Pfotenspuren im Sand

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Minerva|Kathleen
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Pfotenspuren im Sand

Beitrag von Minerva|Kathleen »

[Minerva]
Die Äste um sie bogen sich, die Blätter spielten eine leise raschelnde Melodie. Der Blick war verworren, in die Ferne gerichtet. Der Leib rührte sich keinen Deut. Sie war daran zu regenerieren. Jeder Phase ihres Körpers arbeitete. Ihr zerschlagenes Gesicht gab eine Facette an farbigen Möglichkeiten preis: Blau, Violette, Grün, Gelb, Rot. Das Blut rann ihre Schläfe hinab. Am Gitter stand hämisch grinsend eine schlanke Gestalt. Der Geruch widerte sie an. Wo sie früher in Rage geriet, ihren Wolf nicht kontrollieren konnte, ist es nun ein Schauer des Ekels, der sie überkam: Tod. Die spitzen Zähne blitzten, gaben ein Gegenspiel zu dem Grün, das Leben, des Waldes um sie. „Und, bereust du es schon?“ Eine Speerspitze wurde hineingeführt und gegen ihre Seite getrieben. Sie jaulte auf als die Spitze sich in ihren Leib schob. Langsam, quälend langsam. „Na komm… regeneriere.“ Der Speer zuckte zurück. Ein abfälliges Spucken auf die Gefangene, dann drehte sich die Gestalt ab: „Sie will nicht, ich glaube du hast sie kaputt gemacht.“ Klangen die Worte, als die Gestalt die Haustür öffnete. Es war ein Jägerhäuschen, eigentlich machte es ein gemütliches Bild. Nur war der Jäger schon längst tot.

 
Bild
Als sie auf ihrer langen Wanderschaft hier vorbeikam, roch sie das Blut und je näher sie kam, nahm sie den Tod war. Der Leichnam des Hausbewohners lag wenige Schritte von seiner Hütte entfernt. Das Gesicht vor Schrecken aufgerissen – genauso wie sein Hals. Sie rechnete mit einer Person, war unachtsam. Doch Reue war Fehl am Platz, als der Vampirgatte seine Frau beschützte und sich gegen sie warf. Es entbrannte ein Kampf. Sie konnte die Frau schwer verletzen, kriechend zog sie sich über den Boden. Doch der Mann beschäftigte Minerva, forderte ihre ganze Kraft. Am Ende lag sie blutüberströmt am Boden. Er schliff sie an den Pranken durch den Dreck und warf sie in einen Käfig. Das Gatter ging schwer hinter ihr zu. Warum sie Minerva nicht umbrachten verstand sie nach ein paar Tagen. Sie hatten Freude daran, ihr beim Regenerieren zuzusehen, sie leiden zu sehen. Sie sperrten sie ein: „Wie ein Tier, das du auch bist.“, sagten er dazu. Ja, sie war vielleicht ein Tier. Aber sie war ein Lebewesen. Ihr Herz schlug. Sie schmeckte essen. Sie brauchte Luft. Die Zeit in denen sie das als Beleidigung ansah war vorüber.
 
Die Nacht war an ihrem Höhepunkt. Ihre Augen sahen zum Mond hinauf, er wurde stärker. Ihre Peiniger wussten bestimmt um die Wandlung zu Vollmond. Sie würden sie vermutlich zuvor töten. Minerva spürte und hörte, wie ein Knochen wieder zurücksprang. Der Armbruch war am Heilen. Die rechte Hand griff empor und sie zog sich an den Gitterstäben hoch. Sie hatten sie natürlich nicht gefüttert, hielten sie bewusst schwach. Ihre Hand umgriff den Stab und befühlte das Schloss. Es war mit einem Schlüssel versehen, kein Riegel. Und der Schlüssel hing natürlich um dem Hals von diesem Toten. So ging es also zu Ende? Hier war ihr Weg vorbei? Er begann damals, als sie von einem Wilden attackiert wurde, blutjung war sie – dumm genug um damals dort im Wald zu sein. Auch er ließ sie damals zurück, dachte sie stirbt an den Wunden. Doch das tat sie nicht. Irrte durch den Wald. Bis sie einen Wolf traf, der ihr erklärte, was sie habe, was sie ist. Sion führte sie in seine Höhle, zeigte ihr wie sie sich zu verhalten habe. Lehrte sie nach dem alten Kodex. Dort kamen sie sich auch näher, sie fühlte sich wohl in seiner Nähe, behütet. Er war ihre Familie. Als er ging, zerbrach für sie eine Welt.
Ließ sie zurück, als wäre es nichts. Auch sie verschwand damals, wollte nicht mehr in dieser Höhle sein – ohne ihn.
 
Als sie nach Jahren wieder zurückfand, hing der Geruch von ihm im Wald, doch er war abweisender geworden, als hätte es die ferne Zeit nie gegeben. Sie musste sich eingestehen, dass diese unbekümmerte Zeit vorüber war. Somit ließ sie ihn in Ruhe, er hatte ein anderes Rudel. Sie gehörte nicht mehr dazu. Und eben in jener Zeit, begegnete ihr dieser junge Wolf. Überheblich. Stolz. Doch auch selbstsicher. In Tyladriel fand sie ihr neues zu Hause. Eine neue Zuflucht. Gemeinsam wollten sie ein eigenes Rudel gründen. Zusammen schienen sie fast unerreichbar zu sein. Und er war es, der sie wieder wegführte. Als sein Geruch nicht mehr in der Höhle war, zog sie los. Davon getrieben diesen Geruch wieder zu finden. Die Jahre zogen ins Land, während ihrer Wanderschaft vergaß sie fast, weshalb sie losgezogen war. So viele Jahre die sie nun fort war, wahrscheinlich war er eh schon tot.
Irgendwo, so wie sie bald, aufgeschlitzt und enthauptet.

Sie sank in sich zusammen. Wahrscheinlich waren sie eh alle fort. Was jagte sie hier eigentlich noch? Was suchte sie? Weshalb trieb es sie von Wäldchen zu Wäldchen. Warum suchten ihre Pfoten die Nähe zur Erde? Irgendeine Sehnsucht, ein Drang war es, den sie nicht in Worte fassen konnte. Ihre Hand befühlte das Schloss. Aber sie war noch nicht am Ende. Nein, sie musste etwas finden. Auch wenn sie nicht wusste was es war, sie musste weitersuchen. Weiterleben. Ein Wind zog auf und ließ die Blätter in den Laubbäumen um sie rascheln. Ich will leben, kam der klare Wunsch vor ihrem geistigen Auge. Ihre Hand umgriff das schwere Metall des Schlosses, als könne ihre Hand allein es zerstören: Ich will hier raus. Fasste sie den Gedanken klar. Die Hand krampfte sich fester zusammen: Ich will hier raus! Der Wind ebbte ab unter einem erneuten, nun erfüllenden und klaren Gedanken: Ich will hier raus… - zog der Wind wieder auf. Doch nichts geschah, sie hatte das Gefühl etwas fehlte. Wie waren die Worte, die sie von den Magiern immer hörte? Zu verlieren hatte sie eh nichts. Sie schloss wieder die Augen und versuchte ruhiger zu atmen. „Nex Por.“, nichts geschah. Vielleicht war es falsch. Wieder ein durchatmen. Wie hieß es noch gleich? Häufig hörte sie die Wörter der Magie, irgendwo in ihrem Kopf mussten sie doch schwirren: „Ex Por.“, sprach sie dann ruhig. Doch wieder geschah nichts. Nochmals zog der Wind auf, es war ihre letzte Möglichkeit. An fehlenden Reagenzien konnte es nicht liegen, ihr mitgeworfener Beutel beinhaltete viele Kräuter. Sie überließen ihn diesen, da nichts scharfes oder anderes darin war. Vielleicht lag ihr Misslingen auch einfach darin, dass sie keine Magierin war. Die Not ließ irrwitziges hoffen. Die Blätter raschelten laut und wieder konzentrierte sie sich: „Ex Por.“, erklang es erneut ruhig und dann klackte es verräterisch. War das nun wirklich geschehen?
 
Der kurze Moment der Verblüffung wurde beiseite gekehrt. Sie musste sich später mit dem Wie beschäftigen. Ihr Körper war schwach, sie war noch mitten in der Regeneration. Leise schob sie die Tür auf und drängte sich hinaus. Still. Langsam. Ein Schritt wurde vor den anderen gesetzt. Sie wusste um das gute Gehör von Vampiren. Doch auch, dass ihr wegtreibenden Geruch von Blut sie rausziehen wird, wenn sie weit genug fort war. Leise schritt sie bis zur Waldgrenze und als sie diesen Vorsprung hatte, hechtete sie voraus: Sehnen schnalzten, Knochen brachen, das Haar stülpte sich wie ein Fell um ihren Körper, Gesichtszüge jauchzten und auf vier Pfoten kam sie auf. Sie hörte die Tür aufschlagen als sie schon im Sprint war. „Jarik sie flieht!“, keifte die hohe Stimme. Dann wurde ihr schon nachgesetzt. Sie rannte und rannte. Über Steine und Äste hinweg, unter Bäumen und Büschen hindurch. Nah auf den Versen waren sie ihr. Als sie am Horizont Lichter wahrnahm, kämpfte sie mit sich: Sie durfte es nicht… aber sie hatte keine andere Wahl. „Wage es nicht!“, hörte sie nun ihn fauchen als er ihren Weg bemerkte. Doch sie wagte es: Sie preschte aus dem Wald heraus, über die Lichtung geradewegs auf die menschliche Siedlung zu. Als sie im Schein von Licht ankam, hörte sie die Verfolger im Gras stoppen.
 
Langsam drehte sie sich im Lichtkegel einer einzelnen Fackel herum und sah zu ihnen hinüber. Sie irrte… wie angestachelt auf und ab, als müsse sie einen Weg hineinfinden. Er blieb ruhig stehen und sah ihr grinsend entgegen. Sie waren auffälliger als sie. Sie war ein großer Wolf. Gut, ein sehr großer Wolf. Aber wenn sie hier reinkämen… würden sie auffallen. Gerade, wenn sein junges Ding, sich nicht im Griff haben konnte. Er wandelte sich, wurde zu einer menschlichen Gestalt, während seine Gattin noch immer auf und ab ging. Langsam drehte sich Minerva um, in einem Holzschuppen fand sie Unterschlupf. Sie musste noch diese Nacht abwarten, dann war sie wieder kräftig genug, um es mit ihnen aufnehmen zu können. Am nächsten Morgen linste sie zur Tür heraus, barfüßig huschte sie hinter ein Haus und zog ein Bettlaken vom nächsten Fenster. Sie hatte kein Unbehagen mehr. Waren sie fort? Hatten sie das Interesse an ihr verloren? Es blieb keine Zeit das heraus zu finden, schnell wollte sie möglichst viel Raum zwischen sich und den zweien bringen.
 
Auf dem Weg über Felder und Wiesen, hatte sie Zeit nachzudenken. Sie zog die frische Luft ein und betrachtete die Wolken. Was da passierte war ihr schnell klar geworden. Ab und an erzählte ihr bekannte Magier von ihrer Gabe. Und mit einem weiteren tiefen Atemzug der frischen Luft und dem Gefühl der Erde unter ihren Füßen war sie sich nun sicher: Das war es, was sie wegzog. Es war in ihr, wollte hinaus und sie empfang es als den Drang etwas zu finden. Nun hatte sie nicht mehr diesen Drang: Es war Zeit zurück zu kehren. Zurück in ihre Heimat.
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Minerva|Kathleen
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Re: Pfotenspuren im Sand

Beitrag von Minerva|Kathleen »

Mein Ruf in der Dunkelheit wird dich leiten

Der Wald war in ein sanftes Licht getaucht, der fast volle Mond stand am Himmelszelt. Wie üblich für diese besondere Zeit im Monat, war der Wald in eine mystische Stimmung getaucht. Das helle Licht erreichte nun auch sonst dunkle Ecken. Wie gehabt, durchstreifte sie zu dieser Zeit den dichten Wald. Abseits jeglicher Siedlung. Neugieriger Blicke, abenteuerlustiger Wanderer. Ihre großen Pfoten fanden sicher ihren Weg, in der Ferne hörte man einen entfernten Artgenossen jaulen. Shakirr stellte die Ohren auf, doch da sie nicht stehen blieb, ging er ebenso weiter. Auf einer kleinen Anhöhe bestieg sie den herbstlichen Boden, kämpfte sich durch das Geäst und kam auf felsigeren Untergrund. Jeder Schritt war eine Wohltat, sie genoss diese Zeit in vollen Zügen. Es erdete sie, machte sie wieder ruhiger. Der Wald wurde etwas lichter und dort, im Schutz des großen Waldes unter ihr, ließ sie sich auf den Felsen nieder. Ihr treuer Begleiter zog weiter, streifte etwas tiefer über die Felsen. Unaufgeregt hob sie den Kopf und sah zum Mond hoch. Dann schnaufte sie aus und setzte zum ersten Ruf in dieser Nacht an. Erst stimmte Shakirr ein, dann vereinzelte Wölfe in der Ferne. Ihr Jaulen war immer mehr zu einem Dank geworden als zu einem Gemeinschaftsbild. Einen Dank an diese Ehre, einer von ihnen zu sein. Zu wissen, dass es so vieles mehr gibt. Den Mond zu schätzen für das was er war. Nicht vor sich hin zu leben wie die Schäfchen. Natürlich verband sie auch eine Bürde mit ihrer Art, doch in dieser Nacht ging sie schon lange nicht mehr auf die Jagd. Sie senkte den mächtigen Kopf ab und bettete ihn auf die Pfoten. Hier konnte sie seinen wunderbaren Lauf über den Nachthimmel beobachten. Jede Minute auskosten von diesem Gefühl, was sie alle gleich werden ließ in dieser Nacht. Sie schloss die Lider langsam, öffnete sie wieder und sah erneut die helle Scheibe. Erneut ein Blinzeln, dann überzog der Mond ein leichter Wolkenschimmer. In der Ferne hörte man eine Eule rufen. Sie schnaufte und schüttelte den mächtigen Kopf. Wieso überkam sie nun so eine Schwere? Ohne den Blick zu lösen, starrte sie den Mond an. Alles prägte sie sich ein, die Krater, die Farbe, das Licht… immer mehr verschwamm es mit ihrem Geist. Bis sie ihn vollends in sich einzog. Wieder war ein Jaulen an den Mond in der Ferne zu hören.
 
Sie schüttelte sich und stand mit einem Mal auf. Etwas trieb sie fort von der Anhöhe. Sie suchte etwas. Die Pfoten durchschritten wieder fest, aber nun schneller, den Wald. Minerva blieb stehen, hob den Kopf, lauschte… und ging weiter. Ein paar Schritte später, blieb sie wieder stehen und lenkte die Schritte woanders hin. Ein Fuchs sprang aus seiner Deckung bei dem Anblick des großen Wolfes und jagte davon. Die von ihm gejagte Maus nutzte die Gelegenheit, um schleunigst in die andere Richtung zu verschwinden. Seltsam angetrieben fühlte sie sich, als würde ein Stück von ihr selbst fehlen. Woher kam dieser Gedanke plötzlich? Dann kam sie zum Stehen. Endgültig. Eine Eule rief, als sich Augen im Dickicht abzeichneten. Langsam schritt ein hellbrauner Wolf mit dunkler Scheckung aus diesem heraus, der ihre Größe besaß. Der Wolf sah ihr direkt entgegen. Nein, sah durch ihre Augen direkt in ihre Seele. Sein Gesicht war von einer weißen Maske gezeichnet, die Augen wie dunkle schwarze Knöpfe. Er stand nur da. Sie sprang los, von einer Unruhe erfüllt, dem Wolf entgegen. Doch ehe sie bei ihm ankam, verpuffte er wie Nebel und zog sich flatternd gen Nachthimmel davon.


Der Blick klärte sich, als sie etwas anstieß. Shakirr weckte sie, indem er sich neben sie legte. Nun hob sich ihr Kopf wieder an. Der Mond war fast am Untergehen. Träge hob sie sich an und schüttelte sich als müsse sie einen Gedanken vertreiben. Es war Zeit zu ihrem Ausgangspunkt zurück zu kehren, so durchstreiften sie zusammen wieder den Wald. In einer Erdhöhle bewahrte sie ihr Kleiderbündel auf. Hier wartete sie, bis die Rückverwandlung einsetzte. Fell spannte und erschlaffte. Sehnen und Knochen brachen, wuchsen neu zusammen, das Gesicht verformte sich und unter einem schmerzerfüllten Stöhnen fand sie sich auf Knien und Händen auf dem Waldboden wieder. In all den Jahren lernte sie nie eine schmerzfreie Wandlung. Ob es das je geben würde? Ihr Vertrauter wartete in einer Hab-Acht-Stellung in ihrer Nähe, besah sie mit ruhigem Blick, während sie ihre Kleider über die nackte Haut zog. „Ab.“, gab sie eine knappe Aussage, dabei war die Stimme wichtiger als der Inhalt. Sie gab Shakirr frei, sofort sprang er auf und eilte in den dichten Wald.


Mit den ersten Sonnenstrahlen verließ sie den Wald und kehrte in das gemütliche Holzhaus in Nordhain zurück. Geschafft fiel sie auf die Kissen, die Nacht war anstrengender als sonst. Aber schlief sie nicht eigentlich? Unten hörte sie es poltern, Tyladriel kehrte zurück. Sie vernahm seine Antwort ebenfalls in dieser Nacht, tiefer im Trolleichenwald. Den Geräuschen nach zu urteilen kramte er Schnaps heraus. Er versetzte alle seine Alkoholgetränke mit Gift, damit er überhaupt etwas davon hat. Dann knarrten die Treppenstufen und er kam empor, kurz stoppte er und sah zu der liegenden Minerva hinüber. Der Anblick war wohl noch immer etwas ungewohnt, immerhin war sie lange fort. „Du siehst beschissen aus.“, kamen die liebevollen Worte. Sie rollte sich zur Seite und sah zu ihm hoch. „Hast du schon einmal geschlafen als Wolf?“
„Ja. Wieso nicht?“, er trank einen Schluck von der Flasche.
„Ich habe das erste Mal dabei geträumt.“
„Und was genau?“, nun kam er zu den Kissen hinüber und ließ sich schwerfällig sinken. „Ich dachte erst, ich durchstreife den Wald. Da begegnete ein mir fremder Wolf. Er hatte eine weiße Gesichtsmaske. Als ich näherkam, verschwand er in Nebelschwaden. Danach fand ich mich auf meinem Felsen wieder, von dem ich eigentlich fortging.“
„Ja,“ ein Strecken seiner Glieder und gähnen später: „klingt nach einem beschissen langweiligen Traum. Vielleicht sind das die ersten Alterserscheinungen.“ Er grinste zu ihr auf. Das war ihr Stichwort: Schwerfällig streckte sie die Arme aus, zittrig ihre Hand: „Ohhh… ich bin sooo alt, gib einer alten Dame was zu trinken.“, die tattrige Stimme ließ Tyladriel amüsiert schnaufen. „Irgendwann ist es nicht mehr lustig.“ Mit einem Mal setzte sie sich geschwind auf, ganz anders als eine alte Dame: „Erst wenn du nicht mehr grinst.“ Sie griff voran und schnappte sich die Schnapsflasche. Ein paar Schlücke später, griff er wieder nach seiner Schnapsflasche um sie an sich zu nehmen. „Ich ruhe mich aus.“, seufzend drehte sich Minerva von ihm weg. „Ist gut, ich mache uns etwas zu essen.“ Mit den Worten verließ er die Kissenlandschaft und ging in die Küche hinab. Im Hintergrund hörte sie es noch klappern, die Geräusche beruhigten sie. Unter dem Gefühl der Geborgenheit schlief sie ein.


Sie fand sich wieder im Trolleichenwald. Nun war sie als Mensch auf dem Felsen. Der Mond stand hoch am Himmelszelt, gesäumt von tausend leuchtenden Sternen. In der Ferne hörte sie eine Eule rufen. Ohne ihre Füße zu heben, zog es sie in den Wald. Den gleichen Weg wie die Nacht zuvor. Pfotengeräusche säumten ihren Weg, der hechelnde Atem eines Wolfes. Wieder hielt sie an, als sich ein hellbrauner, gescheckter Wolf aus dem Dickicht drängte. Die weiße Maske und die Knopfaugen sahen zu ihr. Nun kam sie nicht näher, sie blieb stehen und beobachtete den Wolf. Er hob den Kopf und öffnete das Maul. Ohne zu sprechen, hörte sie eine Stimme in ihrem Geist:


„Dein Weg, wie soll’s auch anders sein,
führt dich in den dunklen Wald hinein.
Mein Schrei wird dich führen,
öffnet dir die verborgenen Türen.
Mein Ruf in der Dunkelheit wird dich leiten,
dann bin ich bei dir, für alle Zeiten.
Der Mond, ein Flattern, berührt dich bei Nacht,
damit dein zweites Gesicht erwacht.
Der Wächter zweier Welten bin ich,
und schon mit dir verbunden, unzertrennlich.
Die Kraft des Unterbewussten, das Reich der Ahnen,
hier werde ich dich lotsen, schützen und mahnen.
Lerne sie kennen, die Macht der Nacht,
bis deine wahres Ich hier erwacht.“


Und mit einem Mal löste sich der Wolf wieder auf und flatterte im Nebel davon. Sie versuchte ihm nachzueilen. Doch als sie weiterging, wurde sie zurückgezogen. „Erkenne dich.“, mit den Worten schreckte sie im Bett auf.

Ein kalter Teller stand neben ihr auf dem niedrigen Sofatisch. Die Dunkelheit war eingebrochen. Hatte sie den ganzen Tag verschlafen? Ein Zettel lag neben dem Teller. Ohne ihn zu lesen drehte Minerva ihn herum und kritzelte mit dem daneben liegenden Stift das vom Wolf gesagte nieder. Das hatte etwas zu bedeuten. Immer und immer wieder las sie die Zeilen, zumindest jene an die sie sich noch erinnern konnte. Nur nebenher aß sie die kalte Speise, während sie immer wieder auf die Wörter sah.

<<    „Mein Schrei wird dich führen.“ – „Ruf wird dich leiten“ – Wieso ein Schrei oder Ruf? Wölfe heulten. >> <<“Der Mond, ein Flattern.“ – Flattern? Warum sollte ein Wolf flattern.>> <<“Wächter“

– Auch das klang nicht nach einem Wolf.“>> Sie musste in den Wald. Musste dem nach was sie gesagt bekam. Nur dort fand sie Antworten auf ihre Fragen.
 
Der Wald schluckte sie wie immer in sich auf, als wäre sie schon lange ein Teil von ihm. Die Schritte führten sie wie so häufig ohne Ziel herum. Sie hielt einmal an, bei einer Eiche, einem Bachlauf oder einer Alraune, die ihre Blätter emporragen ließ. Ihre Finger fuhren über die raue Rinde der Bäume, ihre Nase sog die erdige, frische Luft in sich ein. Der Mond nahm zwar weiter zu, war aber noch nicht ganz gefüllt. So schenkte er dem Wald ein angenehmes nächtliches Licht. In der Ferne hörte sie Wölfe jaulen. Kurz hatte sie den Impuls diesem Jaulen nach zu gehen, doch da nahm sie etwas wahr, was ihre Sinne viel mehr lenkte: Der Ruf einer Eule. <<Flattern, Schrei>> Sie ging voran, bewusster, nun wusste sie, wohin sie wollte. Kurze Zeit später erblickte sie die Eule. In einer alten Borkeneiche saß sie. Die weiße Maske war die des Wolfes. Die schwarzen Knopfaugen hatten sie schon längst ins Visier genommen. Die Schleiereule fühlte sich durch ihre Anwesenheit nicht sofort gestört. Doch als der Blickkontakt zu lange dauerte, hob sie von ihrem Ast ab. Die hellbraunen, gescheckten, Flügel von sich streckend stieg sie empor. Majestätisch lenkte sie sich so aus den Baumkronen raus. Dann war nur noch ihr Schemen vor dem fast zur Gänze gefüllten Mond zu sehen. Unwillkürlich streckte sich Minervas Hand der Eule nach. Als sie gänzlich aus ihrem Blickfeld verschwand, führte sie die Hand zu ihrem Herzen.
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Sie hatte sich beirren lassen. Sie war zwar ein Wolf, mittlerweile schon länger als ein Mensch, aber das hieß nicht, dass sie ihn auch in ihrer Seele trug. Da schlossen sich ihre Augen. Natürlich, eine Eule. Kein anderes Wesen weiß um die Schönheit, Weisheit und Macht der Dunkelheit. Ihr Verstand ist scharf. Sie sind fähig sich aus dem Stand in die Höhe zu schwingen, um sich Dinge aus einer anderen Perspektive genauer anzuschauen. Die Eule schlägt erst zu, wenn sie weiß, was sie tut. Andererseits steht die Eule wohl auch für Überheblichkeit, Strenge und Unerbittlichkeit. Es war ihr Tier. Es beschrieb ihre Seele. Ihre Hand senkte sich hinab als sie ihre Energien gebündelt hatte. Die Reagenzien trug sie seitdem bewusst werden ihrer Gabe immer mit sich. Deutlich kamen die Silben über die Lippen, so als wären sie ihr schon vorab eingebrannt gewesen: „Kal Mani Xen“. Als würde ihre Energie sich aus dem Mondlicht speisen, manifestierte es sich erst zu einem schimmernden Licht, ehe es flatternd Gefieder bildete. Dort wo sie ihre Hand ausstreckte, griffen Krallen um sie herum. Ein runder Kopf richtete sich auf, prüfend wurden die weiten Flügel geregt. Die Federn streiften über ihr Gesicht. Dann sah die Schleiereule zur Seite und die schwarzen Knopfaugen blickten in Minervas Seele. Es war ihr Seelentier, beschrieb ihr Sein besser als alles andere. Ein Lächeln zeichnete sich auf ihren Zügen ab. Und das erste Mal, seitdem sie mit ihrer Gabe wieder zurückkehrte, fühlte sie sich erfüllt. Als wäre ein Bruchteil ihrer ruhelosen Seele zurückgekehrt. Hätte zu ihr gefunden. Nein, zu sich selbst und würde nun bleiben: Für immer. Und so war es auch nicht schwer dem Tier einen Namen zu geben: „Elduin“, sprach sie es das erste Mal aus und die Eule legte den Kopf schräg. Dann hob sie die Hand und das Tier löste sich von dieser, um empor zu steigen.

 
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