Der Ruf der Dunklen Mutter

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Thaarkasha
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Der Ruf der Dunklen Mutter

Beitrag von Thaarkasha »

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Kälte kroch langsam ihre Wirbelsäule hinauf, was ein Schaudern nach sich zog und sie selbst im Dämmerschlaf dazu bewog, das weiche Fell enger um die nackten Schultern zu ziehen. Doch kaum, dass der Rücken wieder bedeckt war und sie die Hände zurückgeschoben hatte, wurde die Tierhaut unsanft fortgerissen und energisch an ihrer Schulter gerüttelt. Schnaubend wollte sie den Störenfried anherrschen, dass er schleunigst die Beine in die Hand nehmen und verschwinden solle, bevor sie ihre Keule in die Hand bekäme, doch der Lufthauch, der ihr entgegen wirbelte, als sie gerade im Begriff war, sich auf ihrem Lager herumzuwerfen, transportierte die vertrauten Gerüche von Kräutern und Erde an ihre Nase und ließ sie innehalten und lediglich die breite, leicht wulstige Stirn verziehen, um geradewegs in das vom Alter gezeichnete Gesicht der Orkin zu blicken, die sich ihrer vor vielen Jahren angenommen hatte. „Dahara?“

Mit einer Geste gab diese ihr zu verstehen, dass Thaarkasha sich ruhig zu verhalten habe. Den ohnehin buckeligen Rücken beugte die Alte nun ein wenig mehr hinab und flüsterte ihr zu: „Wer k’enal.“ Aufstehen? Warum? Ein Blick an der Alten vorbei verriet ihr, dass der Morgen noch nicht einmal graute - was hatte das nun wieder zu bedeuten?
„Intschu?“, formten die, von fein gebogenen Hauern durchbrochenen, Lippen beinahe lautlos. Sie versuchte sich einen Reim auf das Verhalten der Alten zu machen, für gewöhnlich lag sie um diese Zeit selbst noch unter den Fellen und quälte die Jüngere nicht so früh vom Lager hoch, irgendetwas stimmte hier doch nicht; der Blick der Heilerin verriet es ihr. Doch ohne ein weiteres Wort zu sprechen, umfasste die Greisin den Stab, auf welchen sie sich zuvor gestützt hatte, mit der rechten Hand, wedelte ungeduldig damit in Richtung des Ausgangs der, eher karg und zweckmäßig, als heimelig gehaltenen Hütte und deutete Thaarkasha an, ihr zu folgen.

Trotz, dass es um das Augenlicht der Alten nicht mehr so gut bestellt war, hörte sie noch immer bestens, also wäre es wohl klüger, sich ein gemurmeltes „Schaisze.“ zu verkneifen und lautlos in die grobe Kleidung zu schlüpfen und sich zu beeilen. Erstaunlicherweise verursachte Dahara keine Geräusche, als sie die Jüngere hinter sich aus dem Orkfort heraus, den gut verborgenen Pfad am Bach entlangführte, der sie zu einer abgelegenen Stätte führte, zu der nur die Frauen des Stammes gelegentlich kamen. Es hätte sie wirklich gewundert, wenn auch nur einer der Männer Kenntnis von diesem heiligen Ort gehabt hätte. Vollgefressen und grunzend, die Sinne von zu viel Goragh-Ale benebelt, bemerkten sie ja nicht einmal, wenn die Weiber sich davonmachten. Ha, vor allem Gro’kar, dieser Himar, ihm könnte man selbst über die Füße stolpern, er würde es nicht merken! Fast hätte sie dieser Gedanke belustigt aufgrunzen lassen, doch sie verkniff es sich, um nicht ein weiteres Mal mit Daharas Stab Bekanntschaft machen zu müssen.

Den wild rankenden Efeu mit eben diesem Stab beiseiteschiebend, huschte Dahara, von merkwürdiger Energie beseelt mit rascherem Schritt unter dem Blättervorhang hindurch und begradigte mit tiefem Einatmen ihre gebückte Haltung ein wenig. Das Mondlicht gab den Blick auf eine kleine Nische in der Felswand frei und beleuchte mit seinem schummrigen Schein eine Steinplatte, auf der sich eine Art Schrein befand. Eine Vielzahl kleiner, auf den ersten Blick gewiss unscheinbar wirkenden, Dinge befand sich darauf. Grob miteinander verflochtene Ästchen, dazwischen auch teilweise dünnere Halme, die mit groben Schnüren zusammengehalten wurden und auch die typischen Teigfladen, die die Sklavinnen buken. Und im Zentrum des Ganzen, mittig auf der Steinplatte, thronte eine Figur - denn die Dinge, die um diese kleine Statue herum verteilt waren, waren nicht einfach so, keineswegs achtlos, dort abgelegt, nein, es handelte sich um Gaben. Opfergaben an die Dunkle Mutter. Khezz’hara.

So schlicht wie die Figur, die aus Erde, Lehm - oder möglicherweise auch einem Gemisch, das wenigstens Erde enthielt- gefertigt war, auch sein mochte, etwas daran zog Thaarkasha, wann immer sie diese kleine Figur ansah, in ihren Bann. Als Dahara sie zum ersten Mal mit zu diesem Ort genommen hatte, war sie noch ein Kind gewesen. Sie besaß keine Erinnerung mehr daran, wie sie zurück zum Fort gelangt war, lediglich, dass sie die Figur berührt hatte, weil sie sie wortlos zu sich gerufen hatte. <<Thaarkasha. Komm!>> Und wieder. Eindringlicher. <<THAARKASHA!!>> Sie war der Bitte, die jedoch tatsächlich mehr Befehl als Bitte war und die sie nur in ihrem Kopf gehört hatte, gefolgt.. und dann? Nichts mehr. Keine Erinnerung.

Dahara hatte auf ihr Drängen hin, als sie älter wurde und sie nach und nach all ihr Können – die Alte war die Heilerin des Stammes - an sie weitergegeben hatte, erzählt, was sich in dieser Nacht zugetragen hatte. Das Mädchen hatte, als es die Statue berührt hatte, die Augen verdreht und war wie ein junges Bäumchen, das von einer Sturmböe erfasst wurde, umgeknickt und hatte das Bewusstsein verloren. Sie hatte gezittert, die Augenlider hatten geflattert und die Lippen hatten sich stumm bewegt. Keine der Frauen hatte gewusst, was geschehen war, doch die Skepsis, die sie dem fremden Mädchen seit je her entgegengebracht hatten, nahm von diesem Tage an stetig weiter zu.

Thaarkasha schien, seit jener schicksalhaften Berührung mit der Figur, eine gewisse Befähigung inne zu wohnen – der Aikar, ein eigensinniger und engstirniger Ork, hatte es bemerkt, und ihr äußerst widerwillig die Worte der Macht beigebracht, die benötigten Kräuter bereitgelegt, mit der sie vermochte, Dahara helfend zur Hand zu gehen und kleinere Wunden zu verschließen, doch darüber hinaus hatte er sich geweigert, ihre Kräfte zu fördern – denn zu groß war offenbar die Sorge, dass sie zu mächtig wurde oder gar ihre Aufgaben vergaß. Unsinn! Und der Einwand, dass sie ein Weib sei und schließlich ihren Platz kennen würde, ließ sie knurren – auch wenn er nichts von den geheimen Treffen ahnte, nichts von den abgehaltenen Ritualen wusste, denen sie beiwohnte, aber ja, ihren Platz kannte sie. Und für die Weiber und den Fortbestand des Stammes nutzte sie ihre Kräfte doch in erster Linie. Törichter Aikar!

Kleine und große Wunden versorgte Dahara stets mit liebevoller Strenge und genoss, trotz dass sie nie den Ruf der Ahnen vernommen hatte, großes Ansehen innerhalb der Gemeinschaft. Daharas fähigen Händen und ihrer Erfahrung, war es letzten Endes dennoch zu verdanken, dass der Stamm sich über gesunden und kräftigen Nachwuchs erfreuen konnte, denn sie hatte bereits bei unzähligen schwierigen Geburten dem Nachwuchs gesund und munter auf die Welt geholfen und auch so manch schwer verwundeten Olorghi vor dem sicheren Tod bewahren können. Thaarkasha war eine bereitwillige Schülerin gewesen und hatte das Wissen ihrer Ziehmutter regelrecht wie ein Schwamm in sich aufgesogen. Nur Daharas Beharrlichkeit war es zu verdanken, dass Thaarkasha sich nicht auf die faule Haut gelegt hatte und sich auf die Heilzauber verließ, sondern auch imstande war, mit Kräuterpasten und bitter schmeckenden Tränken Wunden zu behandeln und behelfsmäßigen Schienen, die man aus besonders geraden Ästen gewann, Knochenbrüche zu versorgen.
 
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Der Blick aus den gelben, leuchtenden Iriden Thaarkashas verharrte auch bei diesem Besuch wieder auf der Figur, doch eine Bewegung Daharas lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Alte zurück.
„Dahara, wasz szain losz? Sprechän.“
„Klainesz Lamm, dhu müssän gehän. Jetzt.“
„Mhr. Noargh! Erst dhu sagen Thaarkasha warum!“
Anstelle einer Antwort griff die Alte nach einer sorgfältig gepackten Tasche, schob eine kleine Figur, die der großen, in der Nische, ähnelte, in selbige und hängte sie Thaarkasha über die Schulter. Mit festem Blick aus müde und alterstrüb geworden wirkenden Augen, nickte Dahara ihr noch einmal zu und packte sie. Sie zog ihren Kopf hinab und bettete Thaarkashas Stirn an ihrer eigenen.
„Klainesz Lamm, dhu müssän gehän. Jetzt. Ehren Dunkle Mutter. Und noargh intsch vergessän von Dahara.“, wiederholte sie noch einmal stoischer als zuvor, als sie sie wieder freigab und ihr mit einem Klaps mit dem Stab gegen die Schulter klarmachte, dass sie sich zu sputen habe.
„Noargh haßkanal! Noargh usal!“ Sie verstand wirklich nicht, was die Alte nun von ihr verlangte. Und Zuneigungsbekundungen, gleich welcher Art, waren unüblich. Dahara hatte sie aufgenommen, sie nie als das behandelt, als was der restliche Stamm sie ansah – eine Außenseiterin, die mit dem mondförmigen Mal auf dem Handrücken; die, die Niemands Tochter war – aber Umarmungen oder dergleichen hatte es nie gegeben, denn ihr Volk war eine Kriegerrasse durch und durch. Doch diese beinahe zärtliche Geste, gab ihr zu verstehen, dass dies nur eines bedeuten konnte: Ein Abschied. Für immer. Und Dahara wusste dies genau.

Überrumpelt ob der Geste, die die Heilerin vollführt hatte und die tatsächlich daran erinnerte, als wolle sie ein verängstigtes Lamm dazu bringen, sich endlich zu bewegen, folgte Thaarkasha der Aufforderung und stakste unter dem Blättervorhang hindurch – um dann nach ein paar wackeligen Schritten erst einmal stehen zu bleiben und sich irritiert umzublicken. Wohin sollte sie denn gehen? Erst einmal den Pfad entlang zurück zum Fort? Um was zu tun, ihre wenigen Habseligkeiten einzusammeln? Hmpf.

Immer wieder blickte sie zurück zum Durchlass, doch der Efeu schwang nur sanft im Wind hin und her, die Alte kam nicht hindurch. Leise drangen die Trommeln vom Fort an ihr Ohr, doch ihre Gedanken hielten sie so sehr beschäftigt, dass sie sie nur am Rande wahrnahm. Erst als sie den Rauch des Feuers deutlicher roch, warf sie noch einmal einen Blick zum Fort und zog dann, aus einem Impuls heraus, die irdene Figur aus der Tasche. Sobald ihre Finger die leicht raue Beschaffenheit der kleinen Figur berührten, die der Gestalt einer üppigen Orkin, die Nachwuchs unter dem Herzen trug, nachempfunden war, schien Wärme durch sie hindurch zu fluten. Ihre kurz gehaltenen, vom Kopf abstehenden Haare, in die ein wildes Muster geschoren war, begannen von den Spitzen an zu prickeln und bescherten ihr eine Gänsehaut am Kopf. Sie führte die Statue nah an ihr Gesicht heran und kniff die Augen zusammen. Feinheiten waren nicht herausgearbeitet, im Gegenteil, auf Details hatte derjenige, der diese Figur geschaffen hatte, gänzlich verzichtet – lediglich, dass es sich um eine Orkin handelte, konnte man an den angedeuteten Hauern, den Brüsten und dem dicken, dicken Bauch, um den sich die Arme schützend gelegt hatten, erkennen.

Als könne es irgendetwas bezwecken, hauchte sie der Statue ein einzelnes Wort entgegen. „Khezz‘hara?“ Einem Flüstern gleich, kam der Name, bei dem die Weiber die Dunkle Mutter riefen, über die Lippen Thaarkashas. Der Überlieferung nach, die von Generation zu Generation ehrfurchtsvoll geflüstert weitergegeben wurde, war Khezz’hara, die Gefährtin Agrazhs, die durch eine abscheuliche Tat einer Nebenbuhlerin in Ungnade gefallen und mit seinem Nachkommen im Leib gestorben war, und trug nun vom Geisterreich aus Sorge dafür, dass diejenigen, die zu ihr beteten, mit Gesundheit und Fruchtbarkeit gesegnet wurden. Ihr Abbild hielt sie in den Händen, doch dass sie dafür verantwortlich sein sollte, dass diese Wärme sie nun durchströmte, wenn sie das Figürchen in die Hände nahm, kam ihr dann doch weit hergeholt vor - vielleicht bildete sie sich das alles bloß ein, sie schlief vermutlich noch immer auf den Fellen im Fort?

Einen weiteren Augenblick starrte sie die Figur noch misstrauisch an, ehe sie missgestimmt grummelte. „Wenn szain Traum, dann szain wiaklich Schaisze!“

Gut, angenommen es war kein Traum, wohin sollte sie dann gehen? Dahara hatte ihr keine Anweisungen gegeben, doch das Drängen in der Stimme der Greisin hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass es von Wichtigkeit war, dass sie jetzt – mitten in der Nacht – aufbrach. Der Mond wies eine eigenartige Farbe auf, doch schien es kein bedrohliches Omen zu sein – hatte der Mond etwas damit zu tun, fragte sie sich, während sie die Statue in den Händen hielt und ihre Füße sich beinahe wie von selbst in Bewegung setzten.
 
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Sie war gelaufen, bis ihre Füße zu schmerzen anfingen und hatte sich schließlich im Schutze eines kleinen Tannenwäldchens auf dem gut gepolsterten Waldboden ausgeruht. Dahara hatte ihr einiges an Proviant eingepackt und nachdem sie sich gestärkt hatte, hatte matte Schläfrigkeit ihren Geist eingefangen.

Sie hatte beschlossen, dass ein kleines Nickerchen guttun würde und sich die inzwischen weniger prall gefüllte Tasche unter den Kopf gestopft. Nur der dünne Stoff hatte lediglich zwischen ihrem Kopf und der Statue als Puffer gedient und war wohl der Grund dafür gewesen, dass sich Khezz’hara, während Thaarkasha geschlafen hatte, mit Leichtigkeit in ihren Kopf geschlichen hatte und ihr diese Bilder gezeigt hatte. Denn äußerst lebhafte, viel zu detaillierte Träume hatten sie heimgesucht – Träume, die möglicherweise doch eher Visionen waren, wie sie Schamanen oder Geisterweiber hatten, die das zweite Gesicht besaßen, wurden ihr gezeigt. Ob Traum oder Vision? Woher sollte sie das schon wissen; den Unterschied kennen, sinnierte sie. Was geschah bloß mit ihr? Bestimmt sogar war das alles Khezz’haras Werk, dachte sie, während sie sich aufmachte, um weiter ziellos durch das Land zu streifen.
 
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Na, sie hatte jedenfalls von.. einem großen Orkfort.. geträumt. Von einem Lagerfeuer, auf dem das Feuerholz bis zu den Knien aufgetürmt worden war und beinahe den ganzen Abendhimmel beleuchtet hatte. Stattliche Olorghi hatten sich zahlreich darum versammelt, um gemeinsam ein Fest zu feiern. Ein wichtiges Fest offenbar. Entschlossene, dennoch freudige Mienen, hatte sie auf den Gesichtern der Orks ablesen können. Ein Fest, auf das man sich offenbar bereits seit Tagen vorbereitet hatte, mutmaßte sie, denn ein anderer Anlass hätte zornige Gesichter und Bewaffnung bis an die gewaltigen Hauer bedeutet. Auffällig war jedoch gewesen, dass so gut wie keine Weiber um das Feuer herumstanden oder saßen. Mhm! Das kannte sie von ihrem Stamm ganz anders – die Weiber hatten zwar nicht viel zu sagen, aber was die Anzahl anbelangte, so herrschte beinahe so etwas wie ein Gleichgewicht zwischen Weibern und Kerlen in ihrem Traum jedoch nicht.

Während sie die anderen Orks gerade gut genug sehen konnte, um ihre Mimik deuten zu können, hatte ein Gesicht, oder besser gesagt, die Maske eines Orks, regelrecht herausgestochen. Es musste sich zweifellos um einen Aikar handeln. Umso länger sie darüber nachdachte, desto weniger Zweifel hatte sie, von wem ihr dieser Traum geschickt worden war. Doch die Frage, die sich hartnäckig hielt, war folgende: Warum hatte die Dunkle Mutter ihr ausgerechnet diesen Traum gesandt? Warum ihr den Blick auf die Maske des Aikar gewährt? War das ihre Aufgabe, ihr Ziel – sollte sie diesen Aikar finden? Und was dann, wenn sie ihn gefunden hatte?

Sie warf der Figur durch den grob gewebten Stoff des Beutels einen finsteren Blick zu und setzte ihren Weg fort. Nadelwald war grünen, üppigen Wiesen gewichen, unwegsames karges Land hatte sie durchschritten und inzwischen mochte sie einige Tagesläufe unterwegs gewesen sein, als sie ans Ufer eines Gewässers kam. Einige Kiesel des steinigen Küstenabschnittes kickte sie mit der Stiefelspitze missmutig ins Wasser und blickte zweifelnd zu dem kleinen, in die Jahre gekommen wirkenden Boot. Halblaut mit der imaginären Dunklen Mutter Zwiesprache haltend, keifte sie zunehmend übelgelaunter: „Unth? Iszt esz dasz, wasz dhu dia füa mich ausgedacht haszt, hä?“

Mit diesem wurmstichigen Ding würde sie niemals über das Wasser kommen, daran bestand kein Zweifel. Die Nase kräuselte sich leicht, als sich der Gedanke in ihrem Kopf manifestierte. Irgendwo in der Nähe würde es womöglich noch weitere Kähne geben.
 
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Beinahe einen halben Tageslauf hatte sie untätig zwischen stinkenden Abfällen und Schutt herumgelegen, um die zwielichtigen Gestalten am Hafen, die damit beschäftigt waren, einen alten Kahn mit allerlei Ramsch zu beladen, im Auge zu behalten. Den wahnwitzigen Plan, sich nach der Dämmerung auf die schwankende Nussschale zu schleichen und darauf zu hoffen, dass er dann bald losfahren würde, hatte sie gefasst, nachdem sie die kleine Figur noch einmal aus der Tasche gezogen und mürrisch betrachtet hatte. Wieder hatte sie diese seltsame Wärme durchflutet, ihr Zuversicht gespendet. Also lag sie hier und wartete darauf, dass die Sonne endlich schlafen ging. Und dann war es endlich soweit – zuerst flog die Tasche auf den sacht schunkelnden Kahn, dann sprang sie an Deck, duckte sich und huschte nach zwei hektischen Atemzügen, als keiner der Männer auf sie aufmerksam geworden zu sein schien, so leichtfüßig wie es ihr möglich war, zur Ladung und zog ein achtlos hingeworfenes Segeltuch über sich. Wenn das nur gut ginge, dachte sie und mit wild klopfendem Herzen bemerkte sie wenig später, dass der Anker gelichtet und die ersten, rau klingenden Befehle der Seeleute gebrüllt wurden. Puh. Erleichterung durchfloss sie, doch ihr Herz schlug weiterhin so laut gegen ihre Rippen, wie der Lärm, den die mächtigen Trommeln machten, wenn die Krieger ausrückten, um auf Streifzüge zu gehen. Wie konnten die Seeleute das überhören? Das konnte doch nur schief gehen- dumme, dumme Thaarkasha!
Niemand besah sich das merkwürdig aufgeworfene Segeltuch und die Überfahrt dauerte nicht lang – und das war auch gut so, denn Orks waren einfach nicht für die Seefahrt gemacht! – gerade setzte die Dämmerung ein, als sie es wagte, den Kopf unter dem Tuch hervor zu strecken. Luft! Sie brauchte Luft.

Rotz und Tränen, hervorgerufen vom vielfachen Gewürge, der ohnehin nur kärglichen Mahlzeit des letzten Tages, die der Körper ums Verrecken einfach wegen dieses elendigen Geschaukels nicht bei sich behalten wollte, hatten ihr Gesicht in der kurzen Zeit schon ausgiebig gezeichnet. Gerade hatte sie sich etwas aufgesetzt, als sie feststellte, dass das Boot zu einer langsameren Weiterfahrt gezwungen wurde, da sie gerade eine Engstelle passierten. Keine Zeit für lange Überlegungen, jetzt oder nie! Kurzerhand sprang sie vom Boot, die Tasche fest gegen die Brust gedrückt und watete geradewegs im Zwielicht der schwindenden Dunkelheit auf das sandige Ufer zu, nachdem sie halbherzig die Spuren der kräftezehrenden Reise im kalten Wasser des Meeres beseitigt hatte.
 
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Sie beschloss, die Straße, auf die sie nach einiger Zeit gestoßen war, links liegen zu lassen, denn sie ahnte längst, dass diese sie ohnehin nicht an ihr Ziel – das sie nämlich noch immer nicht kannte! – führen würde. Vielmehr hielt sie sich im Verborgenen, ohne Waffen würde sie ein leichtes Ziel abgeben, achtete eher darauf, dass sie keine Aufmerksamkeit auf sich zog. Das letzte Bisschen Wegzehrung hatte sie in den Mittagsstunden schon verschlungen, allmählich ließ ihre Kraft nach, doch an eine Rast war während des Tages nicht zu denken. Hm, was war das? Aus der Ferne erklang ein bekanntes Geräusch. Fast hätte sie gedacht, dass ihre Ohren ihr einen Streich spielten. Doch sie lauschte eine Weile und war sich schließlich sicher – Unverkennbar! Sie konnte plötzlich das allzu vertraute Geheul von Reitwölfen und das typische Kriegsgeschrei von Orks vernehmen. Ihre Füße verselbständigten sich, sie mobilisierte sämtliche Kraftreserven und beschleunigte ihren Schritt in die Richtung, aus der die Laute kamen. Langsam konnte sie die Umrisse eines Forts, das dem ihrer Heimat in Teilen glich, ausmachen.

Spitz zulaufende Holzpflöcke, Palisadenwälle, wohin das Auge reichte, ein riesiges Tor, das mit Wachen besetzt war, die bis an die Hauer bewaffnet waren und oben auf der Brüstung thronten und die Umgebung im Auge behielten. Langsam näherte sie sich dem Tor, doch wie auch in der Heimat schenkten die Männer ihr kaum einen zweiten Blick – Ja, ein Orkweibchen, keine Bedrohung, eine der ihren offenbar. Gut! Wäre ihr nicht aufgrund der neuen Situation doch ein wenig mulmig zumute gewesen, hätte sie dieser Umstand gewiss belustigt, doch sie straffte die Schultern, drückte die Stofftasche enger an die Brust und schritt äußerlich gänzlich unbeirrt und gelassen wirkend durch das Tor.

Es dauerte ein Weilchen bis sie sich im Inneren zurecht fand, doch schließlich hatte sie ihren Weg zum Lagerfeuer gefunden. Es hätte sie verblüffen sollen, doch seltsamerweise tat es das nicht – denn sie fand sich genau vor jenem Feuer, welches sie in diesem sonderbaren Traum gesehen hatte, wieder. Alles glich verblüffender Weise haargenau jenem Bild, was sich ihr dort gezeigt hatte. Ein wenig unschlüssig stand sie dort, bis ein Ork sie ansprach. Sie hatte bereits überlegt, was sie erklären sollte, weshalb sie gekommen war – die Wahrheit hörte sich doch allzu verrückt an! – doch als der Ork das Wort erhob, musste sie innerlich lächeln – alles fügte sich, von ganz allein.

„Dhu kommähn weghän Blutmondfest?“ Ein kräftiges Nicken diente als Bestätigung und der Nor‘Aikar, der ihr später als Xer’thalok vorgestellt wurde, nickte zufrieden und musterte sie. Sogleich kam ein Orkweibchen namens Borgakh herbei geeilt.
„Was zum Anziehen, dass nicht laufen halb nackig herum.“
„Wenn Boruk zehen Weipaz genackt, er wollähn in Höhlä ohnä Fäzt.“, lachte Xer’thalok. Rasch bediente sie sich an der von Borgakh bereitgestellten Kleidung, denn auf der beschwerlichen Reise hatte das wenige, das sie am Leib trug, tatsächlich gelitten. Im Laufe des Abends hatte sie dann auch erfahren, worum es bei diesem Fest – dem Blutmondfest – ging. Dahara hatte gut daran getan, sie mitten in der Nacht zu wecken und auf die Reise zu schicken, sonst hätte sie es nicht mehr rechtzeitig zum Fest geschafft. Üblicherweise teilte der Choharar den Männern die Weiber zu oder in ganz seltenen Fällen war es einem Ork auch vergönnt, sich ein Weib auszusuchen, doch an diesem Abend, zu diesem speziellen Anlass, war es an den Weibern ihre Wahl zu treffen.
 
~ * ~
Kurz nach ihrer Ankunft im Orkfort kam es zu einem Aufruhr, als die Krieger eine gefesselte Wache – ein Mensch aus einer benachbarten Stadt offenbar – hinter sich her schleiften und vor dem Feuer auf den Boden fallen ließen. Blut strömte aus dessen Nase, einen erbärmlichen Anblick gab dieses Menschlein ab. Geeint kamen die Orks auf die Beine und setzten sich in Bewegung, um den etwas außerhalb des Forts in den Bergen gelegenen Altar aufzusuchen.

Azzachtai, dem Aikar des Stammes – eben jenem, den sie bereits in ihrem Traum gesehen hatte – wurde die Ehre zuteil, das Opfer zu Ehren Agrazh zu erbringen und den Brustkorb der Wache zu öffnen, nachdem er ihm mit einem geübten Schnitt die Kehle durchtrennt hatte. Er rezitierte in hochorkischer Sprache und die Orks fielen allesamt mit ein.

„Achaz rammrum Karkka!“

Das blutige Schauspiel verfolgend, verharrte sie mit geweiteten Augen und beleckte sich die Hauer. Eine Kräutermischung wurde über den geöffneten Brustkorb gestreut und der Aikar fasste mit der rechten Hand in die Wunde, um sich dann mit blutiger Hand ein Mondzeichen auf die Lederrüstung zu malen. Reihum wurde jeder derer, die dem Ritual beigewohnt hatten, mit dem gleichen Symbol versehen – auch Thaarkasha hatte des Mondsymbol erhalten. Neugierig beäugte sie es und lächelte still in sich hinein. Niemands-Tochter, die Außenseiterin mit dem Mondzeichen auf dem Handrücken, hatte heute, hier in diesem fernen Land, zum zweiten Mal in ihrem Leben das Symbol des Mondes erhalten. Na, wenn das nichts zu bedeuten hatte? Der Aikar ging schließlich zum Altar zurück und verteilte ein besonderes, grünes Moos über dem Körper des nunmehr leblosen Mannes und entzünde es mittels Magie.

„ARARGH Agrazh, ARARGH Agrazh!“ brüllte der Aikar und alle Olorghi fielen frenetisch mit ein, als das Feuer nach dem Körper griff und sich darauf zu festigen schien. Der Aikar schwankte und wirkte hochkonzentriert, war er wohl damit beschäftigt, den Geist des Opfers in Agrazh Halle zu führen. Mit gewisser Ehrfurcht im Blick, verfolgte sie das Tun des Schamanen aufmerksam mit.

Der Duft des brennenden, allmählich zu verdampfen beginnenden Mooses, brachte einen süßen, erdigen Duft mit sich und schien eine belebende, euphorisierende, wenn nicht sogar aphrotisierende Wirkung auf die Orkgemeinschaft zu haben. Gemeinsam machte man sich, als Azzachtai befriedigt grunzte und den Befehl zum Aufbruch gab, auf den Weg zum Feuer zurück. Dort angekommen, verfielen die Orks in ausgelassene Stimmung, Xer’thalok forderte die – wirklich wenigen.. – Weiber und Khurkach dazu auf, Stärke zu beweisen und zu Ehren des Rituals und Festes gegeneinander zu kämpfen. Thaarkasha sah dies als gute Gelegenheit, sich der Gemeinschaft anzunähern und trat mit einem anderen Orkweibchen, dessen Name Tokhvia – und die wohl ebenfalls erst angekommen – war, gegen Boruk an. Gemeinsam gelang es ihnen den Krieger zu überrumpeln. Lachend, da Tokhvia den Krieger mit einem gut platzieren Düftchen direkt vor seiner Nase abgelenkt hatte, hatten sie den Kampf letztendlich für sich entschieden und waren entlohnt worden – Tokhvia mit einem Mann, sie mit einem saftigen Stück Drachenfleisch. Immerhin!

Doch nach dieser amüsanten Zerstreuung folgte ein weiteres Opferritual. Bislang war ihr der Käfig gänzlich entgangen. Dicht an dicht drängten sich darin Sklaven vor Angst schlotternd zusammen. Erst als Xer’thalok die Käfigtüre öffnete und erklärte, dass es egal sei, was mit ihnen geschehe, wenn sie danach nur zu Ehren Agrazhs im Feuer geopfert werden würden, wurde sie sich derer Anwesenheit gewahr.

Mhm, stirnrunzelnd sah sie sich um – das Gelände war größtenteils in Düsternis getaucht, viel konnte sie nicht erkennen bei dem spärlichen Lichterschein, doch auch bei ihrer Ankunft hatte sie nirgends Äcker ausmachen können. Nirgends sah sie Felder, auf denen Getreide oder Grünzeug angebaut war. Wenn sie sie nun alle opferten, wer würde sich dann an ihrer statt darum kümmern? Oder gab es gar keine Felder? Sehr seltsam. Dahara hatte es sich zu Nutze gemacht, dass die Sklaven etwas vom Ackerbau verstanden - hungrige Olorghi waren gereizter, kloppten sich viel zu viel, um die wenige Nahrung, die die Jagd abwarf und sorgten für unnötig viel Arbeit. Außerdem waren so die wichtigsten Heilkräuter stets vorhanden und die Wunden schienen schneller zu verheilen, wenn die Olorghi gut genährt und gesättigt waren.

Nun, sie würde dies bei Gelegenheit ansprechen, wenn sich die Gelegenheit böte, noch konnte sie nicht einschätzen, wie die Sitten hier im Stamm waren und wie viel Gewicht die Meinung eines Weibs hatte. Doch erst einmal würde sie dem Ritual beiwohnen. Wieder war es Azzachtai, der die Stimme erhob, Worte rezitierte und Gesang anstimmte, woraufhin die Orks geeint einfielen. Das Ritual wurde wie zuvor mit den Worten „Arargh Agrazh“ beendet und auch Thaarkasha konnte nicht widerstehen. Um sie herum, lagen überall blutige Leiber verstreut, denen auf unterschiedlichste Art und Weise Wunden zugefügt worden waren. Sie schöpfte mit gehöhlten Handflächen aus einer Lache etwas Blut, um es zu kosten und es dann von den Lippen abwärts, über das Kinn und den Hals zu verteilen, sodass eine grausige Bemalung nun einen Teil des Gesichts und des Oberkörpers Thaarkashas schmückte.

Khar’Gradosch, einer der Khurkach, betraute sie dann mit der Aufgabe, die Überreste eines Mannes den Flammen zu übergeben. Völlig blutverschmiert, von Kopf bis Fuß, aber seltsam zufrieden, sah sie dann vom Rande des Feuers aus zu, wie die Flammen unerbittlich am Fleisch des Opfers frassen. Ein anerkennendes Nicken hatte ihr das Erledigen der Aufgabe eingebracht – und darüber hinaus, nachdem Khar’Gradosch seine Axt verstaut hatte, noch einen neckischen Klaps auf den Hintern. Es war ihr nicht entgangen, dass der Krieger gegrinst und sich einmal mit der Zunge über seinen rechten Hauer geleckt hatte. Dann erfolgte eine weitere Aufforderung Azzachtais.

„Fräzzän unth Saufän sain in Hüttä von Bosz!“ und vertrauensvoll wandte Thaarkasha sich an Khar’Gradosch.
„Hoar! Wo sain Hüttä von Bosz?“ Demonstrativ fasste sie sich an die Kehle und räusperte sich krächzend. Der Krieger ließ es sich nicht nehmen, sie hin zu führen und nahm, ohne Umschweife auf dem wuchtigen Thron, der in der Hütte stand, Platz.
„Wollähn mit Khar hia sitzähn?“, fragte er und klatschte mit beiden Pranken auf seine Oberschenkel. Die kräftigen Oberschenkel wurden einer eingehenden Musterung unterzogen – wohl länger als notwendig, wie ihr Gesichtsausdruck gewiss verraten hatte, der deutliche Spuren von Schalk in den gelben Iriden trug. Trocken erwiderte sie dann lediglich „Warum noargh?“ und tätschelte dann prüfend seine Oberschenkel. „Du szain stark.“

Nach erfolgter Prüfung der Muskeln drapierte sie sich schwungvoll mit einem Laut des Wohlwollens auf seinem Schoss und ließ die Beine seitlich über die Lehnen des Knochenthrons hinabbaumeln, während sie Anstalten machte, die Arme um seinen Hals zu legen.
„Habän bari gekämpft. Khar haben Auge auf Thaarkasha.“
„Mhah. Kampf szain viel zu kurz gewesän. Thaarkasha sain noargh ins Schwitzän gekommän.. Kampf viel zu kurz!“
„Arokh. Könnöhn jederzeit mit Khar kämpfhän.“

Der Ork spannte dabei den Bizeps seines rechten Armes an und Thaarkasha kam nicht umhin, diesen mit anerkennendem Blick zu betrachten.
„Jedazeit?“
„Arokh. Jedazeit.“
Die Hand von seinem Hals lösend, führte sie sie zu seinem Bizeps und warf ihm einen vielsagenden Blick zu. „Thaar kommt ‘drauf zurück. So, jetzt Hüttä von Bosz gesähän..mhm.. wo szain deinä Hüttä?“ „Solange Häuptling nix da, seiän Hütte von Khar hia. Groukh seiän alt, habän sich geändert. Thaarkasha könnähn sich hia gewöhnähn.“
Ja. Nichts lieber als das täte sie. Es war eine lange Reise ins Ungewisse gewesen, aber irgendetwas sagte ihr, dass sie ihren Platz in der Welt – nach langem Herumirren – hier, in dieser Gemeinschaft möglicherweise gefunden hatte. Ihre Belohnung für den Sieg über Boruk – ein saftiges Stück Drachenfleisch – hatte sie in einem Anflug von überschwänglicher Zufriedenheit aus dem Ausschnitt der Rüstung gezogen und den Krieger damit gefüttert, bevor sie sich selbst den letzten Bissen gönnte.

Und wer weiß? Vielleicht könnte sie diesen Orks, mit Hilfe der Dunklen Mutter, zu bisher nie dagewesener Stärke verhelfen?
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