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Sighvardh von Eivind
Schicksalsvoller Sturm
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Etwas über ein Jahreslauf ist nun seit dem grossen Schneesturm auf Thule vergangen. Ein Schneesturm so gross und wütend, dass selbst wir, die Bewohner Thules grossen Respekt davor hatten und uns vor dem Unwetter in den Hütten versteckten.
Mir schien, als wäre es erst gestern gewesen. Noch früh am Morgen packte ich Proviant für einige Tagesläufe ein, sowie meine Axt, die mich mit jedem Schritt und Tritt begleitete. Die meines Bruders, graviert mit Zeichen unseres Volkes und einem Abbild eines Wolfes. Ich erbte sie am Tage seines Todes, nach der Schlacht um Askjell und führte sie seither mit Stolz und Gedenken an meinen Bruder. Sie leistete mir guten Dienst und würde es auch auf dieser Reise wieder tun, davon war ich überzeugt. Unsere Soeker waren nämlich zu diesem Zeitpunkt bereits anderweitig beschäftigt und so nahm ich mich freiwillig der Aufgabe an, andere Teile der Insel auszukundschaften.
Die Sonne schwängerte das morgendliche Himmelszelt in einem mystischen Blutorange, dass durch die Bewegung der Wolken den Anschein erweckte, als stünde der Himmel in Flammen, die über die Ländereien Thules wälzten. Ein faszinierender Anblick, in dem ich mich für einige Herzschläge verlor, ehe das Schulterklopfen Jorus mich aus meinen Gedanken riss. Wir führten noch ein kurzes Gespräch, in dem er anbot, mich zu begleiten, während wir den Pfad entlang schritten, der aus dem Wald führte, in dem wir unsere Siedlung bauten. Ich lehnte ab, erklärte, dass ich gerne einige Tagesläufe meine Ruhe hätte. Nichts als die Wahrheit. Auch wenn die Reisen kräftezerrend waren, so hatte es etwas Entspannendes an sich durch die Natur zu streifen, den Geräuschen zu lauschen und seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Und zugegeben hatte ich einfach keine Nerven dazu, einen Jungsjaman mit mir zu schleppen, der mir die Ohren vollgelabert hätte!
Mein Weg führte mich in den Süden. Die ersten Tage waren recht ruhig und ereignislos. Das aufregendste war ein kurzer Kampf mit einem Wildschwein, der Widerstand leistete und mich von den Füssen riss. Etwas, dass mich verärgert und im gleichen Moment auch amüsiert hatte. Die Dreckssau hat mich, einen Sohn Sarmatijasch’, von den Füssen geworfen. Welch Kraft in diesem wandelnden Stück Essen steckte! Das Grunzen des Schweines klang nicht weniger amüsiert, doch letztendlich, als es über dem Feuer hing und ich mir die ersten Stücke vom Fleisch abschnitt, war ich es, der lachte und zufrieden aufbrummte. Die Nahrung für den Tag und auch die kommenden war damit gesichert.
Es war in den Abendstunden, als plötzlich ein eisig kalter Winzug meinen Leib umhüllte und alle Haare aufsteigen liess. Eine deutliche Gänsehaut bedeckte meinen Körper. Ich musste kein Sjaman sein, um zu wissen, dass es nichts Gutes zu bedeuten hatte. Was es wohl war, dass diesen eisigen Wind so tief in den Süden schickte? Hatten die Brat’acks wieder etwas angestellt, dass den Zorn der Geister herbeirief? Die Gedanken schob ich für den Moment beiseite, griff nach meiner Axt und dem Beutel an Proviant und brach auf der Stelle auf. Sich bei den harschen Wetterbedingungen nicht zu bewegen, hätte mich erfrieren lassen. Ein unehrenhafter Tod, der einem den Zutritt zu den Hallen der Ahnen verwehren würde und ich daher um jeden Preis vermeiden wollte.
So begab ich mich weiter in den Süden, während der Wind immer mehr an Stärke zunahm und mit jedem viertel Stundenlauf wilder wurde. Meine Haare peitschten mir durch das Gesicht, während ich eine Hand schützend vor mein Gesicht hielt. Der Schnee wurde von den starken Winden aufgewirbelt und so dauerte es nicht lange, bis die Sicht sich zunehmend verschlechterte. Das Heulen der Luftgeister drang an meine Ohren, liess mich kurz vor Ehrfurcht erschaudern. Doch ich beschritt den Weg weiter, Schritt für Schritt, auch wenn die Schritte schwerer wurden.
Trotz der unmenschlichen Bedingungen, denen ich mich ausgesetzt sah, musste ich mir gestehen, dass ich es mochte, inmitten des Sturmes hindurchzuschreiten. Als Sohn des Donners, inmitten eines Orkans geboren, fühlte ich genau in diesen Momenten die Verbundenheit zur Natur am deutlichsten. Und so erhob ich meine Stimme, brüllte in den Sturm hinein und pries die Ahnen. Zu meiner Verwunderung erhielt ich eine Antwort. Erste Blitze schlugen in der Ferne in den Boden, erhellten unter einem lauten und gedehnten Grollen den weissen Nebelschleier, der das Licht reflektierte und mich teilweise blendete. Ein Schneesturm mit Blitzen, ein Naturphänomen, dass mehr als selten war, selbst für Thule. Es war die Bestätigung der vorangegangenen Befürchtung, dass irgendetwas vorgefallen sein musste.
Nach weiteren, gefühlt unendlich langen Augenblicken, in denen ich orientierungslos durch den schweren Sturm schritt, zeichneten sich in der Ferne erste Umrisse von Hütten ab. Nein, Ruinen. Solche, die mir nur allzu bekannt vorkamen. Die Ruinen von Askjell. Sie würden mir Sicherheit vor den eisigen Winden bieten und so schritt ich mit eiligen Schritten auf das zerstörte Dorf zu, ging durch die verlassenen Gassen der einstigen, bis… ein Wimmern meine Ohren erreichte. Ja, es war das Wimmern einer Frau oder so bildete ich es mir zumindest ein. Der Blick meiner opallauen Augen schweifte über die Ruinen, folgte den Wegen und Ecken der einstigen Hütte, bis ich auf Blut stiess, dass den schneebedeckten Boden tränkte. Verwirrt entschied ich mich dazu, den Spuren zu folgen und siehe da, tatsächlich traf ich auf ein Weib an, die dort im Schnee lag.
Verwirrt stand ich da, blickte in ihr blutüberstömtes Gesicht… und war für den Moment geschockt. Nicht nur über den Umstand, dass sie sich irgendetwas aus dem Auge gezogen haben und alleine in der Wildnis dem Schneesturm trotzte, nein. Es war das erste Mal, dass ich auf ein Weib des verfeindeten Stammes traf. Schnell war mir klar, dass die Mythen, die man sich über die Schönheit der weiblichen Brat’acks in unserem Dorf erzählten, stimmen mussten. Man sprach davon, dass deren Schamanen in einem Akt des Neides das Volk der Eivinds verfluchte und die Schönheit der Frauen stahl, um sie den eigenen Weibern zuzuführen. Und wahrlich, es hatte sich damit bewahrheitet! Gross gewachsen, weibliche Rundungen, die sich unter den Fellen abzeichneten und ein praller Hintern, wie ein… abgelenkt schüttelte ich den Kopf und bückte mich zu ihr hinunter, statt weiter meinen Gedanken nachzuhängen. Ich musste handeln, ehe es zu spät wäre. Denn eines war mir klar: Sie würde keine Stunden überleben können, würde sie dort liegenbleiben.
Das Weib jedoch fauchte mir direkt entgegen, als ich versucht hatte, sie hochzuheben. Alleine schien sie nämlich nichts mehr wegzukommen, ihr Bein schien nach kurzer Musterung verletzt. Ich sah keine andere Wahl und so brachte ich sie mit einem gezielten Hieb dazu, zwangsläufig zu schlafen. Mit einem Schnaufen hob ich ihren Leib auf meine Schulter und machte ich in eine bestimmte Richtung auf, von der ich wusste, dass dort eine Höhle zu finden war.
Und tatsächlich hatte ich Recht. Einen halben Stundenlauf schleppte ich sie durch den eisigen Wintersturm, bis wir die Höhle erreichten. Ich selbst rannte nochmal hinaus, suchte eine Weile lang nach passenden Hölzern, die nicht zu feucht waren, um später ein Feuer zu entzünden. Es war gerade gross genug, um uns Wärme schenken zu können, doch die Kälte konnte durch die starken Windzüge nicht gänzlich zurückgedrängt werden. Mein Schlag muss ihr ordentlich das Bewusstsein geraubt haben, denn es dauerte einige Stunden, bis das Weib wieder die Augenlider unter einem Brummeln hochschlug. Ich selbst sass in der gegenüberliegenden Ecke, beobachtete die fremde Schönheit mit Argwohn und Faszination, bis ihr Blick mich traf.
Unwohlsein machte sich in mir breit. Wir hörten viel über die Brat’acks, vor allem deren Weibern. Sie wären gefährlich, viele davon dem Pfad der Hathrans verschrieben und in der Lage, die Kerle zu verfluchen und deren Verstand zu benebeln. Ich begann daher alsbald mit ihr zu sprechen, erzählte ihre Einzelheiten über mich und meiner Herkunft, während sie mich grimmig und voller Zorn anstarrte, als würde sie mich gleich anfallen wollen. Die Stimmung war angespannt. Nicht die sexuelle Art von Spannung, sondern Mordeslust!
Irgendwann unterbrach sie meinen Redefluss und schickte mich an, ihre Wunden notdürftig zu behandeln. Ich lauschte ihr, folgte den Aufforderungen und war ihr gelegentlich aufgrund ihrer beleidigenden Art mahnende Blicke zu. Doch ich hielt mich zurück. Denn war wäre ehrloser, als ein verwundetes und wehrloses Weib zu schlagen oder gar zu töten? Nachdem ich die Paste aus verschiedenen Kräutern über die Wunde strich und die Bandagen um diese wickelte, wich ich aber schliesslich zurück.
Später, als der Sturm endlich abgeklungen war, erklärte ich ihr, dass ich sie zu ihrem Stamm zurückführen würde. Wie schon zuvor in den Ruinen Askjells weigerte sie sich dazu, sich von mir tragen zu lassen und wagte den Versuch, sich selbst aufzudrücken. Unter einem Schnauben versuchte sie sich aufzudrücken, fiel aber wieder wimmernd zu Boden, wo ich… schlicht noch nachhalf, indem ich sie wieder bewusstlos schlug. Ich war nicht in der Stimmung, mich mit ihr herumzuplagen und so wählte ich den einfachen Weg.
Nach wenigen Stunden des Wanderns kam ich schliesslich beim Stamm der Brat’ack an. Die Wilde riefen sie Drohungen in meine Richtung, während ich das Weib vorsichtig auf dem Boden absetzte und darauf wartete, dass sie jemand einsammelte. Zwei Kerle kamen angerannt, packten sie und knurrten mir entgegen, was ich mit einem Schnaufen, unbeeindruckter Art, erwiderte. Ich wartete, bis sie sicher in das Dorf hineingebracht wurde und die ersten Wurfspeere angeflogen kamen, die mir aufzeigten, dass ich dort nicht willkommen war. Es war an der Zeit, zurückzukehren.
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