Im Zeichen des Sternenwolfes

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Bratak
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Im Zeichen des Sternenwolfes

Beitrag von Bratak »

****** Vor einigen Mondlaufzyklen ******
  
Der Hühne erwachte und öffnete seine Augen. Er erblickte den dunklen Himmel, gespickt mit all den funkelnden Sternen, welche über seiner Welt hingen. Nun plötzlich fühlte er sie, eine nicht bestimmbare Anzahl an Nadeln schien in seinen Körper zu stechen. Behäbig neigte er seinen Kopf zur Seite und sah den puren, weißen Schnee, welcher ihn umgab und ihn nahezu einzuschließen schien. Die Kälte bohrte sich in seinen Körper, er hieß sie willkommen. Er befand sich irgendwo in einer Gebirgskette, weit oberhalb der Schneegrenze, doch nicht auf einem Gipfel.
  
Er hob den Kopf ein wenig an und schaute an sich herab, der nackte Oberkörper zitterte wenig, obwohl er seit einiger Zeit hier gelegen haben musste. Er versuchte, seinen Blick klarer zu stellen, aber es misslang ihm. Die Sterne waren keine klar umrissenen Punkte mehr, sondern undeutliche Schemen. Sie bewegten sich langsam und bildeten skurrile Muster.
 
Die undeutlichen Schemen oberhalb bewegten sich, bis einige von ihnen scheinbar danach suchten, die Gestalt eines Wolfes anzunehmen. Der Sternenwolf hallte es durch den Kopf des Barbaren. Bislang war ihm dieser nur in seinen Träumen begegnet und hatte ihn stets zurückgelassen, ohne eine Weisung oder Hinweis. Er erhob sich taumelnd, kniff erneut die Augen zusammen und blickte wieder hinauf, nur um zu sehen, wie die Sterne, die eben noch das Bildnis eines Wolfes darstellten, auseinander stoben wie Feuerfunken aus einem Kamin. Der Barbar meinte, ein leises Wolfsheulen in seinem Kopfe hallen zu hören, ehe er das Fell, welches neben ihm lag, über seine Schulter legte.
  
Die Sonne kroch langsam über die Bergkämme hinweg und erhellte das Himmelszelt mit ihrem roten Schein.
  
Ihm peitschte der eisige Wind ins Gesicht. Unverdrossen setzte er einen Fuß vor den anderen und erklomm den Berg. Nach einer eisigen Ewigkeit erreichte er den Gipfel und schaute sich die Welt um sich herum genauer an. Seine Augen verengten sich, als er jene Gegenden erblickte, die jenseits des Eises lagen und in denen er einst wandelte. Der Schrei eines Bergadlers riss ihn alsbald aus seinen Gedanken, als dieser weit über seinem Haupte seine Kreise zog.
  
Dieser ist ebenso auf der Suche. Nach Beute oder seiner Sippe? Er hat die schärfsten Augen und scheint doch ewigsuchend.
  
Der Adler verschwand nach einigen Minuten in Richtung des eisfreien Landes, nicht ohne sich mit einem weiteren Schrei vom Barbaren zu verabschieden. Dieser hob die Hand zum Abschied und blickte dem Vogel noch lange hinterher.
  
Er sucht und sucht, das ganze Leben ist eine Suche für jenen.
Sarmatijasch schickte mich auf die Suche – Bratak fand nur den Sternenwolf. Vielleicht wird auch diese Suche niemals enden.
Das Leben ist eine einzige Suche.
  
Mit diesen Gedanken im Kopfe stapfte der Barbar den schneebedeckten Berg wieder herab und erreichte seine Höhle. Seine wenigen Habseligkeiten, zumeist Felle zur Kleidung und seine mächtigen Waffen, lagen wohlgeordnet an den felsigen Wänden.
  
 Die Antwort, welche er auf dieser Reise erhalten hatte, war nicht die absolute und seine Suche war damit nicht beendet. Auf eine Frage eine Antwort zu erhalten, führt nur dazu, dass weitere Fragen auftauchen, die eine Antwort verlangten. Ein breites, schiefes Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit, als ihm all diese Gedanken durch den Kopf schossen.
  
 Er warf sich einen gepackten Beutel über die Schulter, packte seine Äxte und verließ kurzentschlossen die Höhle.
  
 
 ******
  
Der Bauerssohn versuchte gerade Herr des Unkrauts im Garten seiner Eltern zu werden, als er schwere Hufe den Weg entlangkommen hörte. Er blickte auf und stellte sich auf die Zehenspitzen, um über die steinige Mauer sehen zu können. Als er den Riesen zu Pferde erblickte, machte er sich sofort wieder klein und verbarg sich hinter der Mauer. Er hat mich nicht gesehen!
  
Ein tiefes Grollen ertönte, in etwa aus Richtung des riesenhaften Reiters. Dann erklang eine seltsame, tiefe Stimme:
  
 „Zwergmensch! Der Ruf dieser Häuserversammlung ist?“
  
Der Junge zuckte zusammen. Was zum Teufel ist ein Zwergmensch? Er schaute sich hektisch um und begriff, dass keine andere Seele in der Umgebung war. Der Riese musste ihn meinen. Er erhob sich also und versuchte, tapfer zu sein...
  
„Dies, äh, Häuserversammlung ist ein lustiges...äh, Wort. Ihr befindet euch in den Ausläufen von Nordhain, Herr, äh...“ Als er die Worte gesprochen hatte, war sein Mut für den heutigen Tage aufgebraucht und er spurtete los wie ein Kaninchen, lief im Zickzack in Richtung des Bauernhauses.
  
Ein tiefes Grollen entfuhr Bratak. Er war das Sprechen nicht mehr gewohnt und er hatte vergessen, wie angstzerfressen Menschen sein konnten. Er blickte in Richtung des Bauernhauses und meinte, in einem Fenster für einen allzu kurzen Moment den Kopf des Jungen sehen zu können, ehe dieser ihn sofort verschwinden ließ, um nicht gesehen zu werden. Bratak hob freundlich die Hand zum Abschied.
  
Nordhain jedoch sagte ihm etwas, er hatte diesen Namen einstmals gehört. Sein Weg, herab von den Gipfeln des ewigen Eises hatte seltsame Wendungen genommen, aber hier war er nun. Um eine Antwort reicher, aber immer noch auf der Suche.
  
  
****** Vor Kurzem in „Der Baum, der ein Mensch sein wollte“ ******
  
 
  
In seinen Träumen, die ihn rasch eingeholt hatten, nachdem er auf dem Holzboden ihrer Zuflucht inmitten des Waldes eingeschlafen war, holten ihn die vergangenen Tage wieder ein. Wie langsamer Nebel, der sich frühmorgens über einen einsamen Weiler schleicht, krochen die Ereignisse hervor und der Barbar hatte keinerlei Möglichkeiten, sich dessen zu erwehren.

Zuerst sah er ein Messer mit einem aus Holz geschnitzten Griff, auf einer Halterung platziert und in einem schier endlosen Regal stehend. Es hatte eine äußerst scharfe, leicht geschwungene Klinge, in welche kleine Symbole eingraviert worden waren. Mein Messer... Nein, Bratak war dieses Messer? Wie lange stand er dort so herum und wie war er in diese Situation geraten? Das waren unheimliche Fragen, deren Antworten ihm im Traum nicht einfielen. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit kamen die Dinge endlich wieder in Bewegung, doch auch für dieses Ereignis fand er kaum eine Erklärung. Jemand hatte ihn, das Messer, mit einer Flüssigkeit benetzt und langsam, aber stetig, fand er zurück in seine ursprüngliche Form. Die fast zarte Klinge wandelte sich zurück in einen massiven Körper, er konnte seine Arme und Beine wieder spüren und sein Blut, welches wie das Wasser eines reißenden Flusses durch seinen Körper rauschte. Hastig ging sein Blick umher und er konnte weitere Personen sehen, die augenscheinlich befreit worden waren – so wie er. Sie alle wurden zur Hast angetrieben und Bratak blickte sich nur einmal kurz um, warf einen letzten Blick auf sein Gefängnis, um sich dann den Flüchtenden anzuschließen. Es waren Menschen und Elfen...er sah niemanden seines Volkes und wusste nicht, ob er das gut oder schlecht finden sollte. In diesem Moment sah er keine andere Möglichkeit, als sich dieser Gruppierung anzuschließen.
  
In den folgenden Tagen erfuhren sie mehr über das, was geschehen war und mit nahezu jedem Wort geriet seine Welt ins Wanken. Sie befanden sich an einem Ort – einer Welt, von der er nie zuvor etwas gehört hatte und die seiner Ansicht nach gar nicht existieren konnte. Gleichzeitig fand er diese Welt, die wandelnden Weiten, vollkommen faszinierend, denn er sah eine unglaubliche Vielfalt an Natur und tierischen Wesen, mitunter bizarr in ihrer Erscheinung. Trotz dieser Faszination, oder gerade deswegen? Wehrte er sich lange Zeit dagegen, diese Geschehnisse überhaupt als real anzuerkennen „Das ist ein böser Traum!“ hörte er sich rufen, wenn ihre Befreier versuchten, ihnen zu erklären, was geschehen war und was ihnen bevorstand. Nur langsam sickerte es in sein Bewusstsein: es war kein Traum und er würde nicht einfach aufwachen. Bratak konnte sich nicht erinnern, dass ihn ein Ereignis jemals so aufgewühlt hatte. Er glaubte an seine Vorfahren, an ihre Art zu leben, an die Geisterwelt, in welcher die ruhmreich Gestorbenen auf ihn warten würden. Doch neben all dem...existierten augenscheinlich noch viel mehr Dinge. Er hatte es gesehen, gefühlt – und er würde es nie mehr leugnen können.
  
Seine Gefährten und er hatten sich zunächst versteckt und gerieten nur durch einen Verrat in Zugzwang, dessen Ursprung und die anschließenden Ereignisse beschäftigen den Barbaren bis heute. Sie vernichteten ihre Ebenbilder, diese Geschichte von vielerlei Helden würde er nicht vergessen. Sie führte dazu, dass er wieder in seine Heimat zurückkehren konnte. Doch zunächst zog er sich zurück, tief in die Wälder. Er war kein junger Barbar mehr, die Weihe durch den Schamanen Skrymir, welcher ihm damals seine mächtige Axt aushändigte und zum wahren Krieger Sarmatijaschs ernannte, lag Ewigkeiten zurück. Durch seine lange Abwesenheit kannte ihn vielleicht kaum noch jemand in Grimlas Hain. Die vergangenen Ereignisse, sowohl seine Reise, als auch die Entführung, hatten tiefe Spuren hinterlassen und ihn verändert. Doch ihm wurde bewusst, dass er seine Heimat und sein Volk brauchte – er würde kein einsamer Wolf mehr sein, sondern wieder Teil eines Stammes...seines Stammes. Konnte er das?
  
In der folgenden Nacht sah er zum ersten Mal nicht nur den einen, großen Wolf aus Sternen, sondern mehrere, die über den Nachthimmel hinweg jagten. Bratak nahm dies als erstes Zeichen seines Sternenwolfes, dass sein Vorhaben der Rückkehr das Richtige sei.
  
Wieder einmal packte er seine Habseligkeiten und machte sich auf den Weg, zurück in den Hain Grimlas, der Heimstätte seines Volkes in diesen Gefilden.
Bratak
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Re: Im Zeichen des Sternenwolfes

Beitrag von Bratak »

****** Vor vielen, vielen Jahren ******
  
Hoch in den Bergen, welche die Menschen in den näher gelegenen Städten Frostfjell nennen, hatte sich ein Stamm des Nordvolkes sein kleines Refugium errichtet. Mehrere kleine Almen, viele rustikale Hütten zum Leben und ein – im Vergleich zum Rest der Gebäude – riesiges Haupthaus im Zentrum, wo allerlei Feste oder Versammlungen abgehalten wurden. Sie gaben ihrem Zuhause einen Namen, der der Bezeichnung der Menschen für ihr Gebirge seltsam ähnlich war: Frostheim.
  
Thore war dort aufgewachsen, hatte die edelweißen Löwenfüßchen im Fühsommer aufblühen und im Herbst welken sehen, zigfach, viele Jahre schon. Die frische Bergluft war der Antrieb seines Körpers und er hatte nicht vor, nochmals die stickige Luft aus den Tälern in seine Lunge dringen zu lassen. Thore wurde, wie sein Vater Bjarnulf vor ihm, Bauer auf einer Alm und hütete seither eine Schar Hochgebirgsrinder für den Stamm. Vor vielen Jahren hatte er Ari geheiratet, eine etwas jüngere Frau, die ihm fortan bei der Arbeit half und ihm schon nach kurzer Zeit einen Sohn schenkte, welchen sie Bratak nannten.
  
Von klein auf spielte Bratak, Sohn des Thore, auf der Weide. Er atmete die frische Gebirgsluft durch die kleinen Lungen und vieles deutete darauf hin, dass er eines Tages die Alm übernehmen würde. Seine Zuneigung zu den Tieren schien mit jedem Tag zu wachsen, ebenso wie seine Motivation zur Arbeit, auch wenn sie mit den Jahren härter und anstrengender wurde. Nicht wenigen in Frostheim fiel auf, wie prächtig sich dieser Almbursche entwickelte. Unter der Last von Milchkannen wuchsen seine Oberarme, seine Brust und seine Schultern heran. Obgleich er bis zu jenem Zeitpunkt in keinerlei Kriegskunst unterwiesen wurde, überstand er das uralte Ritual der Sitte Branslas schadlos und wurde fortan als Erwachsener seines Stammes angesehen. Bratak vom Frostheim war selbst fest entschlossen, die Alm von seinem Vater Thore zu übernehmen, wenn dessen Rücken ihn vollends von der Arbeit abhalten würde.
  
Doch wie so oft im Leben waren auch jene Pläne des Bratak nur eine winzige Idee im gewaltigen Strudel des Kosmos und hatte mit dem Weg des Schicksals nichts gemein. Der Segen Sarmatijasch' lag über viele Jahrzehnte auf ihrem Zuhause und Frostheim wuchs und gedieh, doch eines Tages erblickte die Wache den ersten Menschen, welcher sich in ihr Gebiet verirrte – oder war er absichtlich erschienen? Die Wache konnte die Frage nicht beantworten, denn der Mensch verschwand, bevor er ihn einholen konnte. Eilig wurde eine Versammlung einberufen und nahezu jeder Bewohner Frostheims hatte eine Meinung zum Erscheinen der Menschlinge in den Bergen. Von stoischer Gelassenheit bis zur aufkommenden Panik waren alle Emotionen vertreten und noch Jahre später konnte sich Bratak an seinen Vater Thore erinnern, der bei jener Versammlung stumm neben ihm saß. Rückblickend kam es ihm stets so vor, als hätte sein Vater bereits gewusst, was passieren würde. Doch in jenem Moment blieb er stumm, vielleicht weil eh niemand auf ihn gehört hätte. Der Johtar Frostheims, ein alter Krieger mit dem Namen Iskald, hörte einige der hochangesehenen Berserker, seinen vertrauten Schamanen und eine Hathran an. Doch auch jene waren sich nicht einig, wie die Zeichen zu deuten waren und so ordnete Iskald an, die Wache geringfügig zu verstärken und aufmerksam zu bleiben.
  
Bratak verließ mit seinem Vater das Haupthaus, blickte nochmals zurück und sah ein letztes Mal die Figuren alter Helden und die heiligen Tiere Grimla, Asagard und Kovakarhu, kunstvoll geschnitzt von seinen Vorfahren, welche in einigen Stunden den Flammen anheim fallen sollten.
  
An ihrer kleinen Hütte angekommen, packte Thore Bratak fest an der Schulter und blickte ihm in die Augen. „Hör gut zu, Junge, und schweig! Du wirst nun zwölf Dinge zusammensuchen und sie in einen Beutel stopfen, dann kommst du zu mir und deiner Mutter, wirst unseren Segen empfangen und dann Frostheim verlassen.“
  
Bratak starrte seinen Vater ungläubig an, was hatte er da gerade gesagt? Doch sein Vater schob ihn schon in Richtung seines Zimmers und es war eindeutig, dass Widerworte keinen Sinn ergaben. Er packte einige wenige – nicht mal zwölf – Habseligkeiten ein und trat schließlich wieder aus seinem Zimmer hervor. Er meinte, in den Augen seiner Mutter etwas schimmern zu sehen, es spiegelte auf die gleiche Weise wie die Löwenfüßchen, wenn die Sonne hoch am Himmel stand und direkt auf die Blüten strahlte. Niemals würde er den Anblick vergessen. Seine Mutter sagte kein Wort, nahm ihn in den Arm und ließ ihn schließlich für immer los. Sein Vater tat es ihr gleich, doch gab er ihm einige Worte auf den Weg mit. „Bratak vom Frostheim, du bist der Sohn eines Bauern, doch hast du den Körper und den Geist eines Kriegers. Vergiss uns nie, zieh hinaus und lerne Dinge, die ich dir nicht beibringen konnte. Die Menschlinge werden kommen und sich hier alles nehmen. Vergiss nie die Feinde deiner Ahnen! Räche uns, sobald du bereit bist. Sarmatijasch wird mit dir sein, so wie wir mit dir sein werden. Unsere Geister wachen über dich.“
  
Bratak nickte schwach, er wollte unbedingt etwas sagen und er würde es sich ewig vorwerfen, es damals nicht geschafft zu haben. Er wendete sich ab, verließ die Hütte, blickte zurück auf Alm und Dorf und machte sich daran, gen Süden den Berg hinabzusteigen.
  
Von weit unten, die Dunkelheit hatte mittlerweile das Licht verdrängt, konnte er schemenhaft Flammen auf den Bergen erkennen. Dort wo das ganze Leben lang sein Zuhause war, tanzten nun Feuer ihren zerstörerischen Tanz. Er wanderte noch stundenlang, in tiefster Dunkelheit. Die Flammen in seinem Rücken verschwanden langsam, doch er schwor sich, auch diesen Anblick niemals zu vergessen. Er blickte hinauf in den wolkenlosen Himmel und sah eine seltsame Konstellation von Sternen, sie erinnerte ihn schemenhaft an einen Wolf und stumm dachte er sich, dass er diese Anordnung mit Gewissheit noch nie gesehen hatte. Doch von jenem Tag an würde er sie noch viele Male in seinem Leben erblicken. Bis er eines Tages, in einem weit entfernten Leben, die Flammen vergaß, die sein Zuhause zerstörten – und der Wolf verschwand.
 
  
******
  
Der Sternenwolf kehrte erst zurück, als sich Bratak auf der Reise in den Bergen befand, als er eine gewisse Hilflosigkeit verspürte und Weisung benötigte. Jener lenkte ihn zurück zu Grimlas Hain und gleichzeitig erinnerte er Bratak unwillkürlich an Frostheim. Hatte er es zwischenzeitlich wirklich vergessen? Eine gewaltige Spur von Bitterkeit lag in seinem Gedankenstrom. Wie sollte er jemals seine Eltern, sein Zuhause rächen? Zweifellos hatte er die notwendigen Fähigkeiten erlernt, er war ein ehrenhafter Krieger seines Volkes geworden. Skrymir hatte ihm die gewaltige Axt ausgehändigt und zum Berserker ernannt, vor vielen Jahren.
  
Er hatte in den Jahren viele Menschen getroffen, manche waren raffgierig und abstoßend, aber andere schienen ihm nicht unendlich schlecht. Welche Menschen verdienten seine Rache und welche nicht? Die Frage beschäftigte ihn in vielen Nächten, als er in den Himmel blickte und nach dem Wolf Ausschau hielt. Vielleicht, so dachte er, liegt die Antwort noch im Nebel der Zukunft und wird sich erst auftun, wie ein Unwetter an den Hängen einer Gebirgskette. Wenn man nicht drauf achtet, überrascht es einen. Der Hüne war vom Zweifel durchsiebt, doch er wollte sich dies möglichst nicht anmerken lassen. Die Menschlinge interessierte es sowieso nicht und sein Volk konnte es für eine Schwäche halten. Vielleicht könnte er eine Hathran befragen oder einen Schamanen, doch noch befand er die Zeit als nicht reif. Ungeduld meldete sich in seinen alten Knochen, doch er musste Weisheit beweisen und Bitterkeit und Ungeduld im Zaume halten – ansonsten würde er kein einziges seiner Ziele erreichen können.
  
Bratak
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Die Sterne rufen den Berserker heim

Beitrag von Bratak »

Der Hüne ließ den Blick gemächlich über seine Umgebung schweifen, seltsam zäh glitt die Welt dahin. Der Schnee wirbelte um ihn herum, die einzelnen Flocken wie virtuose Tänzer, die ihm ihr ganzes Können aufzeigen wollten. Vor einiger Zeit war er zurückgekehrt, hatte seiner ewigwährenden Suche ein neues und doch altes Kapitel hinzugefügt. Doch war dies sein Platz? Er war ein alter, großer Krieger und doch fühlte er sich nicht dementsprechend. Der Kampf für Ruhm und für die Ehre war ewigwährend, gleich seiner Suche nach Rache und Sinn.

Er blickte über die Schulter auf seine Hütte, griff noch in eine seiner Truhen neben sich und entnahm ein paar wenige Dinge. Dann betrachtete er letztmals die Schlucht, die die letzten Mondläufe und vor längerer Zeit viele Jahre seine Heimat gewesen war, auch wenn er in seinem Leben nur höchst selten eine Heimat wirklich gespürt hatte. Sarmatijasch würde auf seine Brüder und Schwestern Acht geben, es war eine törichte und überzogene Vorstellung, dass sie ihn brauchen würden.

Diese Welt stand an einem Abgrund, doch die Kinder Sarmatijaschs würden einen Ausweg finden, so wie sie es stets getan hatten. Der alte Berserker würde diesen Weg jedoch nicht mehr mit gehen. Er hatte die Deutungen des Sternenwolfs stets falsch verstanden, denn jener wollte ihm keinen Weg weisen – er wollte ihn zu sich holen. In Gedanken stob er schon mit dem Wolf über das Firmament, wie pure und wahrhaftig unbändige Energie.

Seine Schritte führten ihn an das große Lagerfeuer in Grimlas Hain. Wie oft hatte er hier gesessen und mit Brüdern und Schwestern getrunken, während sie Geschichten von mehr oder weniger heldenhaften Taten ausgetauscht hatten. Nur für einen kurzen Moment spürte er so etwas wie Sehnsucht nach solch weltlichen Dingen, aber sie verging sofort, wie ein Funke ohne jede Aussicht ein Feuer zu werden. Er nahm seine gewaltige Axt vom Rücken und rammte ihren Schaft in den Boden neben dem Feuer, so stand sie nun dort wie ein Mahnmal, als letzte Erinnerung an einen Krieger Sarmatijaschs. Seine Brüder und Schwestern würden dies Zeichen gewiss verstehen und sich seiner Reise ohne Wiederkehr bewusst sein. Danach trat er seinen Weg an, Schritt für Schritt aus der Schlucht hinaus und dann mit großem Willen, immer gen Norden.

Die Luft um ihn herum wurde mit jedem Schritt kühler und bald schon erreichte er die Ausläufer des Gebirges, welches er als sein Ziel auserkoren hatte. Hier ließ er seine letzten Habseligkeiten liegen. Dann machte er sich an den Aufstieg und erklomm letztmalig die Berge. Die erbarmungslose Kälte empfing ihn nun, wie einen guten alten Freund. Sein Organismus reagierte wie gewohnt und verlangsamte zunächst die Atmung und den Herzschlag, seine Füße jedoch trugen ihn weiter schnell hinauf. Die Sonne verkroch sich schüchtern hinter den Bergen und Dunkelheit eroberte die Welt um ihn herum. Sein Blick ging hinauf und suchte gierig nach den glitzernden Punkten am Firmament und schließlich tauchten die ersten auf, wie kleine Erinnerungen, die sich nach langer Abwesenheit im Bewusstsein meldeten. Er blinzelte mehrmals und die Sterne fingen an die für ihn gewohnten Formationen zu bilden. Ein Wolf hastete über das Firmament. Bratak, der Berserker, legte sich in den Schnee, fühlte das Eis brennend unter seinem Körper und streckte die Hand nach den Sternen aus. Der Wolf riss ihn mit und trug sein Bewusstsein davon, während der Körper des Hünen langsam verstand, dass ihm kein Geist mehr innewohnte und er die lästige Arbeit endgültig würde einstellen können. Letztmalig drang heißer Atem aus der Kehle des Nordmannes und in weiter Ferne mochte ein geübtes Ohr ein leises Wolfsjaulen hören.
 
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