Der Weg zurück auf den richtigen Pfad

Rollenspielforum für Geschichten.
Antworten
Codo
Beiträge: 19
Registriert: 17 Dez 2020, 22:59
Has thanked: 6 times
Been thanked: 1 time

Der Weg zurück auf den richtigen Pfad

Beitrag von Codo »

Er öffnete seine Augen und konnte schummrig einen blauen Himmel mit vereinzelten grauen Wolkenfetzen erkennen, die langsam davonzukriechen schienen. Sein Schädel dröhnte und es fühlte sich an, als hätte er seit Tagen nichts Flüssiges mehr zu sich genommen. Er blickte sich weiter um und erkannte, dass er sich augenscheinlich in einer Gasse befand, er lehnte an einer Holzwand. Neben ihm stand verschiedenster Unrat herum und nahm ihm die Sicht auf das weitere Umfeld. "Wo verdammt nochmal bin ich..." murmelte er vor sich her, bis ihm schließlich auffiel, dass seine Nerven ihn auf einen stechenden Schmerz aufmerksam machen wollten, welcher seinen Ursprung in der Gegend seines linken Handgelenks hatte.

Behäbig schaute er zum betreffenden Körperteil und stellte mit Verdruss fest, dass er blutete. Er hob den Arm ein wenig an und betrachtete einen seichten Strom von Blut, welcher wie Honig seinen Arm herab tropfte. Er schaute zu Boden und konnte dort eine zerbrochene Flasche sehen. "Ai..meine Flasche. Ich muss sie im Schlaf zerstört haben. Der schöne Geist in ihrem Inneren..." - dieser hatte den umliegenden Boden seicht befeuchtet und versickerte nun gänzlich.
Der Mann, der nicht mehr jung, aber auch nicht wirklich alt war, fischte ein sauberes Tuch aus seinem Mantel und verband sich seine Wunde. Einige Dinge verlernte man scheinbar nie, auch wenn der Verstand einem jahrelangen Trinkgelage ausgesetzt ist. "Hehe." kam es fast stolz aus seiner Kehle, als er sein Werk betrachtete.

Wo er nun diese Baustelle erfolgreich bearbeitet hatte, fiel ihm wieder der stechende Schmerz in seinem Kopf ein. Was für ein bescheidener Morgen! Alles schien mal wieder gegen ihn zu laufen. Er versuchte sich taumelnd zu erheben, musste dabei jedoch zwei Mal innehalten, um nicht die Balance zu verlieren. Zweifelsohne befand er sich in einer der schäbigsten Seitengassen dieser Hafenstadt, deren Namen er nichtmal kannte. Er musste sein Gasthaus finden, unbedingt. Er wankte in Richtung der nächstgrößeren Straße.

Als er auf sie trat, schien ihm die Sonne mitten ins Gesicht und er schaute verägert drein, als hätte der rote Stern ihn damit persönlich beleidigt. Alsdann hörte er eine Kinderstimme, die da sagte "Guck mal Mutti, ein Bedürftiger!", der Bengel zeigte direkt auf ihn. Zorn stieg in ihm empor und die Frau, welche offensichtlich die Mutter war, zog ihren Sohn eiligst fort und würdigte ihm keines Blickes.
"Ich sollte sie beide umbringen..." grantelte er vor sich her und entschied sich, lieber in die entgegen gesetzte Richtung davon zu gehen.

Gefühlt einige Stunden später kam er an seinem Gasthaus an. Zum Glück war der Schankraum nahezu leer und er konnte unbehelligt in sein Zimmer gehen. Zumindest dachte er dies, bis der Gastwirt ihn an der Treppe abfing und ihn auf die fällige Zahlung seiner Rechnung aufmerksam machte. Er versicherte eifrig, die Zahlung noch heute zu tätigen.

In seinem Zimmer angekommen, ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen. Ein formvollendetes Chaos. Überall lagen seine Habseligkeiten herum, lose Kleidung, Waffen und jede Menge Münzen. Er konnte es sich selbst nicht erklären, wie er nun jahrelang nur saufen konnte und trotzdem nicht arm war. Er musste ein wohlhabender Mann gewesen sein.  Er kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf und entschied sich nach reichlicher Überlegung, sich in sein Bett zu legen. Sicher ist Sicher.
Er schlief einige Stunden, dabei träumte er von dem Jungen, der ihn als Bedürftigen bezeichnete. Er sah sich selbst mit den Augen des Jungen. Zunächst wusste er nicht was ihn so schockierte, aber im Verlaufe seiner Träumerei wurde es immer klarer. Er wehrte sich, aber die Erkenntnis kroch weiter hoch und schließlich schrie er es aus sich hinaus "Ich bin ein Bedürftiger!" - zumindest ein geistiger.

Er wachte auf und hoffte inständig, dass ihn niemand gehört hatte. Der Wirt wusste um seine wirtschaftliche Situation, er sollte ihn nicht für einen Verwirrten halten. Dennoch schmerzte ihm sein Traum in der Brust. Einst war er ein stolzer Mann mit Prinzipien gewesen und nun war er...nunja, ein Mann. Das immerhin. Und er konnte jede Menge Fusel trinken, egal ob billig oder vornehm. Er wischte den Gedanken beiseite. Gibt es einen anderen Weg? Gibt es einen besseren Pfad? Das Wort zuckte durch sein Gehirn wie ein Blitz, welcher Ewigkeiten darauf wartete entladen zu werden. Emotionen stiegen in ihm hoch, welche er nichtmal benennen konnte. Wut, Zorn, Freude, Euphorie. Alles gleichzeitig und alles durcheinander gewirbelt. Wie konnte er den Pfad verlassen? Konnte jemand wie er versuchen, ihn erneut zu beschreiten? "Verzeiht mir, ich habe euch allesamt verraten..." er wusste nicht, ob er die Worte aussprach oder sie lediglich dachte. Tränen liefen über seine Wangen. Könnte alles nochmals anders werden? Hatte er die Kraft, neu anzufangen? Er wagte es nicht, diese Fragen zu beantworten. Doch er begann, sein Zimmer aufzuräumen. Er legte einige Waffen und das meiste seiner Kleidung jeweils auf einen Haufen, daneben stellte er einen Sack mit Münzen. 

Nachdem er sich, zumindest äußerlich, ein wenig beruhigt hatte. Ging er zum Wirt und fragte ihn, ob er ihn in sein Zimmer begleiten würde. Der Wirt begutachtete ihn äußerst argwöhnisch, kam ihm dann jedoch hinterher gestapft. Oben angekommen deutete er auf seine geordneten Sachen und den Sack. "Ich biete euch dies als Bezahlung für das Zimmer an. Ich werde heute abreisen." Der Wirt schaute ihn verdutzt an "Ihr seid ein jahrelanger, guter Kunde...ihr müsst nicht. Das sind doch fast eure ganzen Sachen!"
"Ich brauche sie nicht mehr. Vielleicht könnt ihr damit etwas besseres anfangen. Ansonsten verschenkt sie an Bedürftige." Er klopfte dem Wirt auf die Schulter und verließ sein Gasthaus für immer. 

Er ging Richtung Hafen. "Was mache ich..." er wischte Fragen beiseite und ging weiter. Im Hafen angekommen, fragte er in der Hafenmeisterei nach dem nächsten Schiff nach Ansilon. Der Hafenmeister schaute ihn zunächst verwirrt an und grummelte "Da könnt ihr lange warten...das ist doch unfassbar weit weg", fing jedoch an, in einem dicken Buch zu blättern. "Wird euch ganz schön was kosten..." - er blätterte weiter. Als er einige Minuten geblättert hatte, schlug er alle Seiten zurück und sagte: "Da habt ihr es. Kein Schiff nach Ansilon.... Ah. Moment. Hier!" er deutete auf die aufgeschlagene Seite. "Die alte Trostlos macht sich heute Nacht auf den Weg. Das ist ein skurriler Zufall."

"Skuriller Zufall. Das ganze Leben ist ein skurriler Zufall. Ich zahle sofort." 
 
Der Hafenmeister nahm die Bezahlung entgegen und händigte ihm ein Schreiben aus, welches ihn zur Mitfahrt legitimierte.
Er wartete viele Stunden am Pier und schaute auf das Meer hinaus. Würde er Menschen wiedersehen, die er kannte? Wie würden sie reagieren? Würde man ihn überhaupt erkennen?

Er kannte keinerlei Antworten, er wusste nur eines: Codo war auf dem Weg zurück.
 
Zuletzt geändert von Codo am 19 Feb 2021, 13:46, insgesamt 1-mal geändert.
Codo
Beiträge: 19
Registriert: 17 Dez 2020, 22:59
Has thanked: 6 times
Been thanked: 1 time

Re: Der Weg zurück auf den richtigen Pfad

Beitrag von Codo »

Präzision und Zorn

Einige Wochen waren verstrichen, seit er seine Füße wieder auf diesen Landstrich gesetzt hatte. Es waren stürmische Wochen gewesen, die ihm viel abverlangt hatten. Der scheinbar ewigwährende Durst geriet nach und nach in den Hintergrund, aber er konnte ihn immer noch spüren. Tief in seinem Inneren schrie irgendetwas weiterhin nach dem Nervengift, welches sich die Menschen um ihn herum in Unmengen in sich hinein schütteten. Er hingegen konnte spüren, wie sein Körper langsam aufatmete und sich von einem Martyrium erholte, dessen er sich selbst ausgesetzt hatte. Bei der Rückkehr zur alten Verfassung half ihm ebenfalls das beständige Üben mit Pfeil und Bogen. Sowohl sein Körper als auch sein Geist profitierten hiervon immens. Seine Muskeln kehrten zurück und sein Geist wurde mit jedem einzelnen Schuss geschliffen, hin zu einem schieren Machwerk der Präzision. Dieses Konstrukt, verbunden mit den Muskelns seines Körpers, verfehlte selten sein Ziel.

Er hatte einige seiner alten Gefährten getroffen und sie hatten ihn aufgenommen, als wäre er nie hinfort gewesen. Obschon sie gemerkt haben mussten, dass seine Reise etwas mit ihm gemacht hatte, zeigten sie keine Zweifel an ihm oder seiner Integrität. Dieses Gefühl eines funktionierenden Rückhalts hatte ihm viel Kraft gegeben und doch hatte sich auch in dieser Hinsicht vieles verändert. Das Wappen des Equilibriums, welches viele Tage seines Lebens an seiner Brust zu sehen war, würde kein Mensch mehr zu Gesicht bekommen – an niemanden.

Seine Gedanken schweiften hinfort von seiner Vergangenheit und seinen Gefährten und er betrachtete die vergangenen Stunden nochmals, ging ganze Sätze durch, die gesprochen worden waren, und dann betrachtete er sich selbst und sein Gegenüber in der Taverne, als wäre er lediglich ein unsichtbarer Zuschauer. Sein Blick gefror dabei und etwas stieg in ihm empor, was er lange nicht gespürt hatte. Er tastete vorsichtig danach und schlussendlich wurde ihm klar: es war Zorn. Er schüttelte sachte den Kopf und fragte sich, weshalb gerade diese Emotion hervorgerufen wurde. Niemand konnte etwas dafür und niemand hatte ihm etwas angetan. Er wusste dies, fern von jedem Zweifel und trotzdem konnte er es nicht gänzlich unterdrücken.

Er versuchte das Gefühl hinunterzuschlucken, was ihm misslang. Ähnlich wie der ewigwährende Durst konnte er es tief in seinem Inneren brodeln hören. Als wäre eine uralte Energiequelle tief in einem Berg erweckt worden, die sich nicht mehr lange bändigen ließ.
Codo machte einige Schritte vom Fenster weg und öffnete eine Truhe, aus welcher er eine gläserne Flasche hervorhob und sich vor sein Gesicht hielt. Ein reiner und klarer Schnaps befand sich in dieser Flasche, seine letzte Reserve, für die schlechtesten Zeiten. Ein einziger Schluck und seine Katharsis wäre vollbracht, all die Emotionen und Probleme hinfort.

Codo verzog nur kurz das Gesicht und schleuderte die Flasche mit voller Wucht gegen die Wand des Raumes, wo sie klirrend zersprang und ihren Inhalt an der Wand verteilte. Der Geruch nach gebranntem Obst breitete sich kurz im Raum aus und ihm wurde sofort schlecht, er taumelte und musste sich an einer Stuhllehne festhalten. So schnell wie der Schwindel und die Übelkeit gekommen waren, verschwanden sie jedoch auch wieder.

 "Heute gibt es keine Reinigung, nicht für mich - nicht auf diese Weise."

Er setzte sich auf den Stuhl und atmete erneut tief durch. Er rief sich das Bild seines Gegenübers nochmals vor Augen - ohne irgendeinen Gedanken dabei - und dieses Mal hatte es eine beruhigende Wirkung, nachhaltiger und intensiver, als es jeder Schluck Alkohol hätte bringen können.

Codo hatte seit seiner Rückkehr viele Schritte in die richtige Richtung gemacht. Zuletzt hatte er diese Flasche und mit ihr die Vorstellung einer Rettung durch Gift zersprengt. Jeder weitere Schritt wird genauso schwierig werden wie dieser letzte.
 
Umwege zum Ziel

Die Vorstellung, dass solcherlei Geschehnisse seine Welt ins Wanken bringen konnten, ernüchterte ihn in der darauffolgenden Nacht in einer Weise, die er sich zuvor nicht hätte vorstellen können. Der Stolz, den ewigwährenden Durst für den Moment erneut besiegt zu haben, war nahezu nichts wert, als er daran dachte, wie aufgewühlt sein Geist war und immer noch ist. Würde er sich weiterhin mit solch weltlichen Dingen beschäftigen und sie seinen Geist beeinflussen lassen, würde er den Pfad des Ausgleichs niemals beschreiten können. Allein, er konnte sich dessen nicht erwehren. Wie er zu Mor`dan und Teana einst am Lagerfeuer in Nordhain sagte...letztendlich ist er ein einfacher Mann.

Doch die Worte des Sarlaths, die darauf folgten, gerieten bei ihm ebenfalls nicht in Vergessenheit. Sich seiner Schwächen und Mängel bewusst zu sein, kann auch ein erster Schritt in die richtige Richtung sein. Allzu viele Menschen haben lange aufgehört, sich selbst zu hinterfragen und bleiben Gefangene ihrer eigenen Illusion ihrer selbst. Das Dasein einer Seele hält mehr bereit als das Streben nach Macht und Reichtum – vergängliche Einheiten, die willkürlich festgelegt wurden, um einem Leben Bedeutung zuzumessen.

 “Narren sind jene, die danach streben!”

Codo ging selbstverständlich davon aus, dass der Sarlath Recht hatte und als er diesem Gedanken folgte, so fand seine Seele für einige Sekunden Ruhe. Sein Geist war nicht verloren, nur weil er einige Umwege nahm. Vielleicht, so dachte Codo insgeheim, würde ihn irgendwann einer dieser Umwege letztendlich zum Ziel führen.
  
Antworten