Geschichten der Ewigkeit

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Tyr
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Geschichten der Ewigkeit

Beitrag von Tyr »

Die Rückkehr

Stille und Dunkelheit empfingen sie, als sie aus dem hell wabernden Oval aus verwirbelten Blau- und Weißtönen traten. Eben hatten sie noch auf einem Balkon des Herrenhauses der Alvlems in Drachdea gestanden, nun umgaben sie die massiven Mauern des Kellergewölbes des Monthares Anwesens. Nur sehr kurz waren sie von der Dunkelheit „geblendet“, ehe ihre natürlichen Instinkte übernahmen, ihre Augen sich anpassten und so die Finsternis für sie beide schwand, als wäre der Raum hell erleuchtet obwohl er noch im Dunkeln lag. Eine Tatsache die, wenngleich er schon eine ganze Weile als Untoter wandelte, Rorek ein kurzes Lächeln entlockte.

Vyktorya folgte ihm und als er das metallene Gitter am Ausgang des Raumes entriegelte und auf den dahinterliegenden Gang trat, hielt er inne und sah zu seiner Frau. „Ich werde mich oben umsehen und nachsehen ob alles in Ordnung ist.“ Vyktorya entgegnete ein kurzes Nicken und wendete sich in die andere Richtung. Er selbst folgte dem Gang nach rechts und kam schließlich an einer scheinbar massiven Mauer zum Stehen. Sein muskuläres Erinnerungsvermögen begann sofort zu arbeiten und ohne wirklich darüber nachzudenken aktivierte er den verstecken Mechanismus, der die Steinwand vor ihm begleitet von einem steinernen Schaben zur Seite schwingen ließ. Der Raum lag ebenfalls im Dunkeln. Es handelte sich um einen Lagerraum, wie er in vielen Häusern zu finden war, der, wann immer jemand in das Lager gehen musste, von Fackeln ausgeleuchtet wurde. Die dicke Staubschicht auf den Fässern und Kisten verrieten Rorek jedoch, dass hier schon lange niemand mehr heruntergekommen war. Er durchquerte den Raum und ging langsam, aber aufmerksam lauschend, die Treppe hinauf, die in das Erdgeschoss des darüber liegenden Gebäudekomplexes führte. An der Holztür zum Flur hielt er inne und Iauschte. Als er keine Schritte und Stimmen vernahm öffnete er sie und trat auf den Flur. Zufrieden sah er sich um und ließ sich dann auf ein Knie sinken, dabei leise einen Zauber intonierend formte er in seinen Gedanken die gewünschte Form der Applicatio, derer er sich bediente. „Kal“ .. „Xen“. 

Nur Augenblicke später formte sich vor Rorek aus dem Nichts ein Hund heraus, der ihn sitzend und aufmerksam ansah. Er sah den Hund an und öffnete dann eine der großen Schwingtüren zum Eingangssaal einen Spalt. „Such!“ Dieser einfache aber kurze Befehl ließen das eben noch entspannte Tier alarmbereit aufspringen und durch den Spalt in den nächsten Raum vordringen. Da auch die Handwerksräume im Südflügel durch die Halle ohne weitere Hindernisse zugänglich waren würde der Hund nun alle Flügel und Räume des südlichen Gebäudes absuchen und Laut geben, sollte er auf etwas stoßen. Tatsächlich glaubte Rorek kaum daran, dass er jemanden der Monthares im Anwesen antreffen würde und auch die Bediensteten, die das Haus normalerweise in Schuss hielten, schienen ihre Arbeit in den letzten Mondumläufen sträflich vernachlässigt zu haben. Nein. Sollte der Hund auf jemanden stoßen, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese Person hier nichts zu suchen hätte. Er selbst sah sich weiter im Nordflügel des Gebäudes um. 

Gut eine Stunde später war das ganze Gebäude durchsucht und zufrieden hatte er festgestellt, dass zwar überall eine nicht minderdicke Staubschicht zu sehen war, aber dass sogar die Schutzzauber am Zaun und Eingang noch intakt waren. Es hatte demnach also niemand gewagt das Grundstück oder das Gebäude widerrechtlich zu betreten. 

Gerade als er sich wieder dem Haus zuwenden wollte nahm er eine Bewegung im Augenwinkel wahr und sah sich um. Cynara, die Stallmagd, trat aus dem hölzernen Gebäude auf der anderen Wegseite und sah zu ihm herüber. Die Überraschung ihn zu sehen konnte er ihr nicht verdenken, immerhin waren Vyktorya und er viele Mondumläufe, wenn es nicht sogar schon ein Jahreslauf war in Drachdea gewesen. Cynara berichtete ihm, nachdem sie ihre anfängliche Überraschung überwunden hatte, dass viele das Land verließen um an anderen Ufern ihr Glück zu suchen. So war es auch gekommen, dass viele der Bediensteten des Anwesens ihre Koffer packten. Wenngleich auch gut für sie gesorgt war, so machte ihnen der fehlende Kontakt zu anderen immer mehr zu schaffen. Einzig Cynara und ihre alte Mutter Erna waren noch da um sich um den Stall und das Haus zu kümmern, doch Erna war erkrankt und seit nun zwei Wochenläufen bettlägerig, sodass Cynara sich zu Hause noch um sie kümmern musste. Auf die Frage, was ihre Mutter denn habe, kannte Cynara keine Antwort und so würde er sich wohl schnellstmöglich selbst ein Bild von der armen alten Frau machen müssen. Während er zum Haus zurück ging dachte er über das Gehörte nach. Immer mehr suchen also neue Gefilde auf. Vielleicht war es ja auch an der Zeit Erna und ihre Tochter nach Drachdea zu schicken. Zwar herrschte dort ein raues Klima, aber die Städte erblühten, gediehen und erfreuten sich immer größerer Beliebtheit. 

Ja, er war ein Untoter und definitiv kein Unschuldsengel, aber er besaß nach wie vor ein großes Maß an Menschlichkeit und wusste um die hohe Wertigkeit von Loyalität und Einsatzbereitschaft. Und diese beiden hatten eine Chance auf ein neues Leben oder einen ruhigen Lebensabend verdient. Eine Rune würde sie sicher und schnell ans Ziel bringen, selbst dann, wenn kein Schiff mehr fuhr oder Vyktorya und er anderweitig beschäftigt waren. Aber zuerst würde er sich Erna ansehen müssen und dazu würde er das Wissen und den Rat seiner Frau brauchen.
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Aira
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Re: Geschichten der Ewigkeit

Beitrag von Aira »

Vyktorya seufzte leise, während sie die alte Frau betrachtete. Der Atem ging flach, die ohnehin knittrige Haut war fahl und eingefallen. Im Augenblick schlief sie doch, wenn sie wach war, schüttelte heftiger Husten die gebrechlichen Knochen. „Du weißt, dass ich keine Heilerin bin.“, sie warf Rorek einen kurzen Blick zu. Dieser betrachtete die alte Frau mit gefurchter Stirn und nickte. „Kannst du ihr dennoch helfen?“ Sie verkniff sich das Augenrollen und atmete tief ein, obwohl es für sie nicht notwendig war. „Ich kann einen Trank herstellen, der den Husten abmildern kann und das Fieber senkt. Aber sie ist alt. Es würde das Unweigerliche vermutlich lediglich aufschieben.“, gab sie zu bedenken und erhob sich. Vor der Tür stand Cynara, die Stallfrau, knetete den Saum ihrer ledernen Weste und starrte ihre Hausherren hoffnungsvoll an. Innerlich seufzte Vyktorya erneut. Wann war sie nur zur Samariterin geworden? Trotz ihres zynischen Gedankens legte sie sanft eine Hand auf die Schulter der Stallmaid. „Ich sehe was ich tun kann, aber ich kann dir nichts versprechen, Cynara. Doch Rorek hat vielleicht einen Vorschlag für euch. Hör ihn dir an und denke darüber nach.“, damit blickte sie über ihre Schulter. Sie hatte Roreks Vorschlag zugestimmt, denn was solls? Die Neue Welt schien ohne großartige Zukunft zu sein und es wäre nicht gerecht, die beiden hier aufgrund ihrer Loyalität festzuhalten. Wer weiß schon, wie lange ihr Aufenthalt hier sein würde? Sacht drückte sie nochmal die Schulter der Frau und überließ sie dann ihrem Mann, der ihr nun eine neue Zukunft vorschlagen würde.
 
Sie selbst begab sich wieder hinab in die tief verborgenen Gewölbe des riesigen Anwesens, um die Medizin zu brauen. Mehr konnte sie wirklich nicht für die alte Frau tun. Ihre Magie war nicht auf Heilung ausgelegt und Vadim Ostrovas Erbe erlaubte ihr lediglich die Seele der alten Frau zu heilen und ins Reich der Toten zu führen. Durch ihre Arbeit mit Toten kannte sie die Anzeichen von bestimmten Krankheiten und es blieb nicht aus, auch die Grundlagen der Heilung dadurch zu erlernen. Damit konnte sie dann lediglich auf ihr Wissen als Alchemistin zurückgreifen und Kräuter für einen Trank auswählen, die die Frau stärkten, das Fieber senkten und die Lungen vom zähen Schleim befreiten. Vielleicht würde das der Frau noch einige Monate – mit viel Glück sogar noch ein oder zwei Jahre – schenken, aber sie spürte, dass die Zeit der Frau ablief. Ostrovas Erbe war Fluch und Segen zugleich. Wie lange war es nun her, seit sie ihren eigenen Vorfahren, Vadim Ostrova, vernichtete und damit ungewollt sein Erbe als Seelenhüter antrat? Monate? Jahre? Als Unsterbliche verlief die Zeit nun mal in anderen Bahnen.
Aber nun war sie das, was manche Kulturen als „Fährmann“ bezeichneten. Sie führte verstorbene Seelen dorthin zurück, wo sie hingehörten: in das Reich der Seelen, den Äther. Hier konnten die Seelen sich reinigen, erholen und warteten auf ihre Wiedergeburt. Denn die Anzahl der Seelen in dieser Welt war endlich. Es hatte einige Zeit gedauert, bis sie sich daran gewöhnte, dass ihre Wahrnehmung sich deutlich erweitert hatte und es regelmäßig geschah, dass eine verlorene Seele schmerzlich nach Hilfe rief und ihr Erbe sie magisch dorthin zog. Nicht selten passierte es, dass sie dadurch ein oder mehrere Tage fort war und es war wohl für Rorek die härteste Prüfung, wenn seine Frau plötzlich aufstand und verschwand. Mittlerweile konnte Vyktorya diesen Sog kontrollieren und die Dringlichkeit abschätzen. Damit konnte sie ihn vorwarnen oder ihm erlauben sie zu begleiten. Dieses Erbe war nun ein Teil ihres Lebens und Rorek musste das genauso schmerzlich akzeptieren wie sie selbst.
 
Es dauerte nicht lange, bis der Kräutersud köchelte und destillierte. Sobald er fertig war, musste er nur noch auskühlen. Rorek war noch immer nicht ins Gewölbe zurückgekehrt, vermutlich erläuterte er Cynara immer noch den Vorschlag oder half ihr sogar schon beim Packen. Durch ihre gemeinsame gedankliche Verbindung, signalisierte sie ihm lediglich, dass sie sich ein wenig in Ansilon umsehen würde. Viel erwartete sie nicht, als sie durch das Gartentor auf die Straße trat und ihre Schritte zum Nordtor der Stadt wandte. Es war lange her, seit sie diesen Weg eingeschlagen hatte, dennoch war ihr alles so vertraut wie früher und gleichzeitig fühlte es sich nach der langen Zeit unwirklich an, hier zu sein.
 
Wie erwartet, hatte sich in Ansilon wenig verändert. Lediglich die Blumenbeete, Hecken und Bäume könnten mal die Hand eines tüchtigen Gärtners vertragen – aber sonst? Ah… selbst der Binnensee leuchtete noch immer Blutrot.
=Calibri,sans-serifVyktorya kräuselte die Stirn, als sie auf dem Steg des Hafens innehielt und auf den See hinausblickte. Hatte es in all der Zeit niemand geschafft die Auswirkungen des Kometen rückgängig zu machen? Erneut entfloh der Ritualistin ein Seufzen, diesmal tief und inbrünstig. Ja, das war ein Thema, welches sie völlig verdrängt hatte. Luinils wahnwitzige Idee den Kometen, welcher zu Samhain jedes Jahr vorbeizog und die Membranen zwischen des Diesseits und dem Totenreich so dünn wie ein Seidenhemd werden ließ, für ihre Zwecke zu missbrauchen. Was hatte das Gör damit gleich nochmal vorgehabt? Winterberg vernichten? Damals war es – sofern Vyktorya sich richtig erinnerte – von den Schwarzelfen angegriffen worden. Oder wollte Luinil nur testen, wie das Ding sich auf dem Rücken eines aufgeblasenen Ogerleichnams machte? So genau wusste Vyktorya es nicht mehr und Luinils Ideen waren häufig … nun… nennen wir es… ausgefallen.
Wie dem auch sei – der See leuchtete noch immer Blutrot. Offenbar hatte man sich hier daran gewöhnt. Die Fischer waren offensichtlich weitergezogen, denn noch immer herrschte kein Leben im See, nachdem der Kometeneinschlag im See dafür gesorgt hatte, dass die Fische darin alle elendig krepierten. Was war eigentlich aus den Ritualankern geworden? Fünf Plätze, an denen Luinil den Beschwörungszirkel verankert hatte. Ach zum Teufel mit dem Gör… und zum Teufel mit ihr selbst! Nicht zum ersten Mal bereute sie, dass sie dieser kleinen rothaarigen Hexe unter die Arme gegriffen und ihr ein Ritual entwickelt hatte. Zu spät hatte Vyktorya begriffen, welche Torheit Luinil plante.
Flüchtig schickte sie ein Stoßgebet in den Äther, als sie sich auf den Weg machte, um nach den Ankerplätzen des Ritualkreises zu suchen. Hoffentlich hatte wenigstens diese jemand vernichtet…
 
Natürlich wurden ihre Gebete nicht erhört – wer hätte das auch gedacht?
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Aira
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Re: Geschichten der Ewigkeit

Beitrag von Aira »

Neue Blutsbande
 
Gedankenverloren beobachtete sie, wie sich der Schein der Kerze im Kristallglas in ihrer Hand brach. Die rote Flüssigkeit darin schwappte leise, als sie den Kelch langsam drehte. Der Wein war angereichert mit einer Mischung aus ihrem und Roreks Blut und perlte würzig süß die Kehle hinab, als sie schließlich einen Schluck davon trank. Seufzend wandte sie den Blick von ihrem Weinkelch ab, hin zu den unzähligen Pergamenten, die den Tisch in einem verborgenen Bereich des Kellers im Monthares-Anwesen bedeckten.
Formeln, Zeichnungen, Notizen. Für Außenstehende war es ein heilloses Durcheinander, für Vyktorya machte die Anordnung dieser vielen Zettel durchaus Sinn. Inzwischen glaubte sie die Lösung für das Problem mit Luinils Zirkel gefunden zu haben. Sie hätte sich auch schon längst darum gekümmert, wäre ihr nicht Samara mit diesem einen Wunsch in die Quere gekommen.
 
Vyktorya hatte ihre Überraschung kaum verbergen können, als die Illusionistin vor dem Tor der Monthares aufgetaucht war. Zunächst hatte Vyktorya geglaubt, das Mädchen wolle den Pakt von damals in Anspruch nehmen und sich mit Vyktoryas Blut am Leben halten. Doch nein… offenbar wollte Samara einen Schritt weitergehen. Und zwar sofort. Samara wollte nicht auf Lugs warten. Sie wollte ihr Leben beenden und die Existenz als Unsterbliche beginnen. Was würde der verdammte Säufer wohl dazu sagen, wenn er erführe, dass sein geliebter Ghul von einer verhassten Adligen gewandelt wurde?
Oh, er würde toben, mit Sicherheit und Vyktorya würde das Schauspiel genießen. Am Ende jedoch war es ihr einerlei. Warum hatte sie also Samara diesen Wunsch erfüllt? Nun, zum einen war es reine Berechnung. Wenn sie Samara wandelte – eine, die ihre Wurzeln als Ghul bei den Ratten hatte – würde sie vielleicht den Ratten zeigen, dass es vollkommen egal ist, welches Blut fließt. Sie alle stammten von einem einzigen Ursprung ab. Es waren uralte Fehden, die die Rasse gespalten und die sogenannten Blutlinien erschaffen hatte. Damit wollte Vyktorya schon lange brechen, denn sie fand es lächerlich. Wussten insbesondere die Ratten und Tzyntares überhaupt noch, worum es bei ihrem gegenseitigen Hass ging? Vermutlich nicht. Und wer würde am Ende triumphieren? Die verdammten Köter.
 
Ein weiteres Problem, mit dem sich Vyktorya noch irgendwann befassen musste. Aber nicht heute. Rorek war unterwegs und wenn sie ihn recht verstanden hatte, wollte er nach Samara sehen. Die Kleine machte sich ganz gut als Welpe. Ihre Fortschritte waren gut, doch ihr Gemüt war noch längst nicht in der Welt der Schatten angekommen. Warum kam so ein zartes Wesen zu den Ratten? Vermutlich war es aber genau das, was Lugs angezogen hatte: diese Unschuld. Hatte Samara je einer Fliege etwas zu leide getan? Vyktorya kannte Shirin nicht besonders gut, hatte aber genug Geschichten über sie gehört und die wenigen Treffen mit ihr machten sehr deutlich, dass sie ihrer Zwillingsschwester kaum ähnelte – und das bezog sich nicht nur auf das Aussehen. Aber diese Familienbande waren Vyktorya ebenfalls egal. Solange Samara ihre Maskerade aufrecht hielt, stellte Shirin kein Problem dar. Und Samara lebte lange genug als Ghul, um die Bedeutung dieses Gesetzes zu kennen.
 
Und der andere Grund, weshalb sie Samara zu einer Unsterblichen machte? Vyktorya würde gerne Langeweile vorschieben, doch das stimmte nur zum Teil. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, war Samara ihr sympathisch. Ja, sie mochte diese Frau irgendwie. Dieses unschuldige Wesen, das Schaf unter den Wölfen. Wer weiß, vielleicht war sie wirklich das eine Puzzlestück, um die Rasse zu einen. Wenn nicht, war sie eine erfrischende Abwechslung.
 
Sie trank ihren Weinkelch schließlich aus und erhob sich. Zielsicher griff sie nach einem Notizbuch, welches verborgen unter all den Pergamenten lag und fasste mit der anderen Hand in den Äther, um von dort ihren Stab zu manifestieren. Es wurde Zeit sich um diesen verdammten See zu kümmern…
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Aira
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Re: Geschichten der Ewigkeit

Beitrag von Aira »

Von elterlichen Sorgen
 
Samara war flügge geworden. Fast genauso schnell wie Cyrus. Und doch bereitete die kleine zierliche Frau Vyktorya wesentlich mehr Kopfzerbrechen als der selbstbewusste Elementarist. Obwohl Samara diese Existenz selbst gefordert hatte, schien der jungen Frau erst jetzt wirklich bewusst zu werden, welche Konsequenzen das Leben in den Schatten hatte. Vermutlich verstand sie jetzt so manches Gebahren ihres Gefährten, welcher dieser sicherlich zu ihrem Schutz und der Wahrung der Maskerade an den Tag gelegt hatte. Samara haderte nicht mit ihrem Schicksal, schien sich jedoch auch noch längst nicht mit der Tatsache anfreunden zu können, dass sie nun selbst zu einer Art Bestie wurde. Eine Bestie, die es zu beherrschen und im Zaum zu halten hieß.
 
Doch Vyktorya war zuversichtlich, dass Samara das schaffen würde. Sie hatte sich bei ihrem Ausflug zur Lehrstunde ihrer Zwillingsschwester sehr gut gemacht. Natürlich hatte man ihr die Anspannung angemerkt, doch zu keinem Zeitpunkt wirkte es, als wäre sie dabei die Kontrolle zu verlieren. Darum hatte Vyktorya ihr gestattet den Schutz des Heredium zu verlassen und langsam zurück ins Leben zu kehren.
Bisher schien auch alles ruhig zu sein und Vyktorya widmete sich der Überlegung, wie man diesen verdammten Lugs wieder auftreiben könnte. Komisch… sie hatte das Ganze damals mit Robin schon versucht. Einige Zeit danach war er auch wieder aufgetaucht… Zumindest kurz. Und nun ging das wieder los. Lästige Rattenbande.
 
Doch während Samara nun scheinbar zurecht kam, ereilte schon bald Vyktorya eine neue besorgniserregende Nachricht von ihrer Brut.
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Asche zu Asche, Staub zu Staub - Die Erschaffung der neuen Diener

Beitrag von Aira »

Asche zu Asche, Staub zu Staub - Die Erschaffung der neuen Diener

Wieder einmal waren die Wochen und Monate ins Land gezogen. Seit ihrer Rückkehr hatte das Gefühl kaum zur Ruhe zu kommen. Einerseits begrüßte sie den Wandel… den Ausbruch aus dem Trott der Ewigkeit. Und doch… manchmal wäre eine kleine Verschnaufpause selbst für die Unsterbliche ganz erfreulich. Nichts desto war Vyktorya im Grunde mit den Entwicklungen recht zufrieden…
Die Gemeinde der Unsterblichen wuchs – was jedoch nicht immer unbedingt positiv war, so viele Welpen auf einmal waren durchaus auch eine Gefahr – und sie konnten sich fast nicht vor Magie-Schülern retten. Mittlerweile waren es bereits fünf Schülerinnen und Schüler, die regelmäßig ihr Wissen mehrten. Wohin würde das noch führen? Würden die Schüler ihre Lehren beibehalten oder so wie schon früher einfach verschwinden? Wer weiß…

Derzeit bereitete ihr Samara und ihr Lugs wieder Kopfzerbrechen, doch sie konnte im Augenblick eher wenig für sie tun. Lugs hätte sich schon vor Monaten - eigentlich schon nachdem sie ihn mit einem Silberdolch im Rücken aus dem Meer gefischt hatten – von Rorek untersuchen lassen sollen. Ein schwarzes Mal auf der Haut, nachdem man monatelang verschollen und irgendwo festgesetzt war? Bitte… selbst dieser versoffene Pirat müsste doch so viel Verstand besitzen, dass das kein besonders gutes Zeichen war! Aber der Pirat war störrisch und drückte sich. Vor Angst? Scham? Oder gar immer noch dieser dämliche Stolz keine Hilfe „vom Adel“ zu wollen? Wer weiß. Die Rechnung hatte er jedoch jetzt bekommen. Und Vyktorya hätte ihn am liebsten persönlich noch einmal einen Kopf kürzer gemacht. Tatsächlich hatte er es nur Samara zu verdanken, dass sie ihn lediglich daran erinnerte, in welche Gefahr er sie alle – seine Gefährtin insbesondere – gebracht hatte, nachdem dieses seltsame Schattenwesen Rorek angegriffen und verletzt hatte. Aber immerhin war er nun wachgerüttelt und hatte sich bereit erklärt, etwas gegen dieses Mal zu unternehmen. Rorek hatte seine letzten Kraftreserven aktiviert und mithilfe von Samaras und Malvors Schutz sowie Vyktoryas Energiespeisung geschafft das Mal von Lugs zu entfernen. Soweit Rorek rausfinden konnte, war es eine Art Kompass, mit dem dieses Schattenwesen – ein Scherge Morguns – den Piraten ausfindig machen konnte. Zumindest diese Gefahr würde wohl gebannt sein. Aber sie würden sich baldmöglichst um diesen Schatten kümmern müssen… inzwischen lungerten die Diener dieses Wesens überall im Heredium. Die Schattenwelt war nicht mehr sicher…

Umso mehr war es also an der Zeit, dass Vyktorya sich endlich dem widmete, woran sie schon seit Wochen immer wieder arbeitete: Neue Diener.

Es war fast ein Jahrzehnt her, seit sie ihren ersten Diener erschaffen hatte. Damals war sie so jung gewesen. Sie hatte damals geglaubt, sie wüsste alles über die Magie, die Welt… doch im Grunde hatte sie rein gar nichts gewusst. Natürlich war sie damals schon recht fortgeschritten gewesen, hatte sich das Wissen ihrer Großmutter angeeignet. Doch das war nichts, außer auswendig lernen und ein wenig herumexperimentieren. Dummes, kindhaftes herumspielen mit der Magie und Artefakten… die Quittung erhielt sie dann, als sie ihrer Kräfte beraubt wurde, indem eines ihrer Experimente schiefging. Es hatte Jahre gedauert, bis sie ihre Kräfte wiederhergestellt hatte und diesen vermaledeiten Bannkreis, den sie unbeabsichtigt durch ein Artefakt namens „Seelensammler“ um ihren Geist errichtet hatte. Das Artefakt war von Grendelin dem Weisen erschaffen worden, um einst Schwarzmagier zu bekämpfen. Noch heute nagte diese Peinlichkeit an ihrem Stolz, doch im Grunde genommen, war es lange her. Längst hatte sie ihre Kraft zurück und sogar gemehrt. Ihre Kraft, ihr Wissen, ihre Erfahrung. Ja, heute war sie so weise, dass sie mit Fug und Recht behaupten konnte, dass sie… eben nicht alles wusste. Nein. Das Lernen würde niemals Enden und umso mehr schätzte sie deshalb die Ewigkeit. Denn sie würde immer etwas entdecken, was sie neu lernen konnte. Manchmal kam es unverhofft, manchmal musste man nach neuem Wissen suchen. Doch ausgelernt hatte man niemals.

Nun also, so jung, hochmütig und frustriert vom Raub ihrer Kräfte, hatte Vyktorya sich einst ihren ersten Diener erschaffen. Er war ein Mittel zum Zweck. Ein Wesen zu ihrem Schutz und um niedere Arbeiten zu verrichten. Damals hatte sie sich wahrlich keinerlei Gedanken darum gemacht und hatte in aller Eile und regelrecht lieblos ein Wesen auch Knochen zusammengesetzt. Später dann erschuf sie ein Schattenwesen, das gequälte Abbild einer trauernden Frau. Heute wusste sie, dass es das Abbild ihrer eigenen Seele war. Kalt, einsam und voller Trauer über sich selbst. Ihre Gefühle hatte sie jahrelang weggeschlossen. Ganz tief in ihrem Inneren. Es hatte einen bestimmten Mann benötigt, der mit seiner Hartnäckigkeit und Entschlossenheit ihren inneren Panzer geöffnet und sich darin eingenistet hatte. Und wann immer sie sich über diesen … Fehler … ärgerte, hob dieser vermaledeite Schelm im Geiste das Weinglas an, grinste sie verschmitzt an und ließ sie vergessen, dass er nun ihre Achillesferse war. Jener eine Punkt, mit dem man sie vernichten konnte. Und doch würde sie ihn nicht mehr missen wollen.
Ihren dritten Diener erschuf sie mit mehr Bedacht, nachdem sie Vadim Ostrova vernichtet und sein Erbe als Seelenhüterin angetreten hatte. Doch genauso wie die beiden anderen Diener war das Schreckgespenst ein Wesen, welches rein zweckmäßig geschaffen wurde. Tatsächlich mehr aus der Neugier heraus, die neuen Kräfte zu erproben.

Schon lange war sie mit ihren Entscheidungen damals unzufrieden und konnte sich längst nicht mehr mit ihren eigenen Dienern identifizieren. Jedes Mal, wenn sie diese herbeirief, hatte sie das Gefühl die Diener einer anderen Frau zu rufen. Nicht ihre… sie gehörten irgendwie nicht zu ihr. Obwohl sie natürlich durch den Zauber, mit dem sie erschaffen wurden, an sie gebunden waren. Sie hatte lange darüber nachgedacht und lange in der Bibliothek von Drachdea gesucht, bis sie sich sicher war, dass sie an diesem Zustand etwas ändern konnte. Ändern musste!

Sicher, gerade jetzt war der Zeitpunkt nicht besonders passend, doch wie lange sollte sie noch warten? Wenn der Schatten besiegt war, was kam dann? Wer weiß, wie lange Morgun sich zurückgezogen hatte. Er konnte vielleicht morgen schon wiederauftauchen, angelockt von seinem Schergen. Außerdem hörte sie immer häufiger die Worte „Bundmagier“, „Magokratie“, „YEA“. Auch hier war es nur eine Frage der Zeit, bis möglicherweise neue Katastrophen auftauchten. Es gab also nicht DEN perfekten Zeitpunkt, den würde es vielleicht nie geben. Es gab nur den Zeitpunkt, an dem sie sich bereit fühlte und der war heute. Auch wenn ihr bewusst war, dass es sehr kräftezehrend werden würde, für sie, aber auch für Rorek. Sicherlich hätte sie die Rituale auch ohne ihn abhalten können, doch hätte sie zum einen vielleicht statt Stunden Tage benötigt und zum anderen… er würde sich kaum davon abhalten lassen, ihr zu helfen. Also versuchte sie gar nicht erst ihn davon abzuhalten und begann mit den Vorbereitungen der Rituale…

Zunächst musste sie ihre derzeitigen Diener frei lassen. Sie waren überflüssig und ihr Geist konnte keine weitere Bindung mit neuen Dienern aufbauen, solange diese noch daran gebunden waren. Dies würde fast genauso viel Kraft kosten, wie das neue Formen eines Dieners und viel Zeit in Anspruch nehmen.

Der Keller des Schattenkonvents lag im Dämmerlicht einiger weniger Kerzen, die rings um den frisch gezogenen Ritualkreis verteilt waren. Das Blut schimmerte in den im Boden eingelassenen Rinnen und verbreitete seinen kupfernen Geruch. Zwischen den blutgefüllten Linien schlangen sich Symbole, Runen und Formeln aus Kreide. Diesmal würde sie keinen Schutzkreis aufbauen, sie brauchte all ihre Kraft für die Zerstörung der Bindung und der Erschaffung der neuen Diener. Der Zirkel diente dazu ihre Kräfte zu fokussieren und gezielt zu lenken. Die benötigten Reagenzien hatte Vyktorya in ihrer Reichweite in kleinen Kupferschalen platziert. Vor ihr stand das Kohlebecken, dessen Boden schon längst geschwärzt von Ruß und Asche war. Frische Kohlen ruhten darin und warteten darauf, entzündet zu werden. Rorek saß außerhalb des Kreises und behielt sie im Auge, während er sich öffnete, um seine Energie in den Zirkel und in ihren eigenen Energiestrom fließen zu lassen.

Langsam sank Vyktorya vor dem Becken auf die Knie, die Hände ruhig auf die bleichen Oberschenkel gelegt und leise flüsterte sie „Vas Flam“, um einen Feuerball auf die Kohlen zu schicken, welche fauchend und knisternd begannen zu glimmen. Ruhig wartete sie ab, bis die Glut durch die Kohlen drang und einen warmen Schimmer im Raum verbreitete. Dann schloss sie die Augen und begann langsam und ruhig zu atmen. Dies war die Art der Meditation, die sie sich auch nach ihrem Ableben beibehalten hatte, obwohl sie es gar nicht benötigte. Doch allein die Konzentration auf diesen einst so selbstverständlichen Mechanismus und diesem bestimmten Atemrhythmus half ihr, alle anderen Gedanken zu verbannen. Allmählich wurde ihr Atem tiefer… während ihr Geist hinab sank in die Tiefen ihres Inneren und sie die Verbindung zu ihren Dienern suchte. Dort war sie. Stark und fest, ja, doch gleichzeitig auch fremd. Auch hier wurde deutlich, wie sehr diese Diener sie abstießen und nicht Teil ihres Selbst waren. Langsam ebbte ihr Atem ab, während sie die erste Verbindung verfolgte und sich ihren Skelettdiener vorstellte. Ein groteskes Wesen, lieblos zusammengestückelt aus Knochensplittern. Langsam streckte sie die Hände aus, hob sie über die Hitze der Kohlenpfanne und begann sich vorzustellen, wie das Wesen darüber schwebte. Es war nicht einfach, sie war keine Illusionistin, doch gleichzeitig hatte sie das Gefühl, dass sie diese bildliche Darstellung benötigte, um das Gewünschte zu vollbringen. Sie stellte sich vor, wie das Wesen sich vor ihr langsam um seine eigene senkrechte Achse drehte und auf seine Befehle wartete. Es würde seinen letzten Befehl erhalten…
Wie in Trance griff sie schließlich nach einer der Kupferschalen und begann die Reagenzien in die Glut zu streuen. Zuerst die Spinnenseide, um die Verbindung zur Essenz des Dieners zu symbolisieren, während das Pulver der Schwarzen Perle Stück für Stück die Energien darin bannen sollte. Die Wurzeln der Alraune, um Vyktoryas Energien zu bündeln… und schließlich das wichtigste Reagenz: Drachenknochen. Die Macht dieser Wesen war noch immer darin gespeichert und hatte sich mit der Todesmagie verwoben. Mit ihrer Hilfe würde Vyktorya die Verbindung letztendlich aufsprengen und den Diener entlassen können. Kaum hatten die Knochenstücke die Glut berührt, begannen sie auch unter dem magischen Einfluss zu verglühen und ein dichter, beinahe giftgrüner Nebel begann aus dem Becken aufzusteigen und ringelte sich um jenes Gedankenabbild, welches darüber kreiste.
„Abatu Mursu Telal!“
Ihre Stimme war kräftig und bestimmt, der Nachhall der Blutmagie wurde von den Wänden zurückgeworfen und sie stieß ihre Hand mitten in den Nebel hinein, um nach dem letzten Anker in der Essenz des Wesens zu greifen und riss daran. Sie spürte den Ruck in ihrem Inneren, fühlte regelrecht die Verbindung reißen, wie eine Nabelschnur, die durchtrennt wurde und der Nebel wurde schlagartig zu Boden gedrückt, wo er sich kräuselte und umher wirbelte. Das Wesen selbst… zerbrach… fiel hinab in die Kohlen und verglühte… Es war… frei.

Langsam atmete sie wieder durch und sammelte sich. Auch, wenn dieses Wesen sich immer mehr wie ein Fremdkörper angefühlt hatte, so war es doch eine lange Zeit ein Teil von ihr gewesen und ihr Geist musste einen Moment innehalten, um diesen Verlust zu verstehen. Langsam fing sie sich wieder und nach einem kurzen, prüfenden Blick zu ihrem Gefährten, begann sie die Prozedur von vorne. Noch zweimal musste sie dieses Ritual durchführen. Beide Male war dieses Gefühl irritierend und der Verlust unangenehm, doch gleichzeitig spürte sie auch, dass es richtig war.

Schließlich zwang sie sich zu einer Pause. Am liebsten hätte sie sofort damit begonnen ihre neuen Diener zu erschaffen, doch sie wusste, dass ihr Geist durch das Lösen der Verbindung noch angegriffen war und vor allem hatte sie viel Kraft aufgewandt, trotz ihrer Verbindung mit Roreks Energie. Sie wusste selbst nicht genau, wieviel Zeit schon vergangen war, seit sie die Rituale begonnen hatte und genauso wenig konnte sie nicht sagen, ob sie fünf Minuten oder mehrere Stunden meditierte, um ihren Geist zur Ruhe zu bringen und zu erfrischen.
Schließlich kontrollierte sie mit einem Blick den Zirkel und Roreks Zustand. Auch er konnte sich erholen und beobachtete sie nach wie vor wach- und aufmerksam, während sie das mittlerweile erloschene Kohlebecken mit neuen Kohlen befüllte und einmal mehr von Vorne begann. Wieder standen die Reagenzien bereit und es waren dieselben wie zuvor, nur würden diese ihr diesmal dazu dienen, ihre neuen Diener zu formen und an sich zu binden.

Diesmal blieb sie aufrecht stehen, während sie in die Trance versank und damit begann sich vorzustellen, wie ihre neuen Diener sein würden. Dabei ging es nicht nur einfach rein um das Aussehen… es war… mehr… so viel mehr… sie sollten sie widerspiegeln… sie sollten eindeutig klarmachen, zu wem sie gehörten und wessen Macht sie symbolisierten. Und sie sollten… zu ihr passen… sie sollten sich anfühlen, wie ein wahrer Teil von ihr. Nicht wie irgendein Konstrukt, fremd und leblos. Nur Rorek könnte ihr sagen, wie lange es dauerte, bis sie schließlich vor ihrem inneren Auge das Wesen sah, welches ihr genau jenes Gefühl vermittelte. Rein das… Gefühl… Nun brauchte sie die Essenz, mit dem sie diesen Körper füllen konnte… Und stumm sprach sie zum Äther, öffnete ihren Geist für jenen dunklen Sog hinab ins Totenreich.

„Große Mutter, oh Äther. Demütigst bitte ich dich um eine Gabe. Leihe mir eine jener Seelen, welche selbst in deiner dunklen Umarmung nicht glücklich werden. Jene, die ihr einstiges Leben nicht vergessen können und stets danach streben ihre Wut und Rache zu vollenden. Lass sie diese in meiner Dienerschaft ausleben, wo ich sie kontrollieren und führen kann.“


Stumm richtete sie dieses Gebet an den Äther, dem Totenreich selbst, ehe sie abermals die Reagenzien nach einander in die Glut streute. Erneut erzeugten die Drachenknochen den giftgrünen Nebel, welcher in ihrem Geiste das Gedankenbild des Dienerwesens erfüllte und darin eingeschlossen wurde, als sie mit dem Nachhall der Blutmagie die Worte der Macht intonierte:
„Epesu Mursu Telal!“
Wie zuvor spürte sie einen Ruck an ihrem Geist, doch viel mehr war es diesmal das Gefühl eines Hackens… ein Anker… welcher sich tief in ihren Geist bohrte und festhielt. Das Wesen war mit ihr verbunden und manifestierte sich nun langsam auch auf der physischen Ebene. Es schimmerte grünlichviolett und schwebte geisterartig vor ihr her. Einige Momente betrachtete sie es mit Stolz und einer Art…Glückseligkeit. „Wunderschön…“, flüsterte sie leise, doch sie nahm sich nicht noch mehr Zeit um es zu betrachten, sondern winkte es ein wenig zur Seite. Sie musste weitermachen. Noch zwei weitere Diener konnte und wollte sie erschaffen.
Somit wiederholte sie die Gesamte Prozedur noch zwei Mal, bis schließlich drei schemenhafte Diener vor ihr standen. Erfüllt, mit jenen Seelen, die selbst für den Äther verloren waren. Sie würden ihr gehorchen. Ihr dienen, bis sie sie wieder freiließ…
Diener.JPG
Diener.JPG (15.71 KiB) 4660 mal betrachtet
Danach fühlte sie sich erschöpft… ausgelaugt und müde. Sie hatte zwar auf Roreks Kräfte zurückgegriffen, dennoch waren die Rituale anstrengend und kräftezehrend. Sie würde einige Stunden ruhen müssen. Dann würde sie sich auf den Weg zum schwarzen Angol machen. Dort… würden sich ihre Kräfte weiter regenerieren. Und sie musste das nächste Ritual vorbereiten…
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Mirja Vildaban | Vyktorya Alvlem
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Ewiger Wahnsinn?

Beitrag von Mirja Vildaban | Vyktorya Alvlem »

Zerrissen von brüllenden Stimmen in ihrem Kopf.

Es gab wohl gewiss keinen stilleren Ort als diese verborgene uralte Werkstätte irgendwo tief im Süd-Gebirge, wo der Geruch des Schwefels aus den Ödlanden sich mit der drückenden Schwüle des Dschungels vermischte. Tief in den Felsen geschlagen waren diese Räume so fern ab von jeglicher Zivilisation, dass selbst das Heredium ihr nun vorkam wie der belebte Marktplatz von Ansilon.

Ansilon.
Der Marktplatz.

Der Beginn dieses Martyriums. Und wofür? Für einen sturen Hauptmann, ihrem Corp Armat, Leibwächter des Konvents, der am Ende nicht einmal ein Wort des Dankes für sie übrighatte, sondern sie sogleich barsch anging und ächtete… als wäre sie schon zur Dämonin geworden.
Könnte sie es ihm verübeln, wenn sie an seiner Stelle in die plötzlich rotglühenden Augen seiner Maestra blickte? Ja, könnte sie. Schließlich hatte sie ihm seinen Arsch gerettet, dafür gesorgt, dass Ansilon nicht seinen Hauptmann und somit eine der wenigen vernünftigen Personen in der Führungsspitze. Und ihnen vielleicht gleichzeitig eine winzige Chance verschaffte, Informationen zu beschaffen.

Jetzt, einige Tage später, war Vyktorya nicht mehr so sicher, ob das alles eine gute Idee war. Die Korruption des Kristalls machte sich mehr und mehr bemerkbar. Es begann mit dem roten Glühen ihrer Augen und setzte sich fort mit den Auswüchsen an ihrem Haaransatz. Sie spürte förmlich mit jeder Stunde das Gewicht weiterwachsen. Doch die äußerlichen Merkmale waren nicht einmal das Schlimmste.

Sie war es gewiss gewohnt nicht unbedingt allein in ihrem Kopf zu sein. Durch ihre Verbindung mit Rorek spürte sie seine Anwesenheit durchaus über Meilen hinweg, zudem war da auch immer irgendwo am Rand ihres Geistes die Verbindung zum Äther, dem Totenreich. Und damit zu den Seelen, die um Hilfe flehten, endlich erlöst zu werden, ihren Weg ins Totenreich zu finden. Doch jetzt wisperten tausend Stimmen in ihrem Kopf auf sie ein. Die Stimmen der Legion. Von der ersten Sekunde an brodelten Hass und Wut in ihrem Inneren. Schürten ihre Verzweiflung. Die Dunklen Gedanken, die sie all die Jahre dank Rorek stets zur Seite schieben konnte, krochen hervor wie Schlangen und lauerten darauf ihren Verstand zu zermürben. Die dämonische Präsenz troff stetig weiter in ihren Geist hinein, benetzte und durchdrang ihn wie zähes, schmieriges Öl und allmählich schmiegte es sich auch um den Kern ihrer Unsterblichkeit, jenem Wesen in ihrem Inneren, der nach Blut gierte.

Bald würden die kleinsten Funken genügen, um es zu entzünden. Und wäre sie dann noch zu retten?

Sie wusste es nicht.

Doch der Hunger… wuchs… Der Hunger sich an Blut zu laben… der Hunger sich an Angst und Verzweiflung zu nähren…

Die Dämonen hatte ihr einige Tage gegeben, ehe sie sie holen würde. Sie nannte keinen konkreten Zeitraum, also konnte es jederzeit so weit sein. So saß sie hier in diesem Versteck und harrte der Dinge, die da kommen. Mit Meditationsübungen versuchte sie den Sturm der Gefühle und Stimmen in ihrem Geist zu dämpfen, ihren eigenen Geist, ihre Seele tief zu verschließen, in der Hoffnung sich einen Teil ihrer Selbst zu bewahren. Sie hatte die Anzeichen bei Golga gesehen, dass es diesem gelungen war, zumindest noch einen Teil seines Selbst zu behalten. Mit Glück gelang ihr das Ebenso.

Doch sie machte sich keine Illusionen. Damit dieser Handel letztendlich das erfüllte, was sie sich davon versprochen hatten, würde sie sehr viel opfern müssen. Sie spürte schon jetzt immer wieder die geistigen und körperlichen Schmerzen, wenn sie versuchte das bisher geschehene Revue passieren zu lassen, um für Rorek einen Einblick zu bieten – egal ob verbal oder schriftlich, sie hatte beides versucht. Der Parasit hatte sie davor gewarnt und gewiss… sie setzte sowohl ihre körperliche als auch ihre geistige Unversehrtheit für all das aufs Spiel. Sie konnte nur hoffen, dass Ansilon und Silberburg irgendwas daraus machten und Rorek folgten. Wenn nicht… nun… wenn diese ach so wunderbare verdammte Lichte Allianz sich entschloss Roreks Worte, Warnungen und Informationen in den Wind zu schlagen, würde ihr Gefährte gewiss seine eigenen Konsequenzen ziehen. Im Schlimmsten Fall würde er sich an ihre Seite stellen. Denn ansonsten war diese Trennung all das nicht wert, wenn diese Würmer dieses Opfer nicht zu schätzen wussten. Allein wenn sie an diese erbärmlichen Gestalten von Paladinkriegern dachte, die an diesem verheerenden Tag eigentlich die Milizonäre Ansilons retten sollten. Selbst ihre Konventsschüler und Magier hatten mehr Disziplin als diese Grünschnäbel in blinkenden Rüstungen!
Wut pochte hinter ihrer Stirn und ihre Fänge verlängerten sich unwillkürlich. Ein tiefes Grollen hallte durch die Stille des Raumes und dröhnte in ihren eigenen Ohren. Sie spürte den drängenden Wunsch diese Paladine zu suchen und sie einfach zu zerfetzen und sich an ihrem Blut zu ergötzen. Auswirkungen der Korruption? Auswirkung ihres Hungers, der von dieser dunklen Präsenz zusätzlich geschürt wurde?

Mühsam schüttelte sie diese Gefühle ab, drängte sie zurück und versuchte das Wispern, welches erneut zu einem lauten Chor anschwoll, wieder in den Hintergrund zu schieben. Lange würde sie das nicht mehr so schnell und nachhaltig schaffen. Früher oder später würden ihre „Lichten“ Momente deutlich weniger werden. Sie konnte nur hoffen, dass sie bis dahin so viel wie möglich an Rorek weiter vermitteln konnte … und wenn es sie ihre Kräfte kostete. Sie musste diesen Handel für sich nutzen, sonst war alles umsonst… und nichts hasste Vyktorya mehr als einen sinnlosen Handel.

Fluchend erhob sie sich vom staubigen Bett. Sie musste hier raus. Sie brauchte… ja was brauchte sie? Töten… sie musste irgendwas töten… Dämonen? Oh ja… das Ödland war in der Nähe. Sie materialisierte sich dort, starrte mit roten Augen jenen Wesen entgegen. Sie spürte die Verbundenheit und zugleich war sie angewidert. Angewidert, weil sie diese Wesen ihr so ähnlich schienen… angewidert, weil sie von niederer Art waren… sie war die Legion sie war…

Wütend grollte sie und ohne weiter darüber nachzudenken führte sie die Zauber zur Wandlung aus und rief ihre Diener zu sich. Blind vor Wut und Schmerzen wütete sie unter den Wesen. Der Parasit konnte sich wohl auch nicht ganz entscheiden, ob er dies als Verrat sah, oder ob die Genugtuung über die Vernichtung dieser eher nutzlosen Dämonen ihn erfreute. Daher speiste das Wesen in ihrem Geist sie schlichtweg weiter mit widersprüchlichen Gefühlen und trieb schlicht auf diese Weise ihren Verstand weiter in den Wahnsinn.

Erst als der letzte Dämon am Boden lag, hielt Vyktorya inne und starrte eine Weile auf den leblosen Körper. Dann breitete sie die Flügel ihrer engelartigen Gestalt als Seelenwächterin und Todesengel weit aus, wollte sich gerade in die Luft schwingen, als ihr Blick auf die mächtigen Schwingen zu ihrer Seite fiel. Die sonst schneeweißen Federn ihrer Schwingen waren nun… tiefschwarz. Furcht durchzuckte sie. Wie konnte das geschehen? Lag es an der Korruption? Oder… Sie horchte tief in sich hinein. Der Äther… sie spürte ihn immer noch ganz fern… doch… der Zugriff war verwehrt… viel mehr… Sie starrte erneut auf den Körper vor sich. Hatte sie diese Seelen freigelassen, so wie sie es immer tat? Oder hatte sie diese Seelen gar der Legion zugeführt… sich… oder die Legion gestärkt? Sie wusste es nicht mehr… wusste nicht, was sie soeben im Rausch des Kampfes getan hatte. Was, wenn die Korruption sich auch auf Ihre Aufgabe auswirkte? Würde sie den Pfad ihrer Aufgabe verlassen… aufhören die Seelen zu Achten und zurück in den Äther zu führen… würde sie zur Seelenfresserin werden, so wie ihr Vorfahr schon vor ihr?

Die Furcht wurde zu einer unbändigen Angst, die sie dazu veranlasste trotz all der Gefahr beinahe überstürzt in die Kellerräume des Anwesens zurückzukehren. Erst als sie sich dort materialisierte und die ersten Schritte auf die verborgenen Türen zu machte, hielt sie inne. Wie reagierten die Schutzzauber auf sie? Sie bemerkte zumindest nichts im Augenblick, aber wenn sie ehrlich war, wusste sie auch gar nicht, wie die Schutzzauber überhaupt reagierten, da es seit sie hier lebte, keinen Grund gab, dass diese ausschlugen. Außerdem war primär Rorek mit dem Anwesen verbunden. Und er wusste gewiss längst, dass sie hier war. Also setzte sie ihren Weg fort. Der Wohnraum war leer, Rorek hielt sich irgendwo im Land auf, suchte nach Lösungen. Gut so. Sie löste die Kette mit ihrem Amulett, dem Oktagramm, ihr Symbol als Seelenhüterin und hielt es gedankenverloren in der Hand. Es war nicht magisch. Lediglich aus altem angelaufenem Eisen. Hier und da waren bereits kleine Kratzer zu sehen und wenn man es genau betrachtete, sah man auch, dass es über all die Jahrzehnte… Jahrhunderte wohl gar, ein wenig „unrund“ wurde, dank den vielen Händen, die es immer wieder in stiller Bitte an den Äther umfasst hatten. Es war ein gutes Beispiel für Nicht-magische Artefakte, die aber dennoch eine immense Bedeutung hatten. Es half ihr als geistiger Anker, den Kontakt zum Äther zu finden. So wie das Ankh einem Gläubigen dabei half, seine Gebete an den Herrn zu richten.
Dieses Symbol also abzulegen, fühlte sich für Vyktorya falsch an. Und doch… sie hatte zu sehr Angst, sie könnte es in ihrem Wahn… ihrem Rausch verlieren oder man könnte es ihr abnehmen, sobald man feststellt, dass es ihr wichtig war. Bei Rorek war es sicher…
Rasch verfasste sie eine Notiz, die sie danebenlegte.

„Verwahre es gut für mich…
damit ich zurück auf diesen Pfad finden kann, sollte ich ihn verlassen…
VA“

Dann verließ sie den Ort wieder, der bislang ihr Zuhause war. Wer weiß, welches Zuhause die Dämonin ihr nun geben würde…
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Mirja Vildaban | Vyktorya Alvlem
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Re: Geschichten der Ewigkeit

Beitrag von Mirja Vildaban | Vyktorya Alvlem »

So befand sie sich nun also hier, in der Festung des Bösen. Beinahe hatte Vyktorya erwartet, dass sie in der schwarzen Festung im Ödland wieder zu sich kam, doch nein. Sie stand in einer verfallenen Festung, irgendwo am Rand von Klippen und befand sich inmitten der Legion. War Teil der Legion.

Das Echo des dämonischen Blutes hallte noch in ihrem Geist und ihrem Körper wider. Die Legionsführerin hatte ihr verborgenes Wesen erkannt und sie freiwillig genährt.

„Ich brauche eine funktionierende Waffe.“

Das war sie nun also. Eine Waffe.

Ihre Aufgaben waren klar:

Die Suche nach den Sternensplittern.
Die Wächter davon abhalten, Unfug mit ihrem neuen kleinen Spielzeug dem Rubin-Splitter zu treiben.
Die Kristalle beaufsichtigen – insbesondere jener in Nordhain.

Nun… mindestens eine dieser Aufgaben würde sie in Roreks Dunstkreis führen. Ein Schauder durchglitt ihren Leib. Die Korruption war praktisch vollständig abgeschlossen, aber tief in ihrem Inneren kämpfte ihr Geist noch immer, das, was Rorek für sie weggeschlossen und verborgen hielt. Wie lange würde das noch anhalten? Sie wusste es nicht. Jedoch würde es gewiss nicht mehr lange dauern, bis sie ihm gegenübertrat. Und zwar als… Feind.

Sie bleckte die Zähne und starrte hinaus auf das stürmische Meer, welches sich vor den Klippen auftat. Sie musste dem Geschenk der Legionsführerin gerecht werden. Ihr Blut hatte sie gestärkt… genährt… berauscht. Ihr Hunger würde für eine Weile gestillt sein. Und dann…? Würde die Legionsführerin erneut ihr ihre Gunst erweisen? Gewiss nur, wenn sie ihrer Aufgabe auch nachkam und zur Zufriedenheit der Dämonin erfüllte. Womit sollte sie also nun beginnen?

Am Besten mit der Leichtesten: Der Kristall in Nordhain.

Wer auch immer die anderen Diener und Spielzeuge der Legion waren, waren sie doch nicht fähig gewesen, zu verhindern, dass dieses Menschengezücht aus dem Norden einen Holzaun um den kostbaren Kristall errichteten.

Einen Zaun.

Aus Holz.

Der Wind trug Vyktoryas kaltes Lachen hinaus aufs Meer, während sie den Kopf schüttelte. Erbärmliches Gekröse.

Nun gut, sie gab zu, dass die beiden Wachen, welche sie auf ihrer Erkundung in Nordhain in der Nähe des Kristalls vorfand, ein Störfaktor waren. Aber bei allen Seelen – wozu war sie schließlich eine unsterbliche Erzmagierin? Sie hatte zwar geplant, das Ganze auf vollkommen simpelste Weise zu lösen und diesen Zaun mit physischer und Feuergewalt einzureißen… aber nun würde sie es eben doch auf ihre Weise erledigen: subtil und aus den Schatten heraus.

Auch wenn es am Ende mit Sicherheit genau eine Person gab, welche sofort erkennen würde, dass es ihr Werk war. Doch sollte er ruhig wissen, dass sie dort draußen war. Sollte wissen, dass sie am Leben war… jedoch auch, wem ihre Treue nun galt: Die Legion.

Schmerz durchzuckte sie bei den Gedanken – zuerst der Schmerz, dort wo sie tief verborgen ihre Gefühle für Rorek vergraben hatte… und dann dort, wo die Korruption ihren Geist zerfraß und sie gefügig machte, sobald ihre Gedanken sich ketzerisch von der Legion abwandten. Sie würde aus dieser Sache nicht heil rauskommen, soviel war sicher. Erneut durchzuckte die Pein sie, als sie einen letzten Gedanken an den Äther schickte, mit der innigen Bitte, Rorek bei dieser Tortur beizustehen.

Und dann machte sie sich daran, die Befehle der Legion auszuführen.
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Mirja Vildaban | Vyktorya Alvlem
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Re: Geschichten der Ewigkeit

Beitrag von Mirja Vildaban | Vyktorya Alvlem »

Vollkommen reglos harrte die schlanke, hochgewachsene Gestalt am Rand der Klippe aus. Die roten Augen starren hinaus auf die Schwärze des Ozeans, welcher sich zu Füßen der steilen Steinküste erstreckte. Der Wind peitschte über die Klippen und die Luft schmeckte salzig von der Gischt, die die Böen mit sich trugen.

Tagelang war ihr Inneres selig ruhig gewesen. Dieses vermaledeite Stückchen Seele war still geblieben, hatte sich irgendwo tief in ihrem Inneren eingeigelt und hatte verängstigt die Augen verschlossen. Beinahe hatte sie bereits geglaubt, dass sie es endlich erstickt hätte. Aber nein… es war dieser verfluchte Schutzzauber gewesen, der dieses Stück ihrer Seele wieder geweckt und dazu veranlasst hatte, sich aufzubäumen und empfänglich zu sein, für die giftigen Worte ihrer ehemaligen Schülerin und dem Anblick des Konvents.

War es ein Fehler gewesen? Sicher nicht. Der Konvent kannte nun ihre Macht. Wusste, sie war noch immer da und war fähig in das Anwesen einzudringen und nichts konnte sie aufhalten. Nicht einmal der Bindungszauber, den Rorek versucht hatte anzustimmen. Wäre da nur nicht ihre Innere Schwäche gewesen. Rorek hatte es gespürt, das hatte er ihr entgegen geworfen… Er spürte die Schmerzen, die der Schutzzauber ausgelöst hatte, spürte auch die Seelenqual des mickrigen Rests… Menschlichkeit? Konnte sie wirklich von „Menschlichkeit“ sprechen, wo sie doch schon zuvor kein natürliches Wesen war? Was auch immer es war… es reagierte auf seinen Anblick… seine Nähe… auf die Gerüche im Anwesen. Der Duft der Konventsmitglieder. Obwohl er sich verborgen hatte, hatte Vyktorya den Corp Armat Boran längst gerochen, noch ehe er auf dem oberen Treppenabsatz aufgetaucht war. Verlockende Gerüche. Aber auch so schmerzhaft vertraute. Und es war Roreks Schuld, dass dieser kümmerliche Seelenrest, der sich so tief in ihrem Inneren immer noch weigerte, die Macht der Legion vollends anzunehmen, sich so sehr aufbäumte. Rorek hatte einst diese Schwäche in ihr geweckt… und was war nun der Dank?

Boshaft lachte Vyktorya sich selbst aus. Ja… was war der Dank, hm? Sie hatten dich verstoßen, du törichtes Ding. Kaum hast du dich für sie und diese verdammte Stadt geopfert. Ehemalige Maestra. Selbst Rorek hatte ihr sehr deutlich gemacht, wie unerwünscht sie war. Und Amandas Reaktion… ha… bedauerlich, dass man dem Kind offenbar sofort den Mund verboten hatte… was hatte sie wohl damit gemeint…


Katherine Sawyer: Daher weiß ich wie du dich innerlich fühlen musst, ich habe Zirron vermehrt gesehen in Visionen
Katherine Sawyer: Ich habe durch den kristall gesehen wie man dem Maestru die Kehle durchgeschnitten hat

Vyktorya Alvlem: *sie lacht dunkel auf*
Vyktorya Alvlem: Dir ist doch klar, dass wir den mächtigsten Illusionisten in unseren Reihen haben?
Vyktorya Alvlem: Was, wenn es das war, was wir euch sehen lassen wollten?

Amanda Talyn: eher hatten
Rorek Monthares: Das mag sein
Rorek Monthares: *fährt er den anderen dazwischen*
Vyktorya Alvlem: *ihr Blick huscht zu Amanda, die Augen verengen sich*
Boran Schwarzdorn: *schielt gen Decke *
Vyktorya Alvlem: Was meinst du damit?

Leider hatte Roreks Lähmungswand sie wirkungsvoll abgelenkt, das musste man ihm lassen. Das Echo schmeckte ihm zwar sicher nicht, aber Vyktorya hatte danach weder Zeit noch Muse sich um Amandas unbedachten Einwurf zu kümmern. Dennoch… beschäftigte er sie nun im Anschluss. Sie hatte ein ganz schlechtes Gefühl…

Doch das war nichts im Vergleich zu dem Kampf in ihrem Inneren, den sie so sehr hasste. Erbärmlich… einfach nur erbärmlich… Sie musste dieses Stück Seele wieder zum Schweigen bringen, sonst konnte sie ihre Arbeit für die Legion nicht fortführen. Und dabei hatte dieser Hochelfenfürst doch so eine wunderbare Idee… und die perfekte Versuchsperson hatte sie auch schon im Blick…
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Mirja Vildaban | Vyktorya Alvlem
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Re: Geschichten der Ewigkeit

Beitrag von Mirja Vildaban | Vyktorya Alvlem »

Der Zorn pochte noch immer in ihrem Leib, als Vyktorya sich tief in die modrigen Höhlen zurückzog. Hier war sie fernab der Zivilisation. Auch wenn einer der Wissenssteine in der Nähe war, hier in dieser kleinen Höhle verirrte sich fast niemand und wenn doch, würde sie ihn lange vorher wittern und töten.

Dieser Brief, den dieses schwarze Federvieh vor ihren Füßen hatte fallen lassen,… Vyktorya konnte den Geruch sofort identifizieren, der am Pergament haftete, weshalb sie dem Tier noch einem kleinen Knochenschädel nachwarf. Er war gewiss nicht schwer verletzt, lediglich einige Federn hatte er lassen müssen und manche waren etwas abgeknickt. Aber es reichte zumindest für wenige Herzschläge aus, um ihren ersten Groll über diesen kleinlauten Stich der Hoffnung der sich kurz tief aus ihrem Inneren hervor gegraben hatte, zu besänftigen. Dann setzte die Neugier ein. Wollte Katherine etwa doch an ihre Seite kommen? Aber nein… diese Art der Hoffnung wurde auch rasch zerschlagen und die Worte dieses kleinen Welpen pochten noch immer vor ihren Augen, als hätten sie sich diese in ihre Netzhaut gebrannt. Sie konnte nicht anders… sie musste es kommentieren und Rorek unter die Nase reiben… zum einen dass eine seiner Schülerinnen mit dem Gedanken spielte abtrünnig zu werden und zum anderen… nun… zum anderen, dass sie wusste, dass es keine Rückkehr mehr gab, auch wenn er vermutlich noch so sehr daran arbeitete… Diese Rechnung ging diesmal nicht auf.

Aber wo sie schon bei Rechnung war.

Sie atmete langsam tief ein und schloss die Augen. Es dauerte einige Zeit, bis das Summen und Knistern um sie herum langsam abebbte. Diese Aura aus Schattenblitzen, die eine Unsichtbare Wolke aus Finsternis, Zorn und Angst mit sich schleppte, gehorchte immer mehr ihrem Willen und sie konnte sie immer besser steuern. Ein Glück… es wäre lästig, wenn diese Aura ihre Maskerade verhindern würde. Außerdem konnte dieses ständige Summen auch ablenken und das konnte sie für ihr Vorhaben nun nicht brauchen.

Stumm ruhte ihr roter Blick auf dem perfekt runden Kristall auf ihrem Schoß. Sie wusste, dass dieser Kristall von Golga geschaffen wurde und vage hatte sie mitbekommen, dass Ziron offenbar ebenfalls beteiligt war. Das machte die Sache ein wenig komplizierter, aber nicht unmöglich. Wäre nur Golgas Macht in das Artefakt geflossen, hätte sie ihr Lokalisierungsritual ohne weiteres darauf anwenden können, doch so musste sie zunächst die Signatur von Golgas Macht herausfiltern, um sie zu studieren und als Anker für das Ritual nutzen zu können. Sie hoffte lediglich, dass der verdammte Dämonenillusionist und Ba’muths Hauskadaver keine Fallen eingewoben hatten.

Sorgfältig sortierte sie die Reagenzien – Schwarze Perlen, Spinnenseide und Alraune – auf ihre Schenkel um das Artefakt herum. Dann blieb sie wieder einige Momente völlig reglos im Schneidersitz auf dem modrigen Felsboden inmitten des vermodernden Kappaschatzes sitzen. Sie schloss die Augen und senkte das Haupt mit den schweren Dämonenhörnern, ihre Hände ruhten neben den Reagenzien auf ihren Schenkeln, die Handflächen leicht in Richtung des Artefakts geöffnet, als wolle sie diese Kugel aus Magie alsbald greifen. Nach und nach leerte sie ihre Gedanken, schob den ständig tobenden Zorn und Machthunger zur Seite und begann schließlich ihren Geist auszustrecken, um das Artefakt zu berühren. Dann zuckten ihre Hände kurz in die Höhe, jedoch nur um die Finger kurz zu Klauen zu krümmen und mit diesen blutige Schnitte in den Handflächen zu hinterlassen, ehe sie die Kugel wieder mit ihren Händen umwob.

Epesu Enir Emqu Emuqa Golga von Assuan

Leise hallte ihre Stimme in der Höhle, doch es war nicht nur das Echo der Tropfsteinwände sondern auch das Echo der Blutmagie, die in ihrer Kehle vibrierte, als sie den Zauber formte und begann ihren Geist auf das Artefakt einzustimmen.

Epesu Enir Emqu Emuqa Golga von Assuan

Sie war nicht Rorek, dieser würde vermutlich allein mit seiner Astralsicht alles herausfinden, was er wissen wollte. Sie… musste arbeiten. Trotz ihrer Macht, waren die Arkanstränge eben nicht ihr Metier. Golgas Seele suchen würde ihr vermutlich leichter fallen, doch die Verbindung zum Äther war derzeit recht unzuverlässig. Lediglich dass er dort nicht eingetreten war konnte sie mit Bestimmtheit sagen. Ob Golga jedoch vor ihrem Blick als Seelenhüterin geschützt war, weil seine Zeit längst nicht gekommen war… oder weil der Äther ihn vor ihren Blicken aus anderen Gründen bewahrte… das wusste sie nicht.

Epesu Enir Emqu Emuqa Golga von Assuan

Allmählich begannen sich vor ihrem Geistigen Auge die verwobenen Ströme des Artefakts abzuzeichnen. Dank ihrer gezielten Anrufung von Golgas Macht, flimmerte der Arkanstrang, welcher zu ihm gehörte, deutlich in diesem Knäuel an Magie auf. Ahh… wunderbar… Ja… da war wohl auch die Illusion, die er hinein gewoben hatte. Ein… Mustang? Seltsam… Diente dieser Kristall dazu, sich in einen … Mustang zu verwandeln? Wozu sollte das gut sein? Um als Leginär auch als Gaul zu dienen? Gerade so konnte Vyktorya sich ein Schnauben verkneifen und lenkte ihre Konzentration zurück ins Ritual. Sie griff mit ihrem Geist nach diesen Fäden aus Magie und zog sanft daran, nicht viel, denn sie wollte nicht den Zauber des Artefakts auflösen. Nur so viel, um ein winzigen Stückchen hervorstehen zu lassen, wie ein kleiner loser Faden in einem Wollknäuel. Dann griff sie in ihrem Halbbewusstsein nach dem Beutel, in dem die nächsten Reagenzien – Schwarze Perle, Spinnenseide, Alraune und Nachtschatten – vorbereitet waren. Darin lag auch eine kleine, schlichte Holzrune, welche sie in ihre noch immer blutende Hand nahm und nahe an das Artefakt brachte. Jetzt nur noch mit viel Vorsicht den Abdruck von Golgas Macht in der Rune speichern, ähnlich, wie man einen Reisepunkt in der Welt markierte.

Epesu Emqu Bu’Idu Emuqa Ersetu

Vorsichtig führte sie den winzigen Machtfaden an den leeren Artefaktkorpus der Holzrune heran, während sie den Zauber sprach und sah hinter ihren geschlossenen Augen zu, wie die Macht sich kurz an das Holz anheftete. Zuerst wie die Saugnäpfe eines Oktopus… dann schob sich dieses Stückchen Macht weiter über das Holz, fächerte sich leicht auf und schlang sich einmal wie eine Hülle aus Magie um das schlichte Stück Holz. Dann war der Spuk auch schon vorbei und Vyktoryas Sicht auf das Artefakt im Arkangefüge schwand.

Sie seufzte tief und legte den Kopf kurz zurück in den Nacken. Das war einfach nicht ihr Metier, aber es half nichts. Langsam blickte sie wieder zurück auf ihren Schoß, die Rune war blutverschmiert und auch ihre Röcke waren feucht von ihrem Blut. Aber nun… so war es eben. Von der Rune jedoch schien ein leichtes Glimmen auszugehen, es erinnerte ein wenig daran, wie die Runen aussahen, wenn sie mit einem Transportziel markiert wurden. Es hatte also scheinbar funktioniert…

Nun… dann würde Vyktorya sich nun zunächst ein kleines Opfer als Zwischenmahlzeit suchen… ehe ihre Nächste Suche dann dem abtrünnigen Dämonenillusionisten galt…
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Mirja Vildaban | Vyktorya Alvlem
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Weckruf des Äthers

Beitrag von Mirja Vildaban | Vyktorya Alvlem »

Mit einem leisen Seufzen begrüßte die dämonische Unsterbliche den pfeifenden Wind, der sofort an ihrer Kleidung riss, kaum dass sie sich im Talkessel des Drachenfriedhofs manifestiert hatte. Offenbar zog ein Unwetter auf und hier im Gipfel pfiffen schon die ersten Böen und trugen den Geruch des Regens mit sich. Doch das störte die Nekromantin nicht. Tief sog sie den Geruch in ihre Lungen, obwohl sie das Atmen nicht nötig hatte, doch es ordnete ihre Gedanken.

Einige Momente harrte sie so aus und versuchte einen ihrer Lieblingsorte wie üblich auf sich wirken zu lassen und Kraft daraus zu schöpfen. In den letzten Tagen spürte sie, wie ihre Ungeduld, Zorn und Hass immer stärker wurden und auch ihr Hunger stieg wieder an und schwächte deutlich ihre Konzentration. Das war lästig. Gerade wenn sie solchen Treffen wie am heutigen Abend teilnahm, als Naeldir sich mit einem weiteren, abtrünnigen Hochelfen traf, welcher ein eiskalter Opportunist war. Ständig musste sie Acht geben, dass ihre Gedanken nicht abschweiften und sich in der Vorstellung ergaben, wie das Blut dieses scheinbar wirklich sehr jungen Elfen auf ihrer Zunge schmecken würde. Schon den Abend davor, als Ba’muth die Legion wieder mit seiner Anwesenheit beehrte, musste sie all ihre Konzentration aufbringen, um genügend Geduld und Ruhe aufzubringen diese unsäglichen jungen Magierburschen und diese Dämonenhure zu ertragen. Sie redete sich ein, dass Ba’muth und Jerka schon die Sache erledigen würden, wenn diese Soldaten sich als untragbar erwiesen, sie war nicht in der Position daran etwas zu ändern oder zu kritisieren.

Viel mehr wollte sie dafür sorgen, dass die fähigeren Soldaten, wie Naeldir beispielsweise, erfolgreich waren. Auch dieser Dario wirkte kompetent und selbst Yeva schien sich in den letzten Tagen zu entwickeln – offenbar brachte Naeldirs Unterweisungen doch einiges. Sie hatte bereits das Blut der beiden erhalten, damit würde sie sicherstellen, dass weder der Elf noch die weißhaarige junge Frau nicht abhandenkamen… Nicht so wie Golga oder wohl ein anderer Schwarzelf in ihren Reihen. Yeva sollte noch Darios Blut besorgen. Der Rest? Soll der doch in den Qualen der Paladine schmoren, es war ihr gleich. Sie würden besseren Ersatz finden.

Langsam öffnete sie die Augen und ließ den Kopf leicht auf den Schultern kreisen. Wie schwer solche Hornauswüchse werden konnten, sagte ja einem auch vorher keiner. Leider wurden die Soldaten nicht direkt mit der passenden Nackenmuskulatur ausgestattet, so dass sich selbst in einem unsterblichen Körper wie ihrem Unbehagen und Verspannung breit machte. Oder rührte das von etwas anderem her?

Sie runzelte die Stirn und sah sich im Talkessel um. Auf dem ersten Blick wirkte alles wie immer: Die riesigen Überreste der Drachenskelette schimmerten im letzten Licht der Abendsonne, klägliche kleine Pflanzen hielten sich verzweifelt in ein paar Felsspalten fest und ansonsten begrüßte sie lediglich die Einöde des Drachenfriedhofs. Doch… war irgendetwas anders als noch einige Tage zuvor. Langsam schritt sie über den felsigen Boden weiter, bis sie ungefähr die Mitte des kleinen Talkessels erreicht hatte. Ihre Nasenflügel blähten sich nun etwas und der Blick ihrer glühendroten Augen legte sich zu ihren Füßen. Im Felsstaub zeichneten sich Fußabdrücke ab, leicht verweht von den Winden, dennoch noch erkennbar menschliche Abdrücke. Außerdem sah sie dunkle, bräunliche Spuren im Staub. Sie trat wieder ein paar Schritte zurück und verfolgte die Spuren mit ihrem Blick. Sie schnalzte mit der Zunge. Sie hatte selbst oft genug einen Zirkel aus Blut gezogen, um die Überreste eines solchen hier zu ihren Füßen zu erkennen. Jemand hatte kürzlich ein Pentagramm gezogen. Das Blut war längst eingetrocknet, doch konnte sie noch immer den vertrauten kupfrigen Duft wittern. Dämonenblut. An einigen Stellen war der Zirkel verwischt, offenbar von mehreren Füßen… und es sah aus, als wäre etwas Schweres aus der Mitte geschleift worden. Hier wurde ein Ritual abgehalten. Das erklärte auch, weshalb dieser Ort heute noch energiereicher wirkte als sonst.

Wer war so dreist ihren Rückzugsort zu beschmutzen? Morgun konnte ja kaum zurück sein, davon hätte man gehört… Ba’muth hätte den Seelenfresser gewiss dann längst rekrutiert. Aber wer weiß… war jemand wahnsinnig genug Morgun hier zu beschwören? Vielleicht diese Jule? Wobei … nein… sie war wohl Elementaristin und mehr als ihre Brüste und etwas Handfestes zwischen ihren Schenkeln schien diese Dämonenhure ja nicht zu interessieren.
Vyktorya bleckte die Zähne und schloss die Augen. Vielleicht wusste der Äther mehr…

„Epesu Emuqa Enir Mursu“

Sie musste den Zauber mehrmals wiederholen und knirschte mit den Zähnen. Für gewöhnlich fiel ihr der Blick in den Äther deutlich leichter – in der Regel brauchte sie auch nicht einmal den Zauber um einen flüchtigen Kontakt zur Totenebene herzustellen. Doch heute…

„Na… wer verschafft mir da heute die Ehre, hm?“

Die Eiseskälte der körperlosen Stimme des Äthers verursachte beinahe körperliche Schmerzen und ließ Vyktoryas Gesamtes Sein erschauern. Nive-moarte – die Totenebene – begrüßte sie wie eh und je: trostlos, grau und endlos weit. Der Wind, der nach wie vor an den Kleidern ihrer physischen Gestalt zerrte, riss nun auch an ihrem Geist, der am Rand der Ebene stand.

„Jenaya… ich…“

„Spar dir die Worte. Du hast mich enttäuscht.“

Vyktorya zuckte innerlich zurück. Was sollte das bedeuten?

„Ich…“, setzte sie erneut an, „Verstehe nicht.“

Sie senkte langsam den Kopf, als sich vor ihr eine Gestalt manifestierte. Sie war so schmerzlich vertraut, als würde sie in den Spiegel blicken. Der Äther, Jenaya, hatte sich dazu entschieden Vyktoryas Gestalt als Seelenhüterin anzunehmen. So blickte ihr eigenes, stark eingefallenes Antlitz ihr entgegen. Die Augen lavendelfarben wie einst, das silbrigblonde Haar und das scheinbar aus Staub bestehende Gewand im Sturm der Ebene wehend, während die Federn der riesigen weißen Schwingen vollkommen reglos blieben.

„Du hast deine Aufgabe vernachlässigt.“, schleuderte ihre eigene Gestalt Vyktorya entgegen.

„Das ist nicht wahr... ich…“

„Verschone mich. Ich wurde über deine Verfehlung unterrichtet. Ich gewähre dir eine letzte Chance. Kümmere dich um die Seelen der Verstorbenen. Noch einmal lasse ich so etwas wie mit Ostrova nicht zu.“

Unbewusst griff Vyktorya an ihre Brust, dort wo bis vor einigen Wochen noch schwer das uralte Amulett ruhte. Das Symbol der Seelenhüter. Eine Handbewegung, die sie einst stets und ständig und vollkommen unbewusst ausführte, doch seit Wochen nicht einmal mehr daran gedacht hatte, gar nicht bemerkt hatte, dass ihr dort etwas fehlte. Wo war ihr Amulett?
Siedend heiß fiel es ihr ein: Sie hatte das Amulett Rorek überlassen, ehe Jerka sie holte. Zuerst kroch Wut durch ihren Geist, heißer, blanker Zorn, der jedoch sofort mit der eisigen Kälte der ätherischen Stimme gelöscht wurde:

„Versagst du, nimmt der jetzige Träger des Symbols deinen Platz ein. Der Handel ist bereits besiegelt. Du hast die Wahl. Und jetzt… geh mir aus den Augen!“

Der brutale Schlag, mit dem sie von der Schwelle der Totenebene geschleudert wurde, ergriff sie sogar physisch und Vyktorya fand sich mit schmerzenden Gliedern auf dem staubigen Felsboden liegend wieder. Just als ihr Geist zurück in ihren Leib geschleudert wurde, setzte allmählich der Regen ein und eisige kalte Tropfen fielen in ihr Gesicht, wie die Tränen des Himmels. Stumm und unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, blieb sie einfach liegen, alle viere von sich gestreckt und starrte hinauf in das stählerne Grauschwarz des Himmels.

Sehr langsam sickerten die Worte des Äthers in ihren Geist.


„Versagst du, nimmt der jetzige Träger des Symbols deinen Platz ein. Der Handel ist bereits besiegelt.“


Rorek.

Sein Name. Sein Gesicht. Seine Stimme. Sein Geruch.

Wie ein Faustschlag drängten sich die Erinnerungen an den blonden Erzastralmagier in ihr Gehirn. Wieder kochte der Zorn in ihr hoch. Doch konnte sie nicht unterscheiden, ob es der dämonische Zorn der Korrumption war… oder der, des tief verborgenen winzigen Stücks Seele, welches noch immer sich versteckte und – mehr oder weniger – standhaft gegen Ba’muths vollständige Kontrolle aufbäumte.

Was bedeutete „Der Handel ist bereits besiegelt.“? War es etwa Rorek, der hier ein Ritual abhielt? Hatte er Kontakt zum Äther aufgenommen? Aber wie war das möglich? Mühsam versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen, dabei interessierte es sie nicht, dass der Regen mittlerweile auf sie herab prasselte und die Funken ihrer Schattenhaften Aura zu ersticken drohte, während ihre Kleidung schwer und nass an ihrem Leib klebte.
Die Schülerinnen… ohne Zweifel hatte er sich den Kräften Katherines und Soryias bedient. War womöglich sogar Rax zurückgekehrt? Er war der einzige, dem sie einen Einblick in den Äther gewährt hatte und sich möglicherweise noch an das Ritual erinnern könnte. Aber Rorek wäre nicht Rorek, wenn er nicht auch andere Wege fand. Er hatte ihr Amulett. Dies war zwar keineswegs magisch, doch diente es ihr schon immer wie ein… stummer Wegweiser. Vyktorya konnte es selbst nicht richtig beschreiben, doch wenn er ihre mentale… emotionale Verbindung zum Amulett ausnutzte, um damit Einlass zum Äther zu erhalten? Und was dann? Was brachte ihm dieser Handel? Warum ließ er sich lieber darauf ein, statt sich der Macht Ba’muths anzuschließen? Irgendwas hatte er vor… doch was?

Es dauerte eine ganze Weile, bis Vyktorya sich wieder erhob. Ihre Bewegungen waren mechanisch und von Wut erfüllt. Sie hatte gehofft hier Ruhe zu finden, ihren Geist zu leeren und zu sammeln. Jetzt… war alles viel schlimmer. Dabei war noch so viel zu tun. Sie musste noch die magischen Waffen herstellen, es blieb also keine Zeit hier nutzlos herumzuliegen und sich den Kopf über den Feind zu zerbrechen. Doch zuerst benötigte sie etwas gegen ihren Hunger.

Wenig später durchbrach das Flappen von ledernen Flügeln das gleichmäßige Rauschen des Regens, als eine gargoylehafte Gestalt sich aus den Bergen erhob und nach einem passenden Opfer Ausschau hielt.
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