Vom Ende eines Priesters [MMT]

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Marleen Lamont
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Vom Ende eines Priesters [MMT]

Beitrag von Marleen Lamont »

Als der Schnitter und der untote Drache alle Aufmerksamkeit auf Silberburg gelenkt hatten, und die Amazonen dort mutig eingeschritten waren, hatte nicht viel gefehlt, und Marleen wäre trotz ihres Waffenstillstandes mit Freude auf jene losgegangen. Doch sie hatte sich unter Anstrengung zurückgehalten und es für klüger befunden, die Amazonen auf weniger blutige Weise aus den Angelegenheiten der Menschen herauszuhalten. Auch von dem Drachen hatte sie sich ferngehalten. Sollte er sich doch in Silberburg austoben… 

Der Priester Vitus jedoch hatte scheinbar seinen ersten Emotionen und Absichten stets nachgegeben. Er hatte die Amazonen attackiert. Er hatte den Paladinen und Ansilon einen Grund verschafft, die Dienerschaft offiziell an den Pranger zu stellen. Er hatte sich offen gegen die Dunkelelfen gestellt und die Aufmerksamkeit der aktuellen Herrscherin Sold'Orrbs auf die Dienerschaft gezogen. Er hatte sich ohne zu zögern dem Drachen Morgun als Vasall angeboten und einen Vertrag mit ihm geschlossen, um seine Macht im hier und jetzt zu steigern – ganz gleich, was dies in ferner Zukunft für ihn bedeutete.

Er war als bereits gealterter Priester zu ihnen gereist, und er ging so vieles so offensiv und anders an als der hiesige Orden des Namenlosen. Bei einem jungen Mann hätte Marleen dies nicht weiter irritiert. Sie hätte es als Unwissenheit abgetan. Doch er war als Mann mit Erfahrung zu ihnen gestoßen – Erfahrungen, die er vorher in seinem Land gemacht haben musste. Dort hatten die Diener einen gänzlich anderen Stand als auf diesem Kontinent.

Und nun?

Jetzt zeigte er Schwäche.

Das war so überhaupt nicht seine Art.

Was Eileen und Dari'var recht gut überstanden hatten, schien ihn dahinzuraffen. Wie konnte ein Priester Asmodans einem Husten erliegen? Oder war es etwas anderes? Steckte gar der Drache hinter dem Hauch des nahenden Todes, der dem Priester anlastete? Oder war dies das Werk der goldenen Schlange? Marleen besann sich derer, die vor ihm kamen und gingen.

Bis auf wenige Ausnahmen wie Landor, Valtysar oder Mankuri hatten die meisten Priester Nalveroths ein kurzes Leben gehabt. Mortimer, Rinka, Aleyna, Malachai… und viele, deren Gesichter und Namen bereits verblasst waren. Die jüngsten Auserwählten hatte der Orden noch nicht einmal richtig kennengelernt, da waren sie schon wieder von der Bildfläche verschwunden: Xathryna und Morana. Und nur Der Eine wusste, wo Viktor steckte.

Konnte es also sein, dass die Schwäche, die Vitus nun heimsuchte, ebenfalls ein Werk der Mächte war, welche die Priester im Orden zu bekämpfen schienen?

Die rote Priesterin rümpfte die Nase und verließ den Gebetsraum. Es war nicht die Zeit, IHN mit ihren Fragen zu belästigen. Sie suchte ihre treue Angestellte auf.

In den folgenden Tagen war vermehrt eine einfache Stallmagd aus Nalveroth an den unterschiedlichsten belebten Orten des Landes unterwegs… 
 
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Jin
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Re: Vom Ende eines Priesters [MMT]

Beitrag von Jin »

Am Abend als die Priesterin Lamont wünschte Vitus, in Jin’s Gebete einzuschließen, konnte man noch nicht wissen, dass das Leben des alten Priesters ein Ende finden würde.

Eine sonderlich große Beziehung zwischen Vitus und Jin existierte nicht – eher könnte man davon Reden, dass die beiden sich noch nie wirklich über den Weg gelaufen sind. Dennoch tat die Wächterin wie man ihr gewiesen hatte und schloss Vitus in ihre Gebete mit ein.

Am nächsten Morgen erkundigte Jin sich bei den Klosterwachen über den Aufenthalt des Priesters und wurde informiert das Zimmer oberhalb der Küche, im Turm nachzusehen, denn dort bezog der Priester ein Zimmer.
Jin folgte der Anweisung und suchte eben jenes Zimmer auf. Die Tür war nicht abgeschlossen aber dennoch klopfte sie vorsichtig an, um den Priester wohlmöglich nicht bei seinem Gebet zu stören. Es folgte keine Antwort und sie trat ein…

Dort lag der alte Priester nun. Seine Augen waren blass, sein Körper steif und den Gestank hätte man bereits am Eingang wahrnehmen können, hätte man darauf Acht gegeben. Vitus ist aus den Reihen geschieden und kein Gebet hätte ihn noch weiter in dieser Welt halten können. Jedenfalls nicht das Gebet welches Jin dem Namenlosen entsandt hatte.

Noch am gleichen Abend wies sie eine der Tempelwachen an, die Priesterschaft die Bote zu übermitteln das der Priester Vitus aus dem Leben geschieden ist. Speziell sollte diese Kundschaft Marleen möglichst zuerst erreichen. 
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GM Morgoth
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Re: Vom Ende eines Priesters [MMT]

Beitrag von GM Morgoth »

Tatsächlich war die Stunde, in der seine Zeit gekommen war, diese Welt zu verlassen, eingetreten. Seine letzte Tat, die Stadträtin Ansilons aufzusuchen und einen Weg auszuhandeln, um den Wächtern wieder das Betreten der Stadt zu erlauben, war geglückt. Vitus hielt das Schreiben, dass das Ende des Konfliktes verkündete, in den Händen und nickte zufrieden. 

Er betrat die Insel als frisch gebackener, ausgebildeter und geweihter Priester und verbreitete die Botschaft des Namenlosen, wo immer er auch konnte. Manche konnte er für den Glauben gewinnen, andere wiederum nicht. Kämpfe wurden geführt, Engel getötet und Diener des Namenlosen im Kampfe gegen das Böse unterstützt. Viel war geschehen. Und mit seinem letzten grossen Akt, durch welchen die Wächterschaft ein altes und heiliges Relikt aus Zeiten Suroms ausfindig machen konnten, dass zudem auch noch von einem der vier Winde höchstpersönlich gesegnet wurde, hatte er gewiss einen grossen Fussabdruck auf diesem Kontinent hinterlassen. Seine Arbeit hier auf dieser Welt war getan. Ein Werkzeug Asmodans, dass nach Nalveroth geschickt wurde, um den dort ansässigen Orden zu stärken. Dass er noch ein langes Leben führen wurde, dass war wohl nie für Vitus vorgesehen.

Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich von Stunde zu Stunde und diese Krankheit aus Ansilon hatte den Prozess in den vergangenen Tagen nochmal beschleunigt - Er wusste, dass er nur noch wenige Augenblicke in dieser Welt verweilen würde. Mit einem zufriedenen Ausdruck schloss er die Augen und begann ein letztes Gebet zu sprechen, im Wissen dass er bald asmodans Reich betreten würde. Dari'Var hatte er in einem Gespräch durch die Blume vorgewarnt, dass er bald sterben würde. So sah er es nicht als notwendig an, weitere Personen in Kenntnis zu setzen, was wiederum dazu führte, dass sein Leichnam eine Weile lang unentdeckt blieb.
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Marleen Lamont
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Re: Vom Ende eines Priesters [MMT]

Beitrag von Marleen Lamont »

Sie hatte nicht mit einem angenehmen Anblick gerechnet. Und auch nicht mit einem angenehmen Geruch. Zu lange schon hatte sie Vitus nicht mehr gesehen. Doch als Jins Nachricht sie über die Tempelwache erreichte, war sie ohne Umweg in den Ostturm geeilt. Das Schreibzimmer des Priesters lag verlassen da, also erklomm sie die Stufen zu seinem Gemach und schob die hölzerne Tür ohne Zögern auf. Der Blick durch das Zimmer offenbarte rasch eine Gestalt am Boden, welche sich nicht regte. Langsam trat sie näher, schon presste sich Feuchtigkeit aus dem Teppich zwischen ihre Zehen. Ruhig blieb sie stehen und ließ den Blick über die Gestalt zu ihren Füßen wandern.

Der alte Priester lag in leicht gekrümmter Haltung auf einigen Kissen vor dem erloschenen Kamin. Die Lider spannten sich dünn und trocken über die über die eingefallenen Augen, die dünnen Lippen und Wangen schienen ebenfalls bereits auszutrocknen. Eine Hand ragte aus einem Robenärmel hervor, die Fingerspitzen waren bereits rötlich-braun verfärbt. Entgegen der leicht eingetrockneten Haut an der Oberseite schien der übrige Körper des Toten bereits aufgegeben zu haben, die Körperflüssigkeiten im Inneren halten zu wollen. Sie beugte sich tief über den Körper. Die Kissen rundherum hatten einiges davon aufgesogen, aber offenbar nicht alles. Der Geruch war hier bereits intensiv, wenngleich er noch nicht durch die Ritzen der Tür bis in den Raum darunter gezogen war. Die rote Priesterin quittierte dies lediglich mit einem Naserümpfen. Ein Geruch war so gut oder schlecht wie jeder andere. Allein die menschliche Erziehung entschied zwischen Duft oder Gestank. Sie zog die Luft über Mund und Nase ein - zwischen den Ausscheidungen, Schweiß und dem üblichen Verwesungsgeruch lag noch eine Nuance von etwas anderem. War das Torf? Möglicherweise war das der Geruch der Seuche, welche noch immer dem Leib anhaftete… 

Der Gedanke an die Seuche ließ die Priesterin jäh wieder etwas mehr Abstand einnehmen. Sie würde zwei Wachen rufen, um den Leichnam zu bergen und zu Leon bringen zu lassen. Der Heiler sollte den Körper waschen, die Öffnungen verschließen und zum Wohl aller Menschen in Rosenöl getränkte Leinentücher wickeln. So würde er noch ein oder zwei Tage überdauern, bis die würdevolle Feuerbestattung vorbereitet war. Er hatte einiges bewirkt, doch der Umstand, wie der alte Priester dort auf seinen Kissen zusammengesunken verstorben war - krank und schwach und keineswegs glorreich im Kampfe – war für Marleen bedauerlich. »Nimm seinen Geist in deine Hallen auf, mein Gebieter. Er war in seinem Leben nicht unfehlbar, aber zumindest in seinen letzten Tagen auf dieser Welt hat er Dir treu gedient.« Das gedachte Stoßgebet entstand in ihrem Herzen und manifestierte sich in ihren Gedanken. Eine Seuche… 

Eine Seuche, an welcher bisher niemand sonst verstorben war? Ein misstrauischer Gedanke bohrte sich mit einem Stich in ihre Schläfe. Verfall und Tod – Untod? Der faulige Drache Morgun hatte Vitus zu seinem „Vasallen“ gemacht - im Austausch für den Splitter. Sie hatte den Priester gewarnt. Er wollte das Risiko gern tragen. Was hatte es tatsächlich für ihn bedeutet, Vasall des Drachen zu sein? Was hatte er gewonnen, was verloren? Hatte der Drache sich am Ende sogar den Splitter und Vitus' Leben geholt?

Widerwillig beugte sie sich erneut zu dem Seuchentoten hinunter, drehte ihn an der Schulter von der Seite auf den Rücken. Nachdenklich betrachtete sie die Konturen unter der Robe. War der Bauch schon aufgebläht? Sie löste den Gürtel und zog die Robe auseinander. Mit zusammengekniffenen Augen und langen Fingern durchsuchte sie den Toten gründlich, bis hinunter auf die nackte Haut unter welcher sich die Adern deutlich grünlich abzeichneten. Am Bauch verfärbte sich die Haut bereits dunkel. Sie nahm ihm eine Kette ab - ein schlichtes Stück, und doch ein Andenken. Und einen kleinen Schlüsselbund mit drei Schlüsseln. Sonst fand sie nichts.

Nichts.

Irgendwo musste er ihn haben.

Den Splitter. Sie wollte - nein, sie musste ihn haben!

Sie konnte seine Macht besser nutzen als Vitus, daran bestand kein Zweifel!

Sie zog die Nägel über die nackte Haut am Bauch und unterdrückte jäh den Impuls, die Krallen durch die wächserne Haut in die weichen Eingeweide zu schlagen. Weder schlug man seine Brüder, noch schändete man ihre Leichen. Abrupt hob sie den Blick zum Kamin und zerrte, ohne noch einmal hinunter zu schauen, die Robe wieder über die nackte Haut des Toten.

Rasch verließ sie den Turm und kehrte erst zurück, nachdem sie ihre Hände und Nägel minutenlang unter Wasser geschrubbt hatte und der Heiler bereits mit einem Gehilfen, zwei Wachleuten und einer Bahre vor den Pforten des Klosters warten musste. Sie wies ihnen den Weg und beaufsichtigte den Abtransport. Leon verzog keine Miene, als er den halb entblößten toten Priester auf die Bahre legen ließ und diesen anschließend mit einem weißen Tuch überdeckte. Als alle Personen das Gelände verlassen hatten, erlaubte Marleen es sich, den Ort des Ablebens noch einmal anzusehen. Noch immer hing der Geruch in der Luft, und Teile des Priesters - in Form von Körperflüssigkeiten - waren verewigt auf dem Teppich und in den Kissen. Vieles musste entfernt und gereinigt werden, um das Zimmer wieder bewohnbar zu machen. Doch es galt nun, diesen Splitter zu finden.

Sie kehrte eine Treppe tiefer in das Arbeitszimmer des alten Priesters zurück. Bücherregale, ein Tisch, eine Truhe. Eine kleine messingfarbene Schatulle in einem Regal. Sie ging darauf zu und hob den Deckel an. Keine große Überraschung: Die Schatulle war unverschlossen. Darin waren einige ungeschliffene Steine und einige Schmuckstücke - mit Sicherheit magisch verstärkt. Grüner Samt, kein doppelter Boden, kein Versteck im Deckel. Das wäre auch zu einfach gewesen in diesem offenen Raum, der für jeden Diener zugänglich war. Der scharfe Blick der gelben Augen legte sich auf die übrigen Regalböden und auf die Bücher darauf. Ein Seufzen entwich ihr. Die Bücher, die Regale und die Einrichtung der Schlafstube musste sie - am besten mit Hilfe einiger Diener -  ebenfalls noch durchsehen, wenn die große Truhe unter dem Tisch und die Habe aus dem Bankhaus nichts offenbarten. Wieso konnte er den Splitter nicht einfach bei sich tragen?!

Die Truhe unter dem Tisch war verschlossen, offenbarte jedoch nach dem Öffnen nichts besonderes: Einige Kleidungsstücke, Fläschchen mit unbekannten Flüssigkeiten darin, etwas schimmeliges Brot. Auch hier gab es keinen doppelten Boden und kein verstecktes Fach im Deckel. Ein Grollen - tiefer als man der weiblichen Gestalt zutrauen würde - kämpfte sich ihre Kehle hinauf und wurde vom Zuklappen des schweren Deckels übertönt.

»Geduld. Nur ein klein wenig.«

Die Priesterin zwang sich zur Ruhe. Raserei war hier vollkommen unnötig und fehl am Platz. Sie hatte noch zwei Schlüssel übrig. Einer war gewiss der Schlüssel zu seiner Banktruhe in Nalveroth. Das dritte Schloss würde sich auch noch irgendwo finden lassen.
 
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