"Skotos" oder "Wie das Unheil seinen Lauf nahm.."
Verfasst: 10 Aug 2019, 23:47
Es widerstrebte ihr- und zwar zutiefst! - auf die Hilfe von Jemandem angewiesen zu sein. Und dann auch noch von den Menschen! Noch schlimmer war kaum moeglich- sah man mal von den Orks ab. Brr, dieser Gedanke setzte ihr noch mehr zu.
Und doch blieb ihr im Moment nichts anderes uebrig, als deren Hilfe in Anspruch zu nehmen. Nachdem der, aus der alten Heimat stammende Feind den letzten Angriff ausgefuehrt hatte, wurden weite Teile des Gelaendes der Bruderschaft zerstoert, andere hingegen nur verwuestet. Der Eingang, den bis zum Zeitpunkt des Angriffs ein gewaltiger Zierrat in Form eines Drachenschaedels geschmueckt hatte, war unpassierbar. Bevor man auch nur einen Fuss auf das Gelaende setzen koennte, muesste man mit vieler Haende Arbeit die Gesteinsbrocken aus dem Weg raeumen- und genau da kamen die braven und fleissigen Bewohner Ansilons ins Spiel. Sehr widerwillig hatten sie also durch einen Bediensteten eine handvoll Arbeiter aus der Bevoelkerung der Handelsstadt anheuern lassen, die behilflich sein sollten, ihren rechtmaessigen Besitz – die Schwarze Festung, das Gildengelaende der Schwingen – wieder in Anspruch zu nehmen. Zur Morgendaemmerung verliessen einige, in das unverkennbare Gruen der SdV gehuellten Reiter, die einen Karren flankierten, die Stadt. Auf der Ladeflaeche des Karrens hatten einige Arbeiter Platz gefunden, andere bildeten zu Fuss das Schlusslicht hinter dem Wagen. Kurz blickte sie dem Tross hinter her, Nimue wuerde sich etwas spaeter ebenfalls zu den Arbeitern gesellen, doch zuvor galt es, die Entlohnung der Arbeiter separat in Muenzbeuteln zu verpacken und fuer jeden Einzelnen nach getaner Arbeit bereit zu halten.
Waehrend sie den Weg in die Feuerlande entlang ritt, liess sie den Blick schweifen. Die karge Landschaft, die keinen einzigen Flecken Gruen bereithielt, die beissend heisse Luft, die von Aschepartikeln durchzogen war. Im Grunde genommen waren die Feuerlande, fuer die meisten Bewohner der Neuen Welt, nicht die erste Wahl, wenn es um einen Ort zum Niederlassen ging- aber fuer Nimue bedeutete es Zuhause.
Ein sachtes Laecheln umspielte ihre Gesichtszuege, als der Pfad nun endlich den Blick auf die Schwarze Festung freigab. Die Arbeiter waren bereits dabei, allerlei Geroell, Gesteinsbrocken und Mauerwerk zur Seite zu schaffen, damit man das Gelaende moeglichst bald frei geraeumt hatte und damit beginnen konnte, die Gesteinsbrocken, die zu schwer zum fortbewegen waren, zu sprengen.
Zur Mittagsstunde war es letztendlich geschafft, der Weg war groesstenteils frei gelegt!
Ihre Brueder waren zwischenzeitlich ebenfalls eingetroffen, gleich wuerde man ihren rechtmaessigen Besitz endlich wieder fuer sich beanspruchen koennen- dies war ein denkbar guter Tag fuer die Gemeinschaft der Schwingen.
Gut, ein paar Verluste gab es zu beklagen- einer der Arbeiter wurde von einem herabfallenden Truemmerteil erschlagen, ein anderer war gerade dabei sich zu erleichtern, als der unter ihm befindliche Boden nachgab und der brodelnde Lavastrom ihn unerbittlich mitriss- aber ansonsten war alles nach Plan verlaufen.
Den Arbeitern hatte man -zaehneknirschend, versteht sich- den Lohn fuer ihre Muehen ausgezahlt und als diese ausser Sichtweite waren, trat die kleine Gruppe, bestehend aus Livius, Madara und Nimue, dem Eingangsportal entgegen. Ein Blick in die Gesichter der Anwesenden gab nicht allzu viel von ihrem Gefuehlszustand preis, doch Nimue hatte diesem Moment schon lange entgegengefiebert.
Nach dem Angriff des alten Feindes hatte man einen grossen Bogen um das Gelaende gemacht, mit gemischten Gefuehlen beschritt sie nun den Weg ins Innere. Etwas Arbeit wuerde das Instandsetzen der zweifelsohne in Mitleidenschaft gezogenen Gemaeuer gewiss noch mit sich bringen, aber auf den ersten Blick schien es, als waere nichts auf Ewig verloren.
Ihr Gefaehrte, Livius, und der Elementarist, Madara, hatten bisher noch nie einen Fuss in die imposante Festung gesetzt, die ihren Namen durch das tiefschwarze Gestein erhalten hatte. Die Beiden wurden nun von Neugier und Lust, die Gebaeude des Gelaende genauer zu erkunden, vorangetrieben. Livius und Madara hatten sich gemeinsam in Richtung der Treppe entfernt, waehrend Nimue in der Mitte der Gelaendemauern stand und seufzte. Ein denkwuerdiger Moment, aber all ihre Brueder und Schwestern, die den Weg zurueck nach Ansilon noch nicht wieder angetreten hatten, wurden schmerzlich vermisst. Dennoch, es war ein Schritt in die richtige Richtung, dachte sie bei sich und tatsaechlich, ein Laecheln stahl sich auf ihre Lippen.
Waehrend sie ihren Gildenbruedern gern noch eine Weile Zeit geben wollte, sich umzusehen, betrat sie zielstrebig das Gebaeude, welches sie zu Berinnors Arbeitszimmer brachte. Vor den Tuerfluegeln angekommen, verharrte sie einen Moment, um in Erinnerungen zu schwelgen. Wie viele Stunden hatte sie in dieser Kammer verbracht- mit Feder und Tinte bewaffnet, um Berinnors Worte auf Papier zu bannen. Sacht laechelnd schob sie die Tuerfluegel auf und fast haette sie erwartet die imposante Gestalt des einstigen Drachenlords hinter dem massiven steinernen Schreibtisch sitzen zu sehen. Die Luft roch verbraucht, ein muffiger Hauch ruhte darin und auf all den Pergamenten, die sich in ungeordneter Manier auf dem Schreibtisch befanden, hatte sich eine kaum uebersehbare Staubschicht gebildet.
Die Haende in die Huefte stemmend, sah sie sich weiter um – bis ihr Blick an dem schief haengenden Gemaelde haengen blieb, welches seinen Platz an der Wand hinter dem Schreibtisch gefunden hatte. Fuer das menschliche Auge waere dies kaum sichtbar gewesen, aber sie bemerkte die kleine Unregelmaessigkeit im Gemaeuer. Nanu, was war das?
Sie verrueckte beilaeufig den schweren Sessel und nahm das Bild vorsichtig ab. Tatsaechlich, ein hauchfeiner Spalt klaffte zwischen den Ziegelsteinen. Vorsichtig betastete sie nun das Mauerwerk und fand eine kleine Aussparung – einen Augenblick spaeter hatte sie den Mechanismus ausgeloest, worauf hin die Mauer zur Seite schwang. Was sich wohl hinter dieser geheimen Tuer vor den Augen Aller verborgen hielt? Kurz blickte sie zum Gang zurueck, verwarf den Gedanken Bescheid zu geben, was sie soeben entdeckt hatte, aber sogleich wieder.. Ihre Brueder wuerden sie schon finden.
Die hochgewachsene Dunkelblonde zog den Kopf ein und trat durch den Durchlass hindurch: Doch was sie nun zu sehen bekam, damit haette sie nicht gerechnet!
Das schwarze Gemaeuer wich felsigem, unbehauenem und steinernem Untergrund und gab den Blick auf ein mehrere Meter hohes Gewoelbe frei. Dieser geheime Raum war riesig! Staunend schritt sie von Moebelstueck zu Moebelstueck und betrachtete, die Schaetze, die hier ihren Platz gefunden hatten. Zwischen allerlei alchemistischen Utensilien, gewaltigen Truhen, Waffen- und Ruestungsstaendern wurde der gesamte hintere Raum von einigen hohen, bis auf den kleinsten Platz, vollgestopften Regalen eingenommen.
Wenn man die Anleitung hier inmitten der Festung versteckt haette, dann doch gewiss in dieser Kammer, dachte sie und betrachtete noch einmal den Raum zur Gaenze. Die Ueberlieferung besagte, dass Dantalon Valheru, Begruender der Schwingen der Verdammnis, fuer seinen Nachfolger ein gut gehuetetes Schriftstueck bereit gehalten hatte, auf dem genauestens erklaert wurde, welche Utensilien und Paraphernalia man benoetigte, um das Ritual des Geists der Drachen durchfuehren zu koennen.
Fuer den Fall, das Berinnor nicht in Baelde zurueck kehren und seinen angestammten Posten als Oberhaupt der Schwingen wieder einzunehmen vermochte, wuerde man sich beizeiten Gedanken um einen geeigneten Nachfolger machen muessen, der imstande sein koennte, den neuen Anwaertern den Geist der Drachen einzuhauchen. Aseruzal.. Madara.. Man wuerde sehen. Doch erst einmal musste man die Schriftrolle, das Pergament oder worauf auch immer dieser verfluchte Zauber niedergeschrieben stand, ausfindig machen.
Dieses Schriftstueck hier, inmitten all der Kostbarkeiten wie verzierten Zauberstaebe, Beuteln mit getrockneten Kaeutern, Truhen und Behaeltnissen, zu suchen, glich der sprichwoertlichen Suche einer Nadel im Heuhaufen. Sie bleckte kurz die Zaehne und suchte dann Lade um Lade, Regal fuer Regal ab, aber fand auf den ersten Blick nichts, dass das Richtige zu sein schien.
Noch ein einziges Regal, dann wuerde man an einer anderen Stelle weitersuchen muessen dachte sie, als sie einen Stuhl heranzog und ein Tuch, was offenbar achtlos ueber den obersten Regalboden geworfen wurde, zur Seite ziehen wollte.
Mit 1,8 Schritt zaehlte sie nicht zu den Kleinen, dennoch musste sie sich auf Zehenspitzen stellen und konnte gerade so einen Zipfel des Tuches ergreifen. Noch im Wegziehen erkannte sie, dass sich unter dem Tuch ein merkwuerdiges Behaeltnis befand: Es schien aus Kristall gefertigt zu sein, die milchig-truebe, darin befindliche Fluessigkeit wirkte fuer einen Moment so, als wuerde der Inhalt von etwas darin befindlichem beleuchtet und aufgewirbelt werden. Sie war gerade im Begriff den Behaelter anzuheben, als eines der morschen Stuhlbeine mit einem lauten Krachen unter ihr nachgab- und damit nahm das Unheil seinen Lauf.. Mitsamt dem Behaelter in den Haenden stuerzte sie zu Boden und schlug unsanft mit dem Hinterkopf auf dem felsigen Hoehlenboden auf. Dann umfing sie Schwaerze.. wohltuende, wattigweiche Schwaerze.
Es musste wenigstens einen kurzen Augenblick gedauert haben, bis sie wieder zu sich kam und die Augen aufschlug. Mit einem Stoehnen setzte Nimue sich auf und hob die Haende um ihren Kopf zu befuehlen. Oh.. Blut, dass offenbar in Rinnsalen geflossen, aber bereits getrocknet war, befand sich an ihren Haenden, kleine feine Kristallsplitter steckten hier und da im Fleisch.
Murrend entfernte sie die piesackenden Scherben und sah sich um- das war gerade noch einmal gut gegangen, dachte sie bei sich und rappelte sich schliesslich auf. Unter den Sohlen ihrer Stiefel knirschte das Glas, waehrend sie sich umwandte und in Richtung des Ganges blickte. Einige Male blinzelte sie, doch die verklaerte Sicht, die die gesamte Umgebung mit einem trueben Grauschleier zu ueberziehen schien, verschwand nicht. Einige Schritte ging sie nun vor, doch am Durchgang, durch den sie zuvor das Gewoelbe betreten hatte, prallte sie an einer Art Barriere ab. Was, zur Hoelle, war hier eigentlich los? Das musste doch ein schlechter Traum sein!
Waehrend sie den Gang entlang starrte, ueberlegte sie was zu tun sei- wenn sie diesen Raum nicht verlassen konnte, wuerden Livius und Madara sie frueher oder spaeter erreichen und eine Loesung finden, dessen war sich die Diplomatin sicher. Nun gut, sie strich die Handflaechen noch einmal an der ledernen Hose ab und murmelte: „Wenn ich schon hier drin gefangen bin, kann ich auch noch einmal in aller Ruhe nach dieser verflixten Schriftrolle suchen.“
Noch bevor sie die Drehung auf der Stiefelspitze vollfuehrt hatte, bemerkte sie schon, dass sich ein kuehler Hauch ihren Ruecken hinabzog und die feinen Haerchen in ihrem Nacken aufstellen liess. Der Blick in Richtung der Regalfront gab die Sicht auf zwei gewaltige, aetherisch schimmernde Drachenleiber frei. Ein erstaunter Ausdruck schlich sich auf ihre Zuege, waehrend sie die Drachen mit weit offen stehenden Munde musterte.
Der Kleinere der Beiden gab einen zischenden Laut von sich und hob eine der riesigen Pranken in drohender Manier.
„WAS?! Diese kleine, mickrige Kreatur soll dafuer verantwortlich sein, uns damals eingesperrt und all die Jahre hier gefangen gehalten zu haben?“ donnerte die tiefe, ehrfurchtgebietende und droehnende Stimme des Drachen, der offensichtlich die Rolle des Anfuehrers innehatte, entgegen.
„Meister, sie wird buessen. Ich werde sie unter meiner..“ erhob sich nun die Stimme des zweiten Drachen, der jedoch jaeh mit einer Handbewegung des Groesseren abgewuergt wurde und das wuchtige Haupt ehrfurchtsvoll senkte.
Nimue indes hob nun beschwichtigend die Haende in die Hoehe.
„Gefangen gehalten? Euch? Ihr missversteht die Situation!“ begann sie und wurde ebenfalls von dem groesseren der beiden Drachen in die Schranken gewiesen.
„Schweig!“
Als sich die Stimme ein weiteres Mal erhob, klirrten selbst die kleinen Flaeschchen in den Regalen. Zorn spiegelte sich in den umhornten Augen des Drachens, als er erst von Nimue dann zu seinem Gefaehrten blickte.
Die Drachen unterhielten sich offenbar in Gedanken weiter, konnte das sein? schoss es ihr durch den Kopf, als die Leiber der Drachen trotz das kein Wort gesagt wurde, hier und da mit Gesten oder Nicken, reagierten.
„MyLord. Bitte, glaubt ihr kein Wort- sie haelt uns zum Narren! Sie hat uns hier gefangen gehalten, um ein Haar waeren wir dem Wahnsinn Anheim gefallen.“ redete der Waechter nun auf seinen Anfuehrer ein.
„Alter Freund. Ganz ruhig.. Es faellt mir schwer das zu glauben- sieh sie dir doch an!“
Kurz ruckten die wuchtigen Schaedel der Drachen in Nimues Richtung, um sich dann doch selbst wieder dem Gegenueber zuzuwenden.
„Was, wenn sie es nur vortaeuscht?“
„Spuer in sie hinein..Streck die Fuehler deines Geistes nach dem ihrem aus.“ forderte der Groessere den Kleineren nun auf. Dieser trat auch sogleich einige Schritte auf Nimue zu, die nun dicht mit dem Ruecken an die unsichtbare Barriere gedrueckt dastand und mit wild klopfendem Herzen der beunruhigenden Dinge, die da moeglicherweise auf sie zukommen sollten, entgegen harrte.
Der Drache senkte das Haupt, bewegte die krallenbewehrten Zehen des kraeftigen Vorderbeins vorsichtig auf sie zu und tippte nur kurz gegen ihren Kopf. Nimue blinzelte kurz, sie hielt dem durchdringenden Blick des Waechters jedoch stand. Der Waechter schickte einen stummen Gedanken an den Geist seines Lords.
„Ich spuere da ein aehnliches Band, wie es die unseren einst miteinander verband- doch sie ist nur ein Mensch, wie ist das moeglich?“
Herausgefordert von ihrer Reaktion, tippte der Drachen nun ein zweites Mal gegen die Stirn der jungen Frau und schloss die Augen, dabei hochkonzentriert wirkend. Nimue fuehlte, wie der Drache sich Zugang zu ihrem Geiste verschaffen wollte- auch ihrer werwoelfischen Seite blieb dies nicht verborgen. Vor ihrem geistigen Auge tobte und schnappte die Woelfin in alle Richtungen.
„Mein Lord.. ihr Wille ist zu stark, ich kann ihren Widerstand nicht brechen? Wie ich bereits sagte- der Zauber ist nur noch schwach vorhanden, das Band sehr duenn.. Aber es wirkt, als waere da noch eine andere Praesenz.“ teilte der Waechter nun mit seiner Gedankenstimme mit.
„Ich fuerchte, sie ist kein gewoehnlicher Mensch. Wir werden ergruenden, mit wem wir es zu tun haben- und wie wir dann weiter mit ihr verfahren, wird sich daraus ergeben. Ich habe auch schon eine Idee, wie wir sie pruefen.“
Nimue zugewandt, schnaubte der Kleinere nun und sie fuehlte sich, als waere sie gerade noch einmal so dem Tode von der Schippe gesprungen.
„Wenn es mir erlaubt ist, wuerde ich gerne das Wort an Euch richten.“ sagte sie nach einem Raeuspern. Als keine Reaktion von den Beiden kam, verfiel sie in einen Plauderton und machte ihrer Besorgnis Luft.
„Ich weiss nicht, wo ich hier bin- und noch viel weniger weiss ich, wie ich hierher gelangt bin- aber ich moechte Euch versichern, dass von mir keinerlei Gefahr ausgeht! Seid also unbesorgt.“
Ihre Worte auf die Drachen wirken lassend, betrachtete sie diese nun eingehender. Mhm, merkwuerdig, dachte sie, wenn sie es nicht besser wuesste, wuerde sie aufgrund der verzerrten Mimik darauf schliessen, dass ihre Worte sie belustigt hatten.
„Menschlein.. Als koenntest DU fuer uns eine Gefahr darstellen! Du magst uns unsere Freiheit geschenkt haben, doch das bedeutet nicht, das unsere Geduld grenzenlos ist. Wir sind Jahrhunderte in diesem Gefaess gefangen gewesen- wir sind muede. Wir haben mit den weltlichen Dingen abgeschlossen, wenn du nun freundlicherweise wieder verschwinden koenntest..?“
Mit frustriertem Gesichtsausdruck folgte sie dem Deut des Drachens auf das zerschmetterte Kristallgefaess am Boden nur kurz und warf dann mit einer theatralischen Geste die Haende in die Hoehe – und hielt abrupt inne. Was hatte er gerade gesagt? Ploetzlich daemmerte es ihr, wen sie da vor sich hatte: Die Alten.
Ehrfurchterbietend liess sie sich auf ihr Knie herabsinken und neigte ihr dunkelblondes Haupt.
„Verzeiht mir, Edle. In meiner Verwirrung habe ich nicht gleich schlussfolgern koennen, wer ihr seid.“ fluesterte sie nun beinahe andaechtig und hob den Blick wieder. Die Drachen stutzten nun selbst und tauschten stumme Worte in ihren Gedanken aus.
Nimue erhob sich langsam, zerrte ihren Gehrock vom Schreibtisch und hielt das Gildenemblem, welches auf dem Stoff aufgebracht war, in die Hoehe und somit den argwoehnisch dreinblickenden Drachen unter die Maeuler.
„Ein Erbe der unverwaesserten Blutlinie der Valherus – sein Name war Dantalon – hat meine Gemeinschaft gegruendet. Euer Erbe ist nicht verloren gegangen! Mich nennt man Nimue, ich bin die Diplomatin der Schwingen.“ brachte sie keuchend hervor.
„Was sagt sie da?“ zischte der Waechter und knurrte. Der Anfuehrer, der sich einen Augenblick spaeter knapp als Teleisotos vorstellte, hob die gewaltige Klaue und deutete mit einem Wink auf seinen Waechter.
„Sorasos.“
Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Frau zu.
„Kalythrios hat die Unseren also tatsaechlich in Sicherheit bringen koennen..“ murmelte der Edle, wobei die Stimmfarbe deutlich waermer wurde und die saphirblauen, vormals stechenden Augen nun mit einem wohlwollenderen Ausdruck auf Nimue ruhten.
„Also gut! Du bist nur ein gewoehnlicher Mensch, dir fehlt offensichtlich die Faehigkeit durch die Sphaeren zu reisen. Wir werden dir behilflich sein- aber nur damit du nicht bis in alle Ewigkeit hier verweilst und plapperst. Mach dich bereit!“
Ein weiterer Wink Teleisotos folgte, woraufhin sein Gefaehrte wieder seinen Platz einnahm und beide schliesslich die Augen schlossen und darauf gar nicht sooo fremd klingende Worte erklangen.
„Berinnor! Er hatte aehnlich geklungen, wenn er die Worte der Macht intonierte.“ huschte ein Gedanke durch ihren noch immer schmerzenden Schaedel und ploetzlich fuehlte es sich an, als stuende sie gerade noch auf einer Klippe und wurde just in diesem Moment ueber den Vorsprung in die unendliche Tiefe gestossen. Wie zaeher Honig, den man von einem Loeffel tropfen laesst, verlangsamte die Zeit sich nun- oben war unten, unten war oben, ihr Magen begann auf aeusserst unangenehme Art und Weise zu huepfen. Schreiend und strampelnd fiel und fiel sie. Mit einem Rucken trafen ihre Fuesse unvermittelt auf dem Boden auf, was den gesamten Koerper der Dunkelblonden stauchte und die Luft aus ihren Lungen presste. Noch einen letzten Schrei ausstossend, oeffnete sie zuerst das rechte, dann das linke Auge.
Was sie sah gefiel ihr nicht. Das war nicht die Schwarze Festung, das war scheinbar nicht einmal die richtige Sphaere!
Hatte es noch schlimmer kommen koennen? Ohja, gewiss. Ploetzlich wurde sie sich einer anderen Praesenz gewahr. Sie blaehte kurz die Nasenfluegel um herauszufinden, ob sie den Geruch, der dem Wesen anhaftete, zuordnen konnte. Ein weiteres Mal an diesem Tag spuerte sie den feuchten Atemhauch einer grossen Kreatur in ihrem Nacken.
„Na, wen haben wir denn da?“ Geraeuschvoll wurde an ihr geschnuppert, ihren Geruch tief in die Nasenloecher einsaugend, schmatzte das Wesen hinter ihr nun. Nimue schluckte, atmete tief durch und wandte sich um. Der Anblick, den dieser Drache bot, strafte
die froehliche, tiefe Stimme, in dessen Tonfall ein kaum wahrnehmbarer Hauch Wahnsinn mitschwang, Luegen.
Es liess ihr das Blut in den Adern regelrecht gefrieren, als er sich auf sie zubewegte, so sehr unterschied er sich von den anderen Beiden zuvor. Ein verschlagen wirkendes, gefaehrlich funkelndes Augenpaar heftete sich auf ihre Gestalt. Stumpf-grau war sein Leib gefaerbt, es machte den Anschein, als wuerden die Konturen seiner Gestalt ausgefranst erscheinen, allerdings waren die Drachenschuppen mit spitzen hornbewehrten Stacheln stetig in Bewegung. Nur muehsam loeste sie ihren Blick und lenkte ihren Fokus auf die boesartigen, rot schimmernden Augen. Ohne etwas ueber dieses Wesen zu wissen, wusste sie instinktiv, dass dieses Wesen all die Bosheit, Verschlagenheit und Tuecke der Welt gebuendelt in sich trug.
„Was treibt dich in meine Welt, Kleine?“ fragte die Kreatur und setzte den massigen Leib in Bewegung. Nimue bemuehte sich nun um einen ruhigen Tonfall und antwortete knapp:
„Nur ein Versehen. Es musste etwas schief gegangen sein, beim Versuch mich in meine Welt zurueck zu schicken.“
Der Drache zaehlte nun offenbar eins und eins zusammen und stimmte ein schrill klingendes Lachen an.
„Ohhohohho-hahahaa. Du bist den anderen Beiden begegnet, hab‘ ich Recht?“ Belustigung zeigte sich im irren Blick des Drachen, als er noch einmal nachhakte.
„Hab‘ ich nicht recht, Kleine? Bitte sag, das ich Recht habe. Sie sind unfaehig und schwach- leider sind sie mir damals entwischt. Unnuetze Kreaturen. Kleine, du hast auf die Falschen vertraut. Und wenn ich dich so anblicke.. lass mich raten, was dir durch deinen kleinen, ach so leeren Kopf geht? Alle Hoffnung dahin? Ach ach ach. Das muss nicht sein, ich kann dir helfen.“
Einen einschmeichelnden, ueberzeugen wollenden Tonfall anstimmend, trat der Drache nun einen weiteren Schritt naeher an sie heran. „Was meinst du- wie dringend moechtest du zurueck zu denen, die dich lieben.. und vermutlich schon laengst vermissen? Was waere.. wenn.. sagen wir, ich dir eine Moeglichkeit aufzeigen wuerde, wie du diese Sphaere hinter dich bringen kannst?“
„Von welcher Moeglichkeit sprechen wir?“ fragte sie, skeptisch eine Braue hebend. Wieder ertoente das grauenhafte Lachen des Drachens.
„Es ist ein geringer Preis. Komm, zerbrich dir nicht dein Koepfchen, vertrau mir. Sag ja und im Nu bist du zurueck- woauchimmerduherkommst. Du scheinst schon etwas nicht menschliches in deiner Seele zu beherbergen- etwas Platz fuer mich, waere der Preis.“ lockte er sie nun.
Da Nimue das Angebot nicht direkt ausschlug, knurrte die Woelfin in ihrem Inneren bedrohlich- nicht dass sie auch nur einen Bruchteil einer Sekunde darueber nachgedacht haette, das Angebot anzunehmen! Nein, jetzt ging es nur darum, Zeit zu schinden und nach einem Ausweg zu suchen. Als haette er Nimues Gedanken gelesen, gab er einen bedauernd klingenden Laut von sich und machte sich nun daran, sie quaelend langsam zu umrunden.
„Oder aber.. ich werde dich zerreissen und mir mit deinen Knochen die Zeit ein wenig vertreiben. Ach, das gaebe ein herrliches Bild ab. Blanke, weisse Knochen.“ murmelte der Drache nun und malte sich in Gedanken vermutlich bereits aus, welchen huebschen Kontrast Nimues Blut in diese farblose Umgebung bringen wuerde.
Aeusserst auf der Hut zu sein, vermittelte ihre Gefaehrtin ihr nun und machte unmissverstaendlich klar, dass sie jederzeit die Kontrolle uebernehmen wuerde. Nimue knoepfte nun unbeirrt ob der Worte, Knopf fuer Knopf, ihre schwere Robe auf und liess das Wesen, was zweifelsohne einem Albtraum haette entsprungen sein koennen, nicht aus den Augen.
„Oho, was tut sie da? Was tut sie bloss?“
Der Drache sprang nur einen Fingerbreit in die Hoehe, doch als die Wucht seines Gewichtes den Untergrund beben liess, lies sie sich auf ein Knie nieder. Rasch hob und senkte sich nun der Brustkorb Nimues, ein bernsteinfarbener Ring legte sich um die sonst strahlend blauen Augen und verlieh ihnen einen wuetenden Ausdruck.
„Ach, Kleine..so eine bist du also. Das ich nicht gleich darauf gekommen bin!“
Sie legte den Kopf in den Nacken, liess ihn einmal kurz kreisen und gab der Woelfin nun das Zeichen. Augenblicklich gruben sich ihre Fingerspitzen in den sandigen Untergrund, ein Blick auf ihre Haende gab die Sicht auf feine, sich rasant verdichtende, aus ihrer Haut spriessende Haerchen frei. Fast zeitglich, als ihre Fingerglieder sich verlaengerten, ertoente das Geraeusch von brechenden Knochen und reissenden Sehnen.
Unter zusammen gepressten Zaehnen stiess sie noch einen letzten Satz hervor.
„Die Schwingen der Verdammnis unterwerfen sich nicht- lieber sterbe ich tausend Tode, als dir widerwaertigem Ding einen Wirtskoerper zu bieten.“
Einen Augenblick spaeter war alles Menschliche gewichen – eine riesige Woelfin, von frostweissem Fell bedeckt, kraeuselte die Schnauze und Geifer troff von ihren Lefzen, als sie blutruenstigen Blickes nach dem Drachenwesen schnappte.
Wie aus weiter Ferne drang nun eine Stimme zu ihrem Bewusstsein hervor:
„Das hast du gut gemacht, Menschlein. Du hast bewiesen, dass du das Erbe Kalythrions nicht mit Fuessen trittst- selbst, wenn du dich in einer ausweglosen Situation befindest. Komm wieder zu uns!“
Die Frostwoelfin, die instinktiv spuerte, dass die Gefahr gebannt war, zog sich augenblicklich zurueck und es dauerte nicht lange, bis Nimues menschliche Gestalt wieder zur Gaenze zu sehen war und wie durch einen Strudel zurueck auf die Ebene der Alten gerissen wurde. Die Klaue des angsteinfloessenden Drachens ging ins Leere, nicht?
Die dunkle Ebene war der schon vertrauten Umgebung gewichen, die gewaltigen, aetherisch schimmernden Drachen tauschten Worte auf geistiger Ebene aus. Mit einem peinlich beruehrtem Raeuspern drehte sich der Waechter zur Seite als er die nackte junge Frau -ob der Verwandlung waren die restlichen Gewaender die sie trug in Fetzen zerrissen- in ihrer unverhuellten, menschlichen Gestalt sah und schnipste ihr ihren vorhin abgelegten Gehrock zu. Waehrend Nimue noch damit beschaeftigt war ihre Bloesse zu verhuellen, begannen die beiden Alten bereits damit, die Faeden ihrer Magie zu einem Netz zu weben und sie ohne weitere Worte in ihre Welt zurueck zu katapultieren. Schwindel erfasste sie, ihr Geist wurde – schon wieder – von Schwaerze umfangen.
„Nein, nein.. So haltet doch ein. Es ist zu frueh! Ich habe noch so viele Fragen!“ begehrte sie auf und schrie, sich aus Leibeskraeften gegen die Magie wehrend.
„Alles zu seiner Zeit..“ hoerte sie noch die verhallenden Worte Teleisotos, bevor die Dunkelheit sich ihres Geistes wieder bemaechtigte.
Als Livius und Madara sie auf dem Boden liegend fanden, inmitten der Scherben, entging den Beiden, das an ihrem Finger der linken Hand, ein unscheinbarer, zarter kristallener Ring prangte.
„Es wird nicht langweilig mit ihr, was?“ richtete der Elementarmagier das Wort an Livius, der die Worte seines Bruders nur mit einem Schnauben quittierte.
„Schaffen wir sie zum Anwesen. Fass mit an.“ sagte Livius, seinen Arm schon unter Nimues Achsel schiebend.
Nimue erlangte das Bewusstsein- trotz dass sie unsanft in die Hoehe gehievt wurde und baeuchlings ueber den Ruecken ihres tiefschwarzen Mustangs gelegt wurde- waehrend der Rueckreise nicht zurueck. Ihre Gildenbrueder entschiedensich dafuer, sie in einem der Schlafzimmer des Anwesens der Gadomars, was ihnen waehrend Raphor und Vallerons Abwesenheit als Quartier diente, vorerst zur Ruhe zu betten.
Madara hatte vorsorglich noch einige Heilzauber gesprochen bevor er sich auf den Weg in die Stadt gemacht hatte. Livius, entgegen seiner sonst so gleichgueltigen Haltung, wachte neben ihr, war jedoch ob der Untaetigkeit, zu der er sich selbst verdammt hatte, indem er an ihrer Seite sitzen geblieben war, offenbar vor Langeweile eingenickt.
Als die ersten Sonnenstrahlen gegen die Dunkelheit der Nacht ankaempften, ging ein Rucken durch Nimues Koerper. Ein Schrei verliess ihre Kehle, mit den Armen ruderte sie, so als wuerde sie sich in freiem Fall befinden. Panisch schlug sie die Augen auf -wachte oder traeumte sie noch immer?- und vernahm eine vertraute Stimme in ihrem Kopf.
„Oh, na endlich. Das wurde ja auch Zeit, dass du erwachst! Jajaja, das wird ein Spass. Du wirst schon sehen, Kleine.“
Das irre Kichern in ihrem Schaedel liess sie ihre Haende an die Schlaefen reissen und schreien. Markerschuetternd schrie und schrie sie, bis sie keine Stimme mehr hatte.
Livius, der schlagartig von ihrem Geschrei erwachte, blickte in das Gesicht seiner Gefaehrtin und hielt irritiert inne- etwas hatte sich grundlegend veraendert. Was genau diesen einschneidenden Unterschied ausmachen sollte, wuerde er erst in den kommenden Wochen in seinem ganzen Umfang verstehen.. doch fuer den Moment reichte es, zu erkennen, dass die einst strahlend blauen Augen blutunterlaufen wirkten und sich kleine, blutrote Sprenkel in der Iris gebildet hatten und ihre Augen dadurch einen violetten Schimmer aufwiesen.
„Nimue?“ Livius blickte fuer seine Begriffe nahezu erschrocken drein, starrte sie gebannt an, eine Antwort von ihr erhoffend.
„Die Kleine, der Wolf und Skotos. Wir werden ein tolles Trio abgeben- oh, das wird lustig, das hier ist erst der Anfang, Kleine.“
Eine Antwort blieb sie Livius schuldig, stattdessen ballte sie ihre Haende zu Faeusten und schrie sich ein weiteres Mal die Seele aus dem Leibe.
Und doch blieb ihr im Moment nichts anderes uebrig, als deren Hilfe in Anspruch zu nehmen. Nachdem der, aus der alten Heimat stammende Feind den letzten Angriff ausgefuehrt hatte, wurden weite Teile des Gelaendes der Bruderschaft zerstoert, andere hingegen nur verwuestet. Der Eingang, den bis zum Zeitpunkt des Angriffs ein gewaltiger Zierrat in Form eines Drachenschaedels geschmueckt hatte, war unpassierbar. Bevor man auch nur einen Fuss auf das Gelaende setzen koennte, muesste man mit vieler Haende Arbeit die Gesteinsbrocken aus dem Weg raeumen- und genau da kamen die braven und fleissigen Bewohner Ansilons ins Spiel. Sehr widerwillig hatten sie also durch einen Bediensteten eine handvoll Arbeiter aus der Bevoelkerung der Handelsstadt anheuern lassen, die behilflich sein sollten, ihren rechtmaessigen Besitz – die Schwarze Festung, das Gildengelaende der Schwingen – wieder in Anspruch zu nehmen. Zur Morgendaemmerung verliessen einige, in das unverkennbare Gruen der SdV gehuellten Reiter, die einen Karren flankierten, die Stadt. Auf der Ladeflaeche des Karrens hatten einige Arbeiter Platz gefunden, andere bildeten zu Fuss das Schlusslicht hinter dem Wagen. Kurz blickte sie dem Tross hinter her, Nimue wuerde sich etwas spaeter ebenfalls zu den Arbeitern gesellen, doch zuvor galt es, die Entlohnung der Arbeiter separat in Muenzbeuteln zu verpacken und fuer jeden Einzelnen nach getaner Arbeit bereit zu halten.
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Waehrend sie den Weg in die Feuerlande entlang ritt, liess sie den Blick schweifen. Die karge Landschaft, die keinen einzigen Flecken Gruen bereithielt, die beissend heisse Luft, die von Aschepartikeln durchzogen war. Im Grunde genommen waren die Feuerlande, fuer die meisten Bewohner der Neuen Welt, nicht die erste Wahl, wenn es um einen Ort zum Niederlassen ging- aber fuer Nimue bedeutete es Zuhause.
Ein sachtes Laecheln umspielte ihre Gesichtszuege, als der Pfad nun endlich den Blick auf die Schwarze Festung freigab. Die Arbeiter waren bereits dabei, allerlei Geroell, Gesteinsbrocken und Mauerwerk zur Seite zu schaffen, damit man das Gelaende moeglichst bald frei geraeumt hatte und damit beginnen konnte, die Gesteinsbrocken, die zu schwer zum fortbewegen waren, zu sprengen.
Zur Mittagsstunde war es letztendlich geschafft, der Weg war groesstenteils frei gelegt!
Ihre Brueder waren zwischenzeitlich ebenfalls eingetroffen, gleich wuerde man ihren rechtmaessigen Besitz endlich wieder fuer sich beanspruchen koennen- dies war ein denkbar guter Tag fuer die Gemeinschaft der Schwingen.
Gut, ein paar Verluste gab es zu beklagen- einer der Arbeiter wurde von einem herabfallenden Truemmerteil erschlagen, ein anderer war gerade dabei sich zu erleichtern, als der unter ihm befindliche Boden nachgab und der brodelnde Lavastrom ihn unerbittlich mitriss- aber ansonsten war alles nach Plan verlaufen.
Den Arbeitern hatte man -zaehneknirschend, versteht sich- den Lohn fuer ihre Muehen ausgezahlt und als diese ausser Sichtweite waren, trat die kleine Gruppe, bestehend aus Livius, Madara und Nimue, dem Eingangsportal entgegen. Ein Blick in die Gesichter der Anwesenden gab nicht allzu viel von ihrem Gefuehlszustand preis, doch Nimue hatte diesem Moment schon lange entgegengefiebert.
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Nach dem Angriff des alten Feindes hatte man einen grossen Bogen um das Gelaende gemacht, mit gemischten Gefuehlen beschritt sie nun den Weg ins Innere. Etwas Arbeit wuerde das Instandsetzen der zweifelsohne in Mitleidenschaft gezogenen Gemaeuer gewiss noch mit sich bringen, aber auf den ersten Blick schien es, als waere nichts auf Ewig verloren.
Ihr Gefaehrte, Livius, und der Elementarist, Madara, hatten bisher noch nie einen Fuss in die imposante Festung gesetzt, die ihren Namen durch das tiefschwarze Gestein erhalten hatte. Die Beiden wurden nun von Neugier und Lust, die Gebaeude des Gelaende genauer zu erkunden, vorangetrieben. Livius und Madara hatten sich gemeinsam in Richtung der Treppe entfernt, waehrend Nimue in der Mitte der Gelaendemauern stand und seufzte. Ein denkwuerdiger Moment, aber all ihre Brueder und Schwestern, die den Weg zurueck nach Ansilon noch nicht wieder angetreten hatten, wurden schmerzlich vermisst. Dennoch, es war ein Schritt in die richtige Richtung, dachte sie bei sich und tatsaechlich, ein Laecheln stahl sich auf ihre Lippen.
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Waehrend sie ihren Gildenbruedern gern noch eine Weile Zeit geben wollte, sich umzusehen, betrat sie zielstrebig das Gebaeude, welches sie zu Berinnors Arbeitszimmer brachte. Vor den Tuerfluegeln angekommen, verharrte sie einen Moment, um in Erinnerungen zu schwelgen. Wie viele Stunden hatte sie in dieser Kammer verbracht- mit Feder und Tinte bewaffnet, um Berinnors Worte auf Papier zu bannen. Sacht laechelnd schob sie die Tuerfluegel auf und fast haette sie erwartet die imposante Gestalt des einstigen Drachenlords hinter dem massiven steinernen Schreibtisch sitzen zu sehen. Die Luft roch verbraucht, ein muffiger Hauch ruhte darin und auf all den Pergamenten, die sich in ungeordneter Manier auf dem Schreibtisch befanden, hatte sich eine kaum uebersehbare Staubschicht gebildet.
Die Haende in die Huefte stemmend, sah sie sich weiter um – bis ihr Blick an dem schief haengenden Gemaelde haengen blieb, welches seinen Platz an der Wand hinter dem Schreibtisch gefunden hatte. Fuer das menschliche Auge waere dies kaum sichtbar gewesen, aber sie bemerkte die kleine Unregelmaessigkeit im Gemaeuer. Nanu, was war das?
Sie verrueckte beilaeufig den schweren Sessel und nahm das Bild vorsichtig ab. Tatsaechlich, ein hauchfeiner Spalt klaffte zwischen den Ziegelsteinen. Vorsichtig betastete sie nun das Mauerwerk und fand eine kleine Aussparung – einen Augenblick spaeter hatte sie den Mechanismus ausgeloest, worauf hin die Mauer zur Seite schwang. Was sich wohl hinter dieser geheimen Tuer vor den Augen Aller verborgen hielt? Kurz blickte sie zum Gang zurueck, verwarf den Gedanken Bescheid zu geben, was sie soeben entdeckt hatte, aber sogleich wieder.. Ihre Brueder wuerden sie schon finden.
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Die hochgewachsene Dunkelblonde zog den Kopf ein und trat durch den Durchlass hindurch: Doch was sie nun zu sehen bekam, damit haette sie nicht gerechnet!
Das schwarze Gemaeuer wich felsigem, unbehauenem und steinernem Untergrund und gab den Blick auf ein mehrere Meter hohes Gewoelbe frei. Dieser geheime Raum war riesig! Staunend schritt sie von Moebelstueck zu Moebelstueck und betrachtete, die Schaetze, die hier ihren Platz gefunden hatten. Zwischen allerlei alchemistischen Utensilien, gewaltigen Truhen, Waffen- und Ruestungsstaendern wurde der gesamte hintere Raum von einigen hohen, bis auf den kleinsten Platz, vollgestopften Regalen eingenommen.
Wenn man die Anleitung hier inmitten der Festung versteckt haette, dann doch gewiss in dieser Kammer, dachte sie und betrachtete noch einmal den Raum zur Gaenze. Die Ueberlieferung besagte, dass Dantalon Valheru, Begruender der Schwingen der Verdammnis, fuer seinen Nachfolger ein gut gehuetetes Schriftstueck bereit gehalten hatte, auf dem genauestens erklaert wurde, welche Utensilien und Paraphernalia man benoetigte, um das Ritual des Geists der Drachen durchfuehren zu koennen.
Fuer den Fall, das Berinnor nicht in Baelde zurueck kehren und seinen angestammten Posten als Oberhaupt der Schwingen wieder einzunehmen vermochte, wuerde man sich beizeiten Gedanken um einen geeigneten Nachfolger machen muessen, der imstande sein koennte, den neuen Anwaertern den Geist der Drachen einzuhauchen. Aseruzal.. Madara.. Man wuerde sehen. Doch erst einmal musste man die Schriftrolle, das Pergament oder worauf auch immer dieser verfluchte Zauber niedergeschrieben stand, ausfindig machen.
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Dieses Schriftstueck hier, inmitten all der Kostbarkeiten wie verzierten Zauberstaebe, Beuteln mit getrockneten Kaeutern, Truhen und Behaeltnissen, zu suchen, glich der sprichwoertlichen Suche einer Nadel im Heuhaufen. Sie bleckte kurz die Zaehne und suchte dann Lade um Lade, Regal fuer Regal ab, aber fand auf den ersten Blick nichts, dass das Richtige zu sein schien.
Noch ein einziges Regal, dann wuerde man an einer anderen Stelle weitersuchen muessen dachte sie, als sie einen Stuhl heranzog und ein Tuch, was offenbar achtlos ueber den obersten Regalboden geworfen wurde, zur Seite ziehen wollte.
Mit 1,8 Schritt zaehlte sie nicht zu den Kleinen, dennoch musste sie sich auf Zehenspitzen stellen und konnte gerade so einen Zipfel des Tuches ergreifen. Noch im Wegziehen erkannte sie, dass sich unter dem Tuch ein merkwuerdiges Behaeltnis befand: Es schien aus Kristall gefertigt zu sein, die milchig-truebe, darin befindliche Fluessigkeit wirkte fuer einen Moment so, als wuerde der Inhalt von etwas darin befindlichem beleuchtet und aufgewirbelt werden. Sie war gerade im Begriff den Behaelter anzuheben, als eines der morschen Stuhlbeine mit einem lauten Krachen unter ihr nachgab- und damit nahm das Unheil seinen Lauf.. Mitsamt dem Behaelter in den Haenden stuerzte sie zu Boden und schlug unsanft mit dem Hinterkopf auf dem felsigen Hoehlenboden auf. Dann umfing sie Schwaerze.. wohltuende, wattigweiche Schwaerze.
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Es musste wenigstens einen kurzen Augenblick gedauert haben, bis sie wieder zu sich kam und die Augen aufschlug. Mit einem Stoehnen setzte Nimue sich auf und hob die Haende um ihren Kopf zu befuehlen. Oh.. Blut, dass offenbar in Rinnsalen geflossen, aber bereits getrocknet war, befand sich an ihren Haenden, kleine feine Kristallsplitter steckten hier und da im Fleisch.
Murrend entfernte sie die piesackenden Scherben und sah sich um- das war gerade noch einmal gut gegangen, dachte sie bei sich und rappelte sich schliesslich auf. Unter den Sohlen ihrer Stiefel knirschte das Glas, waehrend sie sich umwandte und in Richtung des Ganges blickte. Einige Male blinzelte sie, doch die verklaerte Sicht, die die gesamte Umgebung mit einem trueben Grauschleier zu ueberziehen schien, verschwand nicht. Einige Schritte ging sie nun vor, doch am Durchgang, durch den sie zuvor das Gewoelbe betreten hatte, prallte sie an einer Art Barriere ab. Was, zur Hoelle, war hier eigentlich los? Das musste doch ein schlechter Traum sein!
Waehrend sie den Gang entlang starrte, ueberlegte sie was zu tun sei- wenn sie diesen Raum nicht verlassen konnte, wuerden Livius und Madara sie frueher oder spaeter erreichen und eine Loesung finden, dessen war sich die Diplomatin sicher. Nun gut, sie strich die Handflaechen noch einmal an der ledernen Hose ab und murmelte: „Wenn ich schon hier drin gefangen bin, kann ich auch noch einmal in aller Ruhe nach dieser verflixten Schriftrolle suchen.“
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Noch bevor sie die Drehung auf der Stiefelspitze vollfuehrt hatte, bemerkte sie schon, dass sich ein kuehler Hauch ihren Ruecken hinabzog und die feinen Haerchen in ihrem Nacken aufstellen liess. Der Blick in Richtung der Regalfront gab die Sicht auf zwei gewaltige, aetherisch schimmernde Drachenleiber frei. Ein erstaunter Ausdruck schlich sich auf ihre Zuege, waehrend sie die Drachen mit weit offen stehenden Munde musterte.
Der Kleinere der Beiden gab einen zischenden Laut von sich und hob eine der riesigen Pranken in drohender Manier.
„WAS?! Diese kleine, mickrige Kreatur soll dafuer verantwortlich sein, uns damals eingesperrt und all die Jahre hier gefangen gehalten zu haben?“ donnerte die tiefe, ehrfurchtgebietende und droehnende Stimme des Drachen, der offensichtlich die Rolle des Anfuehrers innehatte, entgegen.
„Meister, sie wird buessen. Ich werde sie unter meiner..“ erhob sich nun die Stimme des zweiten Drachen, der jedoch jaeh mit einer Handbewegung des Groesseren abgewuergt wurde und das wuchtige Haupt ehrfurchtsvoll senkte.
Nimue indes hob nun beschwichtigend die Haende in die Hoehe.
„Gefangen gehalten? Euch? Ihr missversteht die Situation!“ begann sie und wurde ebenfalls von dem groesseren der beiden Drachen in die Schranken gewiesen.
„Schweig!“
Als sich die Stimme ein weiteres Mal erhob, klirrten selbst die kleinen Flaeschchen in den Regalen. Zorn spiegelte sich in den umhornten Augen des Drachens, als er erst von Nimue dann zu seinem Gefaehrten blickte.
Die Drachen unterhielten sich offenbar in Gedanken weiter, konnte das sein? schoss es ihr durch den Kopf, als die Leiber der Drachen trotz das kein Wort gesagt wurde, hier und da mit Gesten oder Nicken, reagierten.
„MyLord. Bitte, glaubt ihr kein Wort- sie haelt uns zum Narren! Sie hat uns hier gefangen gehalten, um ein Haar waeren wir dem Wahnsinn Anheim gefallen.“ redete der Waechter nun auf seinen Anfuehrer ein.
„Alter Freund. Ganz ruhig.. Es faellt mir schwer das zu glauben- sieh sie dir doch an!“
Kurz ruckten die wuchtigen Schaedel der Drachen in Nimues Richtung, um sich dann doch selbst wieder dem Gegenueber zuzuwenden.
„Was, wenn sie es nur vortaeuscht?“
„Spuer in sie hinein..Streck die Fuehler deines Geistes nach dem ihrem aus.“ forderte der Groessere den Kleineren nun auf. Dieser trat auch sogleich einige Schritte auf Nimue zu, die nun dicht mit dem Ruecken an die unsichtbare Barriere gedrueckt dastand und mit wild klopfendem Herzen der beunruhigenden Dinge, die da moeglicherweise auf sie zukommen sollten, entgegen harrte.
Der Drache senkte das Haupt, bewegte die krallenbewehrten Zehen des kraeftigen Vorderbeins vorsichtig auf sie zu und tippte nur kurz gegen ihren Kopf. Nimue blinzelte kurz, sie hielt dem durchdringenden Blick des Waechters jedoch stand. Der Waechter schickte einen stummen Gedanken an den Geist seines Lords.
„Ich spuere da ein aehnliches Band, wie es die unseren einst miteinander verband- doch sie ist nur ein Mensch, wie ist das moeglich?“
Herausgefordert von ihrer Reaktion, tippte der Drachen nun ein zweites Mal gegen die Stirn der jungen Frau und schloss die Augen, dabei hochkonzentriert wirkend. Nimue fuehlte, wie der Drache sich Zugang zu ihrem Geiste verschaffen wollte- auch ihrer werwoelfischen Seite blieb dies nicht verborgen. Vor ihrem geistigen Auge tobte und schnappte die Woelfin in alle Richtungen.
„Mein Lord.. ihr Wille ist zu stark, ich kann ihren Widerstand nicht brechen? Wie ich bereits sagte- der Zauber ist nur noch schwach vorhanden, das Band sehr duenn.. Aber es wirkt, als waere da noch eine andere Praesenz.“ teilte der Waechter nun mit seiner Gedankenstimme mit.
„Ich fuerchte, sie ist kein gewoehnlicher Mensch. Wir werden ergruenden, mit wem wir es zu tun haben- und wie wir dann weiter mit ihr verfahren, wird sich daraus ergeben. Ich habe auch schon eine Idee, wie wir sie pruefen.“
Nimue zugewandt, schnaubte der Kleinere nun und sie fuehlte sich, als waere sie gerade noch einmal so dem Tode von der Schippe gesprungen.
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„Wenn es mir erlaubt ist, wuerde ich gerne das Wort an Euch richten.“ sagte sie nach einem Raeuspern. Als keine Reaktion von den Beiden kam, verfiel sie in einen Plauderton und machte ihrer Besorgnis Luft.
„Ich weiss nicht, wo ich hier bin- und noch viel weniger weiss ich, wie ich hierher gelangt bin- aber ich moechte Euch versichern, dass von mir keinerlei Gefahr ausgeht! Seid also unbesorgt.“
Ihre Worte auf die Drachen wirken lassend, betrachtete sie diese nun eingehender. Mhm, merkwuerdig, dachte sie, wenn sie es nicht besser wuesste, wuerde sie aufgrund der verzerrten Mimik darauf schliessen, dass ihre Worte sie belustigt hatten.
„Menschlein.. Als koenntest DU fuer uns eine Gefahr darstellen! Du magst uns unsere Freiheit geschenkt haben, doch das bedeutet nicht, das unsere Geduld grenzenlos ist. Wir sind Jahrhunderte in diesem Gefaess gefangen gewesen- wir sind muede. Wir haben mit den weltlichen Dingen abgeschlossen, wenn du nun freundlicherweise wieder verschwinden koenntest..?“
Mit frustriertem Gesichtsausdruck folgte sie dem Deut des Drachens auf das zerschmetterte Kristallgefaess am Boden nur kurz und warf dann mit einer theatralischen Geste die Haende in die Hoehe – und hielt abrupt inne. Was hatte er gerade gesagt? Ploetzlich daemmerte es ihr, wen sie da vor sich hatte: Die Alten.
Ehrfurchterbietend liess sie sich auf ihr Knie herabsinken und neigte ihr dunkelblondes Haupt.
„Verzeiht mir, Edle. In meiner Verwirrung habe ich nicht gleich schlussfolgern koennen, wer ihr seid.“ fluesterte sie nun beinahe andaechtig und hob den Blick wieder. Die Drachen stutzten nun selbst und tauschten stumme Worte in ihren Gedanken aus.
Nimue erhob sich langsam, zerrte ihren Gehrock vom Schreibtisch und hielt das Gildenemblem, welches auf dem Stoff aufgebracht war, in die Hoehe und somit den argwoehnisch dreinblickenden Drachen unter die Maeuler.
„Ein Erbe der unverwaesserten Blutlinie der Valherus – sein Name war Dantalon – hat meine Gemeinschaft gegruendet. Euer Erbe ist nicht verloren gegangen! Mich nennt man Nimue, ich bin die Diplomatin der Schwingen.“ brachte sie keuchend hervor.
„Was sagt sie da?“ zischte der Waechter und knurrte. Der Anfuehrer, der sich einen Augenblick spaeter knapp als Teleisotos vorstellte, hob die gewaltige Klaue und deutete mit einem Wink auf seinen Waechter.
„Sorasos.“
Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Frau zu.
„Kalythrios hat die Unseren also tatsaechlich in Sicherheit bringen koennen..“ murmelte der Edle, wobei die Stimmfarbe deutlich waermer wurde und die saphirblauen, vormals stechenden Augen nun mit einem wohlwollenderen Ausdruck auf Nimue ruhten.
„Also gut! Du bist nur ein gewoehnlicher Mensch, dir fehlt offensichtlich die Faehigkeit durch die Sphaeren zu reisen. Wir werden dir behilflich sein- aber nur damit du nicht bis in alle Ewigkeit hier verweilst und plapperst. Mach dich bereit!“
Ein weiterer Wink Teleisotos folgte, woraufhin sein Gefaehrte wieder seinen Platz einnahm und beide schliesslich die Augen schlossen und darauf gar nicht sooo fremd klingende Worte erklangen.
„Berinnor! Er hatte aehnlich geklungen, wenn er die Worte der Macht intonierte.“ huschte ein Gedanke durch ihren noch immer schmerzenden Schaedel und ploetzlich fuehlte es sich an, als stuende sie gerade noch auf einer Klippe und wurde just in diesem Moment ueber den Vorsprung in die unendliche Tiefe gestossen. Wie zaeher Honig, den man von einem Loeffel tropfen laesst, verlangsamte die Zeit sich nun- oben war unten, unten war oben, ihr Magen begann auf aeusserst unangenehme Art und Weise zu huepfen. Schreiend und strampelnd fiel und fiel sie. Mit einem Rucken trafen ihre Fuesse unvermittelt auf dem Boden auf, was den gesamten Koerper der Dunkelblonden stauchte und die Luft aus ihren Lungen presste. Noch einen letzten Schrei ausstossend, oeffnete sie zuerst das rechte, dann das linke Auge.
* * *
Was sie sah gefiel ihr nicht. Das war nicht die Schwarze Festung, das war scheinbar nicht einmal die richtige Sphaere!
Hatte es noch schlimmer kommen koennen? Ohja, gewiss. Ploetzlich wurde sie sich einer anderen Praesenz gewahr. Sie blaehte kurz die Nasenfluegel um herauszufinden, ob sie den Geruch, der dem Wesen anhaftete, zuordnen konnte. Ein weiteres Mal an diesem Tag spuerte sie den feuchten Atemhauch einer grossen Kreatur in ihrem Nacken.
„Na, wen haben wir denn da?“ Geraeuschvoll wurde an ihr geschnuppert, ihren Geruch tief in die Nasenloecher einsaugend, schmatzte das Wesen hinter ihr nun. Nimue schluckte, atmete tief durch und wandte sich um. Der Anblick, den dieser Drache bot, strafte
die froehliche, tiefe Stimme, in dessen Tonfall ein kaum wahrnehmbarer Hauch Wahnsinn mitschwang, Luegen.
Es liess ihr das Blut in den Adern regelrecht gefrieren, als er sich auf sie zubewegte, so sehr unterschied er sich von den anderen Beiden zuvor. Ein verschlagen wirkendes, gefaehrlich funkelndes Augenpaar heftete sich auf ihre Gestalt. Stumpf-grau war sein Leib gefaerbt, es machte den Anschein, als wuerden die Konturen seiner Gestalt ausgefranst erscheinen, allerdings waren die Drachenschuppen mit spitzen hornbewehrten Stacheln stetig in Bewegung. Nur muehsam loeste sie ihren Blick und lenkte ihren Fokus auf die boesartigen, rot schimmernden Augen. Ohne etwas ueber dieses Wesen zu wissen, wusste sie instinktiv, dass dieses Wesen all die Bosheit, Verschlagenheit und Tuecke der Welt gebuendelt in sich trug.
„Was treibt dich in meine Welt, Kleine?“ fragte die Kreatur und setzte den massigen Leib in Bewegung. Nimue bemuehte sich nun um einen ruhigen Tonfall und antwortete knapp:
„Nur ein Versehen. Es musste etwas schief gegangen sein, beim Versuch mich in meine Welt zurueck zu schicken.“
Der Drache zaehlte nun offenbar eins und eins zusammen und stimmte ein schrill klingendes Lachen an.
„Ohhohohho-hahahaa. Du bist den anderen Beiden begegnet, hab‘ ich Recht?“ Belustigung zeigte sich im irren Blick des Drachen, als er noch einmal nachhakte.
„Hab‘ ich nicht recht, Kleine? Bitte sag, das ich Recht habe. Sie sind unfaehig und schwach- leider sind sie mir damals entwischt. Unnuetze Kreaturen. Kleine, du hast auf die Falschen vertraut. Und wenn ich dich so anblicke.. lass mich raten, was dir durch deinen kleinen, ach so leeren Kopf geht? Alle Hoffnung dahin? Ach ach ach. Das muss nicht sein, ich kann dir helfen.“
Einen einschmeichelnden, ueberzeugen wollenden Tonfall anstimmend, trat der Drache nun einen weiteren Schritt naeher an sie heran. „Was meinst du- wie dringend moechtest du zurueck zu denen, die dich lieben.. und vermutlich schon laengst vermissen? Was waere.. wenn.. sagen wir, ich dir eine Moeglichkeit aufzeigen wuerde, wie du diese Sphaere hinter dich bringen kannst?“
„Von welcher Moeglichkeit sprechen wir?“ fragte sie, skeptisch eine Braue hebend. Wieder ertoente das grauenhafte Lachen des Drachens.
„Es ist ein geringer Preis. Komm, zerbrich dir nicht dein Koepfchen, vertrau mir. Sag ja und im Nu bist du zurueck- woauchimmerduherkommst. Du scheinst schon etwas nicht menschliches in deiner Seele zu beherbergen- etwas Platz fuer mich, waere der Preis.“ lockte er sie nun.
* * *
Da Nimue das Angebot nicht direkt ausschlug, knurrte die Woelfin in ihrem Inneren bedrohlich- nicht dass sie auch nur einen Bruchteil einer Sekunde darueber nachgedacht haette, das Angebot anzunehmen! Nein, jetzt ging es nur darum, Zeit zu schinden und nach einem Ausweg zu suchen. Als haette er Nimues Gedanken gelesen, gab er einen bedauernd klingenden Laut von sich und machte sich nun daran, sie quaelend langsam zu umrunden.
„Oder aber.. ich werde dich zerreissen und mir mit deinen Knochen die Zeit ein wenig vertreiben. Ach, das gaebe ein herrliches Bild ab. Blanke, weisse Knochen.“ murmelte der Drache nun und malte sich in Gedanken vermutlich bereits aus, welchen huebschen Kontrast Nimues Blut in diese farblose Umgebung bringen wuerde.
Aeusserst auf der Hut zu sein, vermittelte ihre Gefaehrtin ihr nun und machte unmissverstaendlich klar, dass sie jederzeit die Kontrolle uebernehmen wuerde. Nimue knoepfte nun unbeirrt ob der Worte, Knopf fuer Knopf, ihre schwere Robe auf und liess das Wesen, was zweifelsohne einem Albtraum haette entsprungen sein koennen, nicht aus den Augen.
„Oho, was tut sie da? Was tut sie bloss?“
Der Drache sprang nur einen Fingerbreit in die Hoehe, doch als die Wucht seines Gewichtes den Untergrund beben liess, lies sie sich auf ein Knie nieder. Rasch hob und senkte sich nun der Brustkorb Nimues, ein bernsteinfarbener Ring legte sich um die sonst strahlend blauen Augen und verlieh ihnen einen wuetenden Ausdruck.
„Ach, Kleine..so eine bist du also. Das ich nicht gleich darauf gekommen bin!“
Sie legte den Kopf in den Nacken, liess ihn einmal kurz kreisen und gab der Woelfin nun das Zeichen. Augenblicklich gruben sich ihre Fingerspitzen in den sandigen Untergrund, ein Blick auf ihre Haende gab die Sicht auf feine, sich rasant verdichtende, aus ihrer Haut spriessende Haerchen frei. Fast zeitglich, als ihre Fingerglieder sich verlaengerten, ertoente das Geraeusch von brechenden Knochen und reissenden Sehnen.
Unter zusammen gepressten Zaehnen stiess sie noch einen letzten Satz hervor.
„Die Schwingen der Verdammnis unterwerfen sich nicht- lieber sterbe ich tausend Tode, als dir widerwaertigem Ding einen Wirtskoerper zu bieten.“
* * *
Einen Augenblick spaeter war alles Menschliche gewichen – eine riesige Woelfin, von frostweissem Fell bedeckt, kraeuselte die Schnauze und Geifer troff von ihren Lefzen, als sie blutruenstigen Blickes nach dem Drachenwesen schnappte.
Wie aus weiter Ferne drang nun eine Stimme zu ihrem Bewusstsein hervor:
„Das hast du gut gemacht, Menschlein. Du hast bewiesen, dass du das Erbe Kalythrions nicht mit Fuessen trittst- selbst, wenn du dich in einer ausweglosen Situation befindest. Komm wieder zu uns!“
Die Frostwoelfin, die instinktiv spuerte, dass die Gefahr gebannt war, zog sich augenblicklich zurueck und es dauerte nicht lange, bis Nimues menschliche Gestalt wieder zur Gaenze zu sehen war und wie durch einen Strudel zurueck auf die Ebene der Alten gerissen wurde. Die Klaue des angsteinfloessenden Drachens ging ins Leere, nicht?
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Die dunkle Ebene war der schon vertrauten Umgebung gewichen, die gewaltigen, aetherisch schimmernden Drachen tauschten Worte auf geistiger Ebene aus. Mit einem peinlich beruehrtem Raeuspern drehte sich der Waechter zur Seite als er die nackte junge Frau -ob der Verwandlung waren die restlichen Gewaender die sie trug in Fetzen zerrissen- in ihrer unverhuellten, menschlichen Gestalt sah und schnipste ihr ihren vorhin abgelegten Gehrock zu. Waehrend Nimue noch damit beschaeftigt war ihre Bloesse zu verhuellen, begannen die beiden Alten bereits damit, die Faeden ihrer Magie zu einem Netz zu weben und sie ohne weitere Worte in ihre Welt zurueck zu katapultieren. Schwindel erfasste sie, ihr Geist wurde – schon wieder – von Schwaerze umfangen.
„Nein, nein.. So haltet doch ein. Es ist zu frueh! Ich habe noch so viele Fragen!“ begehrte sie auf und schrie, sich aus Leibeskraeften gegen die Magie wehrend.
„Alles zu seiner Zeit..“ hoerte sie noch die verhallenden Worte Teleisotos, bevor die Dunkelheit sich ihres Geistes wieder bemaechtigte.
* * *
Als Livius und Madara sie auf dem Boden liegend fanden, inmitten der Scherben, entging den Beiden, das an ihrem Finger der linken Hand, ein unscheinbarer, zarter kristallener Ring prangte.
„Es wird nicht langweilig mit ihr, was?“ richtete der Elementarmagier das Wort an Livius, der die Worte seines Bruders nur mit einem Schnauben quittierte.
„Schaffen wir sie zum Anwesen. Fass mit an.“ sagte Livius, seinen Arm schon unter Nimues Achsel schiebend.
Nimue erlangte das Bewusstsein- trotz dass sie unsanft in die Hoehe gehievt wurde und baeuchlings ueber den Ruecken ihres tiefschwarzen Mustangs gelegt wurde- waehrend der Rueckreise nicht zurueck. Ihre Gildenbrueder entschiedensich dafuer, sie in einem der Schlafzimmer des Anwesens der Gadomars, was ihnen waehrend Raphor und Vallerons Abwesenheit als Quartier diente, vorerst zur Ruhe zu betten.
Madara hatte vorsorglich noch einige Heilzauber gesprochen bevor er sich auf den Weg in die Stadt gemacht hatte. Livius, entgegen seiner sonst so gleichgueltigen Haltung, wachte neben ihr, war jedoch ob der Untaetigkeit, zu der er sich selbst verdammt hatte, indem er an ihrer Seite sitzen geblieben war, offenbar vor Langeweile eingenickt.
* * *
Als die ersten Sonnenstrahlen gegen die Dunkelheit der Nacht ankaempften, ging ein Rucken durch Nimues Koerper. Ein Schrei verliess ihre Kehle, mit den Armen ruderte sie, so als wuerde sie sich in freiem Fall befinden. Panisch schlug sie die Augen auf -wachte oder traeumte sie noch immer?- und vernahm eine vertraute Stimme in ihrem Kopf.
„Oh, na endlich. Das wurde ja auch Zeit, dass du erwachst! Jajaja, das wird ein Spass. Du wirst schon sehen, Kleine.“
Das irre Kichern in ihrem Schaedel liess sie ihre Haende an die Schlaefen reissen und schreien. Markerschuetternd schrie und schrie sie, bis sie keine Stimme mehr hatte.
Livius, der schlagartig von ihrem Geschrei erwachte, blickte in das Gesicht seiner Gefaehrtin und hielt irritiert inne- etwas hatte sich grundlegend veraendert. Was genau diesen einschneidenden Unterschied ausmachen sollte, wuerde er erst in den kommenden Wochen in seinem ganzen Umfang verstehen.. doch fuer den Moment reichte es, zu erkennen, dass die einst strahlend blauen Augen blutunterlaufen wirkten und sich kleine, blutrote Sprenkel in der Iris gebildet hatten und ihre Augen dadurch einen violetten Schimmer aufwiesen.
„Nimue?“ Livius blickte fuer seine Begriffe nahezu erschrocken drein, starrte sie gebannt an, eine Antwort von ihr erhoffend.
„Die Kleine, der Wolf und Skotos. Wir werden ein tolles Trio abgeben- oh, das wird lustig, das hier ist erst der Anfang, Kleine.“
Eine Antwort blieb sie Livius schuldig, stattdessen ballte sie ihre Haende zu Faeusten und schrie sich ein weiteres Mal die Seele aus dem Leibe.