... oder auch: Die Hochzeit eines Vampirs
Etwas Altes
*einige Mondläufe früher*
Still saß die Unsterbliche im Turmzimmer ihres Elternhauses in Drachdea und betrachtete die große, beschlagene und uralte Truhe vor sich. Nie hätte sie gedacht, dass sie diese Kiste doch noch öffnen würde. Langsam glitten ihre schlanken Finger über die alten, schwarz angelaufenen Eisenbeschläge und das glatte, edle Eibenholz. Obwohl es über ein Leben her war, drangen die Erinnerungen auf sie ein, als wäre es erst gestern gewesen:
„Bunija! Bunija! Was ist das für ein schönes Kleid?!“, aufgeregt sah das kleine, achtjährige blonde Mädchen ihrer Großmutter entgegen, wobei sie ehrfurchtsvoll mit den Fingern über die strahlendweiße Seide des kostbaren Kleides strich.
„Ah Mi-fata, leg das wieder zurück, sei so gut. Nicht, dass es schmutzig wird oder kaputt geht.“, die ältere Frau trat zu ihrer Enkelin heran und musterte das Kleid mit hellgrauen, wehmütigen Augen. „Aber was ist das denn nun? Ich habe das noch nie an dir gesehen und wieso versteckst du das in dieser Truhe?“, Vyktorya sah ihre Großmutter verständnislos an, während sie dennoch ihrer Anweisung folgte und die Falten der Seide wieder sanft und sorgfältig zusammenlegte und das Kleid möglichst behutsam wieder zurück in die mit Samt ausgekleidete Truhe legte.
„Es ist mein Hochzeitskleid, Mi-Fata.“ Vyktorya runzelte die Stirn und ihr Blick glitt hinüber zu dem Gemälde, welches ihre Großmutter als junge Frau an ihrem Hochzeitstag zeigte. „Aber auf dem Bild trägst du ein ganz anderes Kleid.“ Auch wenn sie das Kleid nur kurz in den Händen gehalten hatte, konnte das kleine Mädchen dennoch den Unterschied erkennen: das Kleid in der Truhe war von strahlendem Weiß und aus schlichten, glänzendglatten Seidenlagen gefertigt und wirkte so hauchzart wie eine frische Schneedecke. Während das Kleid, welches ihre Großmutter auf dem Gemälde trug, zwar ebenfalls weiß, jedoch mit einem üppigen Reifrock und einer Menge Spitze und aufgepufften Ärmeln versehen war.
„Es ist das Kleid, was ich mir gewünscht hätte, hätte ich den Mann meines Herzens heiraten können.“ „Ich verstehe nicht…“, murmelte Vyktorya nachdenklich. Sie musterte erneut das Bild. Sie hatte ihren Großvater nie kennengelernt, er war weit vor ihrer Geburt verstorben, als ihre eigene Mutter selbst noch fast ein Kind war. Daher kannte sie ihn lediglich als jungen Mann von diesem einen Gemälde. Ihre Großmutter hatte sonst keinerlei Erinnerungsstücke an ihm behalten. „Irgendwann wirst du das verstehen Mi-Fata.“
Vyktorya hatte nach diesem Abend noch eine Weile darüber nachgedacht, doch ihre Großmutter hatte sich nicht mehr weiter dazu geäußert, sondern lediglich dieses feine, wissende Lächeln aufgesetzt, wenn ihre Enkelin danach fragte. Nur wenige Jahre später war ihre Großmutter dann – für Vyktoryas Empfinden – viel zu früh verstorben und hatte das Mädchen mit vielen Fragen über das Leben und einsam zurückgelassen. Ihre Eltern waren damals schon längst den Orgien und dem Opium verfallen und Vyktorya hatte beschlossen, nie wieder jemanden in ihr Herz zu lassen. Niemand mehr, der sie allein lassen konnte. Niemand, der sie verletzen konnte. Jahre später – inzwischen waren ihre Eltern längst durch Vyktoryas eigene Hand gestorben - musste sie mit 16 Jahren aus politischen Gründen heiraten, sie hätte sonst das Anrecht auf den Titel ihrer Grafschaft verloren, da sie noch nicht volljährig war. Ein seltendämliches Gesetz, doch so war es nun mal. Damals hatte sie zum ersten Mal seit langem erneut wieder an die Worte ihrer Großmutter gedacht. Ein Kleid, nur für den Mann des Herzens. Noch immer wusste sie nicht, was ihre Großmutter damit meinte. Was hatte ein Mann mit einem Kleid zu tun? Aber diese Worte fühlten sich dennoch an, wie ein Wunsch. Ein Wunsch dieser alten Frau, welche Vyktorya als Kind vergöttert hatte. Die Frau, die sie zumindest bis zu ihrem vierzehnten Lebensjahr großzog und wohl die einzige Person, die diesem kleinen Mädchen damals Liebe und Wärme entgegenbrachte. Also hatte Vyktorya weder zu dieser Hochzeit noch zu ihrer zweiten Hochzeit, wenige Jahre später mit Radu Ibranov das Kleid ihrer Großmutter getragen. Wenn Vyktorya ehrlich war, wusste sie nicht mehr, was aus ihren alten Brautkleidern wurde. Im besten Falle hatte sie diese selbst verbrannt. Aber sicher war sie sich da nicht mehr. Es gab eine Zeit in ihrem Leben, die in einem dunklen Nebel lag, die Zeit, in der sie sich ausschließlich ihrer Magie widmete und dabei auch förmlich über Leichen ging.
Erst heute. Jetzt, wo sie vor dieser alten Truhe saß, verstand Vyktorya die Worte ihrer Großmutter. Jetzt, Jahre… fast Jahrzehnte später begriff sie die Bedeutung und die Tiefe. Nun, wo sie ihr Herz und ihren Geist wieder geöffnet hatte, für die Einflüsse von Gefühlen. Diese… vermaledeiten Gefühle. Die dafür sorgten, dass sie wütend wurde, schrie, tobte und wütete… traurig wurde und gar Weinen wollte. Dass ihr Herz schmerzte und Ängste in ihr hochkamen, die sie zuletzt als Kind spürte.
Und daran war nur dieser eine Mann schuld. Der Mann ihres Herzens.
Und nur deshalb saß sie hier und zögerte. Schließlich atmete sie tief durch und öffnete die Truhe vorsichtig. Dort lag es noch immer. Das weiße Seidenkleid. Es wirkte, als läge es noch haargenau so, wie sie es einst, vor so vielen Jahren, hineingelegt hatte. Sanft hob sie es heraus und trat damit vor dem Zimmerhohen Spiegel neben dem Kamin, um es sich an den Körper zu halten. Ja. Dies war das Kleid, in dem sie die einzig wahre Hochzeit ihres Lebens feierte. Jene, die ein wahrer Bund des Lebens werden würde. Ein kurzes Schmunzeln zuckte um ihre Lippen. Und dennoch, würde auch dieser Ehemann nicht lebend aus dieser Ehe hervorgehen. Denn er war bereits tot. Welch Ironie.
Und noch ironischer war, dass auch diese Hochzeit im Grunde nur deshalb stattfand, weil es ein politisch hervorragender Schachzug ist. Zwar hatte Vyktorya schon Wochen zuvor zum ersten Mal angesprochen, dass es sinnvoll wäre, die Beziehung durch eine Heirat öffentlich zu machen. Es war schon öfter vorgekommen, dass Menschen überrascht waren, wenn sie von ihrer Beziehung zueinander erfuhren. Das hatte Vyktorya geärgert. Doch nun Nägel mit Köpfen zu machen war im Grunde dem Besuch der Paladine zu verdanken. Um die Beziehungen zu Silberburg weiter zu festigen und ‚den guten Willen der Nekromantin zu zeigen‘, schlugen Rorek und Vyktorya vor, den Bund der Ehe unter dem Dach des Herrn zu besiegeln. Und welch Wunder – das hatte diese Bande von fanatischen Lichtspechten doch wirklich besänftigt! Unfassbar.
Aber auch wenn das ein fader Beigeschmack war. Es änderte nichts daran, dass es diesmal anders war… völlig anders… wo sie zu ihren ersten Hochzeiten schlichtweg froh war, wenn alles vorbei war, hatte sie nun… Angst. Ja, sie war seit dem Moment, als Glaris ihr bestätigt hatte, dass man sie in Silberburg trauen würde, unglaublich nervös und wann immer die Hochzeit offen angesprochen wurde, drehte sich ihr förmlich der Magen um. Aber da musste sie durch und sie wollte es auch. Und es gab noch viel zu tun…
Etwas Neues
Das Kleid mit den passenden Schuhen und Handschuhen hatte sie zunächst in Drachdea gelassen. Wenn sie schon Rorek ehelichen wollte, dann wenigstens mit allen Traditionen und Schnickschnack. Er würde das Kleid also erst bei der Hochzeit zu Gesicht bekommen – natürlich idealerweise mit ihr darin. Doch ein Kleid allein machte sie wohl kaum zu einer Braut, nicht wahr? Ein Blumenstrauß, ein Haarkranz, Schuhe… es fiel ihr nicht schwer das passende auszusuchen, ihre Vorstellungen waren dabei sehr genau.
Die Blumen für ihren Strauß und das Haar zog sie im Garten selbst. Es würde auch kein typischer Strauß aus Rosen sein. Nein. Sie würde schlichtweg ein Gesteck aus Lavendel tragen – sowohl in der Hand wie auch auf dem Haupt.
Sie brauchte außerdem Seide. Viel Seide...
Neben einem Paar Schuhe träumte sie von einem seidigen Umhang, statt einem Schleier. Also machte sie sich daran Seide zu kaufen und zu suchen. Den passenden Schnitt besaß sie bereits. Nun musste sie nur noch alles miteinander verarbeiten und den perfekt abgestimmten Farbton zum Kleid finden.
Etwas „Geliehenes“
Perlenohrringe. Sie waren wunderschön: drei Perlen, die in einer Reihe vom Ohrläppchen herabbaumelten, während die allerletzte Perle an eine kleine Träne erinnerte. Perfekt.
Einziges Problem: Es waren nicht ihre.
Hm.
Vyktorya beobachtete die aufgetakelte Gräfin missbilligend. Beim Äther, wie sie diese Frau missachtete.
Gräfin Aleksandra Revinjic von Ravnjiek.
Sie war die Herrin über die Grafschaft Ravnjiek und damit ein Teil des vereinten Rates Dracheas. Und eine derjenigen Schabracken, die ihr in der Vergangenheit Unmengen Ärger einbrachten. Aleksandra war im gleichen Alter, wie Vyktorya, sah jedoch um viele Jahre älter aus – und das nicht nur, weil Vyktorya unsterblich war und damit nicht alterte. Auch sonst sah die Frau, eigentlich Mitte bis Ende Dreisig, aus, als nähere sie sich schon stark der Mitte Fünfzig: Falten, die sie mit Unmengen an Puder und Rouge zu verdecken versuchte, einige viele Pfund zu viel auf den Rippen und damit mit einem Doppelkinn gesegnet, welches dafür sorgte, dass praktisch keinerlei Hals vorhanden war. Die Perlenkette mit dem Siegel der Grafschaft Ranvnjiek schnitt einfach schlicht in irgendeine der unzähligen Fettschichten ein – ob nun Hals oder Kinn – das wusste vermutlich, wenn überhaupt nur die Trägerin. Dementsprechend sprengte der Busen auch das Dekolleté der Gräfin und das Mieder knarzte und ächzte unter der Belastung. Genau wie das zierliche Sofa, auf dem Madame Hof hielt. Das Kleid war geschmacklos, das Schweinchenpink mit den übergroßen Rüschen war schlichtweg unvorteilhaft und ließ die Gräfin noch mehr einem solchen Tier ähneln.
Abscheu kroch in Vyktorya hoch. Sie hasste diese Anlässe. Sie hatte es unter anderem Aleksandras Eltern zu verdanken, dass sie damals jung verheiratet wurde. Auch die zweite Heirat war mitunter durch den Druck der Revinjics auf den Rat entstanden. Und Aleksandra das kleine verdammte Biest hatte Vyktoryas Kindheit ebenfalls nicht angenehmer gemacht. Und heute hockte dieses Schweinchen hier und war umringt von all den anderen Gräfinnen, Baroninnen und anderem Geschmeiß der Adelswelt. Ja, es war einer der wenigen Momente, wo sie die Abneigung der Crew nur allzu gut verstand. Aber es war eine Pflichtveranstaltung. Vyktorya war aufgrund ihres Titels, den sie vor einigen Jahren wieder für sich beansprucht hatte, ebenfalls Mitglied des Rates, weshalb sie regelmäßig an diesen Teekränzchen, Bällen und sonstigen illustren Runden teilnehmen musste. Sie versuchte es zu vermeiden, wo sie konnte, doch sie musste auch genügend Präsenz zeigen, um ihren Respekt und Anspruch nicht zu verspielen.
Also stand sie es zähneknirschend durch. Zum Glück war Rorek stets an ihrer Seite. So war es auch heute seine beruhigende Hand auf ihrem Unterarm, als er spürte, wie das grunzende Lachen der Gräfin ihre Wut noch steigerte. Und ja… diese Frau mit der Schweinchenfigur, im Schweinchenrosa Kleid lachte in Grunzlauten wie… ein Schwein. Manche Menschen waren wirklich gestraft, doch diese Frau bemerkte das noch nicht einmal… Im Gegenteil. Das hätte sie schon fast sympathisch gemacht, wäre sie nicht aus tausend anderen Gründen eine hinterlistige, verachtenswerte Person.
Wann immer Aleksandra konnte, hatte sie ihre Giftpfeile in Vyktoryas Richtung abgeschossen, schon in Kindsheitstagen hatte sie sich vor allen profiliert und bei jeder Gelegenheit Vyktorya ausmanövriert, wo sie nur konnte. Die Alvlems und die Ravnjieks waren sich seit Generationen nicht grün. Woher das kam… Vyktorya wusste es nicht. Ihre Großmutter hatte es ihr nie erzählt und ihre Eltern hatte sie nicht gefragt. Wie auch… in ihrem Delirium hätten sie die Frage ohnehin nicht mitbekommen.
Und genau das war eine der Wunden, die Aleksandra immer wieder aufriss. Vyktorya hatte es wirklich versucht sich als Kind mit diesem schon damals etwas molligen Mädchen anzufreunden. Blauäugig und nichts von der seltsamen Fehde ahnend. Das Ergebnis war, dass Aleksandra die Gelegenheiten für Besuche im Anwesen der Alvlems dafür nutzte, um aufzuspüren, wie es dort zuging. Vyktoryas Eltern waren dabei zugegeben nicht wirklich hilfreich, interessierte es sie doch nicht, dass ein junges Mädchen mitsamt Hofstaat im Haus zu Besuch war. Die Orgien wurden dennoch gefeiert und Rituale bis zur Extase abgehalten. Der Geruch von Opium und anderen sehr eindeutigen Düften entging weder Aleksandra noch deren Diener – die damit noch mehr anfangen konnten, als vermutlich das Mädchen selbst. Doch es war dieses verdammte Schweinchen-Gör, welches es ihren Eltern brühwarm berichtete und diese die Missstände im Hause Alvlem natürlich im Rat breittraten.
Noch heute war Vyktorya davon überzeugt, dass diese Sache mit unter dazu führte, dass ihre Großmutter so früh verstarb. Ihre Eltern scherten sich natürlich keinen Deut um das, was im Rat gesprochen wurde. Ihre Großmutter jedoch schon. Doch für die alte Dame war es ein Kampf gegen Windmühlen – sowohl im eigenen Hause wie auch im Rat. Irgendwann gab sie auf. Im wahrsten Sinne. Ihr Herz versagte eines Tages einfach so. Im Morgengrauen hatte Vyktorya sie gefunden. Nachdem alte Gräfin Alvlem am Vorabend von einer weiteren, hitzigen Ratssitzung zurückgekehrt war.
Das waren nur ein paar der Dinge, die sie der Schweine-Gräfin niemals vergeben konnte. Und heute Abend sollte Aleksandra ihr Schicksal besiegeln:
„Habt ihr die Alvlem wieder gesehen? Unfassbar… dass sie sich nicht schämt, mit diesem Lumpenkerl aufzukreuzen. Er soll nicht einmal adlig sein. Irgendein Streuner… wo sie den wohl aufgelesen hat? Aber der Apfel fällt ja nicht weit vom Stamm… ihre Mutter war da ja nicht besser und wo das hingeführt hat, wissen wir ja. Ich hab gehört, dass sie es inzwischen wie ihre Alten Herren hält… und noch schlimmer! Und mal ehrlich… glaubt ihr wirklich diese Sache mit der Inquisition? Bestochen wird sie sie haben… oder noch schlimmeres… wer weiß.“
Natürlich war sich Aleksandra sehr wohl bewusst, dass Vyktorya mithörte – nicht nur, weil sie ein feines Gehör hatte, sondern weil sie keine fünf Schritte entfernt von dieser Traube aus aufgetakelten, alternden Matronen stand und sich krampfhaft an einem Glas Wein festhielt.
„Beruhige dich, Liebes.“, raunte Rorek über ihre geistige Verbindung und versuchte sie zu beruhigen. Doch es war zu viel. Dank den Umständen, dass sie wieder Gefühle zugelassen hatte, war auch die Wut, der Hass und die inneren Verletzungen zurückgekehrt und die chaotischen Tage während und nach Rax‘ Entführung hatten ihre Gefühlswelt noch immer nicht los gelassen. Im Gegenteil. Vyktorya kochte innerlich.Aber für den Moment tat sie Rorek den Gefallen. Sie beruhigte sich. Tief atmete sie durch und blieb stoisch stehen, während sie mit einem anderen Ratsmitglied, welches ihr wohler gesonnen war, über die hiesige Politik philosophierte. Aber das Ende des Abends würde kommen. Sehr bald. Und die Nacht war noch immer lang genug, um ein Kapitel in ihrem Leben zu beenden.
Einige Stunden später, kurz vor Morgengrauen.
Das Zimmer der Gräfin von Ravnjiek.
Ächzend schnürte sie das Mieder auf und schnaufte tief, als die Corsage ihren Speck freiließ und ihr Rücken sich gepeinigt unter der Last krümmte. Angetrunken und bester Laune wankte sie zu ihrem Schminktisch und ließ sich auf das Hockerchen davor plumpsen. Es knarzte bedächtig, hielt jedoch. Das kümmerte die Gräfin jedoch nicht. Grinsend starrte sie ihrem eigenen Gesicht entgegen. „Aleksandra, Aleksandra, du schlaues Ding. Ha! Du hast es immer noch drauf…“, knödelte sie lallend ihrem Spiegelbild entgegen. Doch dann zuckte sie zusammen und ihr Kopf ruckte herum, soweit das Fett es eben zuließen und die Schweinsäuglein starrten irritiert ins Halbdunkel des Zimmers. Hatte sie nicht eben eine Bewegung im Spiegel gesehen? Hm… „Ist da jemand?“, fragte sie nuschelnd und blinzelte ein paar Mal. Doch lediglich das Ticken der Kuckucksuhr in der Ecke antwortete ihr. Das letzte Glas Wein war wohl doch zu viel. Sie gluckste kurz und wandte sich wieder ihrem Spiegelbild zu. Nur um sofort ein spitzes Quieken auszustoßen, welches sofort von einer eiskalten Hand auf ihrem Mund erstickt wurde. Lavendelfarbene Augen in einem leichenblassen Gesicht, umrahmt von silbrigblondem Haar starrten ihr entgegen. Helle, spitze Zähne blitzten auf, als die Gestalt sich von hinten zu ihr herabbeugte. „Zeit für die Schlachtbank, mein Ferkelchen.“, die Stimme war eisig und Angst kroch in Aleksandra hoch. Sie wollte sich wehren, sich losreißen, ihre feiste Hand hob sich bereits, um nach einem der spitzen Haarnadeln auf ihrem Tischchen zu greifen. Doch da wurde ihr Kopf bereits herumgerissen. Sie hörte weder das Knacken noch spürte sie wie ihre Halswirbel brachen. Es… endete einfach und Stille und Dunkelheit empfingen sie.
Leidenschaftslos starrte Vyktorya auf den Fleischberg, der in sich zusammensank. Sie trank nicht von ihr. Allein der Gedanke widerte sie an. Vorsichtig rückte sie den leicht verdrehten Kopf wieder zurecht, so dass er nicht mehr unnatürlich von der Halswirbelsäule abstand. Wenn der Hausarzt der Grafen von Ravnjiek sein Geld wert war, würde er es dennoch bemerken. Ansonsten… nun, bei dem Gewicht und der Lebensart dieser Frau, wäre ein Früher Tod durch Herzversagen kein Wunder. Doch selbst wenn jemand auf sie schließen würde – das sollte ihr erst einmal jemand beweisen. Das Zimmer der Gräfin war verschlossen, eine Wache stand davor und das Zimmer lag im Dritten Stock der Villa, in der die heutigen Feierlichkeiten stattfand. Außerdem hatte man sie und Rorek kurze Zeit davor mit einer Kutsche gemeinsam mit einem weiteren Ratsmitglied aufbrechen sehen. Der Ratsmann würde Stein und Bein schwören, dass sie ihn in seine Villa begleitet hatten und sie noch bis kurz nach Morgengrauen gemeinsam tranken.
Dass er tatsächlich für einige Zeit nur mit Rorek allein trank, während Vyktorya dank ihrer Magie und den Schatten zurückkehrte… nun… davon wusste der gute arme Mann natürlich nichts und niemand würde es je erfahren.
Somit blieb der Tod der Frau ein Rätsel – oder eben ein tragisches Schicksal. Lediglich die Perlenohrringe wurden vermisst. Diese ruhten derweil in einem kleinen, unscheinbaren Beutel zwischen einigen Reagenzien an Vyktoryas Gürtel. Diese „Leihgabe“ würde ihre Hochzeitsgarderobe sicher trefflich abrunden.
Etwas Rotes
Jetzt fehlte eigentlich nur noch eine Kleinigkeit. Und das besaß sie bereits: Strümpfe.
Der eigentliche Brauch sah vor, dass man etwas Blaues zur Hochzeit trug, was für Liebe und Treue stand. Vyktorya mochte dieses Klischee nicht, außerdem hatten sie und Rorek ein eigenes Zeichen für Liebe und Treue: Ihre geistige Verbindung. Nichts konnte diese Tiefe der Verbindung auch nur ansatzweise widerspiegeln.
Nein, sie würde aus der Reihe tanzen. Allein, weil sie selbst die Farbe Blau nicht mochte. Sie würde eine Farbe wählen, die ihre und Roreks Existenz prägte, die überhaupt den Grundstein für ihre Geistige Verbindung symbolisierte: Blutrot.
Es dauerte nicht lange, bis sie das perfekte Rot zusammengestellt hatte und ihre Seidenstrümpfe darin färbte. Rorek würde sie lieben. Und er wäre schließlich auch der Einzige, der sie zu Gesicht bekam.