie nach zwei Jahresläufen, die für sie vergangen waren, wieder zurück in den Drachenturm kehrte, überkam sie das drückende Gefühl, das etwas nicht stimmte. Zwischen dem alten, rissigen Gemäuer stand die Luft, als wären die Tore lange nicht geöffnet worden und doch war die Staubschicht, die sich wie ein federleichtes, graues Tuch über die gesamte Einrichtung gelegt hatte, nicht so dick, wie sie es erwartet hätte. Etwas Muffiges haftete der Präsenz an, etwas, das darauf schließen ließ, das Livius nach wie vor auf Reisen war und etwas, das ihr sagte, dass die Zeiten sich mal wieder verschoben hatten. Die Tageszeit war verkehrt, genau wie die Jahreszeit und für einen Moment überkam sie eine ungewisse Übelkeit, ein Unwohlsein, als ihr feinsinniger Körper versuchte sich auf das Managefüge dieser Sphäre einzupendeln. Eine Weile stütze sie sich an der Drachenstatue ab, ehe sie sich in die oberen Geschosse begab. Die Bücher lagen so dort, wie sie jene verlassen hatte und auch hier war alles von einer einhüllenden Staubdecke verschlungen, auch die Felle auf dem Bett und die vielen Artefakte lagen unberührt und von der Zeit verhüllt vor ihr.

Da war eine gewisse Erleichterung, die sich in ihrem Inneren breit machte, die zu einem daher rührte, dass nichts abhanden gekommen war und zum anderen auch, dass der Magier noch nicht wieder zurück war. Sie wusste nicht, wie sie ihm gegenüber treten sollte. Er war der Teil ihrer Selbst, der sie menschlicher machte, als sie es ohne ihn wäre und mit den Monden hatte sie gelernt, dass es einfacher war ein Drache zu sein, als es war, als Mensch auf Erden zu wandeln. Eine Zwickmühle, denn nach wie vor bevorzugte sie dennoch ihre menschliche Gestalt für die Öffentlichkeit, als wäre die reine Optik ein Schutz vor der Gier, welche sich herauskristallisieren würde, wenn den Menschen klar werden würde, dass sie ein lebendiges, Macht verstärkendes Artefakt wäre.

Ein schweres Seufzen drang über die Lippen und langsam fing sie an die Zeichen der Zeit, den Staub, die Spinnenfäden und dergleichen, aus dem Turm zu entfernen. Die Kerzen wurden ausgetauscht, die Teppiche, Kissen und Felle ausgeklopft, Vorhänge gelüftet. Eine Arbeit die ihr bei der Zerstreuung half. Wer weiß, wie lange sie diese Ruhe, die aktuell mit sich selber herrschte, bewahren könnte.

~•~

Keine zwei Wochenläufe nachdem sie wieder in der Sphäre der neuen Welt angekommen war, war es dann soweit. Die Erkenntnis schwappte einer überraschenden Welle gleich gegen ihr Inneres und der Schreck der damit in Verbindung gebracht wurde, ließ sie das Tintenfässchen zwischen ihren Fingern loslassen. Klirrend zerbrach das filigrane Glasgebilde am Boden und unheilvoll breitete sich die dunkle Flüssigkeit auf dem alten Steinboden aus. Doch sie hatten keinen Blick dafür, denn zwischen den dichten Ranken und sattgrünen Efeu war etwas aufgeschimmert, war ihren Blick auf etwas richtete, was sie ein Jahreslauf nicht registriert hatte. Der Magier war wieder in Reichweite und so würde es nicht lange dauern, bis sie sich dieser Konfrontation stellen müsste. Aus dem Konzept gebracht hatte sie für einen winzigen Moment das Tor nicht unter Kontrolle und vermutlich hatte sie ihm einen Funken des eigenen Schrecks übermittelt, ohne das sie es wollte. Ohne das sie es geplant hatte, doch schnell waren die Tore wieder geschlossen und Stille herrschte auf der Straße, welche die Teile des Drachenangols vernetzte.
Das sonderbar intensive Grün ihrer Augen suchte das große Fenster des ersten Stockwerkes und verankerten sich stillschweigend und verschlossen auf diesem. Sie würde ihn spüren, wenn er noch näher kam.
»• She wears strength and darkness equally well, the girl has always been half goddess, half hell. •«
~ Nikita Gill
Benutzeravatar
Shira'niryn
Beiträge: 414
Registriert: 20 Apr 2019, 10:43
Has thanked: 32 times
Been thanked: 53 times

Re: Kristallgeschichten

Beitrag von Shira'niryn »

~•~

» Klärungsbedarf «

~•~

Lange lauschte sie den tiefen und regelmäßigen Atemzügen des Magiers, dessen Gesicht halb in den Kissen verborgen lag, während sie selber ein Gefangener des ewigen Wachzustandes war. Es war der unerschütterliche Schlaf eines von Erschöpfung gezeichneten Mannes, denn der unausweichliche Vollmond und der darauf folgende Tag hatten ihn einiges abverlangt. Auch sie spürte eine gewisse Müdigkeit, eine Trägheit als Resultat seines Schmerzes, wann immer ihn der Mond mit seiner ganzen, zerstörerischen Macht in seiner Gewalt hatte. Etwas, was sie über das letzte Jahr gewiss nicht vermisst hatte. In gewisser Weise beneidete sie ihn um diesen friedlichen Schlaf, denn das war etwas, was es für sie nie gab und wohl nie geben würde.

~•~

Fast zwei Wochenläufe waren seit seiner überraschenden Rückkehr vergangen, eine Rückkehr die rasch offenbart hatte, dass sich nichts an ihm geändert hatte. Mehr als ein Wochenlauf war vergangen, den sie sich ihm gegenüber distanziert und unnachgiebig gezeigt hatte, denn auch wenn das eine Jahr der einsamen Reise, ein Jahr der Rachsucht, offenbar Spurlos an ihm vorbeigezogen war, so hatte diese Zeit umso mehr Zeichen an ihr hinterlassen.
Sie fühlte sich innerlich zerrissen, auf eine Art und Weise, die sie nicht richtig beschreiben konnte. Auf der einen Seite war sie froh, unfassbar dankbar darüber, dass dieser Teil ihrer selbst lebendig und gesund war – doch auf der anderen Seite sah sie den Ursprung ihrer Menschlichkeit. Ein Wesen voll Hass und Rachsucht, ein Wesen dessen Weg gekennzeichnet sein würde von der unstillbaren Suche nach Macht.

Der kleine Kristalldrache zeigte sich verunsichert, zurückhaltend und abweisend. Wenn der Magier sich schlafen legte, suchte sie nicht wie vor einem Jahr noch seine Nähe, sondern sie verließ den Turm – blieb fern von dem, von dem sie glaubte sich selbst zu verlieren. Konnte sie ihm noch vertrauen? Was ließ sie daran zweifeln? Es waren gewiss die Dinge, die sie erlebt hatte und nachdem Livius ihre Art und Weise, die sich auf so viele verschiedene Facetten von ihrer damaligen Art unterschied, registrierte, zog er sich ebenso zurück.
Eine Woche belanglose Gespräche, stumme ratlose Blicke, eine Woche rauchender, schwelender Ärger in ihrem Kern. Sie hasste diesen Zustand. Sie verschloss die Brücke des Drachenangols ihm gegenüber, mied seine Berührungen, aus Angst etwas aus ihrem Inneren könnte zu ihm hinüber schwappen, bis es zu viel wurde.

Sie konnte nicht mit Worten ihr Inneres fassen, aber das brauchte sie auch gar nicht. In einer zögerlichen Geste, eine Geste welche vor Unsicherheit getränkt war, streckte sie die feingliedrige Hand zu ihm aus und er nahm sie mit der rauen Pranke eines jahrelangen Kriegers entgegen. Eine zaghafte Berührung im Kern unschuldiger Natur, aber sie reichte aus um die Brücke des Drachenangols aufzuwecken, damit das, was sie fühlte, zu ihm hinüber schwappen konnte. Er wusste nun, dass ihr etwas passiert war, in diesem einen elendig langen Jahr, er wusste, dass ihre Gefühle für ihn sich grundlegend nicht geändert hatten, aber wusste er nun auch, das dort vieles auf dem Weg lag, welches verhinderte, dass alles zum Alten werden würde.

Er nahm den abgebrochenen Dorn ihrer Schwanzspitze wahr, die Schmach, den Ärger und die Unsicherheit über ihre eigene Natur – doch als er wissen wollte, was ihr passiert war, drang kein Wort über ihre Lippen. Nicht einmal zeigen konnte sie es ihm und nur grob und ungenau waren die Worte, die sie schaffte zu formen. Worte die nicht preisgaben, was genau ihr geschehen waren, aber wie sie es sagte, reichte aus, um seine Fantasien anzuregen.

»Ich verspreche dir, dass ich dir davon erzählen werde.«

Stumm waren die Worte über die Brücke ihrer Existenzen zu ihm gewandert, lösten ein verständnisvolles Lächeln auf den sonst so harten, kantigen Gesichtszügen des ehemaligen Drachenkriegers aus, während die raue Hand sanft wieder die ihre umschloss. Sie spürte das Bernstein auf sich liegen, der Blick eines Mannes, welcher sich wohl wünschte, dass alles wieder wie früher sein würde. Zumindest glaubte sie das. Es würde jedoch niemals wieder so werden, wie es damals war. Ihr fehlte ein nicht unwichtiger Teil des eigenen Lichtes. Es war abgeschürft, verloren auf dem schroffen Gestein des letzten Jahres.

~•~

Weiterhin lauschte sie den regelmäßigen Atemzügen des Magiers, dessen vertraute Nähe sie mit den letzten Stunden wieder gesucht hatte. Der kompakte, smaragdgrüne Kristallkopf lag auf seiner Brust, vielleicht drückten sich auch ein paar der harten Schuppen in seine Haut, aber es störte ihn wohl nicht. Er hatte sich nie über das widerstandsfähige Schuppenkleid des Kristalldrachens beschwert, hatte nie einen Laut von sich gegeben, wenn ihre Krallen sich aus Unachtsamkeit in seine Schultern gegraben hatten, oder wenn in einem abgelenkten Moment der Kristallflügel ihn unsanft erwischte. Er kannte den Schmerz als jahrelangen, treuen Begleiter – das Leid des Wolfes, das Leid eines so zornigen Kriegers. Würde der Wolf ihm nicht diese sonderbaren Fähigkeiten verleihen, so wusste Shira'niryn, wäre sein kräftiger Körper ein Meer aus Narben. Aber vielleicht wäre er dann auch achtsamer mit sich selber.

Sie dachte an das Versprechen, welches sie ihm kaum einen halben Tageslauf zuvor gegeben hatte und ihre kaum existente Magengrube zog sich schmerzhaft zusammen. Ungewissheit darüber, wie sie es ihm erzählen sollte und ob sie die Worte dafür fand und nachdenklich verankerte sich der intensiv grüne Blick der Kristallaugen auf seiner Mimik, die im Schlaf so friedlich wirkte, dass sie sonderbar unpassend für ihn schien. Sie gab der Saat der Angst nach und entschloss sich in diesem Augenblick dafür, es ihm auf eine andere Art und Weise zu erzählen. Wofür waren sie verbunden, wenn nicht auch, um ihn das Erlebte der Kristalldrachendame deutlicher näher zu bringen?

Ruhig verharrte sie an seiner Seite, die Augen schließend und sich auf die Verbindung konzentrierend, welche einer Brücke gleich zwischen den beiden herrschte. Diese Verbindung zu beschreiben fiel ihr noch immer schwer, es war wie eine unsichtbare Kraftlinie zwischen ihrem Kern und dem Splitter ihrer selbst in seiner Brust, die dafür sorgte, dass Gedanken und Empfindungen ausgetauscht werden konnten. Anfangs noch ziemlich unkontrolliert, da sich beide nicht darüber bewusst waren, aber mittlerweile beherrschte sie diese „Brücke“ einwandfrei. Wie sie es mittlerweile gewohnt war, verschaffte sie sich einen Zugang zu seinen Gedanken, um dort etwas zu pflanzen, was ihn in seinen Träumen besuchen würde. Kein Traum, wie er es vermutlich gewohnt war, sondern ein Traum, so klar und deutlich, als würde er ihn erleben.

„Der Blick offenbart dir ein strahlend grünes Blätterdachwerk, durch welches die leuchtenden Strahlen der warmen Mittagssonne hindurchdringen. Der Winkel offenbart eine sonderbare Position und als das Bild nach unten wandert, wird ein dicker Holzstamm und zwei kristalline Klauen zu erkennen sein, die dort verharren. Deine Klauen. Du bist der Kristalldrache. Du sitzt offenbar auf einen der dickeren Äste eines Baumes, doch verspürst du keinen Genuss beim Anblick der grünen Natur des angenehmen Sommertages, sondern da ist eine gewisse Einsamkeit und Erschöpfung, das Wissen, dass dein Kern bald wieder einen Angolquarz braucht, um sich zu regenerieren.

Ehe du dir über die Möglichkeiten Gedanken machen kannst, reißt Gelächter dich aus deinen Gedanken und dein Blick huscht hinab auf den mit Farn und Gräsern bedeckten Waldboden. Menschenkinder, eine handvoll, drei Jungen und zwei Mädchen. Sie alle sind auf nicht einmal 12 bis 14 Jahren zu schätzen. Du ziehst dich ein wenig zurück, so dass die Blätter des Baumes deine Erscheinung besser verdecken können und mit einer gewissen Neugierde betrachtest du das Geschehen. Sie spielen offenbar, doch der Jüngste der fünf wirkt dabei nicht sonderlich erfreut. Schnell kristallisierte sich heraus, dass er in der Runde offenbar derjenige ist, auf dessen Kosten man sich amüsiert. Er weint irgendwann bitterlich und wird von den anderen zurückgelassen. Schluchzend sinkt er in seiner verdreckten Latzhose am Stamm des Baumes hinab, auf welchem du sitzt und alles beobachtest. Mitleid und das Bedürfnis zu helfen schwappen in dir hinauf, so drängend, als müsstest du etwas gut machen. Ein irrationales Gefühl aus einem vergangenen Leben.

Was sollte ein Menschenkind schon machen? Was für eine Gefahr würde von diesem ausgehen, wenn du dich zeigst? Du beobachtest ihn noch eine Weile, bis du den Entschluss fasst zu helfen und dabei überkommt dich eine gewisse Zufriedenheit. Ein Funke von Glück, als wäre zu Helfen, ein wichtiger und drängender Bestandteil deines Daseins. Du breitest deine kristallinen Schwingen aus und segelst langsam von deinem Ast hinunter, bis vor die Füße des Jungen, der sich sogleich fürchterlich erschreckt. Die vom Weinen geröteten Augen starren dir ängstlich und fassungslos entgegen. Es sind Augen wie zwei Bernsteine, klar, fast golden im Schein der Sonne und du spürst sofort eine tiefe Traurigkeit aus einem Winkel deines Daseins hinauf schwappen, ehe das Bedürfnis diesem Wesen zu helfen, noch drängender wird.

Das Bild verschwimmt nach und nach.

~•~


Wieder offenbart sich ein neuer Eindruck, das Laub des Waldes ruht in einem gold, braun und roten Ton, während die Sonne an Kraft verloren zu haben scheint. Als wäre sie müde, mehr träge, drücken sich die Strahlen über den Horizont hinweg und schaffen nicht die Kälte zu verdrängen, die sich schon in das Erdreich gegraben hat. Vereinzelt erscheinen die Bäume schon ihre ganze Pracht abgeworfen zu haben und im Wind, der zart über die Smaragdschuppen deines Leibes streicht, liegt der Geschmack des nahenden Winters. Eine Weile ruht dein Blick noch auf den herbstlichen Lichtern, während im Inneren eine gewisse Ruhe und Zufriedenheit herrscht, als wäre das Loch der Einsamkeit über die letzten Wochen und Monde zugewachsen.

Das Lachen des Jungen, den du als Othis kennen gelernt hast, reißt dich aus den Gedanken und schnell schwappt der Blick zu dem Burschen mit dem wuseligen, braunen Locken und dem strahlenden Lächeln. Er wirft eine Hand voll Blätter in die Luft und erfreut sich der simplen Tatsache, dass sie wie ein feuchter, grober Regen auf ihn hinunter fallen. Es wärmt dir das Herz den Jungen, der einst so traurig wirkte, nun so glücklich zu erleben.

»Du solltest bald Heim kehren. Die Sonne ist gleich versunken und deine Eltern werden sich... sorgen.«

Ungern sprichst du diese Worte mit der angenehm weichen und fürsorglichen Stimme, doch weißt du, dass die Eltern des Jungen nicht von der sanften Sorte sind. Du willst ihm den ärger ersparen, der unaufhaltsam auf ihn zukommen wird, sollte er vor Sonnuntergang nicht Daheim sein. Othis hält inne und lenkt das Bernstein zu dir und du erkennst darin einen gewissen kindlichen Trotz – eine Reaktion die dich schmunzeln lässt. Auch der Junge weiß, dass es besser für ihn ist und als er sich nach einem kleinen Worttausch von dir abwendet, verschwimmt das Bild erneut.

~•~


»Komm schon, das wird lustig! Ich schwöre dir, danach werden die anderen sich nie wieder trauen, etwas gegen mich zu unternehmen! Dann brauch ich keine Angst mehr zu haben!«

Das Bernstein der großen Kinderaugen starrt dir voller Hoffnung und Frohsinn entgegen. Drängend. Entschlossen, als würde er fest daran glauben und es liegt etwas in diesem Blick, welches deine Entscheidung ins Schwanken bringt.

»Es ist ein Streich... der sie verletzen könnte... das ist nicht gut, Othis.«

Die Sommersprossenmimik des Jungen verzieht sich und die alte Traurigkeit schwappt wie ein unheilvoller Schatten über das Kindergesicht. Ein Schatten, der dafür sorgt, dass sich in dir alles schmerzlichst zusammenzieht. Du willst nicht, dass es diesem Jungen schlecht geht und du weißt, dass du für ihn alles tun würdest.

»Gut... aber wir passen auf, ja? Es soll wirklich keiner verletzt werden, sie sollen sich nur ein wenig fürchten.«

Sobald du diese Worte gesprochen hast, huscht der Sonnenschein selber über das Gesicht des braungelockten Jungen und du spürst, wie die Kinderarme sich um deinen kristallinen Hals schlingen.

Dann löst sich das Bild erneut auf.

~•~


Schreiende Kinder, erboste Eltern, ein weinender Othis. Du weißt das etwas fürchterlich schief gelaufen ist und dass das der Grund ist, warum du nun schon mehrere Tagesläufe allein am Waldrand verharrst. Der Junge mit den vertrauten Bernsteinaugen ist nicht wieder aufgetaucht, nachdem dieser Streich ganz anders verlaufen ist, als er geplant war.
Ungeduldig wandern deine Kristallklauen über den frostigen, mit bunten Laub bedeckten Waldboden, während die Sonne nur noch als kleiner Funke am Horizont zu erblicken ist. Ihr rötliches Feuer taucht alles in ein abstraktes Licht, lässt den Wald in Feuer stehen, lässt dein Schuppenkleid in einer ganz anderen Farbe erstrahlen. Aber du hast keinen Blick dafür, deine Gedanken kreisen.

Hier und da vernimmst du das Knistern von Ästen oder Laub, Waldtiere die sich in deiner Nähe befinden. Das sie merkwürdig Laut an diesem Abend erscheinen, registrierst du nicht. Du bist zu abgelenkt.

Das zischen von Luft, als etwas Schweres durch diese rast, ein dumpfer Aufprall, ein stechender Schmerz – dann Schwärze.

~•~


Das nächste was du spürst ist ein Ziehen und ein Stechen, ein brennender Schmerz, als würde ein Teil deiner Selbst herausgerissen werden und mit dem Licht, als du wieder zu Bewusstsein kommst, kommt ein muffiger Geruch mit sich. Du brauchst eine Weile dich zu besinnen, deine Orientierung zu finden und das, was sich vor deinem Auge dann bildet, wirft große Verwirrung auf.

Ein grobschlächtiger Mann steht vor dir und das spöttische Grinsen auf seinem Gesicht weckt etwas in dir, von dem du glaubtest, es nicht zu besitzen. Ekel und Wut. Genau diese Wut wird größer, als du registrierst, was dieser Mensch zwischen seinen fettigen Fingern hält. Ein kleiner, kristalliner Dorn. Deiner. Ein Blick auf deine, vor Schmerz taube, Schwanzspitze verrät dir den Ursprung des brennenden Stechens, welches dich aus der Bewusstlosigkeit gerissen hat.

Es brennt in deinem Inneren, ein Gefühl, dass du bisher nur durch den Magier kanntest, der dich vor vielen Monden verlassen hatte. Nun ist es dein Gefühl. Dein eigener Zorn. Deine Wut. Ehe du handeln kannst, schwenkt dein Blick zum Bernsteinaugenpaar hinter dem hässlichen Exemplar von Mensch. Othis steht da, regungslos, starrt dir lediglich entgegen. Er macht keine Anstalten dir zu helfen, er zeigt keinerlei Regung. Das Gold seiner Augen wirkt in diesem Moment undurchdringbar, als wäre dort ein Schleier, den du nicht durchbrechen kannst.

Das Gefühl zerreißt dich nun innerlich, nimmt dir die Möglichkeit zu denken, als wäre alles von einem hasserfüllten Funkenregen benetzt, der von diesem Moment an deine Handlungen bestimmt.

~•~


Du blickst hinunter auf den Mann, auf seine grotesk verzogene Mimik und die weit aufgerissenen leeren Augen in denen kein Funke von Leben mehr ruht. Einen Moment spürst du so etwas wie Schuld, als dir bewusst wird, dass du gerade zum ersten Mal ein Leben durch deine eigenen Krallen und Zähne genommen hast, doch dieses Schuldgefühl wird überschwappt vom Zorn und dem Bewusstsein betrogen worden zu sein. Der Verräter war geflohen, als du dich au den Mann gestürzt hattest, der wohl damit nicht gerechnet hatte. Er war geflohen, mit deinem Kristalldorn. Mit einem Teil deiner Selbst und wieder keimt der Funke an Hass in dir hinauf.
Du weißt in deinem Inneren, dass du ihn suchen wirst, du weißt, dass du ihn zur Rechenschaft ziehen wirst. Komme was wolle, das Alter und die Vergangenheit würden keine Rolle spielen.

Zum ersten Mal spürst du, dass du den Magier deiner Vergangenheit verstehst. Aus deinem tiefsten Inneren. Die Erkenntnis kommt mit einer Welle der Enttäuschung und einer gewissen Scham.
»• She wears strength and darkness equally well, the girl has always been half goddess, half hell. •«
~ Nikita Gill
Benutzeravatar
Shira'niryn
Beiträge: 414
Registriert: 20 Apr 2019, 10:43
Has thanked: 32 times
Been thanked: 53 times

Re: Kristallgeschichten

Beitrag von Shira'niryn »

~•~

» Teil des Lied des Lebens «

~•~


Die Sonne war bereit ihren Rückzug anzutreten in dem sie träge hinter den Baumwipfeln und der Silhouette Silberburgs versickerte, während sie selber ihr den Rücken zugedreht hatte. Auf einen Baumstumpf im Schneidersitz verharrend, ihre menschliche Gestalt angenommen, verweilte sie so nun schon eine ganze Weile um sich auf ihre verstärkte Verbindung zum astralen Gefüge zu konzentrieren. Stillschweigend, die Augen geschlossen, regungslos, als wäre sie zu einer Statue geworden.

Das sanfte, gar verspielt anmutende Rauschen des Windes durch das dichte, grüne Blätterdachwerk der Bäume über ihr, das beständige, quirlige Plätschern des nahen Flusses, der seine Quelle im Drachenberg fand und die vielfältigen krabbelnden, kriechenden und rasselnden Geräusche der Kleintiere, die durch den dichten Untergrund huschten. Die schnarrenden, teilweise knurrenden Geräusche der sich balgenden Drachlinge auf dem Dach des Drachenturmes und das ferne Zwitschern von Vögeln, die sich nicht in die Nähe der grüngeschuppten Dachbesetzer trauten.
Es verband sich alles zu einer Melodie, dem Lied des Lebens, etwas, was sie zunehmend zu genießen wusste. Sie war ein Teil davon, auch wenn sie weder auf eine natürliche Art geboren, noch aus der Natur entsprungen oder auf eine andere 'normale' Art und Weise ihren Weg in dieses Leben gefunden hatte. Sie hatte gelernt es zu akzeptieren, sich zu akzeptieren. Sie mochte zwar „nur“ ein beseelter Angolquarz sein, doch gerade dem astralen Gefüge fühlte sie sich somit näher, als jeder andere es wohl hätte empfinden können.

Wie ein, für das gewöhnliche Auge, unsichtbares Netz durchzog das Gefüge diese Welt, ballte sich an relevanten Punkten zu Machtknoten zusammen, umfing jede Materie, jedes Lebewesen, ohne das sich jene darüber bewusst waren. Alles was existierte würde stets ein Teil des Gefüges sein, jeder trug diesen Funken in sich. Manche strahlten in diesem Netz deutlicher hervor als andere, doch selbst jene, die nicht einen Funken an magischen Können in sich trugen, oder selbst das kleinste Insekt zwischen dichten Blättergrün, hatte ein Licht in diesem unendlichen astralen Netzwerk. Jede Blume, jeder noch so unwichtig erscheinende Stein und jeder Windzug der über die weiten, grünen Ebenen strich waren Teil des gesamten, verworrenen Bildes.

Sie spürte die Anwesenheit des Magiers im Turm, wenige Meter von ihr entfernt, deutlicher als jede andere Präsenz, wie ein Leuchtfeuer im astralen Netzwerk und doch wusste sie, dass das gewiss nicht an seiner magischen Begabung lag, sondern schlicht am Splitter ihrer selbst in seiner Brust. Als würde jener stets den Teil, von dem er abstammt, zu sich rufen wollen. Als würde er sich wieder zusammenfügen wollen. Etwas, was niemals passieren würde, aber das hielt den Splitter nicht auf, unaufhörlich auf sich aufmerksam zu machen und dafür zu sorgen, dass in ihr der Wunsch verankert wurde in seiner Nähe sein zu wollen.
Ein Wunsch, der mittlerweile auch ihr ganz eigener geworden war, denn auch wenn sie eben nur ein lebendiger Angolquarz war, so waren ihr Gefühle genau so bekannt, wie jedem anderen Lebewesen in diesem Gefüge auch. Sie lebte. Das wusste sie mittlerweile. Zwar unterschied sich ihre Existenz grundsätzlich von dem Zustand, den man als „normal“ bezeichnen würde, aber das machte sie nicht weniger zu einem Lebewesen. Sie brauchte eine gewisse Nahrung um zu existieren, sie konnte Schmerz empfinden, musste heilen, wenn sie verletzt wurde und war in der Lage jegliche bekannte Emotion zu fühlen. Wenn sie wollte, beherrschte sie das Simulieren eines Menschens perfekt.

Abgelenkt betrachtete sie dieses ganz persönliche Leuchtfeuer zu ihrer Linken noch eine Weile, ehe etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Der Weißhaarige des Magierbundes hatte sich den Turm genährt, doch mehr als den Kopf leicht schief zu legen, tat sie in dieser Situation nicht. Sie konnte hören und fühlen wie er letztendlich im Turm verschwand und unverhohlene Neugierde macht sich in ihr breit. Sie hatte lange versucht aus den Erinnerungen schlau zu werden, die ihr von der Magierin über den Bund der Magier bereit gelegt wurden. Da war so viel Zerstörung, so viel Zorn und unendlich viele Kämpfe – aber doch strahlte alles ein positives Licht ab. Da waren auch traute Erinnerungen, Erlebnisse denen etwas Liebevolles und Vertrautes anhaftete, aber was war davon echt? Welche Erinnerungen hatten einen ehrlichen Ursprung, welche waren aus dem Schatten heraus entstanden, welchen die Magierin stets um sich gelegt hatte?
Das zu entschlüsseln verwirrte sie, so lange sie nicht in der Lage war den Unterschied zu verstehen, zwischen einer schlechten Tat, die aus guten Absichten heraus entstand und einer schlechten Tat, die sich aus dunklen Absichten entwickelte. Und war eine schlechte Tat, die man aus guter Absicht heraus tätigte, dann noch eine schlechte Tat? Zu verstehen wann etwas getan wurde, aber etwas anderes damit gemeint war, oder ein Wort welches gesprochen wurde, obwohl der Gegensatz davon dahinter stand. Diese Magierin war ein verwirrender Mensch gewesen. Umso verwirrender waren die Erinnerungen.

Langsam glaubte sie, dass sich nach und nach der Schleier lichtete und sie wusste nicht, ob es die Erinnerungen waren, die dazu führten, dass sie den Blick nicht von seinen Bundsmitgliedern lösen konnte, oder ob sie selber, als Resultat daraus, eine gewisse Sympathie für diesen entwickelt hatte. Es berührte sie mehr, als sie es anfangs zugeben wollte, den Schmerz im Blick zu sehen, wann immer ihre Erscheinung alte Erinnerungen in den Herzen der Magier aufwühlte. Sie hatte ihre Gutgläubigkeit und ein Teil ihres Lichts zwar verloren, doch das änderte nichts daran, dass sie nicht das Bedürfnis hatte eben diesen Menschen Schmerz zuzufügen. Es war eine Zwickmühle. Auf der einen Seite war sie nicht abgeneigt, die Nähe der des Sturmrufers und des Weißhaarigen zu suchen, auf der anderen wusste sie aber auch, dass ihre Nähe sie mit schmerzhaften Dingen konfrontieren würde. Davion versicherte ihr, dass sie sich darüber keine Gedanken machen musste, doch war das ernst... oder nur um sie zu besänftigen? Sie zweifelte vermutlich mehr, als sie eigentlich müsste – ein Nebeneffekt des verlorenen Lichts.

Ehe ihr Gedankenstrudel noch weiter seinen Lauf nehmen konnte, registrierte sie wie die Präsenz des Weißhaarigen verblasste und ihr persönliches Leuchtfeuer sich ihrem Platz im Grünen näherte. Das intensive, kristallin anmutende Grün ihrer Augen öffnete und lenkte sich auf den wölfischen Magier und unwillkürlich führte der Anblick dazu Ruhe in ihrem Inneren herrschen zu lassen.

~•~
»• She wears strength and darkness equally well, the girl has always been half goddess, half hell. •«
~ Nikita Gill
Antworten