Das Vermächtnis

Rollenspielforum für Geschichten.
Antworten
Benutzeravatar
Elaina Eryn-Hin
Beiträge: 14
Registriert: 17 Aug 2020, 14:19

Das Vermächtnis

Beitrag von Elaina Eryn-Hin »

Schnelle, tippelnde Schritte verursachten ein Klopfen, das entfernt an einen Specht erinnerte.  Das Laub der Baumkronen raschelte, als die flinke Waldläuferin sich ihren Pfad von Ast zu Ast durch den Wald bahnte. Dadurch, dass sie ausschließlich Geräusche verursachte, die typisch für diesen Wald waren, war sie praktisch unsichtbar. Allerdings wäre ein menschlicher Waldbesucher ohnehin von den lauten Orktrommeln abgelenkt worden, die aus westlicher Richtung dröhnten. Elaina hielt direkt auf diese zu und wollte herausfinden, was es damit auf sich hatte. Aus früheren Begegnungen hatte sie eine gewisse Erfahrung mit Orks, die sie bevorzugt aus der Entfernung beobachtet hatte, um deren Verhaltensweisen zu studieren. Orks bedeuteten nie etwas Gutes - so viel wusste Elaina. Schon oft hatte sie mit ansehen müssen wie diese zerstörerische Rasse die Natur geschändet hatte. Zu ihrem Missfallen hatte sich dieser Umstand auch dieses Mal als wahr herausgestellt. Aus dem Baumwipfel, in dem sie stand, konnte sie beobachten, dass eine Brigade Orks angerückt war und Karren im Schlepptau hatte, die von Orkreitwölfen gezogen wurden. 
 
Beunruhigung stieg in ihr auf, denn dieser Wald fühlte sich für Elaina wie ihr Zuhause an. Fünfzig Orks würden, gemessen an der Anzahl der mitgebrachten Karren, dem Wald empfindlichen Schaden zufügen und eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Ihr Herz blutete und ein Gefühl der Machtlosigkeit stieg in ihr auf. 
 
Die Hauptleute der Orks leiteten das Vorgehen mit militärischer Härte an und bis auf kleinere Scharmützel jüngerer Orks, die gefräßig wilden Tieren nachgelaufen waren, war der Trupp erstaunlich diszipliniert. Rasch waren die Karren in Position gebracht und die Reitwölfe auf einer nahen Koppel abgestellt, wo sie etwas zu fressen bekamen, das aus der Entfernung wie Trockenfleisch aussah. Nachdem die Brigade in 10er Trupps eingeteilt vor den fünf Hauptleuten stand, wurden Kommandos gebrüllt, die Elaina nicht verstand - zunächst nicht. Als die Orks jedoch zu ihren mitgebrachten Karren liefen und sich mit mächtigen Holzfälleräxten ausrüsteten, ahnte Elaina bereits was der Inhalt der Kommandos gewesen war. Dann begann das Hacken. 
 
Unnachgiebig und respektlos begannen die Orks in Zweier- und Dreierkohorten die Bäume am Waldrand zu bearbeiten. Die Späne flogen in alle Richtungen und in beängstigendem Tempo sollten die Bäume zu Fall kommen. Nachdem die Stämme entastet und das Kleinholz auf einem Haufen gesammelt wurde, wurden die Baumstämme auf die Karren geladen, wofür vereinzelt Reitwölfe als Zugtiere herangeholt wurden. 
 
Elainas Mund war so trocken, als wenn sie zwei Tage nichts getrunken hätte. Jemand musste doch etwas tun? Sie musste eingreifen! Aber sich mit 50 Orks anlegen? Das war ein Himmelfahrtskommando. Selbst wenn sie versuchen würde die Tiere des Waldes zu mobilisieren, wozu sie in einem gewissen Maße in der Lage war, würde das die Orks nicht stoppen können. Sie dachte fieberhaft nach und durchspielte allerhand Szenarien. Immer wieder fiel ihr Blick dabei auf ihren Bogen, der über ihrer Schulter ruhte.
 
Die Orks arbeiteten sich Stück für Stück vor und schlugen achtlos eine gewaltige Schneise in den Wald. Dabei ließen sie alte und kranke Bäume grundsätzlich außen vor, selbst wenn diese noch einen größeren Anteil gesunden Holzes besaßen. Diese Bäume ragten dann verloren aus einer kahl geschlagenen Mooswüste empor. 
 
Elaina wurde nun immer weiter von ihrem Posten zurückgedrängt und schwang und sprang von Baumkrone zu Baumkrone. Sie ertappte sich selbst dabei, dass sie offenbar unterbewusst zu ihrem Bogen gegriffen und einen Pfeil eingelegt hatte. Wütend presste sie ihre Lippen aufeinander und zog den Bogen auf, nur um die Sehne im nächsten Moment wieder zu entspannen. Sie zögerte, woraus eine urtümliche Angst resultierte, die sie lähmte.
 
Ein Pfeilhagel traf 4 von 5 Orks, die gerade damit beschäftigt waren, einen weiteren Stamm zu entasten. Elaina hatte das Surren der Geschosse vernommen, noch bevor sie ihr Ziel erreicht hatten - doch zunächst konnte sie die Schützen nicht ausmachen. Die Orks waren sofort alarmiert und zogen sich zu einem hinteren, scheinbar leeren Karren zurück. "Rückzug?", hoffte Elaina, die noch immer gelähmt auf ihrem Ausguck stand. Doch weit gefehlt. Die Orks hatten die Bedrohung unglaublich schnell erkannt und sich zurückgezogen, um Rüstungen anzulegen und Holzfälleräxte gegen Streitäxte, Orksäbel, Schilde und grob gearbeitete Armbrüste auszutauschen. Elaina schluckte. Weitere Pfeilsalven töteten noch etwa 15 Orks, ehe der Regen aus verschossenem Holz aufhörte und ein Kriegsschrei das Marschieren der Orks übertönte. 
 
Elaina nahm die Männer und Frauen zunächst als Schemen war, ehe sie deren Silhouette erkannte und schließlich freien Blick auf die Streiter erlang. Dunkel gekleidet liefen sie den Orks koordiniert entgegen und schossen ihrerseits mit Bögen auf den Feind. Die Orks hatten sich bereits auf das Vorgehen eingestellt und Schildträger an vorderster Front postiert, die den Großteil der Pfeile abwehrten, ohne nennenswerten Schaden anzurichten. Selbst Explosionspfeile, die ebenfalls Verwendung fanden, hatten nicht meh den gewünschten Effekt. Die menschlichen Widersacher, die die Silhouette eines Falken auf den Umhängen trugen, waren glücklicherweise zu flink, um sich von den Orkarmbrüsten erwischen zu lassen und zwangen die Orks in den Nahkampf. Ein wildes Gemetzel brach aus, bei dem die Orks von ihrer Überzahl profitierten. Gerade einmal 40 Meter von Eleina entfernt traf klirrend Metall aufeinander. Säbel gegen Orkstreitaxt gegen Schild. Immer wieder in einem rhythmischen Takt. 
 
Die Lähmung löste sich von Elaina und Hoffnung kam in ihr auf. Es war an der Zeit anzugreifen und aus dem Hinterhalt Orks mit dem Bogen anzuvisieren, die damit nicht rechnen würden. Zunächst zeigte sich Elainas Wirken sehr effizient und sie konnte dazu beitragen, dass sich der Kampf ausgeglichen gestaltete. Doch irgendwann drängten die in Überzahl befindlichen Orks ihre Widersacher außer Reichweite von Elainas Bogen, wodurch sie sich einen Vorteil schafften. Nach und nach wurde die Verteidiger des Waldes bezwungen und auch Elainas Vorstoß - nun zu Fuß und mit Säbel und Schild – konnte daran nichts ändern. Sie war fast schon in Reichweite, als sie erkannte, dass der Kampf verloren war. Ein einziger Waldläufer, der Anführer offenbar, erwehrte sich den fünf verbliebenen Orkkriegern. 
 
Elaina sprintete so schnell ihre Beine sie tragen konnten und fürchtete dem Moment entgegen, wo er dieser Übermacht erlag. Sie war nun an den ersten Ork herangerückt, wich seinem Angriff mit einer Rolle aus und versetzte ihm einen sauberen Schnitt an die Verse. Der Ork, überrumpelt offenbar, sackte zusammen – sie hatte seine Achillesferse sauber durchschnitten. Dann wurde ihm der Todesstoß versetzt. Damit war das Überraschungsmoment ausgereizt, mit dem sie sich in den Kampf eingemischt hatte. Ein weiterer Orkkrieger umschlich sie bereits und suchte nach einer geeigneten Möglichkeit ihre Abwehr zu durchbrechen.
 
Aus den Augenwinkeln wurde Elaina von dem verbliebenen Kämpfer mit dem Falkenumhang aufmerksam. Sie hatte es aus der Entfernung nicht erkannt, was aus näherer Distanz ganz offensichtlich war: er vibrierte scheinbar. Durch die Vibration war die Wahrnehmung nicht nur für Elaina, sondern auch für seine Widersacher erschwert. Obwohl nur wenige Zentimeter, waren seine Bewegungen nur schwierig zu deuten, wodurch er einen Vorteil gegenüber seinen Widersachern erhielt. Ein grunzender Orkkrieger verlor als erstes die Geduld und fiel auf eine Finte rein, die der Waldläufer machte. In einem übereilten Ausfall wuchtete er die schwere Orkaxt daneben in einen Baumstumpf und schnaufte verdutzt, als er seinen Fehler erkannte. Ihm blieb jedoch nicht mehr viel Zeit sich in Bedauern zu suhlen, da der filigrane Kryss des Kämpfers bereits seinen Kopf durchbohrte. 
 
Elaina war perplex ob seines Erscheinungsbildes und hätte beinahe vor Staunen den Angriff ihres Widersachers verpasst. Erst im letzten Moment hatte sie ihren Schild hochgerissen und den Schlag ächzend abgelenkt, wodurch ihr der Schild entrissen wurde. Ihr Mitstreiter registrierte die Notlage auffallend schnell und sorgte mit einem Vorstoß für eine kurze Ablenkung des Orks, der bereits zu einem finalen Schlag ausgeholt hatte. Er erledigte den Ork und erstmals konnte Elaina seine Augen sehen, die durch die Vibration millionenfach auf sie herabblickten. "Aufst…" brachte er hektisch hervor, doch die Stimme erstickte. Ein Orksäbel ragte aus seiner Seite und hatte eine klaffende Wunde verursacht. Wütend fuhr der Kämpfer herum, erledigte den Angreifer voller Zorn und stürmte auf einen zweiten Ork zu, der kurz darauf ebenfalls erledigt war. Elaina begriff, dass der Kämpfer ohne Rücksicht auf seine Deckung agierte. Dann sah sie das Blut, dass heftig aus der Wunde austrat. 
 
In einer fließenden Bewegung sprang sie auf die Beine zurück und schaltete sich in den Kampf ein. Links, rechts, Finte, Ausfall - links, rechts, Finte, Rückwärtssalto, Ausfall! Ha! Der Ork hielt sich den Hals und ließ den Säbel fallen, doch es war aussichtslos, denn seine Blutung war nicht zu stoppen. Er sackte zunächst auf die Knie, dann tot zusammen.
 
Der Kämpfer kauerte an einem gefällten und bereits entasteten Baum und zog die Kapuze vom Kopf. Prompt erlosch der Effekt, den Elaina fälschlicherweise als Vibration wahrgenommen hatte. Sie blickte in das schmerzverzehrte Gesicht eines Mannes, der seine besten Jahre wohl schon hinter sich hatte. Die junge Frau konnte nicht glauben, dass dieser Mann sich noch derartig bewegt hatte, wie er es getan hatte. Sie eilte zu ihm herüber und drückte ihre Hände auf die Wunde. du „Hast‘ dir reichlich Zeit gelassen, Mädchen… ", stöhnte er ohne Vorwurf in der Stimme, wobei er sie gequält anlächelte. Während er das sagte, legte er seine Hand auf die ihre und schüttelte den Kopf. "Zu spät... ", er spuckte etwas Blut, "… habe es gleich gespürt. Das war's.". Elaina überkamen Schuldgefühle und sie begann zu zittern, doch der Mann registrierte es. "Beruhige dich, dich trifft keine Schuld. Der alte Regan wird für eine gute Sache sterben - ich trauere nur um die Nachtfalken." "Nacht..?", Elaina stockte und blickte sich um. Überall zwischen den Orkkadavern lagen erschlagene Kämpfer, die das Symbol des Falken auf ihren Umhängen trugen. Elaina nickt verstehend und ehe sie sich versah, bemerkte sie die Kapuze in ihrer Hand, die jedoch plötzlich wirkte, als wäre sie ein profaner Gegenstand. Elaina kümmerte es in diesem Moment nicht. Regan sah sie ernst an. "Sie ist mein Vermächtnis und soll dich an etwas erinnern. Betrachte es als deine Aufgabe ihr frische Magie einzuhauchen – such die Waldelfen, du kannst ihnen vertrauen! Sie werden dir helfen können.". Elainas Blick wechselte zwischen Regan und der Kapuze hin und her. "Vermächtnis?", hakte sie verdattert nach. "Du bist ein Kind des Waldes - es steht dir ins Gesicht geschrieben. Du darfst nie wieder zögern, wenn der Wald in Gefahr ist das Opfer von Gier und Ausbeutung zu werden. Ich war auch mal wie du - wir sind vom selben Schlag. Zögere nicht und ehre mein Geschenk.", Regan hustete angestrengt und schloss die Augen. Elaina nahm an, er müsse weitere Kraft sammeln, um weiter zu ihr zu sprechen, doch sie irrte sich erneut. Regan war soeben neben ihr gestorben. 
 
Am Ende des Tages war Elaina körperlich und mental erschöpft, nachdem sie den letzten Menschen am Fuße eines Baumes begraben und die Orkleichen verbrannt hatte. Die Räuber waren gestoppt und der Wald würde sich erholen. Die Nachtfalken waren für eine Sache gestorben - einer Sache, derer sich Elaina fortan von ganzem Herzen verschreiben sollte. Sie hatte es Regan im Stillen versprochen. 
 
Antworten