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» Die Begegnung mit Maeryn «
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Es war einer dieser Nächte, in denen es sie hinaus in das endlose, friedliche Grün der Welt zog, dort wo es keine Menschenseele gab – wo alles rein und unbefleckt war. Livius begleitete sie selten auf diesen Spaziergängen, er hatte keine starke Bindung zur Natur und ihm war es eher zuwider sich stundenlang durch das Unterholz zu kämpfen und ihr dabei zuzusehen, wie sie selbst den einfachsten Schmetterling bewunderte. Eine Seite an ihrem Dasein, die sie in der ersten Zeit ihrer Existenz, in kindlicher Entdeckernatur, stark gezeigt hatte, doch mittlerweile lieber verbarg.
Sie hatte für diese Nacht einen ganz bestimmten Ort im Kopf, einen Ort der sich in ihren Erinnerungen gezeigt hatte und vermutlich nicht so unbefleckt war, wie jene, die sie normalerweise vorzog. Dieser Ort musste eine Geschichte haben, etwas Besonderes und dabei stützte sie sich gar nicht mal unbedingt auf die Erinnerungen die sie hatte.
Sie konnte das Jahr der Erinnerung nicht gänzlich zuordnen, doch sah sie die Magierin, damals noch weniger gekennzeichnet durch die Silberweiße, am einem Feuer sitzen und Briefe schreiben. Drei Briefe, einen an Davion, einen an Golga und einen an Samara. Sich an den Inhalt der Briefe zu erinnern, fiel ihr jedoch schwerer, als wäre die Sicht zur Zeit der Entstehung verschwommen gewesen.
Während sie noch darüber grübelte, was der Inhalt der Briefe gewesen sein könnte, erreichte sie diesen Ort. Die Insel tief im Nordwald. Schon der Zugang zu diesem Fleckchen Land war die Ruine einer alten Sandsteinbrücke. Sandstein so tief im Nordwald. Pyramidenbauer oder Magokraten? Oder gar noch eine ganz andere Kultur?
Nachdenklich betrachtete sie den steinernen Untergrund, der von Ranken, Moos und Gräsern überwuchert war – ehe sie ihren Blick wieder voran lenkte um die Insel schließlich zu betreten. Der Eingang wurde von zwei gewaltigen Yew-Bäumen gesäumt. Bäume die Jahrtausende alt sein mussten – Bäume die meist eine Geschichte hatten und eng mit der Natur verbunden waren.
Auf der Insel befanden sich weitere Ruinen aus Sandstein, allesamt ziemlich von der Zeit mitgenommen. Zerstört, zerfallen, von Ranken und Moos überwachsen. Hat die Natur sich das zurückgeholt, was ihr gehörte, oder wurden diese Gebäude schon zu ihren Glanzzeiten zerstört?
Etwas war ihr anders.
Nachdenklich legte sie eine Hand auf das Sandsteingemäuer ab, während sie an diesem hinauf und sich dann wieder umsah. Sie hatte für diesen Ausflug ihre falsche, menschliche Gestalt genutzt, was den simplen Grund hatte, dass die menschlich-imitierte Haut empfindlicher war, als ihr Kristallkleid. Für solche Ausflüge zog sie es vor, mehr fühlen zu können, als geschützter zu sein.
Sie konnte nicht ausmachen, was an dieser Insel anders war. Wie ein Schleier der über ihr lag und etwas Seltsames ausstrahlte. Schließlich schloss sie die intensiven, giftgrünen Augen um sich weniger auf das Hier und Jetzt, als auf das, was dahinter lag, zu konzentrieren. Ein paar Herzschläge vergingen, ehe sie ihren Fokus erneut über die Insel schweifen ließ und da ... da war etwas!
Sie wandte sich wieder um, drehte sich einem der großen Yew-Bäume zu und betrachtete diesen etwas länger. Er strahlte eine ähnliche Kraft aus, wie all die anderen Bäume seiner Art. Eine Kraft die vermutlich von den Waldelfen oder Druiden sehr geschätzt wurde. Aber etwas war an diesem anders, etwas was sie an ihre eigene Art der Magie erinnerte. Langsam bewegte sie sich auf den Baum zu, näherte sich somit auch einen Teil der Ruinen, damit sie ihn genauer betrachten konnte.
Und tatsächlich, dort war etwas, wie in den Baum hineingewachsen. Von Ranken und Ästen umschlungen, kaum zu erkennen für das menschliche Auge – doch fühlte es sich an wie ein Stück Drachenmagie. Der Form der Präsenz nach zu urteilen, musste es eine Art Stab sein. Shira'niryn betrachtete die Präsenz mit gerunzelter Stirn. Kein normaler Stab, das war klar. Er war deutlich zu spüren und zu sehen auf der astralen Ebene, wenn auch vermutlich nicht für jeden einfachen Magier. Aber wie kam ein Stab aus Drachenmagie hier her?
Erneut sah sie sich um, versuchte noch mehr zu erkennen, doch alles was sie registrierte, war der seltsame Schleier der sich über der Insel legte, wie ein unsichtbares, seidenes und unbekanntes Tuch.
Sie verachtete die Menschen dafür immer, Dinge anfassen zu müssen, die sie nicht verstanden um dann über die Konsequenzen überrascht zu sein. Doch das hier war etwas anderes. Dieser Gegenstand war ihr nicht unbekannt in seiner Macht, er war ihr vertraut, es war wie ihre Magie, nur vielleicht ein wenig anders … naturbezogener? Oder lag das nur an diesem Ort?
Sie betrachtete noch eine Weile diesen Gegenstand im Hier und Jetzt, wie auf der Astralebene, ehe sie schließlich eine Hand ausstreckte, um ein paar der Ranken vorsichtig zu lösen, die sich um den Stab schlangen. Sie waren starrsinnig, eher hölzern und ließen sich nur schwer bewegen. Die Berührung hatte zur Folge, dass ein rötliches Schimmern von der vermutlichen Spitze des Stabes ausging und der Schleier, der über der Insel lag, sich veränderte.
Sie hielt inne, ließ ihre Hand wieder sinken und lenkte den Blick erneut über die Umgebung. Natürlich war ihr die Veränderung nicht entgangen und ein unwohles Gefühl stellte sich ein. Das Gefühl nicht mehr allein zu sein.
» WAS fällt dir ein!? «
Die Stimme war kreischend, aufgebracht und mehr die einer alten Frau. Etwas Hallendes lag in dem Unterton, als würde sie von überall und doch von nirgends kommen. Shira'niryn spürte die Wut förmlich in der Luft liegen, eine Abneigung, einen verwurzelten Hass und sie machte sich im Inneren schon darauf gefasst, das was sich da gegen sie stellte, zu vernichten.
» Ihr Menschen! Zerstört immer alles! Ohne Sinn und Verstand! Vernichten sollte man Euch, alle samt. Ohne Ausnahmen! «
Die Stimme brauste weiter auf, hallte über die Insel und doch verfestigte sich der Schleier immer mehr, bis Shira'niryn ein Zentrum ausmachen konnte. Sie drehte sich dem Zentrum zu und konnte wenige Momente später auch erkennen, was dort Zeterte. Nach und nach hatte sich aus dem Nebel der Nacht eine schimmernd-weiße Frauengestalt geschält. Auf den ersten Blick konnte sie ausmachen, dass es ein Geist sein musste. Sie kannte sich mit Geistern zwar nicht unbedingt aus, aber diese Gestalt war vom Aussehen her, wie man es aus einem Lehrbuch kennen würde.
Der Gestalt fehlte jegliche Farbe, war durchschimmernd in ihrer Art und von einem feinen, weißen Nebel umgeben, der wie Schlieren an ihr haftete. Langes, weißes Haar welches mehr zerzaust wirkte, die alte, weiße Haut von dunklen Zeichnungen geziert. Die Kleidung zerrissen und die Mimik von Wut verzerrt. Wütend funkelte der Geist Shira'niryn an, doch ehe sie wieder etwas sagen konnte, erhob sie selber die Stimme.
» Da gebe ich dir durchaus recht. «
Vermutlich hatte der Geist die Zustimmung nicht erwartet. Sie hielt inne, blinzelte einmal und starrte jedoch weiterhin wütend zur Drachenmagierin hinüber. Shira'niryn blieb ruhig, natürlich war sie innerlich noch immer dazu bereit zu handeln, doch hegte sie nun die Vermutung, dass dieser Geist einfach nicht verstand, 'was' sie war und sich deswegen so aufführte.
» Es macht es nicht besser, wenn du Menschlein mir Recht gibts, dann aber versuchst dir das zu nehmen, was nicht dir gehört! «
Bei den Worten huschte das giftgrüne Augenpaar wieder zum Yew-Baum mit dem eingewachsenen Stab zurück, ehe sie jedoch wieder den Geist taxierte.
» Ich bin kein Mensch. «
Wieder stockte der Geist in seiner aufbrausenden Art und die leeren-farblosen Augen kniffen sich nun skeptisch zusammen, während er näher zu ihr heran schwebte. Sie spürte den musternden Blick der Gestalt, fühlte gar wie er versuchte seinen Geist nach dem Ihren auszustrecken, doch sie unterband das Vorhaben mit einem kleinen Knurren.
» Wage es. «
Der Geist reckt das Kinn empor und ließ sich aber offenbar von der Drohung nicht sonderlich einschüchtern. Stattdessen verschränkte sie die schleierhaften Arme vor sich und erhob wieder die hallende Stimme.
» Was bist du genau? «
» Wenn du das nicht erkennst, frage ich mich, wer hier von uns beiden der Mensch ist. «
Sie war sich mittlerweile ziemlich sicher, dass nur eine mäßige Gefahr von diesem Geist ausging. Natürlich war er ihr körperlich überlegen und vermutlich auch in anderen Dingen, schlicht weil es ein Geist war, aber so wie sie es einschätzte, würde sie sich im Notfall mit ihrer Magie gut schützen können. Vielleicht ein wenig übermütig, aber das lag vermutlich in ihrem jungen Wesen begründet.
Die Worte führten dazu, dass der Geist einen wütenden Laut von sich gab und ein Rauschen über die Insel ging, wie ein Wind der plötzlich aufkam und die Gräser und Blätter Aufrascheln ließ. Für einen Moment entmaterialisierte sich die Gestalt vollständig und Shira'niryn spürte wieder diese unbestimmte Präsenz, auch wenn sie nun sicher war, von wem sie herrührte.
» Du hast nerven mich zu beleidigen! Weißt du eigentlich wer ich bin!? «
Zornig hallte die Stimme über die Insel und genervt entwich Shira'niryn nun ein Seufzen. Ein kurzes Durchatmen, mehr aus Gewohnheit, folgte, ehe sie wieder die Stimme erhob.
» Woher soll ich es wissen? Ich habe keinen Blick auf die Totenebene, noch kann ich deine Gedanken lesen. «
Ein aufgebrachtes Rauschen brachte die Bäume zum Ächzen und Shira'niryn konnte nun sehen, wie sich Ranken aus dem Boden schälten um sich auf sie zuzubewegen. Als würden sie als nächstes die Drachenmagierin umschlingen wollen, bauten sie sich immer weiter auf. Sie runzelte die Stirn, wich im ersten Moment zurück, doch dann folgte nur ein Schnaufen, als sie erkannte was das war. Illusionen. Dieser Geist konnte doch ernsthaft nicht davon ausgehen, dass er SIE mit so etwas täuschen konnte?
» Bash'rr Nedash Llor «
Ein genervter Klang lag in den Silben, als sie jene alten Wörter der Macht der Drachen sprach und die Illusionen lösten sich auf. Einen Moment herrschte Stille über der Insel, ehe sich der Geist wieder vor ihr zeigte und sie nun noch skeptischer, aber tatsächlich ruhiger, betrachtete.
» Du bist ein Drachenmagier. «
» Ich bin ein Drache. «
Die Augenbrauen der Geistergestalt schnellten hinauf und ein schallendes Lachen erfolgte, welches Shira'niryn mehr verärgerte. Die schleierhafte Hand, die bei jeder Bewegung Schlieren verlor, zeigte auf sie und vollführte eine auffordernde Bewegung.
» Ein Drache in Menschengestalt? Willst du mich auf den Arm nehmen? Ihr Menschen seid so von eurem Stolz übermannt... «
Shira'niryn verdrehte die Augen, das konnte ewig so weiter gehen und noch während der Geist wieder anfing sich in einer Schimpftirade hinauf zu schrauben, schloss sie die Augen um den falschen, menschlichen Körper aufzugeben und ihre wahre Gestalt zu zeigen. In den Moment als sich der kleine Kristalldrache herauskristallisiert hatte, verstummte der Geist wieder. Skeptisch ruhten die leeren Augen auf dem Drachen – durchdringend und sie wusste, das der Geist nun vermutlich auf allen, für ihn möglichen, Ebenen versuchte ihre Gestalt zu erfassen.
» Es ist ewig her, dass ich einen Drachen getroffen habe. «
Erklang es schließlich und die Geistergestalt sank hinunter auf die Knie, um auf Augenhöhe mit Shira'niryn zu sein, die nur ein kleines Schnaufen von sich gab – weiterhin mehr genervt.
» Allerdings bist du ein ziemlich Mickriger.«
» Ich... «
Sie spürte einen gewissen Stolz kurz in sich hinauf schwappen, der sich in Zorn wandelte, doch schloss sie einfach nur die Augen und stieß ein leises Knurren hervor.
» Meine Größe hat nichts mit meiner Macht zu tun. «
» Mhm ja ja, ich wollte dich nur ein wenig ärgern. Ich bin Maeryn. «
Ein kleines Grinsen formte sich auf den Gesichtszügen, des nun plötzlich so umgänglich wirkenden Geistes, auch wenn sie weiterhin spürte, wie der Geist, der sich als Maeryn vorgestellt hatte, sie wachsam betrachtete.
» Shira'niryn. «
» Was wolltest du mit meinem Stab? «
» Deinem Stab? Mir war nicht bewusst, das er dir gehörte. Er hat sich einfach vertraut angefühlt, wie etwas, was zu mir gehört. «
Ein kleines Schnaufen Maeryns folgte, ehe es in einem hallenden Lachen endete. Der Kopf schüttelte sich, die schleierhaften Haare waberten in der Luft hin und her, ehe sie einen Zeigefinger anhob.
» Dieser Stab ist das Geschenk eines Drachens gewesen. Meines Drachens. Toir'easa. Du musst ihn dir verdienen, wenn du seiner Herr werden willst. «
Der Name sagte ihr genau so wenig, wie der Name dieser Magierin, aber vermutlich lag ihr Leben Jahrhunderte zurück. Skeptisch betrachtete sie den Geist, dann wandte sie ihren Fokus zum Yew-Baum, in welchem der Stab hinein gewachsen war. Kurz stellte sie sich die Frage, ob es sich lohnen würde, denn was auch immer Maeryn verlangen würde, es würde gewiss nervig werden.
» Was verlangst du? «
Ein kleines schelmisches, fast boshaftes Lächeln zeigte sich auf den Gesichtszügen des Geistes und sie schwebte einmal in einer raschen Bewegung um Shira'niryn, ehe sie sich wieder vor ihr niederkniete.
» Ich habe drei Prüfungen für dich. Eine Prüfung deiner Bereitschaft, eine Prüfung deiner Stärke und schließlich eine Prüfung des Geistes. Erst wenn du alle drei bestanden hast, wird dir die Ehre zuteil, Toir'easas Geschenk führen zu dürfen. Überlege weise, ob du dich darauf einlässt, denn wenn du beginnst, gibt es kein Zurück mehr. «
» Erzählst du mir mehr über die Prüfungen?«
» Nein, aber ich gebe dir eine Nacht und einen Tag um zu überlegen. Dann will ich deine Entscheidung erhalten. Und nun geh... und komm gar nicht erst auf den Gedanken, du könntest den Stab einfach dem Baum entreißen. Das wird dir nicht möglich sein. Er gehört zu mir, nicht zu dir. Er ist nicht vollständig und wird sich ohne das fehlende Stück nicht gebrauchen lassen.«
Knurrend betrachtete sie den selbstgefälligen Geist, ehe sie jedoch ein Nicken von sich gab und die durchschimmernden Kristallflügel ausbreitete.
» Ich werde nächste Nacht wiederkommen. «
» Das wirst du, Shira'niryn, Winzdrache. «
Ein spöttelnder Unterton schwang in den Worten des Geistes mit, doch ehe die Drachenmagierin ihr etwas zurückgeben konnte, dematerialisierte sie sich einfach und zurück blieb lediglich der merkwürdige Schleier, der über dieser Insel lag. Genervt betrachtete sie noch eine Weile ihre Umgebung, ehe sie schließlich leise Silben formte um sich auf den Weg zurück zu machen. Livius hatte bestimmt mitbekommen, dass etwas nicht stimmte, es sei denn, sein Schlaf war diese Nacht tief und fest gewesen.
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