Von Dingen, die einem zu Kopfe wuchsen..

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Mayla
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Von Dingen, die einem zu Kopfe wuchsen..

Beitrag von Mayla »

Sie hatte vor kurzem das erste entdeckt. Es war ihr erst gar nicht aufgefallen, bei einem flüchtigen Blick in den Spiegel. Aber es war da, ganz eindeutig. Und dieser Umstand alleine für sich war schon bemerkenswert. Und doch war es ungewöhnlich, außergewöhnlich. Es sollte da gar nicht sein. Es war einfach erschienen, quasi zeitgleich mit ihrer Rückkehr in diese Lande. So wie sie selbst wieder wie aus dem nichts erschienen war, nach langer langer Zeit, so war es auch plötzlich erschienen, wie aus dem nichts, ohne Vorankündigung.

Sie war in den Landen umher gestreift, die sie so lange nicht mehr betreten hatte. Alles war ihr dennoch vertraut. Die Städte waren die gleichen, die Wege waren geblieben. Selbst der Papagei in der Bank zu Ansilon musste wohl bei einem missglückten Experiment der Magierakademie entstanden sein, anders war nicht zu erklären, dass dieses freche Federvieh immer noch lauthals in dem Bankgebäude umher schrie. Und doch war etwas anders als zuvor. Ob es am Land selbst lag? An den Bewohnern? Den Tieren oder den Pflanzen? Sie wusste, dass sie sich mit diesen müßigen Fragen nur selbst belog. Sie war es, die sich geändert hatte. Als sie sich das erste mal in diesen Landen niederließ, war sie nur nach außen hin jung an Jahren gewesen. Sie war anders als die anderen. Es gab viele mit ihrem Sein, den manche als Fluch, manche als Segen betrachteten. Nun, da sie wiedergekehrt war, gehörte sie zu den Uralten ihres Seins, man brachte ihr großen Respekt entgegen. Es gab, wenn überhaupt, nur noch ganz wenige ihres Alters, auch wenn nach außen hin die Zeit nahezu spurlos an ihr vorüber gezogen war; nahezu. Vielleicht lag es daran?

Sie hatte diesen jungen Welpen kennen gelernt, Nagron war sein Name. Er war alleine und verunsichert. Sie nahm sich seiner an, wie sie es früher schon oft getan hatte. Er sprach davon, dass er erschaffen wurde, wie es früher nur bei den lebenden Toten der Fall gewesen war. Früher, als sie noch die Führerin des großen Rudels gewesen war, wäre das undenkbar gewesen. Man hätte den Erschaffer gejagt, gehetzt, man hätte ihn so lange verfolgt und vor sich her getrieben, bis man der Hatz leid gewesen wäre und hätte ihn... doch das war früher. Seltsamerweise brodelte der Zorn nur schwach in ihr auf, die Bestie in ihrem inneren blieb stumm, begehrte nicht auf und verlangte nicht nach Blut. Sie nahm diese Neuerung als jetzt gegeben hin. Was sollte sie auch tun? Sie war lange weg gewesen, Dinge änderten sich, Menschen änderten sich, Gemeinschaften änderten sich. Womöglich hatte sich auch das komplette verhalten und Wesen ihres Seins und das ihrer Art geändert? Sie hatte jedenfalls bekräftigt, sich um Nagron zu kümmern. Das war zumindest gleich geblieben und beruhigte sie. Es war wie eine stete Aufgabe in ihrem Leben, eine Konstante.
 Am nächsten Tag hatte sie ein weiteres entdeckt. An einer anderen Stelle. Aber es war unübersehbar. Auch dieses war einfach plötzlich da. Ohne ein Zeichen oder eine Vorwarnung war es einfach über Nacht dagewesen. Das war alles mehr als seltsam. Gründlich forschte sie nach, ob es noch mehr davon gab. Nach einigem suchen und wühlen war sie sich sicher. Es gab zwei. Ganz genau zwei. Nur diese zwei, kein weiteres. Sie würde das im Auge behalten müssen. Vielleicht stimmte etwas mit ihr nicht. Aber sie fühlte sich nicht anders als zuvor auch. Sie war immer noch sie, mit allen Vorzügen und Macken, die sie ausmachte. Merkwürdig war das ja schon. Aber sie hatte andere Dinge zu tun, als sich um diese zwei beiden zu kümmern. Das musste warten.
 Mahribar hatte sie besucht. Er war so mir nichts, dir nichts vor ihrer Tür gestanden. Mitten in der Nacht. Zum Glück war sie noch nicht zu Bett gegangen, hatte gearbeitet und dabei die Zeit vergessen, wie so oft schon in ihrem langen Leben. Sie hatte sich an ihn erinnert. Er war ihr damals auch als Welpe in die Hände gefallen. Geschichten wiederholten sich. Er eröffnete ihr, dass er nach ihr der Älteste unter den Ihren war und er ein eigenes Rudel führen würde, welches er erschaffen hatte. Es verwunderte sie nicht. Mahribar und seine Brüder waren für ihre Direktheit und ihren Ehrgeiz bekannt. Sion war ihnen ein guter Lehrer gewesen. Mahribar hatte sich offenbar auf eine Auseinandersetzung mit ihr vorbereitet, nicht nur für ein Gespräch. Doch sie nahm ihm den Wind aus den Segeln. Das lag ihr, das konnte sie recht gut. Sie hatte den Umstand längst akzeptiert, dass ein neuer Wind in den Landen herrschte, dass die Ihren nun willentlich erschaffen wurden und es nicht mehr bloße Unfälle und Zufälle waren, wie es bei ihr einst war. Vielleicht hatte die Bestie in ihr es viel früher gewusst und akzeptiert. Vielleicht war es eine Art Verteidigungsstrategie ihres gesamten Seins gegen die widernatürlichen lebenden Toten? Vielleicht hatte sich ihr ganzes Sein, die Gesamtheit ihrer Art ändern müssen, um ihren Feinden die Stirn bieten zu können? Wer wusste das schon. Sie war überrascht und gleichzeitig recht gefasst, dass sie diese Begebenheit nicht groß aus der Ruhe brachte. Mahribar war aber immer noch da. Er schien sich einerseits zu freuen, dass sie wieder da war, andererseits schien er misstrauisch, ob sie ihm seinen Rang abspenstig machen wollte. Ehrgeizige waren doch überall gleich. Es amüsierte sie. Sie beschloss, quasi zum Gegenangriff über zu gehen. Sie wollte gar nicht mehr die Führerin der Rudel sein. Sollte er das künftig tun, wenn er wollte. So konnte sie ihn gewinnen und letztlich für ihre gewählte Richtung einspannen und sie konnte im Hintergrund immernoch tätig sein, ohne die Last der Verantwortung zu tragen und an forderster Front stehen zu müssen. Das war eine gute Idee und Mahribar zögerte keinen Augenblick, diese Chance zu ergreifen. Damit war aber noch nicht alles getan, um ihren neuen Weg vorzuzeichnen. Sie nahm ihn dann noch mit zur Höhle der Ulvur Madur, der Wolfsmenschen. Jene Höhle, die sie mit anderen geschaffen hatte, um für alle ihres Seins eine Zuflucht zu schaffen. Es war neutraler Boden, denn auch unter den ihren waren sie sich nicht immer grün gewesen. Jeder, der die Höhle betrat, akzeptierte, das alle Streitigkeiten außen vor bleiben mussten und nur die Belange ihres Seins dort galten und man sich dort gegenseitig half, ganz gleich wie. Auch Mahribar akzeptierte diese Regeln ohne umschweife und gelobte sie als Führer der Rudel durchzusetzen. Gleichzeitig, dazu drängte sie ihr Innerstes, bot sie sich als Wahrerin des Wissens und Hüterin ihrer allen Seins an, sowie als Lehrerin der Welpen. Das war es gewesen, was sie verspürte, seit sie die Lande wieder betreten hatte. Das war ihr in diesem Moment klar geworden, als sie es gegenüber Mahribar ausgesprochen hatte. Nicht die Lande hatten sich verändert oder deren Bewohner. Sie selbst war es gewesen. Sie hatte einen neuen Abschnitt in ihrem Leben erreicht. Sie war nicht mehr die Führerin der Rudel. Sie war nun die Uralte, die die Welpen lehrte und für den Zusammenhalt der Gemeinschaft ihres Seins einstand und für die Neutralität der Zufluchtshöhle verantwortlich war. Hoffentlich würde sie diese Aufgabe mit der nötigen Weitsicht und Weisheit ausfüllen können. Als ihr ihre neue Aufgabe bewusst wurde, sie der Tragweite gewahr wurde, schlich sich langsam wieder die vermisste innere Ruhe ein, die sie schon seit so langer Zeit ihr eigenen nannte, die sie hart und in langen Stunden trainiert und immer wieder trainiert hatte. Eigentlich, um die Bestie in ihrem Inneren im Zaum zu halten, bis sie und die Bestie eins wurden, nicht mehr gegeneinander Kämpfen, sondern einander akzeptierten, das sie eins sind. Jeder bedingt durch den anderen. Sie waren nach langer langer Zeit eins geworden. Ein einziges Wesen. Die Frage nach Fluch oder Segen stellte sich schon lange nicht mehr. Ein Zwerg stellte sich schließlich auch nicht die Frage, warum er einen Bart hatte. Er hatte einfach einen. Damit war alles gesagt. Sie würde der Zukunft um ihr aller Sein ruhig entgegen blicken. Ein neuer Führer der Rudel hatte sich hervor getan und sie war in die zweite Reihe getreten. Sie würde so etwas wie die Graue Eminenz werden. Aus dem Hintergrund ageiern und dennoch auf vieles einwirken können. Das gefiel ihr.
 Tags drauf entdeckte sie nicht nur ein weiteres, sondern unzählige. Raue Mengen, könnte man fast meinen. Über Nacht waren sie gekommen. Erst verwundert, dann interessiert betrachtete sie sich mehrmals im Spiegel. Es war keine Illusion. Sie waren allen ernstes und ganz greifbar real da. Sie fühlten sich nicht anders an, als die anderen. Aber sie waren eben anders. Wo die letzten Tage erst eines, dann das zweite erschienen waren, so schien es jetzt, als ob eine Invasion stattfinden würde. Allüberall fand sie teils einzelne, teils in Gruppen der anderen.
 Es war zum Haare raufen... überall waren graue Haare auf ihrem Kopf, den Augenbrauen... die vormals kupferbraun war.
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