Es war schon eine ganze Weile her, seit Mirja den Rostanker mal betrat, ohne dabei lediglich auf das Kopfgeld aus zu sein. Entweder fehlte die Zeit oder sie war... wie auch heute... für den Orden unterwegs. Es war doch echt ein Kreuz. Nun ja, aber der Vorteil einer Tavernenbesitzerin war, dass sie in ihrer freien Zeit so viel trinken konnte wie sie wollte. Ah, genau... fehlte ja nur die freie Zeit. Irgendwo zwischen Kindern, Ehemann, dem Orden und der Taverne. Irgendwas war halt immer.
Und heute... naja. Der ein oder andere Kurze zu Ehren der Krone und für die Aufgabe - na, wenn das doch mal kein Opfer für die Sache war!
Das Ziel war klar: Eine Mannschaft für die Echidna finden. Und dazu wollte sie zuerst die Seeleute aufspüren, die in Ansilon keine Arbeit fanden und deshalb nach Rostanker gezogen waren, nachdem der Hafen Silberburgs verloren ging. Das war in der Tat weniger leicht, als gedacht. Einige von Ihnen standen bereits wieder in Brot und Lohn und befanden sich auf einer Überfahrt. Von nichts, kommt eben nichts. Andere warteten noch auf Anstellung oder kehrten gerade von der ersten Reise zurück. Und genau die waren erst einmal ihr Ziel.
"Ahoi, Unteroffizier! Watt suchst du denn hier?", raunzte sie tatsächlich einer der Seemänner an, den Mirja noch aus ihrer Zeit des aktiven Dienstes im Hafen kannte. Der alte Seebär war auch ein guter Freund von Dabhar Graubart, Mirjas alten Kameraden. Ein Wunder, dass der Alte sich nicht auch hier irgendwo herum trieb... na, wer wusste das schon? "Hej, Ronnar. Na, tatsächlich such ich genau dich.", Mirja hielt wenig davon, lange um den heißen Brei herum zu reden. Das hier waren einfache Leute, die scherten sich einen Dreck um Diplomatie. "Wie wär's erst mal mit einem Kurzen und dann erzählst du mir, wie es dir so ergangen ist. Hast du schon irgendwo angeheuert?"
Nachdem sie sich auf einen der abgewetzten Hocker gepflanzt hatte, winkte sie Jack hinter dem Tresen mit ein paar Münzen in der Hand zu. Und prompt - eins, zwei, drei - zauberte der Bargauner zwei trübe Gläschen auf den Tisch, randvoll mit einer ähnlich trüben Flüssigkeit, die schon von weitem allein mit ihrem Geruch die Schleimhäute wegätzte. Jawohl, das hier war der Rostanker. Nicht der verzärtelte silberne Krug. Selbst ihr eigener gebrannter Schnaps war noch der reinste Kindergarten. Puh...
Mirja ächzte, als das Zeug ihr die Luft raubte. Es war wirklich schon zu lange her... "Heiliger Strohsack...", sie hustete etwas. Ronnars Lachen war dröhnend: "Na, nix mehr gewöhnt, Frau Unteroffizier?", höhnte er gutmütig, ehe er zu erzählen begann.
Wie die meisten, hatte Ronnar gehofft, dass der Hafen gerettet wurde, doch als klar wurde, dass das nichts mehr wurde, war er auch einer der ersten, der sich neu orientiert hatte. Mit Ansilon hatte er sein Glück versucht, aber der Hafen dort war zu klein... zu... naja, Silberburg war nun mal nicht ohne Grund der größere Hafen von beiden Städten gewesen. Also blieb ihm nur der Rostanker. Und der Ort hatte sich ja doch ein wenig gemausert, vor allem seitdem die Greifen da waren. Tatsächlich hatte er seine letzte Überfahrt eben genau für diese Gilde absolviert. Am Ende wollte er sich dann doch nicht so weit sinken lassen und bei Piraten oder anderen Zwielichtigen Gestalten anzuheuern. Warenlieferungen und derlei für die Greifen... das war einfach und man hatte Schutz. Aber da es nun so viele Seeleute gab und die Greifen nicht jede Woche ausliefen, war eben nicht immer genug Arbeit da.
"Mhm. Verstehe. Du willst also ehrbar bleiben. Was hältst du denn von einer Anstellung unter der Flagge der Krone?" Ronnar hob die Augenbrauen. „Der Krone, hm? Weiß‘ nich‘. Habter denn ein Schiff?“ „Natürlich, du hast doch sicher schon von der Echidna gehört? Das Schiff seiner Majestät, womit einst die Bewohner Britains übergesiedelt waren. Unter anderem der König und die heutige Truchsess selbst.“ „Aye… aye, stimmt… Mein Vater hat mir davon erzählt… war noch dabei, weißt du? Verrückte Sache du…“, nuschelte Ronnar nachdenklich. „Naja… und was habter nun vor?“ „Die Echidna muss repariert werden… sie soll wieder flott gemacht werden für den Ernstfall. Sie lag schon viel zu lange dort an der Küste. Sie soll in Kürze ins Binnenmeer verschifft werden.“ „Puh, ins Binnenmeer? Un‘ die Brücke?“ „Tja…“, Mirja hob die Schultern. „Darum hat sich die Truchsess sehr eindrucksvoll gekümmert. Kannst es dir ja ruhig ansehen. Wenn du mit der Echidna die Drachenbucht hoch segelst.“ Ronnar verengte die Augen. „Du bist dir ganz schön sicher, dass ich dein Angebot annehme.“ Mirja wackelte mit den Augenbrauen. „Klar. Erstens… schuldest du mir noch etwas, für den Tag, als ich dir diese zwei Diebe vom Hals hielt… zweitens kann ich dir regelmäßigen Sold, Unterkunft für dich und deine Familie in Silberburg sowie eine wunderschöne Uniform anbieten. Und das hier…“, sie schob eine Hand unter den Mantel, wo gut verborgen und zum Glück auch wirklich unbemerkt ein Goldbeutel festgeknüpft war. „Ist nur die Anzahlung des ersten Solds. Wenn du zustimmst.“, sie schob den Beutel in seine Richtung, hielt jedoch die Hand darauf und sah dem Seemann ruhig in die Augen.
Nachdenklich kaute Ronnar auf einem Stück Kautabak herum. „Regelmäßig, Aye?“ „Aye… und zwar immer, auch wenn ihr nicht auslauft sondern nur am Landesteg ankert.“ Seine Augenbrauen zuckten kurz in die Höhe. „Hrmm… und wer ist sonst noch dabei?“ „Tja… du kannst dir deine Mannschaft zusammenstellen, wie es dir beliebt.“ „Hrmm... Ich wäre also… Kapitän? Ich hab noch nich’mal nen Patent…“ „Daran können wir arbeiten. Und bis dahin findet sich vielleicht jemand leihweise. Kannst du denn wen empfehlen?“ Ronnar wog den Kopf. „Der Kapitän, mit dem ich zuletzt gesegelt bin. Einer von den Greifen. Ordentlicher Kerl, weiß was er tut. Weiß nich‘, vielleicht könnte man den ausleihen oder so?“, die Hand des Seemanns glitt langsam auf den Goldbeutel zu, den Mirja noch immer festhielt. „Du bist also dabei?“ Dreimal schnaufte der Seemann tief durch und kippte einen weiteren Kurzen, der zwischenzeitlich auf die Theke gewandert war. Nachdenklich starrte er auf den Boden des leeren Glases, dann wandte er sich wieder an Mirja:
„Aye! Ich werde unter der Flagge der Krone segeln. Für Silberburg. Für meine Familie.“
Er nickte ernst.
„Für Silberburg. Für die Krone. Ich bin froh über deine Entscheidung. Willkommen in der Königlichen Marine, Erster Marineoffizier Ronnar Segelflicker.“, Mirja klopfte ihm auf die Schulter und deutete einen Salut an. „Lass uns darauf noch einen Trinken! Und dann suchen wir dir einen Kapitän.“ Erneut schob sie Jack einige Münzen zu und bereute kurz darauf ein weiteres Mal ihre Nachlässigkeit was die Genauigkeit der Getränkebestellung anging… Zum Henker… das Zeug räumte echt auf.
Einige Zeit später betrat Mirja alleine das Quartier der Greifen und begab sich auf die Suche nach Ingvar Erikson. Ronnar war losgezogen, um seine Mannschaft zusammen zu suchen, die Alten Gesichter, mit denen er einst schon gerne gesegelt war. Nun galt es herauszufinden, was wohl ein geliehener Kapitän kosten würde.
„Grüße Euch, Ingvar, Sohn des Eriks.“, sprach Mirja den Mann förmlich an, nachdem auch der letzte Abenteurer endlich von ihm sein Kopfgeld abholte. Ingvar grunzte und sah sie überrascht an. Natürlich kannten sie sich, war Ingvar doch in Nordhain aufgewachsen. „Mirja… warum bist du so förmlich?“, er kniff sofort misstrauisch die Augen zusammen. Sie grinste. „Weil ich heute im offiziellen Auftrag des Ordens der königlichen Ritterschaft hier bin, Ingvar.“, sie tippte dabei kurz auf das Emblem, welches sie als Beraterin der Ritterschaft und Unteroffizier a.D. auswies. „So so…“, er sah sie abwartend an. „Wir benötigen einen fähigen Kapitän, welcher ganz oder zumindest vorrübergehend in den Dienst der Krone eintritt.“ „Und den suchst du bei mir?“ „Naja, im speziellen bei der Gilde der Schwarzen Greifen. Welche du vertrittst.“ Ingvar schnaufte. „Aye, die vertrete ich, aber ich verwalte nur die Kopfgelder… alles andere liegt nicht wirklich in meiner Hand. Die Kapitäne unterstehen Kommandant Schwarzfels.“ „Ist es möglich ihn zu sprechen?“ Ingvar hob die Schultern. „Ich kann ihm ausrichten, dass du eine Audienz wünschst.“, erwiderte er hochgestochen und grinsend. „Im Ernst… im Augenblick befindet er sich nicht im Rostanker, aber es lässt sich sicher arrangieren, dass du einen Termin bekommst, wenn er in ein paar Tagen vorbei kommt.“ „Na, das klingt doch gut. Wo ich wohne, weißt du ja hoffentlich noch. Dein Vater ist sich nämlich nicht so sicher, dass du noch den Weg nach Nordhain kennst!“
„Au! Das war gemein, garstiges Weib.“, er grinste, doch nickte er dann wieder ernst. „Du hast mein Wort.“, Mirja schlug in Ingvars dargereichte Hand ein. „So… und welche Kopfgelder gibt’s nun zur Zeit?“, fragte sie ihn augenzwinkernd zum Abschluss.
Nur wenige Tage später erhielt sie tatsächlich eine sehr höchst offizielle Nachricht mit einer Einladung zum Quartier der Greifen im Rostanker. Kommandant Schwarzfels sei bereit mit ihr zu sprechen. Na… da war Mirja nun gespannt, wer das war.
Die Überraschung war wirklich groß. Mirja hatte Fenria in der Zwischenzeit von ihrem Erfolg berichtet und sie gebeten, bei dem Gespräch dabei zu sein. Natürlich traute Mirja sich das nach all den Jahren alleine zu. Doch wenn ein „Kommandant“ mit einem sprach… nun ja. Es war manchmal eben klüger jemanden dabei zu haben, der definitiv noch ein paar Ränge mehr inne hatte, als der Gesprächspartner selbst.
Was aber dann die Taverne des Rostankers betrat… naja… oder sich viel mehr seitlich durch die schmale Türöffnung quetschte, war ein… Troll!
Im ersten Moment dachte sie, Rorek wäre vorbeigekommen, auf der Suche nach Kopfgeld und wollte auf dem Weg noch einen Schnaps mitnehmen. Aber schön wärs… das war definitiv nicht der Schreiner-Trollmagier: Roreks verwandelte Gestalt trug eingebrannte, rote Runen auf dem Körper. Dieser Troll da – welcher echt ein massiger Vertreter seiner Rasse war – hatte schwarze Haut, die wirklich an Fels erinnerte. Na, hoffentlich trug er den Namen wirklich nur aufgrund seines Aussehens…
Das Gespräch verlief überraschend… ruhig. Und kultiviert. Die Ausdrucksweise des Trolls war deutlich besser, als die so manchen Orkes und kaum schlechter, als dieser Säufer vom Vorabend im Silbernen Krug. Wenn man sich konzentrierte, konnte man Schwarzfels folgen und seine Verhandlungsbasis war überraschend… vernünftig. Er würde der Krone einen seiner besten Kapitäne stellen, um die Echidna sicher ins Binnenmeer zu schiffen und einen Kapitän für die Krone auszubilden. Dafür verlangte er einmalig zweihunderttausend Goldstücke und drei Kanonen. Puh… Mirja hatte mit einigem gerechnet, aber Kanonen? Sie waren gehütete Augäpfel, denn ihre Herstellung war aufwändig und eine wirkliche Produktion davon gab es nicht. Die meisten der Kanonen in Silberburg und auf der Echidna waren noch Relikte aus der alten Welt, die mit verschifft wurden. Es gab höchstens im Hafen noch Kanonen… aber war es das wert, sich dieser Gefahr auszusetzen?
Noch während Mirja für sich das Ganze abwog, hatte Fenria die Verhandlung – ganz die Truchsess eben – übernommen. Nun, der Troll war überraschend einsichtig und vernünftig. Schließlich hatte man sich geeinigt und man konnte anstoßen.
In einigen Tagen würde Kapitän Knurrhahn zur Echidna stoßen und das Schiff der Krone sicher an ihren neuen Ankerplatz bringen…