[Bardenanmeldung] - Der Weg aus der Stille

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Mirja Vildaban | Vyktorya Alvlem
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[Bardenanmeldung] - Der Weg aus der Stille

Beitrag von Mirja Vildaban | Vyktorya Alvlem »

Der Weg aus der Stille

Mirja hasste die Stille. Das tat sie schon immer. Natürlich gehörte sie nicht zu den Frauen, die ständig plapperten, doch sie hörte gerne zu und wenn es nur dem sanften Rumoren irgendwo im Haus war, welches davon zeugte, dass noch jemand da war. Das Zwitschern der Vögel. Selbst die Geräusche einer triebsamen Stadt waren manchmal willkommen. Doch diese Stille, die von der Leere ihres Hauses erzählte, machte sie wahnsinnig. Mehrere Wochen waren ihre Liebsten nun verschwunden und sie wusste sich keinen Rat mehr. Sie hatte gefühlt den Trolleichenwald auf den Kopf gestellt und war tatsächlich mithilfe der magischen Rune wieder in das kleine Jägerdorf ihrer Eltern gereist. Dort hatte man sich über ihre Ankunft gefreut, doch wusste niemand etwas von ihrem Mann und ihren Kindern. Was blieb ihr also jetzt noch? Hatte sie aufgegeben?
Nein, die Hoffnung hatte sie nicht aufgegeben und sie würde auch immer wieder regelmäßig ausziehen, um sie zu suchen. Doch wusste sie auch, dass Pan es nicht gutheißen würde, wenn sie ihr eigenes Leben riskierte oder gar aufgab. Nein, sie musste stark bleiben. Für sich, für Pan, für die Zwillinge. Und ein bisschen auch für Robin.

Also suchte sie einen Weg aus der Stille.

Sanft glitten die Fingerspitzen über die Saiten der Laute. Das Instrument war Mirjas wertvollster Besitz. Und das, obwohl sie unzählige Waffen aus seltenen und edlen Metallen oder magische Rüstungen besaß, um die sie jeder andere Krieger beneiden würde. Doch auf all das konnte sie verzichten. Rüstungen und Waffen konnte man ersetzen. Aber dieses Musikinstrument würde es kein zweites Mal geben.

Der bauchige Klangkörper schmiegte sich perfekt an ihren Leib, der Steg lag geschmeidig in ihrer Hand und das Gewicht war besser ausbalanciert als das ihrer Katana. Es waren nur zarte Drehungen an den silbernen Wirbeln nötig, um das Instrument zu stimmen und die wolfspfotenförmige Rose erzählte zusammen mit der Inschrift im glattlasierten Mahagoniholz von ihrer Besitzerin.
Diese Laute hatte sie einst von ihrem Mann erhalten. Seither hütete sie das Instrument wie ihren Augapfel und nahm es zu jeder freien Minute zur Hand. Sie hatte darauf ihren Kindern Wiegenlieder vorgespielt und dazu gesungen oder mit Pan spöttische Trinklieder gegrölt. Aber manchmal hatte sie auch einfach für sich alleine gespielt. Gedankenverloren und die Welt vergessend. So wie heute.

Laute2.jpg

Die Töne, die sie dem Musikinstrument entlockte, waren leise, langsam und traurig, während ihr innerstes Auge alte Szenen aus dem Alltag verfolgte. Zumindest solange, bis sie mit einem frustrierten Aufschrei mit den Fingerspitzen auf die Saiten schlug und disharmonische Töne das Trauerspiel beendeten. Ihre Finger schmerzten von den scharfen Saiten und sie starrte lange auf die geröteten Fingerkuppen. Wenn Pandor sie nun sehen könnte, würde er sich vor ihr aufbauen, die Arme vor seiner breiten Brust verschränken und den Kiefer so fest aufeinanderpressen, dass die Wangenknochen markant hervorstachen. Ja, sie konnte seinen kritischen Blick aus den grünen Augen unter dem roten Kopftuch hervor regelrecht auf sich spüren. „Ich vermisse dich… ich vermisse euch.“, flüsterte sie dem Trugbild in ihrem Geiste zu.

Und wie von selbst schlugen ihre Finger neue Töne an: mit einer gewissen Sehnsucht in der Melodie begann sie in ihrem Geist die Landschaft auszuformen, über die sie wie ein Falke schwebte. Wälder und Wiesen, die sich langsam aus einem Winterschlaf erhoben, wo der letzte Schnee dem ersten Grün des nahenden Frühlings wich und die kalte Luft den ersten Hauch von süßen Blüten mit sich trägt. Und der Wind… der Wind der für diesen Augenblick die Sorgen und Ängste mit dem Lied davon trug… weit hinauf aufs dunkle Meer…

Der Winter hielt uns lange hier,
die Welt war uns verschneit.
Das Land war still,
die Nächte lang,
der Weg zu dir so weit.
Doch endlich kehrt das Leben zurück in unser Land.
Du trafst mich heut im ersten Grün und nahmst mich bei der Hand.

Lass uns ziehn mit dem Wind,
denn wohin er uns bringt,
werden Zweifel zu Rauch,
weil du hier bist.
Lass uns gehn und wir sind,
endlich frei wie der Wind,
wie die Vögel ziehn wir,
weit übers Meer.

Im Winter noch da fragte ich wer mich im Fallen fängt.
Im Sommerwind nun fliegen wir bis an den Rand der Welt.
Und wer denn auf den Wegen mit uns gemeinsam zieht,
den halten keine Fesseln, wenn der Wind im Sommer weht.
Lass uns ziehn mit dem Wind,
denn wohin er uns bringt,
werden Zweifel zu Rauch,
weil du hier bist.
Lass uns gehn und wir sind
endlich frei wie der Wind
wie die Vögel ziehn wir
weit übers Meer.

Einmal folg ich ihrem Flug,
in das Land das in der Ferne ruft.
Lieder habens' mir erzählt.
Einmal hält mich nichts zurück,
folge mir, begleite mich ein Stück.
Komm mit mir in jene Welt

Lass uns ziehn mit dem Wind,
denn wohin er uns bringt,
werden Zweifel zu Rauch,
weil du hier bist.
Lass uns gehn und wir sind
endlich frei wie der Wind
wie die Vögel ziehn wir
weit übers Meer.
(©Faun – Mit dem Wind)

Der letzte Ton war längst verklungen, doch Mirjas Blick war noch immer in die Ferne gelenkt, getragen vom Wind hinaus… „Frei wie der Wind… wie die Vögel…“, wiederholte sie leise die Liedzeile und schloss einige Momente schließlich die Augen.

Dann endlich drückte sie sich vom Boden aus den Fellen auf, auf denen sie in den letzten Stunden ausgeharrt hatte. Die Laute wurde andächtig und liebevoll auf einen eigens dafür konstruierten Ständer abgestellt. Daneben ruhte auch eine Violine. Diese war schon alt und abgegriffen und ohne große Besonderheiten und dennoch war sie fast genauso kostbar wie die Laute, denn sie war ein Geschenk einer der Spielfrauen, mit denen sie und Pan einige Zeit herumgezogen waren. Mirella Seidenklang. Eigentlich war die Violine ein Erbstück ihrer Familie, doch Mirella hatte darauf bestanden, dass Mirja das Musikinstrument bekam, nachdem sie ihr die Feinheiten beigebracht hatte. Mirja hatte schon früher auf Festen eine Violine gespielt, doch nichts was sie bisher gespielt hatte, reichte an Mirellas Talent heran.

Einige Momente blickte Mirja auf die Instrumente, dann wanderte ihr Blick umher. Es wurde Zeit etwas zu ändern. Etwas gegen die Stille zu tun. Ja, Pan und die Zwillinge waren verschwunden. Doch wo auch immer die drei waren, sie konnte ihnen jetzt nicht helfen, nicht solange sie keine Anhaltspunkte hatte. Doch sie konnte sich um ihr Leben kümmern und Dinge tun, die längst überfällig waren.

Nur zwei Stunden später stand sie inmitten des Burghofes. Wie üblich liefen dort Soldaten und Wachen umher, verrichteten ihren Dienst oder absolvierten ihre Ausbildung. Ausnahmslos jeder salutierte respektvoll vor der Unteroffizierin, wenngleich der Salut von einem kurzen, irritierten Blick begleitet wurde. Nur wenige hatten Mirja in Zivil gesehen und schon gar nicht so: die Füße waren nackt, der Zipfelrock wehte um ihre Beine und legte die Waden fast bis zum Knie frei, das bauchfreie Oberteil war schon fast eine Unverschämtheit und könnten Thamion oder Fenria sie nun so sehen, würde es Strafdienst hageln. Doch das war Mirja egal. Flüchtig wurden Erinnerungen wach. Eine Erinnerung an jenen schicksalhaften Tag, als sie fuchsteufelswild auf ihre Blutsschwester Nea im Burghof stand, ähnlich und noch unzüchtiger gekleidet wie heute, und auf dem Weg in die nächstgelegene Kneipe war, um dem Met zu frönen. Jener Tag, als sich ein weißhaariger Verrückter der rothaarigen Adjutantin mit einem frechen „Schenkelkontrolle!“ in den Weg stellte.
Im Burghof hielt sie inne und sah hinüber zu jener Bank vor der Schmiede. Dort, wo sie Stunden mit Pan verbracht hatte, noch ehe er selbst im Orden war. Wie oft hatte er seinen Hengst Shazam wohl verloren und hier wieder eingesammelt? Ob das wohl Absicht war? Diese Frage hatte Pan stets mit einem grinsenden „Wer weiß, vielleicht?“, beantwortet.

„Unteroffizier Vildaban!“, einer der Adjutanten kam dienstbeflissen auf sie zu gerannt und riss sie aus ihrer Starre. Eilig schnitt sie ihm das Wort ab: „Was auch immer Ihr wollt, Ihr werdet Euch einen anderen dafür suchen müssen, Adjutant. Ab heute bin ich nur noch Mirja Vildaban.“ Damit drückte sie ihm eine Kiste in die Arme. Darin lag ihre Uniform, feinsäuberlich zusammengelegt, sowie die Silberburger Heeresrüstung mit dem roten Samtmantel, die einst für sie angepasst wurden, sowie ihr Ordensabzeichen und ein entsprechender Schrieb an die Ordensführung, mit der sie ihren Rück- und Austritt aus ihrem Amt als Unteroffizierin und der Ritterschaft bekannt gab.

Es war ein schwerer und harter Schritt, mit dem sie sich schon lange getragen hatte. Doch die Zeit war gekommen. Schon zu Beginn hatte Mirja sich schwergetan, sich in die Regeln und das Leben des Ordens einzufügen. Die Tugenden zu lernen und zu beherrschen. Irgendwann hatte sie alles verinnerlicht und stieg rasend schnell in der Ritterschaft auf. Einige Zeit trug sie sogar den Titel der Großmeisterin und war umso mehr für die Geschicke des Ritterordens zuständig. Damals litt ihre Beziehung zu Pan unter dieser Bürde, doch sie hatten sich zusammengerauft und für das Wohl der Menschheit und Bürger Silberburgs gekämpft. Die letzten Jahre jedoch hatte sie fernab des Ordens verbracht. Mal am Rand der Gesellschaft in den Wäldern, mal mittendrin in den Städten mit den Gauklern auf den Festen und Jahrmärkten. Und das war ihr Leben. Der Orden hatte sie geprägt, geformt und Reife gegeben. Jetzt war es Zeit zu Leben.

Liebe.
Mut.
Leidenschaft.

Für immer.

Das Motto, das in den blassen Lettern auf ihren Armen tätowiert stand, sollte wieder mehr denn je in ihr Leben Einzug halten.

Nachdem der Adjutant endlich seine Schockstarre überwunden hatte, kehrte die Dienstbeflissenheit zurück und er begleitete Mirja nun als einfache Bürgerin zum Tor hinaus. Da stand sie nun vor dem massiven Gemäuer und blickte hinüber zur Stadt. Die Unteroffizierin Mirja Vildaban gab es nun nicht mehr. Jetzt war es Zeit sich einen anderen Namen zu machen. Einen Namen, von dem Pan und die Zwillinge hören konnten, wo immer sie waren und wissen würden, dass sie auf sie wartete und sie zu ihr zurückfinden würden. Angelockt von ihrer Musik, dem Gesang, den Festen die ihrem Wesen entsprachen.

Mirja Vildaban. Die neue Bardin Nordhains.
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