Wie Asai seinen Weg in mein Leben und Herz fand
Meine Weihe zur Elpida Ierea war noch nicht ganz eine Woche her, als ich mit den anderen Jungschwestern zusammen auf Patrouille in der Nähe der Goldenen Stadt ging.
Ein grausiger Fund überraschte uns alle, als wir hinter einem Felsvorsprung eine verblutete Löwin fanden, um die herum, noch sorglos und naiv drei Kitten tollten. Wilderer hatten sie offenbar schwer verletzt, doch um ihre Jungen in Sicherheit zu bringen, verbrachte sie jene noch in ein Versteck, um dort ihren letzten Atemzug zu tun.
Schnell war klar, dass wir uns der wenige Tage alten Löwenjungen annehmen mussten, da sie sonst entweder von anderen Raubtieren gerissen, von den Wilderern gefangen oder elendig verhungern würden. Wir trugen sie Heim nach Asamea’toria und wandten uns an Ali’Shondra unsere Megala Ierea. Einerseits erschüttert über unsere Entdeckung, aber auch stolz auf unser Handeln, trug sie einjeder von uns auf, sich um eines der Katzenkinder zu kümmern. Sie nannte es eine Prüfung für unsere Fähigkeit die Verantwortung für einen Schutzbefohlenen zu übernehmen und die Möglichkeit an der Ausbildung eines starken Kämpfers teilzuhaben, der bei Erfolg irgendwann den Töchtern Nyames zu Seite stehen würde.
Zwei der Kitten wirkten verspielt und anhänglich, eines jedoch hatte nichts besseres im Sinn, als sich aus dem Staub zu machen und die Welt zu erkunden. Dieser Welpe erweckte mein Interesse und so fiel meine Wahl auf ihn.
Die jungen Löwen brachten viel Leben in den Palati und den Bereich um ihn herum. Meine Schwestern konnten sich kaum in Sicherheit bringen vor den spiel- und schmuselustigen Felidae, ich hingegen hatte Mühe Asai davon abzuhalten das Weite zu Suchen oder mir seine Krallen in die Hände zu schlagen. Egal mit welchen Leckereien ich ihn lockte oder welches Spielzeug ich ihm bot, konnte er sich nur kurz dafür begeistern. Im Gegensatz zu dem Rest des Wurfes, fiel es ihm schwer Vertrauen zu knüpfen und für eine Ausbildung die nötige Demut aufzubringen. Da uns Amazonen unser Stolz und die Würde die uns Nyame verleiht viel bedeuten, wäre es undenkbar gewesen den Willen dieses Löwen zu brechen, um ihn gefügiger zu machen. Ich musste also über die Standards der Abrichtung hinausdenken und mich für das Wesen eines männlichen Tieres öffnen.
Wie meine Schwestern war auch ich von meiner Geburt an angeleitet und geführt worden, wir wuchsen in eine tief verbundene Familie hinein. Es war selbstverständlich, dass wir diese Vorstellung auch auf die Erziehung eines Jungtiers übertragen wollten und der Gedanke es, so hilflos und unselbstständig, wie es schien, einfach los zu lassen war befremdlich. Meine Erfahrungsschätze waren nicht nennenswert und so hätte ich mich gerne an einfachen und bekannten Vorgehensweisen orientiert.
Dennoch unternahm ich den Versuch ihn und seine Sturheit zu verstehen, seinen Drang die Gruppe zu verlassen und sich selbst auf die Suche nach dem zu begeben, was seine Neugier wecken und auch stillen konnte.
Die Wildnis war seine Heimat und ohne Furcht tapste er auf die Steppe zu, mit mir im Schlepptau. Beobachten, begleiten, beistehen, daraus bestanden die nächsten Tage und umso mehr Freiraum ich ihm lies desto häufiger duldete er meine Nähe. Tatsächlich folgte er mir nach einigen Nächten unter freiem Himmel bereitwillig zurück in die Stadt. Sein Streben von mir oder den anderen fort, blühte nur dann wieder auf, wenn er zu lange hinter den Mauern der Stadt ausharren sollte. Letztendlich fanden wir dafür eine gute Balance.
Manchmal stach es mich dann aber doch zu sehen wie verschmust und sogar liebevoll die jungen Löwinnen sich ihren Erzieherinnen angeschlossen hatten, wo er weiterhin zwar folgsam, aber unnahbar blieb. Es gab Momente, in denen es mir vorkam, als sähe er einfach keinen Anlass dafür mir mehr Zuneigung zu schenken. War das vielleicht so eine ominöse maskuline Marotte? Musste es nur den rechten Grund geben, das passende „Zahlungsmittel“, um meine Gefährtenschaft für ihn lohnend erscheinen zu lassen? Diese Gedanken passten sehr gut zu dem was wir im Allgemeinen über das einfältige Geschlecht wussten, aber dass es vielleicht auch auf ihre tierischen Vertreter anwendbar schien, wollte mir nicht gefallen.
Einige Monde gingen ins Land und wir jagten bereits Seite an Seite als ich unvorbereitet in eine Situation geriet, die mir mehr Angst einflößte als so manch blutige Auseinandersetzung. Wir durchstreiften die abgelegeneren Grenzgebiete der Ebene und erkannten aus der Ferne eine nomadische Zeltsiedlung. Um sie auszukundschaften schlichen wir uns an den Rand der Ansammlung, als sich mir ein grausiges Schauspiel offenbarte. Eine junge Frau, in Ketten und mit frischen wie auch älteren Verletzungen, wurde von einem der kraftangewandten gewürgt und dann zu Boden geschleudert. Ich erstarrte in meiner vorgebeugten Haltung, denn vor meinem inneren Auge wiederholte sich die traumatische Szene aus meiner Kindheit, in welcher ich mit ansehen musste, wie viele meiner Schwestern ähnlich gedemütigt und sogar getötet wurden.
Asai musste voller Scharfsinn erspürt haben, dass ich unfähig war mich diesem Anblick zu entziehen, gelähmt vor Angst und blind für die sich von hinten nähernden Männern. Er drückte seinen Leib gegen mich und schob mich so wieder zurück in den Schutz der Zeltwände, stellte sich dann heroisch mit dem Rücken zu mir auf und war fest entschlossen mich wenn nötig gegen diese Bastarde zu verteidigen.
Glücklicherweise hatte er rechtzeitig reagiert und so blieben wir unbemerkt, damit ich mich von dem Schock erholen und dann mit ihm zusammen zurück zur Heiligen Stadt eilen konnte.
Dank seines Einsatzes kamen wir unbehelligt dort an, alarmierten und sammelten die Kriegerinnen und räucherten noch am selben Abend die Menschenhändler aus, um die Sklavinnen von ihrem Elend zu erlösen.
Von diesem Augenblick an lief er so nah, dass wir uns beinahe berührten. Wenn ich anhielt, waren seine Augen entweder aufmerksam auf mich oder wachsam auf die Umgebung gerichtet und setzte ich mich nieder, lag sein Kopf manches Mal auf meinen Beinen. Auch wenn er nicht sprechen konnte und ich keine Gedanken lesen, hatte ich seine Botschaft deutlich verstanden.
Als Welpe war ich seine Retterin gewesen, für ihn war ich immer die Starke, die keinen Schutz oder einen Begleiter brauchte, der sich um sie sorgte. Vielleicht war es auch Stolz gewesen, dass er sich nicht an mich binden wollte, solange seine Lebensschuld noch nicht beglichen war. Er wollte ein ebenbürtiger Kämpfer sein und brauchte erst die Gelegenheit, um zu erkennen, dass er diese Rolle bereits beherrschte und seinen Platz neben mir einnehmen konnte.
Asai und ich wuchsen mehr und mehr zusammen. Ganz ohne Überredung oder gar Zwang wurden wir eine vertraute und gefährliche Einheit gegen alle Feinde, die sich in unsere Schusslinie trauten. Selbst wenn wir mal getrennte Wege einschlugen, weil ich eine Menschensiedlung besuchte oder er im Löwenrudel auf die Jagd ging, es gab niemals Zweifel daran, dass er zu mir oder ich zu ihm zurückkehren würde.