Der Weg des Herrn

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Lyanos Deazul
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Der Weg des Herrn

Beitrag von Lyanos Deazul »

Lange war er gereist, zu Fuß und gewappnet in seine heilige Rüstung, genauso wie er auch damals jenen Weg beschritten hatte. Immer wieder hatte er unterwegs anhalten müssen, um sich neu zu orientieren, nachdem zahlreiche Wegpunkte nunmehr mit Moos überwuchert waren oder markante Bäume dem Wandel der Zeit zum Opfer gefallen waren. Doch schließlich, nach einer zermürbenden Reise stand der alte Paladin erschöpft und am Ende seiner Vorräte vor einer Höhle am nördlichsten Punkt der neuen Welt, wo er einmal mehr vor so vielen Jahren verzweifelt, gelandet war.

Damals wie heute, entledigte er sich unweit des Eingangs der Rüstung und schritt barfuß voran, sodass die heiligen Energien der Dunkelheit erlaubten, seinen nackten, faltigen Leib zu umgarnen. Die Luft in der Höhle war kühl, trocken und verströmte den Geruch von Moder, während er sich weiter in die Finsternis begab. Der Boden war uneben und das Geröll scharfkantig, dennoch stolperte die gedrungene Gestalt des nackten Paladins weiter in die Höhle, in der ihn schließlich beinahe vollständige Dunkelheit umgab. Er keuchte und die Tritte des Mannes hinterließen eine blutige Spur, während er weiter voranschritt, ehe er ein sanftes Leuchten in der Ferne ausmachte. Argus holte schnappend Luft, bevor er weiterstolperte und schließlich die Quelle des Leuchtens ausmachen konnte. Es waren die skelettierten Überreste eines Schädels, die auf einem Felsvorsprung ruhten. Als der Paladin den Schädel erblickte, machte er einen raschen Schritt, ehe er stolperte und auf die Knie fiel, doch er schleppte sich auf Knien weiter, bis er an dem Schädel angelangt war.

Mit zitternden Händen reckte er seine Hand zu dem glimmernden Schädel und als er jenen berührte, konnte er einmal mehr die heiligen Energien spüren, seine Energie, den Segen welchen er vor so langer Zeit, einst als Großmeister, auf die sterblichen Überreste gesprochen hatte. Und in jenem Moment durchfuhren ihn die Erinnerungen.

Er fand sich einmal mehr in einer fernen Stadt, abseits des Kontinents wieder, der Geschmack von Meeresluft auf seinen Lippen, während er fremde Lippen auf seinem jugendlichen Leib fühlte, die stramme Brust, die sich an seinen Rücken schmiegte und die Erregungen eines Jünglings mit all ihrer männlichen Vorzüge. Argus erinnerte sich an den Geruch des Leibes neben ihm, seinem ersten Jünger, Lycron, in der Stadt die er im Namen des Herrn zu bekehren versuchte. Und er erinnerte sich an die Momente der Leidenschaft, den süßen Schmerz, den ihre Liebe in sich barg, an Momente der Zweisamkeit und der Zuversicht. Es waren Jahrzehnte vergangen, seit er aufgebrochen und Liebe gefunden hatte und so fuhren seine spröden Lippen über den knöchernen Schädel, sein Mund öffnete sich und seine Zunge ertastete die Unebenheiten, ehe die Erinnerung abrupt zerbarst und er sich wieder in der Höhle mit dem Schädel in seinen Händen wiederfand.
Der Paladin war erschöpft, Tränen rannen über seine Wangen und sein Wehklagen kündeten von dem Leid seiner geplagten Seele, ehe er den Schädel an seine Brust presste, zur Seite kippte und sich der endgültigen Erlösung hingab.


„Argus“
„Wach auf“
„Du lässt unsere Zeit verstreichen“


Argus kannte diese Worte und er wusste was nun folgen würde, also beschloss er, seinem Bewusstsein das Erwachen zu verweigern. Er fühlte Barthaare sanft in seinem Nacken, gefolgt von Lippen und einer geschulten Zunge, die ihm einen erregten Schauer über den Körper laufen ließ. Mit geschlossenen Augen hörte er sich sagen:
„Dies ist der Tag, an dem du sterben wirst, sie werden dich wegen deinem Glauben enthaupten und mich ins Exil schicken. Warum zwingst du mich, aus meinen Erinnerungen zu erwachen?“

Die helle Stimme Lycrons flüsterte ihm ins Ohr und ließ ihn einmal mehr vor Erregung erschauern:
„Das ist Geschichte, ich bin in dir, wie du in mir warst...“

Argus musste lachen und wand sich in seinem Bett, er öffnete die Augen und fand sich auf purpurnen Seidenlaken, geziert von zahlreichen seidenen Vorhängen wieder. Das Bett, welches sie so lange, so kurz miteinander geteilt hatten.
„Du bist grausam, Liebster.“

Lycron hob die Brauen und lehnte sich seitlich auf den Ellbogen. Seine rote Haut und die weißen Haare waren eine Eigenschaft seines Volkes die einen fremden Gott anbeteten. Es hieß, dass ihr Gott ihnen diese Farbe als Zeichen des Leids gegeben hatte, um sie an die Qualen ihrer Wanderschaft zu erinnern.
„Warum bist du hier, doch nicht bei mir?“

Argus verzog sein Gesicht und strich über die Wange seines Liebhabers, doch als er seine Hand erblickte, konnte er die Falten des Alters erkennen und runzelte die Stirn. Er war nicht mehr jung… wie in seiner Erinnerung.
„Ich bin bei dir, dort wo ich dich einst zurückließ. Fernab von den Qualen der Völker. Ich bin einmal mehr gewandert. Es jährt sich der Tag, an dem ich dich zurückließ und gefallen bin. Wie könnte ich dich vergessen, zurücklassen?“

„Ich weiß, dass du mich niemals vergessen wirst. Doch deine Zeit ist noch nicht gekommen, du hast eine heilige Pflicht zu erfüllen.“

Mit diesen Worten setzte sich Lycron auf, das seidene Tuch glitt an seinem Leib hinab und entblößte seine vollendete Männlichkeit in all ihrer Pracht. Argus fühlte, wie sein Körper in Wallung geriet und im selben Moment, in dem er sich erheben wollte, drückte Lycron ihn sanft wieder zurück auf das Bett.
„Nicht, Geliebter. Du lässt eine Welt im Stich, die dich braucht. Die unseren Herrn und sein Wort braucht. Du bist seine Stimme, sein Schild. Das hast du doch selbst immer gesagt? Du bist der Schild gegen die Finsternis und die Stimme der Hoffnung?“

„Aber jetzt bin ich alt, erschöpft und müde. Es ist… zu viele Feinde, zu viel Diplomatie, zu… es ist zu viel. Der Orden, all die Aufgaben. Ich will bei dir bleiben, nur heute, bitte…“
Die flehende Stimme von Argus verklang im scheinbar endlosen Raum, ehe er seinen Blick beschämt senkte. Früher war vieles einfacher gewesen. Malinas Hammer hatte keine Zeit für Diplomatie, Zarraks Klinge kannte keine Gnade und ihre Taten waren niemals von Zweifel erfüllt gewesen. Doch nun waren die Dinge anders, oder nicht? Als hätte Lycron seine Gedanken gelesen, küsste er seine Stirn, dann seine Nase, ehe sich ihre Lippen innig vereinten. Als sie sich trennten konnte er ihn immer noch fühlen.

„Du begehst dieselben Fehler wieder und wieder, Mal um Mal. Der Herr und seine Tugenden dulden kein Zögern und kein Zweifeln, das hast du selbst gesagt. Wenn dich fremdgeschaffene Strukturen einhalten lassen, reiß sie nieder. Das Licht wird dich nur erreichen, wenn du unter freiem Himmel wandelst. In allem was du bist: Bruder, vollendeter Liebhaber und Paladin, bist du immer noch Teil der Schöpfung. Und als die Stimme des Herrn, lass alle Bande hinter dir, die dich in deiner Pflicht behindern.“ Die Worte schmerzten Argus, hatte er doch damals auf Diplomatie gesetzt, hatte versucht zu verhandeln und all dies war der Grund, warum Lycrons wundervolles Haupt von seinem makellosen Körper getrennt wurde. „So habe ich das nicht gemeint.“ Sprach Lycron, hätte er seine Gedanken gelesen.

"Wir müssen Fehler machen, um zu wachsen. Jeder Weg, den wir nicht gehen können, führt uns näher zu dem Pfad, den wir beschreiten müssen. Lass dich nicht von fremden Wegen binden, lass DEINEN Weg nicht von fremden Wegen bestimmen. Du bist einst gefallen, doch nun ist einmal mehr die Zeit sich zu erheben. Du hast nur deinen Weg, wenn du ihn nicht gehst, wird ihn niemand beschreiten.“

Argus verstand, aber einmal mehr verzog er schmerzhaft das Gesicht und schloss die Augen.
„Kann ich nicht bei dir bleiben?“

„Noch nicht, aber bald, du musst noch ein wenig weiter gehen. Nicht jetzt, aber bald. Beschreite den einzig wahren Pfad, lass dich nicht von anderen beeinflussen, solange das Licht des Herrn dir den Weg weist.“
Argus schloss einmal mehr die die Augen, er versank in der zärtlichen Umarmung seines Liebhabers, fühle wie sich der muskulöse Körper an ihn schmiegte.

„Doch noch drängt die Zeit nicht…“
Damit wandte sich Argus um und ihre Lippen fanden sich einmal mehr. In zärtlicher Umarmung gaben sie sich einander hin, in Leidenschaft zwischen Liebe und Schmerz fand ihre Liebe einmal mehr zu Höhepunkten zurück.
 
Keuchend holte Argus Luft, als sein Herz einmal mehr zu schlagen begann. Er wand sich zur Seite und erbrach dünnes Sekret. Windend und unter Schmerzen stöhnend lag er am Boden und versank in unruhigen Schlaf. Als er erwachte richtete er sich auf, blickte im Lichte des glühenden Schädels auf die dunkel schimmernde Substanz am Boden, ehe er zielsicher zum Eingang der Höhle schritt. Er fand seine Rüstung, das Ordensabzeichen ließ er zurück.


Es war sein Weg, der Weg des Herrn.
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