Dornen im Schnee

Rollenspielforum für Geschichten.
Antworten
Benutzeravatar
Leonhard Dracon
Beiträge: 26
Registriert: 02 Jan 2021, 23:21
Wohnort: Ansilon

Dornen im Schnee

Beitrag von Leonhard Dracon »

Bild

Die 1. Lüge: Leon

Die ersten Sonnenstrahlen fielen durch die Fensterscheiben des Miethauses am Hafen von Ansilon, eine angenehme Stille füllte die Räumlichkeiten aus. Im Badezimmer, gelegen im ersten Stock des Gebäudes, stand eine schlanke Gestalt vor dem Spiegel, ein Badetuch locker um die Hüften geknotet. Während er sich eine kaltnasse, kupferrote Haarsträhne aus dem Gesicht strich starrte Leonhard in das Antlitz seines Ebenbildes, welches, ebenso emotionslos, seinen Blick erwiderte. Einige Momente vergingen in denen der junge Mann fast bewegungslos verharrte, bevor, als würde man einen Hebel umlegen, ein Grinsen auf seinem Gesicht erblühte. Die Lippen sanft nach oben gekrümmt, auf der linken Seite einen Spalt geöffnet, eine charmante Asymmetrie. Jugendlich, unbekümmert, perfekt Einstudiert.

"Zu perfekt. Das würde nicht funktionieren."

Der Gesichtsausdruck floss von seinen Zügen wie schmutziges Wasser in einen Abguss, zurück blieben passive, abweisende Augen in sanftem Grün. Er schüttelte sacht den Kopf, versucht seine Gedanken zu ordnen. Die Person Leon mochte Naivität und Fröhlichkeit ausstrahlen, doch er brauchte auch einen Hauch von Ungestüm und Fahrigkeit um das Bild abzurunden. Wie hatte Shira’niryn es gestern noch ausgedrückt? Der Leon den sie kannte, war ein Optimist. Ein gut gelaunter Freigeist.

Ihre Worte überraschten ihn ein wenig, denn der junge Mann hatte fast erwartet bereits bei der ersten Begegnung zwischen ihm und den Bewahrern enttarnt worden zu sein. Damals als Livius und die Drachenmagierin ihn eingeladen hatten, als der schroffe frühere Krieger ihm erklärte, dass sie wohl etwas in ihm sahen. Doch die Fassade Leon hatte gehalten. Niemand vermutete ihn darunter, den Dieb, den Einzelgänger. Den, der sich am wohlsten fühlte wenn er Alleine war. Der, der unterschätzt werden wollte...denn wer unterschätzt wurde, den belastete man nicht mit Verpflichtungen oder Erwartungen.

Warum dachten sie wohl, dass er Druide werden wollte? Aus Mitgefühl? Weil er ihnen erzählt hatte, dass er Menschen helfen wolle? Leon war ein sanfter Gutmensch, schreckhaft, zu Hause in der letzten Reihe.
Tatsächlich wollte er einfach seine Ruhe haben, seine eigenen Entscheidungen treffen, ohne sich dafür vor Anderen verantworten zu müssen. Der Pfad dem er folgte sollte sein Eigener sein und in der Einsamkeit eines dunklen Waldes, im leisen Flüstern des Herbstwindes, in der Kälte des ersten Schnees hatte er, sogar zu seiner eigenen Überraschung, etwas wie einen Moment der inneren Zugehörigkeit gefunden.

Mit einem fast mechanisch anmutenden, erzwungenen Blinzeln wischte er all diese verworrenen Gedanken zur Seite. Sie gehörten ihm, doch nun galt es Leon, den Jüngling, auf den Plan zu rufen. Wieder zeigte sich das wärmende Lächeln auf seinem Gesicht. Die groben, einstudierten Punkte blieben ident wie zuvor, doch ein Hauch von zaghafter Unsicherheit flackerte in den Augen.

"Perfekt imperfekt."

Für einige Momente hielt das Spiegelbild Leon den Ausdruck, bevor der Rotschopf seiner Reflexion die verbissen geballte Faust ins Gesicht rammte.
Glas splitterte, ein Netz aus feinen Linien überzog den Spiegel während seine blutigen Fingerknöchel ein metaphorisches Blumenmeer in Rot über den Fließenboden zogen. Distanziert betrachtete der Mann die Wunde an seiner rechten Hand, bevor er das Tuch von seinem Unterkörper löste und um seine Hand wickelte. Das Badezimmer würde er aufräumen müssen bevor sein Bruder oder die gemeinsame Mitbewohnerin Luna etwas bemerkten, doch für den Moment sollte er sich zumindest eine Hose und festes Schuhwerk besorgen.

Das Zimmer in dem er Übernachtete war nur zwei Schritte entfernt, seine Kleidung unordentlich auf dem Boden verteilt, ein in abgegriffenes Leder gebundenes Buch inmitten…
Er stutzte, den Blick auf den unbekannten Folianten gerichtet, der da Mitten im Raum auf den Holzdielen thronte. Wie war der Gegenstand dort hingekommen? Als er die Stube verlassen hatte um ein Bad zu nehmen, wäre das klobige Schriftstück unübersehbar gewesen. Da lag es nun, in all seiner Pracht, der Titel in altmodischen Buchstaben eingebrannt.

"Der Kirchengrimm."

Eine Erinnerung an sein Heimatdorf Graupel, den Ort vor dem sie geflüchtet waren. Hatte Tyvurn das Buch in einer Bibliothek entdeckt und mit ihm teilen wollen? Das ergab jedoch wenig Sinn, die Platzierung, die immer noch ungebrochene Stille des Hauses...nein, dies war nicht das Werk seines Bruders. Irgendetwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu, die Implikationen ließen eine unangenehme Gänsehaut seine nackten Arme hinaufklettern.

"Wer war in seinem Zimmer gewesen?"

Versteckt:Versteckten Text anzeigen
Bild
Benutzeravatar
Leonhard Dracon
Beiträge: 26
Registriert: 02 Jan 2021, 23:21
Wohnort: Ansilon

Re: Dornen im Schnee

Beitrag von Leonhard Dracon »

Bild

Die 2. Lüge: Shynnagh

Seit geraumer Zeit starrte Leonhard, der Magier-Lehrling, auf die Bäume die den äußersten Rand des Trolleichenwaldes markierten. Er befand sich nicht unweit der Siedlung Nordhain - nur die Überquerung eines seichten Flussbettes trennten ihn von jenem Gebiet, in welchem den Geschichten nach die Kinder des Waldes lebten. Sein Ziel war es gewesen ein wenig Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Das Plätschern des Flusses, das Rauschen der Blätter im Wind sollte das Chaos glätten das in ihm tobte, seit er vor einigen Tagen in einem Anflug von Emotionen einen wehrlosen Spiegel zertrümmerte.
Mit einem leisen Seufzen schloss er seine Augen um sich auf die Geräusche der umgebenden Natur zu konzentrieren. Sanftes Vogelgezwitscher, ächzendes Knacken von Zweigen, das Rascheln von Stoff…war fehl am Platz.

Verwirrt schlug er die Augen auf um eine Gestalt am anderen Ufer zu erblicken, gehüllt in eine moosgrüne Kutte. Aufgrund der gefärbten Kleidung verschwamm der Fremde fast mit dem Hintergrund des Waldes, sein Gesicht war unter dem Schatten einer hochgeschlagenen Kapuze verborgen. Leon schauderte, denn der unsichtbare Fokus der Person lag eindeutig auf ihm. Kurz glaubte er zwei Augen aufglühen zu sehen, braun-rot und lauernd, ein Raubtier auf der Pirsch...doch dann wendete die Gestalt sich um. Nur wenige Schritte trennten den geheimnisvollen Robenträger vom Unterholz des Trolleichenwaldes.

Von der gewünschten Ruhe in seinem Kopf war Leon, der Neugierige, nun weit entfernt. Nur eine Sekunde des Zögerns erlaubte er sich, bevor er begann durch den Fluss zu waten um am anderen Ufer in den Trolleichenwald zu hasten. Die Bedachtheit mit der der Fremde sich bewegt hatte deutete weder auf eine Überraschung, noch auf eine Flucht hin...viel mehr wirkte es, als war es gewünscht, dass der junge Rotschopf folgte. Immer wieder konnte Leon einen Blick auf den Stoff der moosgrünen Kleidung erhaschen und nach kurzer Zeit war er sich sicher, dass er nicht auf einer ziellosen Verfolgungsjagd war. Nein - er wurde geführt.

Die Zeit verstrich. Der Magier streifte durch das Unterholz, das Licht am Himmel gedämpft durch ein dichtes Dach aus Blättern. Hier, tief im Wald, herrschte ein ewiges Zwielicht, welches Tag und Nacht verdrängte. Sein Orientierungssinn, sein Gespür für die Stunden die dahin schmolzen, all dies war bedeutungslos. Wie in Trance stolperte er weiter über den erdigen Boden, wich im letzten Moment riesenhaften Wurzeln aus die nach seinen Füßen zu greifen schienen.

Das klare Erscheinen des Fremden in seinem Sichtfeld riss Leon aus seinem Traum. Er fühlte sich als wäre entweder ein Wimpernschlag, oder eine ganze Lebzeit vergangen, während sein Verstand langsam das Bild zu ordnen versuchte, dass sich vor ihm abspielte. Der Kuttenträger war am Rande einer Lichtung angelangt, deren Fläche fast komplett von einem See eingenommen wurde. Im Spiegelbild der stillen Wasseroberfläche zeigten sich...Sterne? War er nicht am Morgen aufgebrochen um…um was eigentlich?
Verwirrt versuchte er die Wolken abzuschütteln die immer noch das Innere seines Kopfes zu beherrschen schienen, während die Gestalt, mit dem Rücken zu Leon, begann sich zu entkleiden. Das Zwielicht und das dichte Gebüsch verdeckten einen klaren Ausblick, doch als die Robe leise raschelnd zu Boden fiel und die Person ins Wasser stieg, war zumindest klar, dass es sich um einen Mann handelte. Ein Jüngling mit blasser Haut, fast wie Milch im Licht der Himmelskörper. Dünn war er, nahezu drahtig und...seltsam vertraut. Leon, der Träumer, versuchte ungeschickt näher an die Lichtung zu schleichen um einen Blick auf das Gesicht des Mannes zu erhaschen als, mit einem lauten Knacken, ein Ast unter seinem Fuß brach.
Der Wald erwachte mit einem Flüstern des Windes. Wurzelwerk und Ranken bäumten sich auf, umschlossen seine Knöchel, seine Hände, bohrten Dornen in seine Haut.

Leon keuchte auf und kämpfte gegen den Widerstand seiner neuen Fesseln, doch das Pflanzenwerk war gnadenlos. Der Fremde war nur einige Meter weit in den See gewatet, wo er nun, teilweise sichtbar zwischen Lücken in den Blättern, verharrte. Bis zu den Hüften des Mannes stieg das Wasser, als er sich langsam in Leons Richtung drehte. Immer noch war sein Gesicht nicht zu sehen, doch der Rotschopf spürte ihn wieder: Den Fokus, den Blick des Raubtiers auf sich.
“Wer bist du?”
Eine raue, kehlige Stimme ertönte, die eine Resonanz in sein tiefstes Inneres zu schicken schien. Immer noch gegen den Griff des Waldes ankämpfend keuchte Leonhard eine Antwort hervor.
“Leonhard Dracon, Anwärter der Bewahrer!”
Ein Fehler. Es schien als hätten die Dornen nur auf seine Worte gewartet um sich mit einer gnadenlosen, sadistischen Freude etwas tiefer in seine Haut zu bohren. Vor Schmerz stöhnte er auf, für einen Moment vom hilflosen Strampeln ablassend.
“Du bist nicht Dracon, der Drache. Dir fehlt es an Stärke. Wer bist du?”
“Leon, angehender Druide.”
Er hatte kaum die Zeit um seine Antwort zu bereuen. Wieder bohrten sich die Dornen tief in sein Fleisch. Blut begann seine Arme hinab zu tropfen als ein grollendes, zynisches Lachen in seinem Kopf hämmerte.
“Die Lügen die du Anderen erzählst interessieren mich nicht. Du kannst mich nicht mit deiner Maske täuschen, Leon. Ich bin deine Maske, dein Verstand. Ich bin zu Hause in jeder Lüge die dir über die Lippen kommt, in jeder Ausrede die du sprichst. Dir fehlt es an Stärke...doch du hast mich. Lass dir helfen.”

Ein erneuter Windstoß fegte die Äste zur Seite und gab den Blick frei auf den Mann im Wasser, die groteske Kreatur die Leon aus tierischen Augen fixierte. Er kannte den Körper dieses Wesens, besser als es ihm lieb war. Es war sein eigenes Fleisch auf welchem der Kopf eines Rotfuchses thronte. Ein unwirklicher Anblick der doch richtig wirkte in seiner Funktion. Das Fell des Nackens ging nahtlos in bleiche Haut über, das Maul des Tieres leicht geöffnet, die Lefzen zu einem menschenähnlichen Grinsen verzogen. Trotz der Distanz schien Leon die Zähne des Fuchses bis ins kleinste Detail wahrzunehmen, das unwirkliche Glühen der Augen hypnotisierte ihn als das Wesen seine, Leons, Hand ausstreckte in einer Geste der Einladung.

Mit rudernden Armen und einem Schrei auf den Lippen fuhr er in die Höhe. Das Blätterdach rauschte über ihm während der Fluss am Rande des Trolleichenwaldes friedlich vor sich hin plätscherte. Fahrig schoss sein Blick durch die Gegend um die Situation abzutasten, seine Finger gruben sich ins weiche Erdreich auf dem er geruht hatte. Fast tat er seine Erinnerung für einen Albtraum ab, wären da nicht die zerschlissene Kleidung, die Risse auf seinen Armen. Hinterlassen von messerscharfen Dornen. Ausgelaugt rappelte sich der Rotschopf auf die Füße, noch einen Blick ans andere Ufer werfend...doch dort stand niemand. Er war Allein.


OOC: Spoiler-Tag öffnen um zu Lesen, was für eventuelle Beobachter zu sehen ist.
Versteckt:Versteckten Text anzeigen
Der junge Leon wird eine Zeit lang am Rande des Trolleichenwaldes herumlungern, immer wieder ins Unterholz blicken. Irgendwann scheint er sich im Gras nieder zu lassen um zu ruhen oder zu meditieren. Nach kurzer Zeit bereits wird der friedliche Schlaf übergehen in Gemurmel, herumwerfen der Arme und Beine und, schlussendlich, ein gruseliges Schauspiel bei dem der Magier sich selbst mit Dornen und Ästen versucht die Haut der Arme aufzureißen, als würde er in sich selbst nach Etwas graben. Erst nachdem dieses Treiben verebbt ist und der Körper des Rotschopfes wieder zu Ruhe gefunden hat, erwacht er, mit einem lauten Keuchen, wie aus einem tiefen Albtraum.
Antworten