Von Thule über das große Wasser

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Veldys vom Askjell
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Von Thule über das große Wasser

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Prolog: Die Nordinsel Thule

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Ich will euch etwas über die stürmische Nordinsel Thule erzählen, über ihre Legenden, ihre Kriege und der großen Schlacht von Askjell – dem Kessel der Ahnen. Eine Insel, nicht so klein, dass man sie in wenigen Tagesmärschen überqueren könnte, doch auch nicht so groß, dass zwei konkurrierende Stämme dort friedlich nebeneinander leben könnten. Beseelt mit einer unruhigen Geisterwelt, gelegen zwischen heißen und kalten Strömen des ewigen Wassers, gestaltet sich ihre Landschaft als nicht sehr milde oder freundlich.
Die Winter, von beißender Härte, welche fast die ganze Insel unter Eis und Schnee vergräbt, die Sommer geprägt von unzähligen Regenstürmen und einer Sonne mit schwach glimmenden Herzen – abgelöst durch Monde dichten Nebels und schwachen Frühlingserwachen. Weite Ebenen aus Frost und Felsen überdauern das ganze Jahr im Norden, während im Süden lichte Nadelwälder und sumpfiges Land zwischen weiten Krautsteppen liegen. Nähert man sich der blauen Wunde, die Norden und Süden trennt, wird man begrüßt von rauschenden Wasser und dem salzigen Geruch des nahegelegenen Meeres.

Die Besiedlung dieser Nordinsel ist eine Verästelung vieler Legenden und Sagengeschichten und kaum einer weiß heute noch was davon noch Wahrheit entspricht. Eine Sage, die gerne den jüngsten Mitgliedern der Barbarenstämme erzählt wird, berichtet davon, das einst der Hirsch und der Wolf um die Vorherrschaft kämpften, denn jeder wollte dieser Insel, voller wilder Naturgeister, habhaft werden. In einen unendlich anmutenden Streit zerrten sie an den Hälften der Insel, die unter erdbebengleichen Erschütterungen und den aufgebrachten Schreien der Geister, drohten auseinander gerissen zu werden. Der Bär war es schließlich, der mit einem mächtigen Hieb seiner goldenen Pranke den Streit beendete, in dem er eine klaffende Wunde zwischen dem Norden und den Süden des Landes zog.
Dort wo seine Pranke einschlug, entstand der Ort Askjell am Ufer des Fjords, der klaffenden Wunde, die sich, einem Mahnmal gleich, zwischen den Landstrichen durch die Insel bis zum Meer zieht.

Sarmatijasch, Urvater aller Barbarenstämme, hatte ausharrend den Kampf der Geisterwelt beobachtet. Er hatte nicht eingegriffen, doch schickte er schließlich den Geist mit weißen Schwingen über das große Wasser um dort nach jemanden zu suchen, dessen Aufgabe es sein sollte dem Land wieder Leben zu schenken. Geschichten erzählen davon, wie Eldar von Brat'ack, der erste der diesen Namen tragen sollte, von einem eisigen Wind erfasst wurde, der ihn auf seinen kalten Schwingen nach Thule brachte. Im Herzen Askjells ging er auf die Knie, ein Blutopfer darbringen und dankte dem Urvater für die Möglichkeit seinen Ahnen alle Ehre zu bereiten. Von dort an sollte der Kessel der Ahnen, am Ufer der klaffenden Wunde, der Ursprung des barbarischen Lebens auf Thule sein.

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Veldys vom Askjell
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Re: Von Thule über das große Wasser

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Prolog: Agnar und seine Söhne

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Jahrhunderte herrschte Frieden im Stamm der Brat'ack, die trotz der stürmischen Naturgeister Thules gelernt hatten das Land für ihre Zwecke zu formen. Während die großen Wildvorkommen zumeist für erfolgreiche Jagdausflüge der Fährtenkundler sorgten, verstanden viele Weiber sich darauf den fruchtbaren Boden des Kessels zu nutzen. Ehrfurchtsvoll gegenüber dem Geschenk, welches Sarmatijasch Ihnen gemacht hatte und treu gegenüber den Geistern Thules wuchs der Stamm zu einer beachtlichen Größe heran.

Vor etwa 300 Jahren herrschte Agnar, die Schwertspitze von Brat'ack - gesegnet mit dem Feuer Asagards, der Weisheit Grimlas und der Stärke Kovakarhus, wusste er stets den richtigen Weg zu wählen. Ein Weg der dem Stamm Schutz vor den brodelnen Naturgeistern bot und zu Frieden und Fruchtbarkeit führte.
Zusammen mit seinem Weib, der ruhigen Hathran Hulda, hatte er zwei besondere Söhne, die unterschiedlicher nicht hätten sein können.

Der Ältere trug den Namen Sjur und hatte, unter wohlwollenden Blick des obersten Schamenen Aegir, den Weg des Hirsches eingeschlagen. Er war ein sehr weiser und besonnener Mann, dem gar nachgesagt wurde, dass es ihn manchmal an Kampfeslust und Feuer fehlen würde. Doch Sjur machte sich durch andere Taten einen ehrenvollen Namen. Binnen weniger Jahre beherrschte er seine von Sarmatijasch geschenkte Gabe und vermochte große Wunder zu vollbringen. Egal ob er eine schwer verwundeten Berserker vom Totenbett zurückholte, oder unfruchtbar gewordene Äcker zu neuen Leben erweckte. Manche sagten gar, dass Grimla selber seine Geschicke leiten würde. Er hatte sehr schnell die Sympathie von vielen Stammesmitgliedern auf seiner Seite.

Der Jüngere wurde Birger gerufen und kam was Kraft und Größe anging ganz nach seinem Vater. Ein wahrer Riese, ein Tier in Barbarengestalt, geboren unter dem Heulen Asagards in einer stürmischen und kalten Nacht, wuchs er zum tapfersten, aber auch zum brutalsten Berserker des ganzen Stammes Brat'ack heran. Geschichten rankten sich um seine Kämpfe, wie er mit bloßen Händen einen Eber zu Boden rang oder gar den Angriff einer Bärenmutter mit Leichtigkeit abzuwehren wusste. In der Blüte seines Lebens traute sich kein Stammesmitglied der Brat'ack ihn seinen Platz an der Front der Berserker streitig zu machen und viele bewunderten ihn, versuchten seinem Vorbild zu folgen.

Die beiden Brüder hatten, wie man es sich vermutlich denken kann, sehr wenig gemeinsam, sie bildeten die perfekten Gegenteile voneinander und boten somit eine wunderbare Grundlage um sich gegenseitig zu ergänzen. Jedoch vertrugen Sjur und Birger sich schon in jungen Jahren nicht und ihre Wege trennten sich schon früh. Das eher stoische und ruhige Gemüt vom Älteren, kollidierte immer wieder mit dem aufbrausenden, ungeduldigen Jähzorn des Jüngeren. Die Streitigkeiten mussten stets von ihrer Mutter oder gar Agnar selber beigelegt werden.

Erst mit zunehmenden Alter verstanden die Brüder es ihre Wesenszüge im Zaum zu halten, zumindest solange sie unter einem Dach mit ihren Eltern waren. Außerhalb blieben sie bei ihren Anhängern und ein Frieden konnte somit weitestgehend gewahrt werden.

Bis zu dem Winter, an dem Agnar, die Schwertspitze der Brat’ack schwer erkrankte…

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Sighvardh vom Askjell
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Re: Von Thule über das große Wasser

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Prolog: Die Trennung der Brat’acks

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Ein Jahr vor der großen Trennung vor 300 Jahren erkrankte Agnar schließlich im hohen Alter und Aegir, wie auch Hulda wussten, dass es sein letzter Winter sein würde. Den Traditionen nach sollte der Erstgeborene, Sjur, seine Nachfolge antreten, doch Birger akzeptierte die Entscheidung des Vaters nicht, er wollte keinen Schamanen an der Spitze des Stammes sehen, da er nicht wollte, dass der Stamm verweichlicht. Er wollte herrschen und seinen Ahnen Ehre bereiten. Nichts anderes kam für sein heißes Blut in Frage.

Sjur jedoch, die Ruhe in Person, ließ sich nicht vom Jähzorn seines jüngeren Bruders einschüchtern. Er lehnte die Herausforderung zwar nicht richtig ab, jedoch, mit Zustimmung seines Vaters, schlug er eine etwas andere Art der Prüfung  vor. Der Zusammenhalt des mittlerweile großen Stammes von Brat’ack musste erhalten bleiben und so sollten alle erwachsenen Barbarenmänner des Stammes eine Stimme für jeweils einen der Brüder abgeben, nachdem jene sich den traditionellen Prüfungen der Schamanen gestellt hatten.

Zu dieser Zeit entstanden große Unruhen im Stamm, denn hatten sich dort durch die Forderung zwei klare Lager gesammelt. Das eine welches in tiefer Verbundenheit zu den Ahnen, mehr Hoffnungen in Sjurs Führungs legte und die andere Seite, welche in ihrer eher kämpferischen Art zu Birger standen.
Die Unruhen dauerten viele Wochen an. Wochen in denen der Stamm die Zeit gegeben wurde den Prüfungen der Brüder durch Aegir und Hulda beizuwohnen. Jeder sollte seine Entscheidung mit genügend Bedenkzeit treffen können und die Prüfungen der Schamanen stellten Sjur wie auch Birger vor einige Herausforderungen. Keiner von Beiden meisterte alle Prüfungen, denn jeder war schon immer eines der Extreme gewesen.

Agnar jedoch verstarb noch in der Prüfzeit und Sjur schickte sich an, seinen Platz als Vertreter einzunehmen, bis die Prüfungen und somit die Wahlen vollendet wären. Birgers Zorn kannte jedoch keine Grenzen, er warf seinem Bruder vor, es nur als Vorwand zu nehmen und die Wahlen abzusagen. Er sah darin eine hinterhältige und ehrlose Tat und die beschwichtigenden Worte des Älteren drangen nicht zu ihm durch.

Der Stamm, mittlerweile geteilt in zwei Lager, bekam dies mit und unter den Mitgliedern entfachte, das einfache Ziehen einer Axt als verheerender Funke, das Feuer, welches sich in einem ausgewachsenen Kampf darstellte. Sjur der im ersten Moment noch versuchte mit Worten eine Lösung zu finden, sah sich jedoch schnell mit der Waffe seines Bruder konfrontiert und griff schließlich selber auf seine Kraft zurück.

Die Kämpfe dauerten Stunden. Gewitter, Stürme, Erdbeben, hervorgerufen durch die Ur-Kräfte der Schamanen, vernichteten Askjell, hinterließen nichts als Ruinen, die bis heute, überwuchert von der Natur, zu sehen sind. Unzählige fielen den Kämpfen zum Opfer bis ein donnergleiches Brüllen die Nacht zerschnitt - ein Brüllen welches sich tief in die Knochen eines jeden grub und die Kämpfenden zum Erstarren brachte.

In der Dunkelheit, beschienen durch die brennenden Ruinen, schälte sich ein riesiger Bär mit goldenem Fell aus der Finsternis. Als wäre er nicht echt, obwohl seine Präsenz Ehrfurcht in jedem auslöste, schritt er unberührt von den Flammen des Schlachtfeldes durch dieses. Er wanderte zwischen den Fronten entlang, teilte diese immer mehr da keiner es wagte seinen Weg zu kreuzen und so war es Sjur der seinen Anhängern den Befehl gab sich auf die Südseite Thules zurückzuziehen.
Birgers Zorn brodelte weiterhin, doch auch er zweifelte nicht den wortlosen ‘Befehl’ des goldenes Bäres an, der offenkundig diese Schlacht für beendet erklärte. Wütend sammelte er seine verbliebenen Anhänger und zog sich in den Norden Thules zurück. 

Während Sjur sich das Recht nahm mit seinen Anhängern den Stamm der Brat’ack weiterzuführen, gründete Birger einen neuen Stamm unter den Namen Eivind.

Der Name Eivind stammte von den kühlen und starken Winden, die noch heute hoch oben im Norden der Insel über die Ländereien ziehen und jeden, der diese erbarmungslosen Temperaturen nicht gewohnt ist, in die Knie zwingt. 
Im Gegensatz zum verhältnismässig grünen Süden, offenbart sich im Norden eine karge und auf dem ersten Blick lebensfeindliche Landschaft. Nadelwälder sind hier nur selten zu erblicken und doch beherbergen die Ländereien im Verborgenen eine vielfältige Auswahl an Wildtieren. 
So wie die Tierherden selbst, sind die Eivinds in ständiger Bewegung. Ackerbau, Viehzucht und feste Behausungen kennen sie nicht. Sie führen ein hartes nomadisches Leben und sind es gewohnt, sich neuen und unerwarteten Umständen anzupassen. 
Wie Asagard selbst wurden sie zu geschickten und erbarmungslosen Jägern, die einem Rudel gleich durch den eisigen Norden ziehen.

Die Brat’acks hingegen wurden reichlich von Grimla und den Ahnen beschenkt und so macht es den Anschein, als haben sie den für ihr Volk vorbestimmten und richtigen Weg eingeschlagen. 
Nach einer langen Reise und durch die ahnengegebenen Weitsicht , traf Sjur den Entschluss sich am südlichsten Ufer Thules niederzulassen.Umgeben von lichten Nadelwäldern, die ihnen reichlich Nahrung einbringen, bietet sich ihnen zusätzlich ein nährreicher Boden, der besonders für den Ackerbau geeignet ist. Der Handel mit anderen Stämmen über die weite See verhalf ihnen zusätzlich, das Dorf aufblühen zu lassen. Es scheint, als würde jemand über sie wachen und alles, was sie brauchen in ihr Schoss treiben. 
Ein Lebensstil, der ihnen wiederum die Flexibilität raubte. Denn durch das vergleichbar ruhige Leben der Brat’acks sind sie es sich nicht gewohnt, mit Naturkatastrophen oder anderen Phänomenen umzugehen, die sie aus dem Nichts ereilen.
 
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Veldys vom Askjell
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Re: Von Thule über das große Wasser

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Veldys von Brat‘ack

Wie alles begann

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Ich wuchs mit meinen zwei älteren Brüdern und meiner kleineren Schwester am südlichsten Ufers Thules auf, dort wo vor Jahrhunderten Sjur von Brat‘ack in einer Weisen, von den Ahnen geleiteten, Entscheidung die Siedlung hat errichten lassen. Bis heute sticht mir der angenehme Nadelduft und der Geruch von feuchten Moos, gepaart mit salziger Luft in die Nase, wenn ich zurück an meine Heimat denke. Ich erinnere mich an das Rauschen des Meeres, an das Gefühl des Kiesstrandes unter meinen Füßen oder an die Aussicht, wenn ich auf dem höchsten Berg nahe des Dorfes über die endlosen Weiten bis hin zum Fjord blicken konnte.

Ich habe es geliebt an den steinigen Ufer des großen Wassers zu spielen, um dort mit den perfektesten und schönsten Kieseln kleine Türme oder Kreise für die Ahnen zu legen. Die Suche nach den dafür schönsten Steinen hat meist Stunden in Anspruch genommen und doch hielt meine Freude dafür an – vermutlich ein frühes Zeichen meiner unglaublichen Geduld. Nur wenige Dinge konnten mich vom steinigen Meeresufer abhalten, etwa die Zeit der Blüte, welche meist zwischen den harten, beißenden Wintern und den stürmisch, milden Sommern lag, denn dann quoll in voller Freude das Leben aus all den Naturgeistern hinaus und die dicken krautigen Ebenen waren überzogen von sanft violetten bis lavendelfarbenen Flaum.

Meine Mutter, die Hathran des Stammes, erzählte mir immer, das würde an dem Erwachen liegen, denn viele Naturgeister würden über die Zeit des beißenden Eises schlafen und schmolz jenes, so erwachten sie alle voller Tatendrang und Freude aus ihrem Schlaf. Es war ein schöner Gedanke und ich glaubte ihr natürlich jedes Wort, denn jedes Kind der Brat‘ack lernte schon früh, dass die Geister der Natur, wie auch die Ahnen zu achten und zu ehren waren. Man musste sich gut mit Ihnen stellen, denn sonst würde das schwerwiegende Folgen haben. Am Ende würde man so enden wie die Eivinds...!

Besonders als Töchter von Rikvard, dem Häuptling der Brat‘ack, wurde schon früh von meiner Schwester Aava und mir erwartet, dass wir in einer gewissen Vorbildfunktion vorangehen würden und so verbrachten wir Stunden an der Seite unserer Mutter, die uns viele Geschichten über die lebendige und vielfältige Welt der Geister und Ahnen erzählte. Sie erzählte uns von den Streit zwischen dem lebensspendenen Hirsch und dem gierigen Wolf und wie jener fast Thule auseinander gerissen hätte, wäre der Bär nicht aufgetaucht um mit einem Hieb seiner mächtigen Pranke den Streit zu beenden. Sie zeigte uns, als wir alt genug waren, den mit Ruinen bedeckten Kessel der Ahnen, Askjels Ruheort und den rauschenden Fjord, den Kovakarhu durch seinen Prankenschlag in die Insel gerissen hatten.
Auch erzählte sie uns vom Urvater unseres Volkes, dem Berserker Sarmatijasch, um welchen sie so unzählig viele Legenden und Geschichten rankten, das ich mir bis heute gewiss nicht alle merken kann. Es erscheint mir gar so, als würde jeder Stamm seine eigene Variante davon haben, auch wenn es am Ende immer darauf hinausläuft, das er ein ehrenvoller und großer Berserker war, der Taten vollbracht hatte, die keiner sonst hätte vollbringen können.

Sie lehrte uns, wie wir immer dann, wenn wir was nahmen, auch was zu geben hatten und so wurden viele Taten und Handlungen mit kleinen Ritualen oder Gesten bestückt, um die Naturgeister zu besänftigen. Wenn zum Ende der Sonne hin die Felder in einem großen Fest abgeerntet wurden, dann wurde zum Ende des Festes – wenn die Erträge sehr mager waren -, am Rand des Nadelwaldes von den Schamanen ein Nadelbaum gepflanzt, um den Geistern etwas zurückzugeben. Eine magere Ernte wurde als Zeichen dafür genommen, dass man die Geister offenbar verärgert hatte und so sollte der Baum sie besänftigen. Wuchs dieser Baum mit den Jahren, so war es Brauch das die Schamanen die Äste von diesen mit weiteren kleinen Gaben behangen. Blieb das Pflanzen eines Baumes aus, weil die Ernte reichlich war, so wurden die Gaben, meist kleine, geschnitzte Holzfiguren, getrocknete Wurzeln, Perlenanhänge oder gewobene Bänder auf alle anderen, älteren Bäume verteilt.
Bis heute ist mir das Rauschen, Rascheln, das Klingeln und das Klacken in den Erinnerungen geblieben, wann immer der Wind durch die behangenen Nadelbäume strich. Eine Melodie, an die ich mich nur zu gerne erinner und die mir das Herz erwärmt.

Wenn die Fährtenkundler zur Jagd auszogen und ein Tier erlegten, so wurden die Augen des Tieres in einem Feuer, zusammen mit einem Stück seiner Knochen, verbrannt, um die Seele des Tieres zu befreien und um die Geister der Insel, weil man ihr etwas genommen hatte, zu besänftigen. Handelte es sich um eines der heiligen Tiere, so wurden nicht nur deren Augen verbrannt, so wurde auch ihr Blut genommen, um die Felder damit zu bestreuen. Mutter sagte immer, es wäre wichtig, denn am Ende würde alles in der Erde zusammenfinden.

Auch wenn ich zwei ältere Brüder habe, womit meine Familie reichlich gesegnet wurde und ein Nachfolger somit fest stand, erwartete man immer viel von mir. Vater wie Mutter sahen in ihrer ältesten Tochter ein Geschenk, welches das zweite Gesicht irgendwann bekommen sollte... aber spätestens nach meinem sechzehnten Geburtstag änderte sich das.

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Veldys vom Askjell
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Re: Von Thule über das große Wasser

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Veldys von Brat'ack

Der Wille der Ahnen

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Noch in meiner Kindheit wurde ich von meinem Vater an den Sohn des obersten Schamanen, Askold von Brat'ack, versprochen. Der Schamane hatte es in den Knochen eines Hirsches gelesen und natürlich nahm man immer an, mir würde, als Tochter einer Hathran und des Häuptlings ebenso das zweite Gesicht zuteil werden. Kinder aus einer solchen Verbindung würden den Stamm voranbringen und die Zukunft sichern. So zumindest die Theorie. Ich weiß auch noch genau, dass ich mich als kleines Kind nie wirklich darum gekümmert habe, Askold war einige Jahre älter und ich sah ihn immer mehr als großen Bruder an, den ich selten sah, aber der immer ein wachendes Auge über mich hatte. Das verlieh mir eine gewisse Sicherheit und ich freute mich ihn aus der Ferne zu beobachten.

Askold starb jedoch, kurz nachdem er seine Weihe zur Mannswerdung erhalten hatte, in der großen Schlacht um Askjell vor etwa fünfzehn Jahresläufen. Niedergeschlagen wurde er von einem hinterhältigen Eivind, die es mit ihren unehrenhaften Stamm gewagt hatten den Kessel der Ahnen wieder besiedeln zu wollen. Wir Brat'ack sahen es als unsere Pflicht an sie davon abzuhalten, es war die Ruhestätte unserer Ahnen, allen voran von Agnar von Brat'ack.

Ich erinnere mich noch genau daran, obwohl ich selber erst ein Jahrzehnt und ein paar Jahresläufe alt war. Die vielen Verletzten, die vielen Toten, geschuldet durch den Wahnsinn welchen die Eivinds in all den Jahren im hohen Norden erlegen waren. Geschuldet durch das Blut von Birger, welches durch ihre Adern floss. Es macht mich noch heute wütend und manchmal sehe ich noch die Bilder von all den Stammesmitgliedern, die ich zusammen mit meiner Mutter versorgen musste. Sie lehrte mich viel über die Versorgung von Wunden und in dieser Zeit, welche Kräuter ich wie zu verarbeiten hatte, was ich bei Wunden oder Verbrennungen... gar Brüchen beachten musste. Keine leichte Kost für ein Kind, würde nun vermutlich ein Mensch sagen, aber wir sind Kinder von Sarmatijasch.

Jahre nach dieser Schlacht, ich hatte gerade den sechzehnten Winter hinter mich gebracht, wurde ich an Leif von Brat'ack versprochen. Ein Bund den ich nur zu gern zustimmte und auf den mein kleines Ich sich zugegeben sogar freute. Es war ein starker Kerl, jemand der sich in der Schlacht um Askjell verdient gemacht hatte und es störte mich nicht, das er gut zehn Jahresläufe älter als ich war. Ich möchte das Blaugrün seiner Augen, die mich an einen klaren Waldsee erinnerten und natürlich die Geschenke die er mir brachte, als Beweis seiner Stärke. Das Fell des schneeweißen Bärens trage ich bis heute als Erinnerung an ihn, denn wenige Monde bevor der Bund geschlossen werden sollte, starb Leif im großen Sturm, der über Thule hinweg fegte.

Ein Sturm der Hütten und Stammesmitglieder zerriss, als wären sie aus Schilf. Ein Sturm von denen die Schamanen sagten, dass die Eivinds wieder die Naturgeister erzürnt hatten. Wie? Durch ihre Maßlosigkeit, denn Späher berichteten von einem Fest, kenntlich durch helle Lichter, die drei Tage lang bei den Eivinds zu sehen waren, bevor die Insel vom Zorn erfasst wurde. Wie oft rief ich in dieser Zeit die Ahnen und Geister an, sie sollten diesen Stamm endlich von der Insel entfernen? Unzählige Male und es schürte nur noch mehr meinen Zorn auf dieses Pack, dass auch der Tod meines zweiten Bundpartners als Zeichen dafür genommen wurde, dass etwas mit mir nicht stimmen würde.

Mit gerade einmal achtzehn Jahresläufen entschlossen die Schamanen, das für mich anderes vorgesehen wäre. Aber was? Ich hatte weder das zweite Gesicht meiner Mutter geerbt, noch würde ich jemals den Bund eingehen. Ich blieb demnach an der Seite meiner Mutter, kümmerte mich um Verletzte, lernte mit Fellen, Leder und Knochen umzugehen um irgendwie meinen Beitrag im Stamm zu leisten. Aava jedoch, meine kleine Schwester, nahm meinen Platz ein, denn sie war mit dem zweiten Gesicht gesegnet worden und konnte nun die Pflichten erfüllen, die eigentlich von mir immer erwarten wurden.

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Veldys vom Askjell
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Re: Von Thule über das große Wasser

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Veldys von Brat'ack

Verschlungene Pfade

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Es ist nun etwas mehr als einen Jahreslauf her, dass sich mir neue Wege offenbarten und die Geister mir mein Schicksal darlegten. Sie nahmen mir etwas, doch gaben sie mir unweit mehr dafür.

Viele Jahre hatte ich mich mittlerweile mit Kräuterkunde und den verschiedensten Anwendungen von diesen beschäftigt. Ich war stets an der Seite meiner Mutter geblieben um ihre Handlungen zu unterstützen, die Geister zu ehren, Verletzte zu versorgen und auch die vielen Kräuter und Mittel zu präparieren, die wir im Stamm brauchten. Ich machte diese Aufgabe durchaus gerne, denn neben dem Verarbeiten von Leder und Knochen, war das einer der vielschichtigsten Arbeiten im Stamm, um seine Mitglieder im Alltag zu unterstützen.

Dieser eine Tag, vor etwas mehr als einem Jahreslauf, wird mir jedoch immer in Erinnerung bleiben. Es war einer der Tage, an denen ich den Stamm nach Norden verließ, um in den abgelegeneren Wäldern und sumpfigeren Gebieten nahe den Ruinen von Askjell nach selteneren Kräutern zu suchen. Die schwache Sonne stand in ihrem Zenit, doch schenkte sie kaum Wärme, wie man es auf Thule gewohnt war – Eis und Schnee waren hier die vorherrschenden Elemente. Ich war schon eine Weile damit beschäftigt die Wurzeln der gesuchten Kräuter aus dem aufgeweichten Boden zu graben, als ich ein verräterisches Frösteln bemerkte.

Im ersten Moment machte ich mir noch keine Gedanken darüber, doch der nächste, eisig kalte Windzug ließ mich aufschrecken. Als Nordfrau Sarmatijasch's hatte man es irgendwann in den Knochen, wenn sich in der Natur etwas veränderte... und diese Veränderung brachte etwas... unheilvolles mit sich? Wütende Naturgeister? Ich stand noch eine Weile da und lauschte dem Rauschen des stärker werdenden Windes in den Baumkronen, versuchte abzuschätzen was es war... ehe ich beschloss einen geschützten Ort zu suchen. Dort, so weit Draußen, keine leichte Aufgabe und eigentlich kamen nur die Ruinen von Askjell dafür in Frage.

Dieser aufkommende Sturm jedoch, war schneller als das, was man normalerweise erwartet hätte und so sah ich mich wenige Momente später schon gefangen im trüben Weiß eines ausgewachsenen Schneesturmes. Definitiv verärgerte Geister. Dachte ich zu diesem Zeitpunkt zumindest und ich erinnere mich noch, wie ich das schneeweiße Bärenfell enger um mein Haupt und meinen Körper schlang, um dem beißenden Weiß irgendwie zu entkommen. Askjell war nicht weit von diesem Punkt aus und ich befand mich im Grunde nur auf der anderen Seite eines Hügels, dessen Spitze ich gerade am erklimmen war. Dahinter würden die schützenden Ruinen auf mich warten.

Der Schrei eines Adlers, getragen vom eisigen Sturm, lenkte mich jedoch in diesem Moment ab und das, was daraus geschah, ist stellenweise in meinen Erinnerungen nur noch von einem dichten, wabernden Nebel vorhanden. Ich erinnere mich an den stechenden Schmerz als etwas hartes meine linke Gesichtshälfte traf und meine Sicht durch warme, rote Schlieren eingeschränkt wurde. Ein zweiter Schrei, näher diesmal, ließ mich Schwanken und offenbar stürzte ich in diesem Moment den Hang, zu den Ruinen, hinab. Das ist der Punkt, an dem ich mich nicht mehr an Vieles erinner.

Ich erinnere mich daran, dass ich die Geister anrief, sie bat mir noch mehr Zeit zu geben, während ich es irgendwie schaffte mich an eine Ruinenmauer zu schleppen, wo ich nicht mehr dem direkten Eissturm ausgesetzt war. Meine linke Gesichtshälfte taub, getränkt in das warme Rot, mein eines Bein vollkommen nutzlos. Gebrochen durch den Sturz.

Nachträglich vermute ich, dass ich einige Male das Bewusstsein verloren haben muss, denn das nächste an das ich mich erinner, ist diese riesige Gestalt, die sich aus dem dichten, wirbelnden Weiß zu schälen schien. Mein erster Gedanke war damals, dass das ein aufrecht gehender Bär sein musste, doch je näher die Gestalt kam, je klarer wurde, dass das lediglich ein Nordmann Sarmatijasch's war. Zugegeben eine recht imposante Statue, der ich lediglich einem Berserker zuschreiben würde. Ich erinnere mich an die aufkeimende Erleichterung, dann aber an den Zorn, als ich registrieren musste, dass das gewiss kein Brat'ack war. In diesem Moment wollte ich lieber Teil des Geisterreiches werden, als von einem Eivind gerettet zu werden. Ich schlug ihn, als er sich anschickte mir helfen zu wollen... das war das letzte an das ich mich erinner. Ich weiß heute noch immer nicht, ob der Blutverlust und die Verletzungen dazu geführt haben, dass ich wieder das Bewusstsein verlor, oder ob er mich einfach geschlagen hat.

Noch während der Sturm der Geister wütete, kam ich wieder zu mir. Ich brauchte eine Weile mich zu orientieren und festzustellen, dass ich mich in einer kleinen Höhle befand, in welcher ein kleines Feuer versuchte gegen die Kälte der Natur anzukämpfen. Nicht nur das, meine linke Gesichtshälfte war weiterhin taub und das Auge offenbar blind. Weg? Das konnte ich nicht sagen, aber ehe ich mir darüber, oder über mein gebrochenes Bein, Gedanken machen konnte, bemerkte ich in der gegenüberliegenden Ecke der Höhle den Eivind. Ich weiß noch genau, dass ich für einen Moment meine Chancen abgeschätzt hatte, ihn mit einem Stock des brennenden Feuers zu vertreiben, ehe seine Stimme mich aus den Gedanken riss.

Auch wenn er offenbar missmutiger und eher ungehaltener Natur zu sein schien, war da etwas, was ihn … nervös machte. Zumindest hinterließ er diesen Eindruck und er redete und redete und redete. Zwischenzeitlich ertappte ich mich wieder dabei die Ahnen anzurufen, sie mögen diesen Eivind einfach zum Schweigen bringen. Vermutlich erinnere ich mich deswegen nicht mehr an alles, was er mir erzählte. Jedoch merkte ich auch, dass die Wunde am Bein versorgt werden musste und ich immer schwächer wurde, je länger dies nicht geschah. Stolz oder Leben? Noch heute frage ich mich manchmal, ob es damals die richtige Entscheidung gewesen war, mir schließlich von ihm helfen zu lassen. Ich hatte durch meine Kräutersuche alles dabei und wies ihn mit knappen Worten an, was er zu tun hatte. Ich wollte nicht mehr als nötig mit ihm reden, wollte nicht länger als nötig in seine Nähe sein. Es würde nicht nur die Ahnen, sondern gewiss auch die Geister verärgern.

Seine Hilfsbereitschaft schreibe ich einem dahinter versteckten, hinterhältigen Plan zu. Es war bei uns im ganzen Stamm bekannt, dass die Eivinds kaum anständige Frauen hatten und ich wollte auch keine von denen sein, die von Ihn entführt wurden. Entsprechend setzte ich mich auch zu Wehr, als der Sturm sich gelegt hatte und er tatsächlich die Dreistigkeit besaß mich zu meinem Stamm tragen zu wollen. Nach den ersten Schlägen meinerseits ließ er von mir ab und ich muss wohl dabei so unglücklich auf mein Bein gefallen sein... oder hatte er mich wieder geschlagen..., dass es erneut ein schwarzer Fleck in meinen Erinnerungen entstand. Ich kam erst wieder zu mir, als ich mich schon an der Grenze zu meinem Stammesdorfes befand und die aufgeregten Rufe der Brat'ack, sowie zurrende Wurfspeere vernahm. Vom Eivind war keine Spur mehr.

Es stellte sich recht schnell heraus, dass der Sturm mir zwar mein linkes Auge genommen hatte, doch nach wenigen Monden erkannte ich die Gabe des zweiten Gesichts. Es ist immer ein Geben und ein Nehmen. Für die Geister, wie für uns.

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Sighvardh vom Askjell
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Re: Von Thule über das große Wasser

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Sighvardh von Eivind

Wie alles begann

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Dreihundert Jahre ist es nun her, dass die Trennung der beiden Stämme sein Anfang nahm und wir aus unserer rechtmässigen Heimat vertrieben wurden. Es war kein einfacher Weg, erzählt man sich. Eine Reise, die eigentlich einige Tage anhalten sollte, doch mehrere Wochenläufe in Anspruch nahm. Die Eivinds mussten damals ihr ganzes Hab und Gut, das wenige Vieh und ihre Kinder über den kompletten Kontinent schleppen. Eine Aufgabe, die für einige zu viel war und – zum Wohle der hinterlistigen Brat’acks – manchen beinahe das Leben kostete. Zu harsch waren die Bedingungen, denen sich sonst nur die tapfersten Berserker auf ihren Streifzügen in den Norden aussetzten.
Doch von Generation zu Generation lehrte man den Nachwuchs, wie man mit der eisigen Kälte des Nordens von Thule zurechtkam, nicht immer erfolgreich, wie unsere Vergangenheit aufzeigt. Zudem mussten unsere Vorfahren ihre Gewohnheiten in vielerlei Punkten ablegen – bis heute. Leichte Bekleidung ist bei uns nur selten zu sehen, meist in den beheizten Hütten. Denn die dicken Felle und das Leder der Tiere sind überlebenswichtig bei den vorherrschenden Temperaturen.
Der Norden war unerbittlich. Kahl, grünes gab es hier kaum. Dafür Bergketten und Höhlensysteme, deren Anblick atemberaubend schön ist. Monstrositäten aus Gestein, die sich in die Höhe recken und den kältesten und wildesten Stürmen der Luftgeister standhalten. Und Innendrin Höhlen, die so tief führen, dass die Erdgeister einen mit der zunehmenden Wärme aufzeigen, wie weit man vorgehen darf, ehe sie einen zurückdrängen, um die Geheimnisse des Herzens der Berge um jeden Preis geheim zu halten.

Eivind, wie die Landschaft des Nordens und unser Dorf aufgrund der eisigen Winde benannt wurde, verbirgt viele Schönheiten, wenn man weiss, wo man zu suchen hat. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir jeweils im Frühling unser Lager in der Nähe eines der wenigen Nadelwälder aufbauten. Nicht weit davon entfernt existierte innerhalb einer Waldlichtung ein Teich, der zu dieser Jahreszeit noch gefroren war. Wir machten es zu einer kleinen Tradition, das Eis zum Beginn des Frühlings zu brechen und im eiskalten Wasser zu baden und feierten dazu ein kleines Fest, um den Geistern für ihre Gaben zu danken, die sie uns zukommen liessen. Dabei haben wir keine Vorräte geschont und nur das Beste hergenommen, was wir auf den Tisch bringen konnten. Und das Kostbarste überhaupt im Norden: Met! Davon hatten wir nämlich nicht viel, aber zu solchen Feierlichkeiten gab es keinen Halt und so endete es bei den durstigen Eivinds nicht selten darin, dass wir alles getrunken haben.

Eine wirkliche Kindheit hatte ich nie. Ja, es gab natürlich Zeiten in denen ich noch die Freiheiten eines Kindes geniessen konnte. Unbeschwert rannten wir zwischen den Felsenformationen, die sich vor unserem Dorf befanden umher und versteckten uns hinter den Steinen vor den anderen. Dafür, dass die Natur kaum etwas her bot, waren wir letztendlich doch recht kreativ darin, Spiele zu erfinden, die uns unterhielten.
Lange währte das aber nicht. Denn schon früh wurde ich von meiner Mutter Asgyr auf die Kräutersuche mitgenommen. Sie war Kräuterweib des Stammes und so bot es sich an, dass sie mich mitnahm und lehrte, wo in der eisigen Kälte des Nordens noch nützliche Pflanzen und Kräuter zu finden waren. Eine Tätigkeit, die sich in all den Jahren sehr nützlich erwies, da ich durch ihr Wissen, dass sie mir weitergab in Erfahrung brachte, wie man Wunden notdürftig versorgen konnte. Etwas, dass mir bestimmt schon öfter das Leben rettete.
Zugegeben, was den Kräuterkundeunterricht betrifft, habe ich dem wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Das Brauen von Tränken und Mischungen habe ich in all der Zeit schon längst wieder verdrängt. Sie hatte sich die Mühe gemacht, mich darin zu lehren, aber ich war zu wütend darüber, dass ich die Berserker nicht auf die Jagd begleiten durfte, als dass ich mich damit abfinden wollte.

Doch auch das nahm ein Ende, als ich gross genug war, einen Bogen in die Hand zu nehmen. Noch heute bin ich darüber verärgert, dass ich nicht wie die anderen eine Axt erhielt, sondern genötigt wurde, mit Bogen und Pfeil zu kämpfen. Ich, ein Sohne Sarmatijasch! Und all das nur, weil ich inmitten eines Sturmes geboren wurde und den Ältesten nach meinem ersten Geschrei den Sturm besänftigte – ein Omen, wie sie noch behaupten. Gegen meinen Willen erlernte ich somit den Kampf mit dem Bogen, bis zu dem Tag, an dem ich mich gegen meine Mutter behauptete.
Sie war gerade dabei, das Abendessen zu bereiten, als ich sie konfrontierte und meinen Ärger über darüber kundtat, dass ich nicht wie ein richtiger Berserker kämpfen durfte. Dass die Ahnen mich verspotten würden, wenn sie davon erfuhren, wie ich kämpfe. Feige, hinter einem Bogen. Meine Mutter liess nicht nach, meine Wut stieg an. Bis ich zornerfüllt nach einem der Messer in der Küche griff und auf sie richtete. Just in dem Moment trat jedoch Vykr, mein Vater und oberster Berserker durch denn Fellvorhang, der unsere Tür ersetzte. Mit einem dumpfen Schlag auf den Hinterkopf beförderte er mich zu Boden und packte mich mit den Worten «Wenn du wirklich glaubst, dass du alt genug bist, dann unterziehen wir dich dem Ritus des Bransla» am Schopf und zerrte mich zu den Schamanen, die nur darauf warteten, mir endlich meine Prüfung zu offenbaren.

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Sighvardh vom Askjell
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Re: Von Thule über das große Wasser

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Sighvardh von Eivind

Die Bransla-Prüfung

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Noch heute geht mir ein unangenehmer Schauder durch meinen Körper, wenn ich daran zurückdenke, wie ich als Junge vor dem Zirkel der Schamanen stand und sie mich alle anstarrten. Sie versteckten sich hinter Hirschmasken mit gewaltigen, durch Knochen und Federn verzierten Geweihen. Nur die Iriden stachen aus den Augenhöhlen heraus und fixierten mich voller Aufmerksamkeit, als wäre ich die Beute einer Raubkatze. 
Die Situation wurde nicht besser, dadurch dass der Zirkel sich in einen der hiesigen Höhlen versammelte, deren Tiefe bis heute noch unbekannt ist. Wir nannten es das Tor zur Ahnenwelt, weil die Ältesten uns lehrten, dass das Heulen des Windes in der Höhle die Stimmen aus dem Jenseits aus den Untiefen der Höhlen an unsere Ohren trug. Der Grund dafür, dass wir nicht tiefer vordrangen, um zu erkunden, was die Dunkelheit vor uns verbarg. Denn nur die Toten haben die Erlaubnis, sich der Pforte zu nähern. 

Da stand ich also. Nichtsahnend vor dem Rat. Mich packte die Angst. Der Versuch, mein Aufbegehren zu entschuldigen, wurde mit einem «Schweig, Kerl!» unterbunden. Ich sah mich in dem Moment bereits verdammt – in Ungnade gefallen. 
Als Nordmann, der Respekt vor den Ahnen hat, umgibt mich immer ein ungutes Gefühl, wenn ich vor Schamanen oder den Hathran Rechenschaft leisten muss. Es ist diese Ungewissheit, nicht zu wissen was einen erwartet, wenn man vor einem Sprachrohr steht, die mich wahnsinnig macht. Erst recht damals, als ich noch jünger war und unseren Glauben nicht sehr ernst genommen habe. Schuldgefühle plagten mich, als ich vor ihnen stand und so stellte ich mir alles Mögliche an Strafen vor, die mich ereilen könnten. 
Sie redeten auf mich ein, sprachen davon, dass ich schon immer ein kleiner, rebellischer Wolf war. Dass die Zeit gekommen war und ich mich meiner Prüfung stellen musste. Das Gespräch fühlte sich wie eine Ewigkeit an, das Meiste erreichte meinen Geist nicht mal. Zu abgelenkt war ich. Doch als ich zu mir kam, hörte ich nur noch, wie sie mich aufforderten, das Dorf zu verlassen und erst zurückzukehren, wenn meine Prüfung vollendet war.

Ich kann mich noch gut an die Blicke meiner Eltern erinnern. Meine Mutter sah mir sorgenvoll nach, versuchte ihre Tränen für meine Stärke zurückzuhalten. Sie hob ihre Hand, winkte mir verabschiedend zu – in ihren Gedankenspielen womöglich das letzte Mal? Ein Lächeln zwang sie sich noch auf, doch sie konnte mich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ängste einer Mutter sie plagten. Mein Vater hingegen bildete den Kontrast zu ihr. Seine Mimik war starr, streng, was mitunter an seinen Gesichtszügen selbst lag. Er würdigte mir keinen längeren Blick als notwendig war und reckte das Kinn in die Höhe, ehe er sich abwandte. Diese Geste zeigte mir aber, dass auch er sich Sorgen machte. Denn mein Vater war kein Kerl, der einem das Gesicht abwandte. So schritt ich mit einem tiefen Atemzug in die Wildnis heraus und warf einen letzten Blick zum Dorf zurück, dessen Tore sich vor mir schlossen.

Die Kälte, die mich draussen in der Wildnis empfind, einzig mit einer Fackel und meiner Axt ausgestattet, war grauenvoll. Die Temperaturen waren so niedrig, dass ich die Kälte in den Knochen spüren konnte und jeder Schritt ein kleiner Kräfteakt war. Ich wusste, dass wenn ich keinen Unterschlupf finden und mich schnellstmöglich aufwärmen würde, mein Körper irgendwann nachgeben würde. So schritt ich eilig durch die Wälder und suchte am Fuss des Tales eine Höhle auf, von der ich wusste. Der Platz bot gerade ausreichend Schutz vor den eisigen Winden, dass ich in der Lage war, dort ein Lager aufzubauen. Die Suche nach passendem Holz stellte sich zwar als Herausforderung dar, doch gleichzeitig wärmten die Aktivitäten meinen Leib. Wenige Stunden nach meiner Abreise hatte ich also ein wärmendes Feuer, in das ich mich am liebsten hineingeworfen hätte, um der Kälte zu entkommen.

Die ersten zwei Tage vergingen schneller, als geplant. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich die Zeit nutzte, um mich auf die Suche nach Kräutern zu begeben. Salbei und dergleichen, für den Fall der Fälle. Denn eines war klar: Wollte ich die Prüfung der Schamanen bestehen, war ich gezwungen, ein Raubtier ohne Beihilfe zu erledigen. Die gefährlichste der Prüfungen, die es für eine Bransla zu beschreiten gab. Ich nutzte die freie Zeit, um mir einen improvisierten Speer mithilfe der Axt zu schnitzen und damit Fische aus dem nahegelegenen Fluss aufzuspiessen. Mit Erfolg. In den drei Tagen war dies, neben den Früchten seltener Beerenbüsche, meine Hauptnahrungsquelle. Es war anstrengend aber dadurch, dass ich gezwungen war, aktiv zu bleiben, war mr ständig warm und die Zeit verstrich wie im Flug.

Am dritten Tag, just in dem Moment als ich mich für einen längeren Marsch vorbereiten wollte, erblickte ich in der Ferne einen weissen Wolf. Ich hatte Glück, denn ich nahm dessen Bewegung nur aus dem Augenwinkel war. Angst erfüllte mich in dem Moment. Im Kopf ging ich bis zu dem Zeitpunkt schon öfter durch, wie ein Kampf mit einem Raubtier ausfallen würde, aber die Praxis sieht immer anders aus. Und dennoch ergriff ich meine Axt und eine Fackel, die ich entzündete, ehe ich die Höhle verliess. 
Mit jedem Schritt, dem ich dem Wolf näherkam, begann mein Herz schneller zu schlagen. Ich stellte mir die Frage, ob es wert war, das Risiko einzugehen. Die Schande, die ich meiner Familie gebracht hätte, nahm mir aber die Antwort. Es gab keine andere Option und so schrie ich auf und stürzte mich auf den Wolf, der sich als Albino herausstellte und der mich mit einem Zähnefletschen und Knurren begrüsste.
Ein Kampf entfachte, an den ich mich nicht mehr sonderlich erinnern kann. Mir gelang es, den Wolf früh zu verletzen, doch das machte ihn nur noch wilder. Seine Fangzähne bohren sich in meinen Oberarm, wodurch ich die Fackel zu Boden fallen liess. Der Wolf schreckte dadurch, zu meinem Glück, auf und liess von mir ab. Eine Gelegenheit, die ich beim Schopf ergriff, um die Fackel wieder zu ergreifen. Doch zu meinem Pech setzte der weisse Wolf just in dem Moment an, um mich anzuspringen. Das Wimmern des Wolfes, dass direkt im Anschluss zu hören war, wird mir für immer in Erinnerung bleiben. Der grosse Körper sackte auf meine Brust und pressten die Luft aus meinen Lungen, als ich bemerkte, wie sich eine warme Flüssigkeit auf meinem Bauch ausbreitete. Ein Blick an meinem Körper hinab zeigte auf, dass der Wolf sich in die Spitze meiner Streitaxt warf und dadurch selbst tötete. Glück im Unglück, wie man so schön sagt. 

Noch immer kann ich mich an die Erleichterung erinnern und dass ich noch eine Weile mit rasendem Herzen liegen blieb, ehe ich den Wolf in die Höhle zerrte, wo ich meine Wunden notdürftig behandelte und das Fell des Raubtieres abzog, um mich auf direktem Wege zum Dorf zu begeben, um meine Wunden heilen zu lassen und den Beweis der bestandenen Prüfung abzugeben.

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Veldys vom Askjell
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Re: Von Thule über das große Wasser

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Veldys von Brat'ack

Die Geisterweihe einer Hathran

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Es fiel mir verhältnismäßig wohl leicht, mich mit den Aufgaben und den Lehren einer Hathran Sarmatijaschs' vertraut zu machen, vermutlich weil ich von Kindesbeinen an darauf hin erzogen wurde und ich entsprechend meine Mutter schon immer begleitet hatte um ihr bei ihrem Alltag zu helfen.
Nun selber mit dieser Aufgabe gesegnet worden zu sein, war zwar noch immer etwas anderes, als einer Geisterfrau des Volkes zu helfen, aber es fühlte sich vom ersten Moment richtig an. Es schwemmte auch den Schmerz über das verlorene Auge hinweg, denn der Stolz das zweite Gesicht im Austausch bekommen zu haben, der war schlichtweg größer. Ich brauchte meine Schönheit nicht, um den Geistern zu dienen und wie mein Leben mir gelehrt hatte, verlief mein Schicksalsfaden sowieso fernab von einer Familie oder dergleichen.

Ich erinnere mich noch sehr gut an meine Geisterweihe, nicht nur weil sie erst ein paar Mondläufe zurück liegt, sondern weil es ein Meilenstein in meinem Leben darstellte. Es war kurz nachdem mir meine Mutter die alte Runenschrift des Nordvolkes gelehrt hatte, eine Schrift die nur von Schamanen oder Geisterfrauen gelehrt und genutzt werden durfte. Es war zugegeben nicht einfach sie zu lernen, sie bestand mehr aus Zeichen und Symbolen, die je nach Anordnung eine andere Bedeutung hatten, was es im Großen und Ganzen nicht einfach machte sie zu lernen. Sie war jedoch wichtig, denn mit ihr wurden auf Holztafeln, Knochen oder Steinobjekten Dinge für die Ewigkeit festgehalten. Alte Rituale, Anrufungen für die Geister oder Ahnen, oder gar Wissen, welches nur denjenigen zuteil werden sollte, die diese Symbolschrift beherrschten.

Meine Geisterweihe wurde unter den Pranken Kovakarhus abgehalten. Keine Besonderheit bei den Brat'acks, denn sie fühlten sich Grimla und Kovakarhu mehr verbunden, als Asagard. Es war eine Seltenheit das Asagard gewählt wurde und meist waren es Berserker die sich in seinem Zeichen sahen.
Bei mir war es jedoch der Ausgleich aller Dinge, die Harmonie zwischen Schaffung und Zerstörung, die Stärke und die Ruhe die in mir zu wohnen schienen, die mich den goldenen Bären wählen ließen.

Vor den anderen Geisterfrauen wurde mir mit den Blut eines Bären, vermischt mit Knochenpulver, Symbole der Weihe von meiner Mutter auf die Haut gezeichnet. Sie sollten die Geisterwelt auf den Prüfling aufmerksam machen und ihn zeitgleich segnen und somit schützen. Mir wurde alles abgenommen was ich bei mir hatte und lediglich meine Fellkleidung und ein Dolch blieben mir, ehe ich in den Wald geschickt wurde. Kovakarhu stand für den Ausgleich zwischen Grimla und Asagard, für ein Wesen welches nie mehr nahm, als das es brauchte und immer etwas zurückgab um das Gleichgewicht zu halten. Aber auch Geduld, Ruhe und innere wie äußere Stärke gehörten zu Kovakarhus Aspekten und es war nun an mir das alles unter Beweis zu stellen.
Einen Wochenlauf würde ich im Wald, fern der Siedlung und anderen des Nordvolkes, verbringen müssen. Zwei Wochenläufe in dem ich weder zu viel nehmen, noch aber verhungern durfte. Ein Ausgleich musste geschaffen werden, doch das Schwierigste würde der Bär selber sein, den ich mir vorgenommen hatte zu erlegen. Ein Zeichen der Stärke und ein Mittel um Kovakarhus Aspekte auf mich zu übertragen.

Die ersten drei Tage verbrachte ich damit mir ein kleines Lager einzurichten. Nahe bei einem kleinen Waldteich, der nicht nur mir Wasser gab, sondern auch einigen größeren Beerenbüschen. Meine Gedanken kreisten jedoch darum, wie ich nur mit einem Dolch bewaffnet mich einem Bär stellen sollte. Ich war eine Geisterfrau... die Geistern würden mir beistehen, aber dafür brauchte ich Opfer. Die darauffolgenden Tage durchkämmte ich den Wald und das nahe sumpfigere Land auf der Suche nach Kräutern, die mir helfen würden die Geister zu erreichen. Ich hatte nicht die rohe körperliche Kraft eines Kerles um mich einen Bären unvorbereitet zu stellen, ich würde das nutzen müssen, was mir von den Geistern geschenkt wurde.
Ich ernährte mich von den Bären und Wurzeln die ich aus der Erde grub und gab dafür etwas von meinem Blut zurück, das Wasser trank ich direkt aus der Quelle nahe meines provisorischen Lagers.

Nach etwa einem Wochenlauf fand ich die ersten Spuren eines Bären. Ein kleiner Bär, was ich Anhand der Prankenabdrücke im Schlamm erkennen konnte. Ein kleiner Bär, für ein kleines Weib. Es war nur gerecht. Bewaffnet mit dem Dolch und den Kräutern an meiner Seite folgte ich den Spuren des Bären, bis ich diesen schließlich fand. Er wühlte mit der Nase und seinen langen Krallen in der kalten Erde, vermutlich auf der Suche nach Essbaren. Es war wirklich klein. Ein Braunbär, vermutlich ein Weibchen. Ich durfte nicht zu lange warten, das war mir klar, denn je mehr Tage vergingen, je schwächer wurde ich durch die reduzierte Nahrung. Ich musste den Moment nutzen, denn der Bär hatte mich noch nicht bemerkt. Ein tiefer Atemzug, ein Griff zu den Kräutergaben für die Geister und die leisen Silben, als Anrufung in ihre Welt, wurden gesprochen.

»Erbaz Hagalaz«
»Dewus Gebo«


Die Wirkung trat sofort ein, nicht unbedingt in einer direkten Schwächung, sondern eher darin das der kleine Bär sich wütend auf die Hinterbeine stellte und mich sogleich registrierte. Kaum einen Wimpernschlag später sah ich, wie er auf mich zurannte – und da erkannte ich, dass die Geister mich gehört hatten. Die Bewegungen des Bären waren stockender, steif gar und es fehlte an Kraft. Das war meine Gelegenheit ehe die Wirkung der Geisterwelt nachließ. Ich richtete mich auf, fasste den Dolch fester und bereitete mich auf die Kollision mit dem Bären vor.

Trotz der Hilfe der Geisterwelt war es kein einfacher Kampf. Die Wucht des Aufprall hatte mich direkt von den Füßen gerissen, so dass ich fast den Dolch verloren hätte. Der Dolch jedoch war meine Rettung denn ich schaffte es, nach einem Moment des Ringens, diesen in den Hals des Bären zu bohren. Während der Bär mit einem Röcheln zur Seite kippte, robbte ich mich rücklings von ihm weg. Seine Pranken hatten die Haut an meinen Armen und Beinen aufgerissen und stellenweise durchaus tiefere Wunden hinterlassen, aber in Angesicht der Situation war das wohl ein kleiner Preis gewesen. Mein Körper schmerzte, jede Faser und jeder Muskel war am brennen und doch rappelte ich mich auf um auf den Bären zuzugehen, der im Sterben lag.

Ich kniete neben ihm nieder und nahm erneut meinem Dolch zur Hand um diesen mit einem Ruck in sein Herz zu stoßen, während ich leise Worte murmelte.

» Find' fried'n kleiner Bruder, takk für dein Opfer. «

Ich harrte aus, bis der letzte Atemzug den Bären verlassen hatte, ehe ich das Herz aus seinem Brustkorb schnitt um es noch heiß und blutig zu essen. Ein normaler Vorgang für einen Brat'ack, der eines der heiligen Tiere erlegte. Es war ein Zeichen, dass man das Tier würdigte und man erhoffte sich so, dass die Stärke des Tieres auf einen selber übergehen würde. Vollkommen erledigt entfernte ich danach die Augen des Tieres, um sie mit einem leisen »Algiz Fehu« in Flammen aufzulösen, um die Seele des Tieres in die Welt der Geister zu schicken.

» Find' dein'n Weg als Teil des ewig'n Kreislauf's. Adler... geleit' die Seele sicher. «

Ein Blick zum Himmel, in der Hoffnung das der Adler mich erhören würde, ehe ich beobachtete wie die Asche der Augen mit dem Wind davon getragen wurde. Ein zufriedenes Durchatmen, aber auch ein Zittern, meine Wunden mussten versorgt werden und doch war ich noch nicht fertig. Notdürftig behandelte ich die tiefsten Wunden mit zerkauten Kräutern und leisen Anrufungen an die Geisterwelt, ehe ich mich auf den Weg machte um den Kadaver des Bären zu meinem Lager zu schleppen. Ein kräftezehrender Akt und ich musste einige Pausen einlegen, gar wurde mir zwischenzeitlich schwarz vor den Augen, aber den Kadaver nicht entsprechend zu verwerten, würde Kovakarhu erzürnen.

Im Lager angekommen begann ich den Bären zu zerlegen. Das Fell aufzuhängen, das Fleisch in seine verschiednen Teile zu schneiden, wobei ich ein paar Streifen über das Feuer hing. Nahrung würde meinem Körper gut tun. Die restlichen Innereien hing ich in die umliegenden Bäume, dort wo andere Waldbewohner und die Geister sich ihrer habhaft werden konnte. Etwas musste auch hier zurückgegeben werden. Ein Teil des Blutes trank ich, mit dem anderen Teil erneuerte ich die Bemalungen auf meinem Körper oder ließ es in das Erdreich, zurück zur Geisterwelt, sickern. Etwas vom Blut gab ich auch den Beerenbüschen zurück, die mich die Tage über ernährt hatten. Die Knochen säuberte ich und legte sie sorgfältig zurecht, ich würde sie am Ende der zwei Wochenläufe, wie auch das Fell, mit zum Dorf nehmen.

Und dann erst, nachdem alles verwertet wurde und ich etwas von dem gebratenen Fleisch gegessen hatte, konnte ich mich ausruhen. Ich glaube so schnell und erholsam wie in dieser Nacht während meiner Geisterweihe hatte ich vorher noch keine Nacht verbracht. Ich verbrachte noch die restlichen Umläufe im Wald, aß das Fleisch des Bären und brach dann schließlich am letzten Tag ins Dorf auf. Die Knochen in das Fell des Bären eingewickelt, das restliche Fleisch, was viel zu viel für mich allein gewesen war, hatte ich im Wald für die anderen Waldbewohner gelassen.

Als ich endlich die Palisaden meines Dorfes in der Ferne erblickten konnte, wusste ich, ich hatte meine Geisterweihe, meine Weihe zur Hathran, bestanden.

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Sighvardh vom Askjell
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Re: Von Thule über das große Wasser

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Sighvardh von Eivind

Schicksalsvoller Sturm

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Etwas über ein Jahreslauf ist nun seit dem grossen Schneesturm auf Thule vergangen. Ein Schneesturm so gross und wütend, dass selbst wir, die Bewohner Thules grossen Respekt davor hatten und uns vor dem Unwetter in den Hütten versteckten. 

Mir schien, als wäre es erst gestern gewesen. Noch früh am Morgen packte ich Proviant für einige Tagesläufe ein, sowie meine Axt, die mich mit jedem Schritt und Tritt begleitete. Die meines Bruders, graviert mit Zeichen unseres Volkes und einem Abbild eines Wolfes. Ich erbte sie am Tage seines Todes, nach der Schlacht um Askjell und führte sie seither mit Stolz und Gedenken an meinen Bruder. Sie leistete mir guten Dienst und würde es auch auf dieser Reise wieder tun, davon war ich überzeugt. Unsere Soeker waren nämlich zu diesem Zeitpunkt bereits anderweitig beschäftigt und so nahm ich mich freiwillig der Aufgabe an, andere Teile der Insel auszukundschaften. 

Die Sonne schwängerte das morgendliche Himmelszelt in einem mystischen Blutorange, dass durch die Bewegung der Wolken den Anschein erweckte, als stünde der Himmel in Flammen, die über die Ländereien Thules wälzten. Ein faszinierender Anblick, in dem ich mich für einige Herzschläge verlor, ehe das Schulterklopfen Jorus mich aus meinen Gedanken riss. Wir führten noch ein kurzes Gespräch, in dem er anbot, mich zu begleiten, während wir den Pfad entlang schritten, der aus dem Wald führte, in dem wir unsere Siedlung bauten. Ich lehnte ab, erklärte, dass ich gerne einige Tagesläufe meine Ruhe hätte. Nichts als die Wahrheit. Auch wenn die Reisen kräftezerrend waren, so hatte es etwas Entspannendes an sich durch die Natur zu streifen, den Geräuschen zu lauschen und seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Und zugegeben hatte ich einfach keine Nerven dazu, einen Jungsjaman mit mir zu schleppen, der mir die Ohren vollgelabert hätte!

Mein Weg führte mich in den Süden. Die ersten Tage waren recht ruhig und ereignislos. Das aufregendste war ein kurzer Kampf mit einem Wildschwein, der Widerstand leistete und mich von den Füssen riss. Etwas, dass mich verärgert und im gleichen Moment auch amüsiert hatte. Die Dreckssau hat mich, einen Sohn Sarmatijasch’, von den Füssen geworfen. Welch Kraft in diesem wandelnden Stück Essen steckte! Das Grunzen des Schweines klang nicht weniger amüsiert, doch letztendlich, als es über dem Feuer hing und ich mir die ersten Stücke vom Fleisch abschnitt, war ich es, der lachte und zufrieden aufbrummte. Die Nahrung für den Tag und auch die kommenden war damit gesichert. 

Es war in den Abendstunden, als plötzlich ein eisig kalter Winzug meinen Leib umhüllte und alle Haare aufsteigen liess. Eine deutliche Gänsehaut bedeckte meinen Körper. Ich musste kein Sjaman sein, um zu wissen, dass es nichts Gutes zu bedeuten hatte. Was es wohl war, dass diesen eisigen Wind so tief in den Süden schickte? Hatten die Brat’acks wieder etwas angestellt, dass den Zorn der Geister herbeirief? Die Gedanken schob ich für den Moment beiseite, griff nach meiner Axt und dem Beutel an Proviant und brach auf der Stelle auf. Sich bei den harschen Wetterbedingungen nicht zu bewegen, hätte mich erfrieren lassen. Ein unehrenhafter Tod, der einem den Zutritt zu den Hallen der Ahnen verwehren würde und ich daher um jeden Preis vermeiden wollte. 

So begab ich mich weiter in den Süden, während der Wind immer mehr an Stärke zunahm und mit jedem viertel Stundenlauf wilder wurde. Meine Haare peitschten mir durch das Gesicht, während ich eine Hand schützend vor mein Gesicht hielt. Der Schnee wurde von den starken Winden aufgewirbelt und so dauerte es nicht lange, bis die Sicht sich zunehmend verschlechterte. Das Heulen der Luftgeister drang an meine Ohren, liess mich kurz vor Ehrfurcht erschaudern. Doch ich beschritt den Weg weiter, Schritt für Schritt, auch wenn die Schritte schwerer wurden. 
Trotz der unmenschlichen Bedingungen, denen ich mich ausgesetzt sah, musste ich mir gestehen, dass ich es mochte, inmitten des Sturmes hindurchzuschreiten. Als Sohn des Donners, inmitten eines Orkans geboren, fühlte ich genau in diesen Momenten die Verbundenheit zur Natur am deutlichsten. Und so erhob ich meine Stimme, brüllte in den Sturm hinein und pries die Ahnen. Zu meiner Verwunderung erhielt ich eine Antwort. Erste Blitze schlugen in der Ferne in den Boden, erhellten unter einem lauten und gedehnten Grollen den weissen Nebelschleier, der das Licht reflektierte und mich teilweise blendete. Ein Schneesturm mit Blitzen, ein Naturphänomen, dass mehr als selten war, selbst für Thule. Es war die Bestätigung der vorangegangenen Befürchtung, dass irgendetwas vorgefallen sein musste.

Nach weiteren, gefühlt unendlich langen Augenblicken, in denen ich orientierungslos durch den schweren Sturm schritt, zeichneten sich in der Ferne erste Umrisse von Hütten ab. Nein, Ruinen. Solche, die mir nur allzu bekannt vorkamen. Die Ruinen von Askjell. Sie würden mir Sicherheit vor den eisigen Winden bieten und so schritt ich mit eiligen Schritten auf das zerstörte Dorf zu, ging durch die verlassenen Gassen der einstigen, bis… ein Wimmern meine Ohren erreichte. Ja, es war das Wimmern einer Frau oder so bildete ich es mir zumindest ein. Der Blick meiner opallauen Augen schweifte über die Ruinen, folgte den Wegen und Ecken der einstigen Hütte, bis ich auf Blut stiess, dass den schneebedeckten Boden tränkte. Verwirrt entschied ich mich dazu, den Spuren zu folgen und siehe da, tatsächlich traf ich auf ein Weib an, die dort im Schnee lag. 
Verwirrt stand ich da, blickte in ihr blutüberstömtes Gesicht… und war für den Moment geschockt. Nicht nur über den Umstand, dass sie sich irgendetwas aus dem Auge gezogen haben und alleine in der Wildnis dem Schneesturm trotzte, nein. Es war das erste Mal, dass ich auf ein Weib des verfeindeten Stammes traf. Schnell war mir klar, dass die Mythen, die man sich über die Schönheit der weiblichen Brat’acks in unserem Dorf erzählten, stimmen mussten. Man sprach davon, dass deren Schamanen in einem Akt des Neides das Volk der Eivinds verfluchte und die Schönheit der Frauen stahl, um sie den eigenen Weibern zuzuführen. Und wahrlich, es hatte sich damit bewahrheitet! Gross gewachsen, weibliche Rundungen, die sich unter den Fellen abzeichneten und ein praller Hintern, wie ein… abgelenkt schüttelte ich den Kopf und bückte mich zu ihr hinunter, statt weiter meinen Gedanken nachzuhängen. Ich musste handeln, ehe es zu spät wäre. Denn eines war mir klar: Sie würde keine Stunden überleben können, würde sie dort liegenbleiben.
Das Weib jedoch fauchte mir direkt entgegen, als ich versucht hatte, sie hochzuheben. Alleine schien sie nämlich nichts mehr wegzukommen, ihr Bein schien nach kurzer Musterung verletzt. Ich sah keine andere Wahl und so brachte ich sie mit einem gezielten Hieb dazu, zwangsläufig zu schlafen. Mit einem Schnaufen hob ich ihren Leib auf meine Schulter und machte ich in eine bestimmte Richtung auf, von der ich wusste, dass dort eine Höhle zu finden war. 

Und tatsächlich hatte ich Recht. Einen halben Stundenlauf schleppte ich sie durch den eisigen Wintersturm, bis wir die Höhle erreichten. Ich selbst rannte nochmal hinaus, suchte eine Weile lang nach passenden Hölzern, die nicht zu feucht waren, um später ein Feuer zu entzünden. Es war gerade gross genug, um uns Wärme schenken zu können, doch die Kälte konnte durch die starken Windzüge nicht gänzlich zurückgedrängt werden. Mein Schlag muss ihr ordentlich das Bewusstsein geraubt haben, denn es dauerte einige Stunden, bis das Weib wieder die Augenlider unter einem Brummeln hochschlug. Ich selbst sass in der gegenüberliegenden Ecke, beobachtete die fremde Schönheit mit Argwohn und Faszination, bis ihr Blick mich traf. 
Unwohlsein machte sich in mir breit. Wir hörten viel über die Brat’acks, vor allem deren Weibern. Sie wären gefährlich, viele davon dem Pfad der Hathrans verschrieben und in der Lage, die Kerle zu verfluchen und deren Verstand zu benebeln. Ich begann daher alsbald mit ihr zu sprechen, erzählte ihre Einzelheiten über mich und meiner Herkunft, während sie mich grimmig und voller Zorn anstarrte, als würde sie mich gleich anfallen wollen. Die Stimmung war angespannt. Nicht die sexuelle Art von Spannung, sondern Mordeslust! 
Irgendwann unterbrach sie meinen Redefluss und schickte mich an, ihre Wunden notdürftig zu behandeln. Ich lauschte ihr, folgte den Aufforderungen und war ihr gelegentlich aufgrund ihrer beleidigenden Art mahnende Blicke zu. Doch ich hielt mich zurück. Denn war wäre ehrloser, als ein verwundetes und wehrloses Weib zu schlagen oder gar zu töten? Nachdem ich die Paste aus verschiedenen Kräutern über die Wunde strich und die Bandagen um diese wickelte, wich ich aber schliesslich zurück. 

Später, als der Sturm endlich abgeklungen war, erklärte ich ihr, dass ich sie zu ihrem Stamm zurückführen würde. Wie schon zuvor in den Ruinen Askjells weigerte sie sich dazu, sich von mir tragen zu lassen und wagte den Versuch, sich selbst aufzudrücken. Unter einem Schnauben versuchte sie sich aufzudrücken, fiel aber wieder wimmernd zu Boden, wo ich… schlicht noch nachhalf, indem ich sie wieder bewusstlos schlug. Ich war nicht in der Stimmung, mich mit ihr herumzuplagen und so wählte ich den einfachen Weg.

Nach wenigen Stunden des Wanderns kam ich schliesslich beim Stamm der Brat’ack an. Die Wilde riefen sie Drohungen in meine Richtung, während ich das Weib vorsichtig auf dem Boden absetzte und darauf wartete, dass sie jemand einsammelte. Zwei Kerle kamen angerannt, packten sie und knurrten mir entgegen, was ich mit einem Schnaufen, unbeeindruckter Art, erwiderte. Ich wartete, bis sie sicher in das Dorf hineingebracht wurde und die ersten Wurfspeere angeflogen kamen, die mir aufzeigten, dass ich dort nicht willkommen war. Es war an der Zeit, zurückzukehren.
 
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