Tochter

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Nighean
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Beitrag von Nighean »

Kapitel 1: Ein vergessenes Experiment.
 
Es herrschte nun Stille in der Krypta. Abgesehen von dem Gewimmere und gelegentlichen Schreiens eines Säuglings, dass auf dem steinernen Altar eingerollt in einer roten Decke behutsam abgelegt war. Um diesen Säugling herum standen wild verteilt Kerzen, die auf verschiedenste Längen hinuntergebrannt waren und die Krypta in spärliches Licht flutete. Einige Mörser in verschiedensten Größen mit bunten, aber undefinierbaren Inhalten, waren ebenso zwischen den Kerzen platziert wie auch beschriebene Pergamentrollen. Zwei fremde gestalten standen in respektvollen Abstand zueinander an dem Altar. Eine der beiden Gestalten war in widerstandsfähigen Rüstzeug gepackt, die andere von langer hagerer Figur, in einem weiten und sicher Bewegungsfreudigeren Umhang aus edlem Stoff. Gewiss standen sie nicht da, um zu beten oder eines der perfiden Rituale abzuhalten, wie es wohl die ursprünglichen Besitzer der Krypta taten. Der Fremde in dem schweren Rüstzeug stand sichtlich zufrieden, nur mit den Armen vor der Brust verschränkt da und begutachtete die Szenerie vor sich. Die andere Hagere Gestalt stand an dem Altar und begutachtete die Pergamentrollen die auf dem Altar verstreut neben dem wimmernden Säugling lagen. Gelegentlich nahm diese Person einen Mörser auf, um sich wohl von dessen Inhalt zu überzeugen und mit Notizen auf den Pergamentrollen abzugleichen.

Altar.png


Eine weiter Person kam aus dem Hintergrund auf den Altar und den beiden fremden Gestalten zu. Er schickte Worte im schroffen aber disziplinierten Ton zu den Beiden voraus.

„Wir haben diese Sektenanhänger vertrieben oder an ihnen durch das Schwert, dass einzig gerechte Urteil vollzogen, mein Herr“

Die schwer gepanzerte Person drehte sich in Richtung des Berichterstattenden Soldaten, ohne sich dabei sonst in seiner Haltung sonderlich zu verändern. Mit ebenso schroffen und disziplinierten Worten antwortete er dem Soldaten und stellte zugleich fachmännisch eine ihm wohl wichtige Frage.

„Ihr habt gut daran getan und heute tapfer gekämpft. Jeder soll heute eine extra Ration Bier erhalten. Gab es viele Verluste die wir zu betrauern haben?“

Die Antwort des Soldaten kam prompt.

„Ich werde Euren Befehl an die Quartiermeister weitergeben. Das wird wenig an der Trauer über verlorene Kameraden hinweghelfen aber trotzdem eine gerechte Belohnung sein. Wir haben an die 12 Mann verloren mein Herr. Die Verluste werden wir schnell durch die üblichen Aushebungsmaßnahme wieder auffüllen können.“

Die schwer gepanzerte Person akzeptierte die Antwort des Soldaten mit einem bedachten langsamen Nicken. Sein Blick ging dann wie ein Fingerzeig auf das eingerollte immer noch wimmernde Paket auf dem Altar.

„Wir haben hier wohl ein Findelkind, dass wir gerade noch vor einem dieser Heidnischen Rituale retten konnten. Nehmt es und übergibt es dem örtlichen Waisenhaus als Mündel.“

Ohne weitere Befehle ging der Soldat auf den Altar zu, um das Bündel mit ausgestreckten Händen zu greifen.

„Wartet“

Die hagere Figur hob eine Hand. Sofort blieb der Soldat in der aktuellen Haltung stehen, jedoch nicht ohne seinen Blick auf seinen Befehlshaber zu richten, um auf weitere Anweisung von ihm zu warten.

„Wartet…“

Folgte direkt in einem nüchternen und ruhigen Ton die erwartete Anweisung seines Vorgesetzten.

„Was habt Ihr herausgefunden?“

Fragte nun die schwer gepanzerte Person direkt an die Hagere Person gerichtet.

„Es sieht so aus, als ob an diesem Menschenkind ein astrales Experiment vollzogen, und gleichzeitig ein Ritual zur Festigung an ihrem Gott durchgeführt wurde. Das Experiment klingt sehr interessant, obgleich ich auch feststellen muss, dass es wieder der Natur ist und daher verwerflich ist und niemals wiederholt werden darf.“

Antwortete die hagere Person mit einer glasklaren Stimme und vornehmlichen Ton.

„Nahhrr…“

Entfuhr es recht angewidert dem Befehlshaber. Der Soldat ging direkt einen Schritt zurück und zog die Arme ein, wohl nicht mehr so Befehlstreu dieses Bündel anzufassen.

„Verdammt, diese Anhänger von diesem Götzen haben wirklich keinen Sinn für Anstand und Ehre. Welch verwirrten Kopf kann es nur entspringen, Experimente an einem so kleinen Kinde zu vollziehen und es einer heidnischen Taufe auszusetzen?“

Mutig als Vorbild selbstverständlich, nahm der Befehlshaber das Bündel in seine Arme. Das Kind in der Decke schrie und schien nicht einen Moment der Ruhe zu schenken. Die Hagere Person stand da und beobachtete genau was passierte. Der breitschultrige schwer gepanzerte legte das Bündel in seiner rechten Armbeuge, scheinbar geübt in dem Umgang mit Säuglingen. Mit der linken Hand nahm er die Decke aus dem Sichtfeld des Säuglings.

„Was…? Teufel und Verderbtheit, was haben diese Ketzer diesem unschuldigen Kind nur angetan!?“

Ein rötlicher Schimmer, ausgehend von dem Bündel kam dem dünnen Kerzenschein im Raume zur Hilfe. Recht schnell aber immerhin mit genügend Bedacht das Kind nicht zu verletzen, und wohl ein Reststück seiner mutigen Fassade vor seinem Untergebenen aufrecht zu erhalten, legte er das wimmernde Bündel zurück auf den Altar. Die Hagere Person kam langsam um den Altar rum und nahm das Kind selbst in Augenschein.

„Wir haben es hier mit einem astralen flimmern zu tun. Ausgelöst durch das vorzeitige Erwecken des Könnens das diesem Menschenkinde wohl inne wohnt. Eine beachtliche Leistung vor dem wirklichen Erwachen dieser Kraft, dies in diesem Kinde zu entdecken und auch vorzeitig zum Erwachen zu bringen. Trotzdem, sehr bedauerlich. Es wird sein Leben lang ständig, extreme Gefühlsregungen erleben. Freude und Mitgefühl aber auch Hass, Angst und Leid. Als Menschenkind kein guter Start ins Leben. Es wird wohl bis zu seinem Tode ständig im Zwiespalt leben. Eines der Pergamentrollen berichtet davon als gewollten Nebeneffekt. Meiner Meinung nach äußerst disruptiv aber nach den Motiven dieser Edain´s durchaus nachvollziehbar.“

Führte die hagere Person in einem nüchternen Ton aus.

„Was hat es mit diesem Ritual auf sich? Hat es nur einen Symbolischen Sinn oder müssen wir hier auf das schlimmste vorbereitet sein?“

Der gepanzerte Befehlshaber kam dem Altar und dem Kinde darauf wieder näher, um dem Elben in Sachen Mut in nichts nachzustehen.

„Das Ritual dient tatsächlich einem Zweck. Man könnte es als Weihe oder wie Ihr sagtet, Taufe betrachten. Das Kind scheint diesem IHN versprochen zu sein, so ist es den Pergamenten zu entnehmen. Auf der einen Seite wird dieses Kind sich immer zu diesem Gott hingezogen fühlen. Auf der anderen Seite sollte es durch das Erfahren von Leid und schmerz immer weiter ins dunkle getrieben werden. Dem Verfasser dieser Pergamente nach, verfolgte er das Ziel, in ihr entweder einen treuen Anhänger seines Gottes zu schaffen oder noch viel mehr mit einem höheren Ziel wie er schreibt, die Seele dieses Kindes auf Dauer durch diese Umstände zu tilgen und dadurch Platz zu schaffen für irgendwas oder irgendwem. Da werden die Schriften bedauerlicherweise etwas ungenau und unvollständig“

Der Befehlshaber murrte hörbar missmutig.

„Jetzt rede nicht um den heißen Brei Spitzohr. Sag mir, müssen wir uns um dieses Subjekt Gedanken machen? Uns von diesem entledigen und es von seinem Leiden erlösen? Nennt diesen Götzen nicht Gott!“

Der Blick des Elben lag ruhig auf dem Kind, bis er weiter mit seiner glasklaren höflichen Stimme weitersprach.   

„Nun, dieses Kind hat reichlich für sein kurzes Leben mitgemacht und doch hat es nichts Verwerfliches getan. Es sollte nicht unsere Entscheidung sein, dieses Leben zu nehmen bevor es sein Leben gelebt hat. Macht euch keine Sorgen Quintus Arius. Diesem Kinde wohnt kein Dämon inne.“

Quintus Arius.png

Der Elb streichte mit seinen langen hageren Fingern der linken Hand die Decke gänzlich aus dem Gesicht des Säuglings. Ein geritztes Mal auf der Stirn kam zum Vorschein. Weiterhin war das Kind am Wimmern und gelegentlich am Aufschreien. Die rote Aura breitete sich weiter aus und füllt den Raum mehr, bis es den Kerzenschein überstrahlte. Ohne lange zu warten, begann er intonierend mit Elbischen Worten auf das Kind einzureden. Das eingeritzte Mal schien daraufhin zu verheilen. Es blieb tatsächlich keine Narbe zurück.

„Ich konnte dem Kinde das äußerliche Mal nehmen, so dass es von niemanden auf dem ersten Blick erkannt werden kann. Was das astrale flimmern angeht. Das wird schwieriger. Gänzlich verschwinden lassen kann ich es nicht. Es kommt auch als natürliches Phänomen vor und kann als Art Schluckauf oder als verfehlte Entwicklung bezeichnet werden. Unter normalen Umständen meistens gänzlich zu entfernen. Leider ist das hier mit berechneter Absicht herbeigerufen worden und durch mir unbekannte Magie gefestigt worden“

Quintus Arius stand weiterhin ruhig und abwartend neben dem Elben, scheinbar auf der Wacht und der Erwartung das vielleicht doch etwas Schlimmes, unvorhersehbares, geschehen könnte.

„Fahrt fort Elf, wir wollen sehen, ob wir diesem Kinde nicht vielleicht doch einen guten Start ins Leben verschaffen können“

Kam es von Quintus Arius nun mit fast schon führsorglicher Stimme. Als erstes befreite der Elb das Kind gänzlich von der roten Decke. Dabei war zu erkennen, dass es sich hier um ein Mädchen handelte. Der Elb begann sofort wieder mit intonierenden Worten. Dieses Mal schien der Vorgang tatsächlich komplizierter, und in seinem Wirken schwieriger zu sein. Immer wieder pustete er über das schreiende Mädchen. Als Außenstehender könnte man dieses Tun als das Werk eines Schamanen, von einem nativen Stamm aus den dichten umliegenden Wäldern, interpretieren. Der rote Schimmer zog sich langsam zurück, bis dieser zu den Händen gelangte. Weiter schien sich dieser Schimmer nicht zurückzuziehen. Langsam nickte der Elb.

„Es ist erledigt. Mehr kann ich nicht tun.“

Für einen kurzen Augenblick blieb er Stumm vor dem Mädchen stehen, bis er sich zu ihr hinunterbeugte und scheinbar etwas in ihrem Ohr flüsterte. Fast wie aus dem Nichts wandelte sich der Gemütszustand des Mädchens von einem weinenden, zu einem lachenden glücklichen Mädchen. Der restliche rote Schimmer transformierte sich allmählich von einem satten rot zu einem violett und weiter zu einem satten blau.

„Das habe ich so auch noch nie erlebt. Diese Farbänderung. Ich frage mich, ob es gemütsgebunden ist, oder…“

Der Elb schaute sich in der Krypta um

„… beeinflusst wird durch die Umgebung oder der Gesellschaft. Das bedarf sicher weiterer Studien“

Der Ton von Quintus Arius wurde rauer und direkter.

„Wir können dieses Kind nicht einfach in ein Waisenhaus geben und darauf hoffen, dass sich eine führsorgliche Amme, liebevoll um dieses Kind kümmert. Wer weiß was mit der Zeit diesem Kind noch zustößt. Ihr sagtet selbst, dass es ewig im Zwiespalt leben und von extremen Gefühlen verfolgt wird. Dann ist es noch diesem Scharlatan versprochen und vielleicht wird es von ihm angezogen wie die Motte zu dem Lichte. Das scheint mir alles äußerst gefährlich zu sein verehrter Elenwe Gilgalad.“

Elenwe.png

Quintus Arius stemmte seine Hände in die Hüften um deutlich seine Feststellung zu untermauern. Elenwe Gilgalad stand ruhig, sichtlich unbeeindruckt von dem Tun Quintus Arius, aber nachdenklich ob seiner Worte da.

„Ihr habt womöglich recht, ehrenwerter Quintus. Wir können das Mädchen nicht einfach unter Menschen lassen und das beste hoffen. Dafür sind die Menschen einfach zu wankelmütig und instabil. Ich bin am überlegen, ob ich dieses Mädchen nicht zu mir nehme und wir hinaus in die abgeschiedene Fremde gehen. Selbstverständlich werde ich es nicht wie meine Ahnen und den Sitten meines Volkes erziehen. Das würde keinen Sinn machen und unlogisch sein. Immerhin soll es eines Tages zu seinem Gleichen den Menschen zurückkehren. Es könnte vielleicht hilfreich sein sie so zu erziehen, dass am Ende ein Gleichgewicht entgegen dem was ihr in die Wiege gelegt wurde, mit dieser Taufe, entwickelt. Vielleicht wird sie eines Tages selbst entscheiden können und sich IHN entziehen.“

Quintus lachte heiter auf.

„Ihr Spitzohr wollt doch dieses kleine -Töchterlein- nur für eure Studienzwecke an euch nehmen. Ich durschaue euch und eure elfische Durchtriebenheit. Trotzdem. der Zweck heiligt die Mittel und ich glaube, wenn sie in eurer Obhut aufwächst wird sie so schnell nicht aus der Reihe tanzen."

Elenwe schaute Quintus mit einem fast schon spitzbübischen Lächeln an.
„Sie soll auch einen Menschen-Namen bekommen. Aber in einer Menschen Sprache, die die Menschen vor langer Zeit vergessen haben. Nighean… -Tochter-“

Quintus lächelte milde und nickte dabei förmlich. Das Mädchen quietschte laut lachend und fröhlich dabei im Hintergrund, als ob es die gelockerte Stimmung förmlich mitbekommen hatte.

„Ihr seid wirklich ein durchtriebenes Spitzohr und ein Musterbeispiel Eures Volkes. Es war eine gute Idee Dich als alten Freund mit zu dieser Austreibung als kundiger mitzunehmen“

Elenwe stutzte sichtlich missmutig bei dem Wort „Austreibung“

„Es war eindeutig die Neugier aber selbstverständlich auch unsere Freundschaft, die mich dazu bewogen hat, euch und eure Recken hier her an diesen Ort zu begleiten, Quintus. Ich hege keinen Groll gegen ihren Gott. Es ist ein Gott der Menschen und daher auch Sache der Menschen. Eine Gefahr kann ich trotzdem erkennen“

Quintus murrte nun selbst hörbar missmutig.

„Nenne IHN nicht Gott. Es ist ein Götze, dem keine Anerkennung noch Beachtung geschenkt werden darf, außer durch das Schwerte. Sag Elenwe, müssen wir beizeiten mit weiteren solcher Funde rechnen? Ich meine, hat sich das in ihren Kreisen wohl verbreitet was hier geschehen ist?“

Elenwe stand weiter mit nachdenklichem Blick da, schüttelte dann verneinend mit dem Kopf.

„So wie es aussieht sind diese Pergamente keine Abschriften. Sie sind voll von Notizen. Notizen eines genialen, aber auch chaotischen Verstandes. Das, was wir hier sehen, sieht eindeutig nach einem Experiment aus und wurde in dieser Form noch nicht vollzogen. Dies scheint hier auch nur ein Ableger zu sein, eher eine Flügelbewegung als der wirkliche Kern ihrer Gemeinschaft. Die Pergamente würde ich gerne an mir nehmen und ihren Inhalt weiter studieren. Ich weiß ihr würdet sie lieber zur Sicherheit vernichten, aber ihr könnt mir vertrauen das ich auf sie Acht geben werde.“

Quintus legte sein Kinn in die rechte Hand. Verengte die Augen offenkundig nachdenklich und nickte dann einmal.

„Du wirst mich über den Fortschritt unserer Tochter beizeiten Bericht erstatten. Ich möchte über jede Entwicklung, egal ob gut oder schlecht im Bilde sein. Spare nicht an Inhalt, ich weiß das du gerne umher schwurbelst und lieber mal einige Dinge weglässt. Ich hasse diese Winkelleien.“

Ohne eine große Mimik stand Elenwe da und nickte einvernehmlich Quintus zu.

„Du!“

Quintus herrschte den Soldaten an, der wie im Halbschlaf etwas abseitsstand und scheinbar schon lange nicht mehr zuhörte. Zuckend wie von einem Blitz getroffen, fuhr wieder Leben in Ihn.

„Ja Herr? Ich erwarte Eure Befehle!“

Zackig nahm er Haltung an.

„Ruf mir diesen stinkend faulen und durchtriebenen -Chronisten- her, ich muss eine Depesche an unseren König senden. Wir sind ihm einen vollständigen und aufklärenden Bericht schuldig.“

Der Soldat neigte hörig den Kopf und drehte sich in einer fließenden Bewegung um und lief sofort davon....
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Re: Tochter

Beitrag von Nighean »

Kapitel 2: Auf anderen Wegen.
 
>>>Eine unauffällige Gestalt saß des späten Abends in der hiesigen Taverne. Abgeschieden von den anderen Gästen, in einer spärlich beleuchteten Ecke. Diese Gestalt war über Pergamentseiten von offensichtlich minderer Qualität gebeugt und krickelte mit einer jämmerlichen zerrupften Feder auf Seiten ein. Sein Blick ging immer wieder hastig und wie von Wahn getrieben umher. Bedacht das sich niemand seinem Tisch näherte. Die Schankmaid, die immer wieder versuchte eine Bestellung bei ihn einzutreiben, war bereits beim dritten Mal äußerst ungehalten und machte dies Verbal deutlich. Ungerührt davon schrieb dieser merkwürdig ausschauende Gast weiter auf den Pergamenten ein. <<<


Taverne sitzend.png
 
Ich war Diener des hohen Priesters K´Rakul, geweihten Priesters des ASTAROTS, der bereits vor langer Zeit zu IHM gelangt ist und nicht mehr unter uns weilt.
Dies soll ein Bericht an meine Schwestern und Brüder sein, BELIAL ist mein Zeuge. Bisher war ich nicht würdig genug, zurück in Eure Reihen zu treten und so IHN dienen zu dürfen. Die Ereignisse überschlagen sich und bald werde ich Euch Ergebnisse bringen, auf das Ihr mich mit offenen Armen empfangen werdet.
 
„BELIAL steh mir bei “
 
Sie kamen bei Nacht und haben SEINEN Schutz missbraucht. Diese ungläubigen Jünger der Schlange, die sich selbst HERR nennt. Verblendet und von Häresie getrieben, umstellten sie die Taverne, die als Tarnung über unserem eigenen geschaffenen heiligen Schrein stand und störten unsere Kreise. Wir waren daran etwas Großes zu schaffen. Etwas, dass IHM und SEINE Worte zu neuen Gestaden führen sollte. Eine neue Art von Gläubigen. Geschaffen, um sein Urteil in die Welt der Schlange und Ketzer zu bringen. Das einzig wahre Recht zu sprechen, des Schwertes und der Verdammnis. Diese verblendeten hatten keine Ahnung welch großartige Leistung der Hohe Priester K´Rakul, Diener ASTAROTS, und wir vollbracht hatten. Lasst mich kurz von dem hohen Priester K´Rakul berichten. Man sagte das er einst einen Sohn hatte. Er war bereit für diesen, all das aufzugeben und doch hat er am Ende ihn für all das geopfert. Dadruch ist er an das Geheimnis dieses Experimentes gekommen. Schon bald wollten wir mit unseren Ergebnissen den uns rechtmäßigen Platz einnehmen. Armeen für IHN erschaffen. Armeen die im Glanze SEINER Finsternis den Boden dieser Welt zum Zittern gebracht hätten. Ein jeden vergifteten Geist dieser Schlange hätten Sie hinweggefegt und in die ewige Verdammnis SEINES niemals sättigenden Hungers nach Seelen, mit dem Schwerte überstellt. Bei LEVIATHAN, welch Fest das geworden wäre sie alle leiden zu sehen, um dann von dem Antlitz dieser Welt getilgt zu werden.
 
„Auf SEINEM Altar wären ihre Knochen zermalmt worden“
 
Sie machten mit der Priesterschaft im Schutze ihres Gottes kurzen Prozess. Die Wenigen von uns die entkamen, wurden schon bald von der Kälte der Nacht oder den hungrigen Fängen der umherstreifenden Kreaturen des Waldes verzehrt. Dadurch sollten Sie Läuterung durch IHN empfangen und so zu IHM gelangen.
 
„Diese Glückspilze“
 
ER wird wissen, was wir dieser Nacht vollbracht hatten. Mit Beistand LILITH hatten wir IHN doch einen Jünger im jüngsten Säuglingsalter geweiht. Das ihr innewohnende Geschenk, Magie zu wirken, bereits im Säuglingsalter erkannt und geweckt. Welch meisterliche Kunst. Diese Prozedur, zusammen mit der Weihe hatten selbstverständlich ihre Spuren hinterlassen und weckten Nebenwirkungen. diese haben wir nur begrüßt. Ein astrales Flimmern das aber an Potenz seiner unnatürlichen Herkunft wegen um das Vielfache gesteigert wurde. Nun zu erkennen durch einen Schein astralen Austritts farblicher Erscheinung. Dieses wird durch extreme Gefühlsregungen hervorgerufen und kann wohl kanalisiert in einen potenten Zauber münden. Die Weihe sollte sie an IHN festigen. IHN nicht mehr aus ihrem Kopf gehen lassen. Ihre extremen Gefühlsregungen noch mehr verstärken.
Wenn sie eine Starke Seele hätte, wäre sie eine Hervoragende Vollstreckerin seines Urteils geworden. Getrieben von unendlichem Hass und völliger Rücksichtlosigkeit. Denn nichts anderes hätte sie erfahren, nichts anderes hätte LEVIATHAN Sie gelehrt.  Wäre ihre Seele jedoch schwach gewesen, wäre diese davon gerieselt wie der Sand einer Sanduhr. Damit Platz geschaffen wird in ihrer Hülle, für eines SEINER Kinder. Denn so waren unsere Absichten.

Das Wohlwollen von IHM muss es gewesen sein, das gerade ich ausgewählt war die Überreste der vorangegangenen missglückten Experimente im Walde zu entsorgen. Damit ich mir bei dieser Fronarbeit keine Frostverletzungen holte, nahm ich mir einen gut gefütterten Mantel. Ging mit den leeren leblosen Hüllen tief in den Wald hinein, um sie den Kreaturen des Waldes zu überlassen. Dies rettete mir zweifelsfrei das Leben.
 
„Ich danke DIR“
 
Als ich dann zurückkam war bereits die blutige Arbeit dieser Ketzer zum größten Teil vollbracht. Ich versteckte mich mit sicherem Abstand und konnte so alles beobachten. Die letzten Schreie der tapferen gerechten im inneren unseres Schreins verstummten. Die unwürdigen, feigen Verräter die von uns nicht kämpfend umkamen und so zu IHM fanden, wurden vor der Taverne in kurzen Standprozessen, bettelnd um Ihr Leben, mit der einzig wahren Wahrheit des Stahls gerichtet.
Ein hoch dekorierter Soldat im güldenen Panzer, ein eingebildeter Gockel wie er nur dieser Schlange dienen konnte und eine lange hageren Figur mit sichtlich überheblich vornehmem Getue, kamen zum Eingang der Taverne. Beim genaueren Hinsehen war klar, dass die lange hagere Figur ein spitzohriger Elf war, der hier mit diesen Verblendeten gemeinsame Sache machte.
 
„Elendiger Verräter, du wirst erhalten, was du verdienst. LEVIATHAN steh mir bei“
 
Diese Beiden gingen direkt mit einer Zweimann-Eskorte ins Innere der Taverne. Wohl ob des erledigten Werks zu inspizieren, und somit gewiss auch Kenntnis zu nehmen von unserem heiligen Experiment. Es lag auf der Hand, dass sie dieses missverstandene Geschenk an IHN nicht verstehen würden. Somit als weiteres Opfer von vielen, auf Ihren eigenen Kreuzzug der güldenen Schlange nehmen würden. -Ich sollte mich täuschen.- Nach geraumer Zeit kam hastig ein einzelner Soldat, der vorher den Beiden als Eskorte in die Taverne folgte, hinausgerannt. Er schien hektisch jemanden zu suchen. Es dauerte nicht lang und die beiden folgten ihm hinaus vor die Taverne. Der lange Elf trug den Säugling auf dem Arm, eingewickelt in der roten Decke, die ich erst vor wenigen Stunden dem Hohen Priester K´Rakul für die Weihe des neuen Jüngers übergab. Dazu trug der Elf eine lange Tasche an der Seite, nicht zu übersehen gefüllt mit den Pergamenten des hohen Priesters. Seine persönlichen Aufzeichnungen. Gefüllt mit seinem genialen Wissen. Zweifelsohne ein Geschenk ASTAROT.
 
„Ohne diese Schriftrollen werde ich nicht zurückkehren können, ASTAROT wird wissen, ob ich Erfolg haben werde“
 
Nun musste ich mich sputen. Umhersteifende Patrouillen der Soldaten kamen mit ihrem Fackeln näher. Bald hätten Sie mich entdeckt. Leise und bemüht ohne ein Knacken im Unterholz zu erzeugen, zog ich mich in den dunklen Wald zurück. Umhüllt in SEINEM Schutze. Dies war der letzte Moment, das ich diesen Elfen mit SEINEM Jünger sah. Durch die Schmach nicht für IHN kämpfend untergegangen zu sein, zog ich mich in die einsame Gesellschaft meiner Selbst und meiner Ergebenheit zu IHM zurück. Solange der Elf im Besitz der Aufzeichnungen und Notizen unseres Hohen Priesters ist, konnte ich nicht zu Euch zurückkehren.
 
Seit Jahren dachte ich nicht mehr zurück an die Geschehnisse dieser Nacht. Der große Exodus ließ mich vermuten, dass all die anderen dieser Nacht schon lange nicht mehr unter uns weilen. Auch hier habe ich mich geirrt.
 
Es war vergangene Woche. Allabendlich saß ich in der üblichen Taverne und sinnierte über den Tag bei mir selbst. Ungeahnt vernahm ich eine Stimme von vorne an der Theke. Sie klang sehr vornehm und glasklar.  Meine Neugierde geweckt, versuchte ich über die große Anzahl von Köpfen vor mir einen Blick zu erhaschen. Es war ein Elf, und noch viel schlimmer. Bei BELIAL, es war dieser Hochnäsige Elf aus dieser längst vergangenen und vergessenen Nacht. Er sah genauso aus wie damals. Nicht um einen einzigen Tag gealtert. LILITH war großzügig zu Ihnen. Wäre Sie es nur mit mir auch. Ungeduldig saß ich auf meinem Stuhl. Unauffällig forderte ich mit Handzeichen die Schankmaid auf zu meinem Tisch zu kommen, ohne diesen Elf aus den Augen zu verlieren. Die Zeche zahlte ich mit einem mir sonst unüblichen Trinkgeld. Die Schankmaid war überrascht und versuchte mir ein Gespräch aufzuzwingen. Ich fauchte Sie mit wedelnden Händen fort.
 
„Bei ihr sollte ich besser in Zukunft mein Essen genauer in Augenschein nehmen“
 
Der Elf machte sich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder auf den Weg. Schnell packte ich meine Sachen und folgte ihn mit gebotenem Abstand. Er bewegte sich schnell und gewieft durch die Gassen, aber das half ihm nicht. Kenne ich doch die Straßen und Gassen Ansilons bei Tag und Nacht sehr genau. Er verließ die Stadt am Südtor um dann ein Harken in Nord-Östlicher Richtung zu schlagen. Hier draußen in der Natur und in den Wäldern schien nun er in Vorteil zu sein. Trotzdem vermochte ich es ihm zu folgen.
 
„BELIAL war mir wohl gesonnen“
 
Immer wieder wechselte er die Richtung, wohl um etwaige Verfolger abzuschütteln. Anhand des Standes der Sterne konnte ich mich dennoch orientieren und so kann ich behaupten, wohin sich dieser Elf zurückgezogen hatte. Es ist ein Haus weit im Nordöstlichen Teil des Landes.
 
Einige Tage verbrachte ich im näheren Umfeld des Hauses ob der Beobachtung. Die gesamte Zeit über ernährte ich mich von Waldfrüchten, Nüssen und zu Tode gekommenen Getier. Alles, was ER mir schickte. Der Jünger, den wir einst schufen, war als Mündel bei Ihm geblieben. Sie war bereits zu einer erwachsenen Frau herangewachsen. Er rief sie -Nighean-. Wohl ein elfischer Name nehme ich an. Oft konnte ich beobachten, wie dieser Elf seltsame Rituale vollzog, wenn sie unkontrolliert und aus dem Gleichgewicht kam. Diesen prognostizierten Ausbrüchen, von denen der Hohe Priester damals berichtete, blieben daher aus. Gelegentlich hatte ich den Eindruck, sie wüsste das ich da bin. Sie schaute mich direkt an, obwohl es äußerst unwahrscheinlich war, dass sie mich gesehen hatte. Es muss die damalige Bindung gewesen sein, die sie mit IHM eingegangen war. Diese Bindung existiert noch immer in Ihr. Sie gehört immer noch IHM.

Des Nachts im Schutzkleid von IHM näherte ich mich dem Haus, um mir ein Bild vom inneren zu verschaffen. Sie schlief im oberen Teil des Hauses. Er saß oft bis spät in der Nacht in seinem Zimmer und machte Notizen. Wohl seiner täglichen Studien die er an Ihr machte. In der letzten Nacht konnte ich es dann sehen. Die Aufzeichnungen des Hohen Priesters waren weiterhin existent und er hatte sie. Er breitete einige Pergamente auf den Tisch aus und schien diese mit seinen Notizen zu vergleichen. Bei BELIAL, ich werde wieder kommen und diese Pergamente zurückbringen und sie Euch als Zeichen meiner Ergebenheit zu IHM, überreichen. Was dem Jünger angeht, entweder lebendig oder ihre Hülle. Sie gehört IHM...

>>>> Er unterschrieb den Bericht. Faltete diesen und stopfte ihn in seine zerschleißende Hose. Gerade wollte er sich auf dem Weg machen, um diesen Bericht seinen rechtmäßigen Empfänger zu überreichen. Da stellte sich die erboste Schankmaid in den Weg.
 
„Du Bettler hast hier noch nicht einen Humpen getrunken, geschweige denn auch nur einen Silberling gelassen. Du wolltest dich hier nur aufwärmen und dein komisches Zeug da schreiben. Hört mal! Wir haben hier einen gebildeten Bettler vor uns!“
 
Nervös hastete er nach vorn und schubste bewusst oder unbewusst die Schankmaid zu Boden. Schnell kamen andere Gäste zur Hilfe. Sie hielten Ihn fest. Laut schreiend währte er sich.
 
„Ihr seid unwürdig mich anzufassen! Alle wie ihr hier seid, werdet in der ewigen Verdammnis verrotten. ER wird emporsteigen und euch knechten. Lasst mich los!“
 
Einige Gäste schienen tatsächlich beeindruckt gewesen zu sein von seinem Schreien und die Worte, die er wählte. Erschrocken mit ungläubigem Blick ließen sie von ihn ab. Die anderen Gäste drückten ihn zu Boden, so dass er sich nicht mehr wehren konnte. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis eine Patrouille der Stadtwache die Taverne betrat. Weiterhin schrie er.
 
„Sie werden kommen, bald... Ihr werdet es sehen und vor IHM knien... müssen!“
 
Die Stadtwachen schienen unbeeindruckt zu sein. Professionell und gekonnt nahmen sie ihn in ihrem Griff. Schleiften ihn so aus der Taverne hinaus in die Gasse vor der Tür, von da aus geradewegs in den Kerker.
 
Es müssen Wochen gewesen sein die er in diesem traurigen, feuchten Kerker verbrachte. Eine Diät von altem Brot und schalem Wasser zehrte an seinem Körper. Völlig abgemagert hing er an den Ketten des Verlieses. Seine Beine deutlich von Muskelatrophie gezeichnet. Der Gedanke die Schriftrollen von dem Elfen zurückzuholen. Den Jünger zu kidnappen. Dies alles seine Schwestern und Brüdern zu übergeben, um damit zurückkehren zu dürfen. Dieser Gedanke hielt ihn am Leben. Die schwere Gittertür wurde aufgeschlossen und flog förmlich laut knallend gegen die Schwere Mauer. Zwei Kerkerwachen betraten das karge Verlies.
 
„So, du dreckiger Bettler. Die Zeit des ausruhen und faulenzen ist vorbei. Wir schleifen jetzt deinen Kadaver nach draußen. Kein Richter will Dich sehen geschweige denn ein Henker an Dir sein Beil stumpfschlagen.“
 
Einer der Wachen lösten ihn von den Ketten und beide schleiften ihn zu dem Hintereingang des Kerkerkomplexes. Sie öffneten die Hintertür und schmissen Ihn hinaus in die Hintergasse. Der Boden der Gasse war von Müll, Exkrementen verschiedensten Getier und Schlamm bedeckt. Er viel dadurch recht weich und zog sich so keine wesentlichen Verletzungen zu. Die Stadtwachen quittierten ihr Tun mit weiteren abfälligen Worten und spuckten auf ihn, ehe sie die Tür wieder hinter sich schlossen. Mit wackligen Beinen, geschuldet der Muskelatrophie, versuchte er sich aufzurichten. Immer wieder rutschte er auf dem dreckigen Boden aus. Immer wieder landete er mit dem Gesicht im Dreck. Spuckend und fluchend stieg in ihm der Wille und die Wut auf. Dieser Wille und diese Wut waren am Ende stärker als die Schwerkraft. Auf wackligen Beinen stand er da. Hasserfüllt war sein Blick.
 
„Sobald ich meinen rechtmäßigen Platz eingenommen habe, werde ich wiederkommen. Ohh LEVIATHAN wird mir beistehen. Ich werde euch alle büßen lassen und IHN mit neuen Seelen füttern!“
 
Wie von einem Blitz getroffen zuckte er und schien wieder zu Sinnen kommen. Hecktisch kramte er in seinem Hosenbund. Ein sichtlich erleichterter Gesichtsausdruck ersetzte die Hassfratze.
 
Es wird Zeit den Bericht meinen Schwestern und Brüdern zu schicken. Das Versprechen daraus zu verwirklichen“
 
Schlurfend mit zittrigen Beinen bewegte er sich die Gasse hinab... <<<<      


Hier geht es zur Korrespondenz an den hohen Priesters Sa´Deas: viewtopic.php?f=39&t=5003&p=22570#p22570
Zuletzt geändert von Nighean am 06 Feb 2023, 22:04, insgesamt 5-mal geändert.
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Re: Tochter

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Kapitel 3: Die Stadt
 
 
>>> spät des Abends saß Elenwe über ein in Leder gefasstes Buch und schrieb über Geschehnisse, die sich in der Nacht zuvor ereignet hatten. Draußen vor dem Fenster ist nur der einsame Ruf eines Waldkauzes zu hören, der hier offenbar auf der Balz ist. <<<

http://strixaluco.ch/rufe/male_hoot.mp3


Dunkle Nacht.png

Es war einer Dieser Nächte. Frei vom Mond. Völlige Dunkelheit, begleitet von völliger Stille im nahen Wald. Das Schreien, das diese stille und dunkle Nacht unterbrach, kam aus Ihrem Zimmer. Schnell eilte ich hinauf. In großen weiten Schritten nahm ich den Treppenlauf hinauf bis zur Austrittsstufe. Direkt erkannte ich den rötlichen Schimmer, der unter dem Türschlitz aus Ihrem Zimmer hinauskroch. Es war anders als sonst. Die Tür warf ich weit auf. Sie war noch in ihrem Bette. Krampfend und schreiend zappelte sie in Ihrem Bett wie ein wilder Berserker. Ihre Augen weit geöffnet sprang mir direkt Hass und Angst, Leid und Wut entgegen. Menschen sind äußerst robust und doch so zerbrechlich. Dinge die ich in den letzten Jahrhunderten in meinen Studien über diese Menschen immer wieder erfahren durfte. Doch dieses kleine Menschlein, dieses kleine Mädchen von gerade mal 12 Sommern Alter, lag mir tatsächlich am Herzen. Sie leiden zu sehen belastete mich jedes Mal noch schwerer und dieses Mal war es nochmal schlimmer.

Der Sippe Sternlicht entstamme ich. Wir gehören zu den gemäßigten Elben an. Ja, es gibt auch bei uns Extremisten die eine Koexistenz mit anderen Rassen, insbesondere den Menschen, für unmöglich halten. Hier hilft nur die Aufklärung und Gegenseitiges Verständnis. Dies habe ich mir stets zu Aufgabe gemacht. So musste ich oft unter den Menschen wandeln. Mich mit ihnen anfreunden um ihr tun, ihr Wesen, besser verstehen zu können. Dadurch besser Aufklärung an den meinen Leisten können. Hierdurch die Vorurteile mindern.

In jener Nacht, ähnlich der Heutigen Nacht. Als mein Freund Quintus Arius, Legat der siebten Kohorte der zweiten Legion „Licht des Herrn“ und sein Trupp diesen Unterschlupf der Anhänger dieses Namenlosen Gottes, stürmte und ihre Anhänger dezimierte, fanden wir diesen Säugling, dieses Mädchen. Es schien mir damals nur logisch, dass ich mich diesem kleinen Menschlein annehme. Nach meinem besten Wissen über die Menschheit, zu erziehen und sie fernab der Menschlichen Zerwürfnisse aufwachsen lasse. Nighean, so wie ich sie nach einem alten und schon vergessenen menschlichen Dialekt genannt hatte, war Opfer eines mir bis dato unbekanntes und perfides Ritual geworden. Dieses Ritual hatte als Ziel, Ihre Gefühlswelt so zu verändern, dass sie nur noch extreme verspüren sollte. Dass ihr innewohnende Talent, so wie es die Menschen nennen, Magie zu wirken, wurde bei mit diesem Ritual erkannt und weit vor der eigentlichen und natürlichen Zeit geweckt. Die Nebenwirkungen werden bis zu ihrem natürlichen Dasein anhalten. Dies alles studiere ich an Ihr. Doch mit all den vergangenen Sommer ist Sie mir ans Herz gewachsen, dadurch kein Studienobjekt mehr. Auch wenn sie nicht meiner Sippe und meinen Ahnen entsprungen ist, ist sie mir doch eine Tochter geworden. Die ich liebe und schützen muss.

Langsam und behutsam näherte ich mich Nighean. Sie strampelte wild und beschimpfte mich mit Worten, von denen ich mir sicher war, dass sie diese nie vernommen hatte. Vorsichtig redete ich auf sie ein. Ihre Hände glühten in einem starken Rot. Dies taten sie bisher einmal. In jener Nacht als wir sie als Bündel auf dem Altar dieses namenlosen Gottes vorfanden. Nichtsdestotrotz versuchte ich sie nicht zu berühren. Dieses astrale Flimmern hatte eine wesentlich disruptive Eigenheit. Sie löste bei dem berührenden eine konzentrierte Ladung von Energie aus, die einem schmerzlich, einige Meter, davon wirbeln kann. Sie selbst, beraubt durch diese Entladung an Leben, sinkt meist in einen tiefen Schlaf. Langsam fokussierte sich ihr Blick wieder und ihr Gesicht wurde gelöster. Die Hände glühten weiterhin in diesem bedrohlichen rot. Summend begann ich ein altes elbisches Lied, das zur Beruhigung von verwirrten Geistern diente, ihr vorzusingen. Die elbischen Worte konnte sie nicht verstehen, ist es doch der Ton, der hier die wesentliche Wirkung bringt. Meditativ schloss sie wie von selbst die Augen und stimmte summend in der Melodie mit ein. Langsam konnte ich das zurückgehen dieser inneren Desorientierung beobachten. Das Flimmern in ihren Händen lies bis zur Gänze nach.  Auch Ihre Atmung wurde flacher und ruhiger. Sanft berührte ich sie an den Schultern und sie öffnete die Augen. Im ersten Moment schien sie sich nicht im Klaren zu sein, wo sie sich befindet und was mit ihr geschehen war. Die aufkommende Erkenntnis und die Erinnerung konnte ich ihr in den Augen ansehen. Schnell redete ich auf sie besänftigend ein. Die Sorge eines Rückfalls in einem panischen Gefühlausbruch ist in diesen Momenten allgegenwärtig. Von meinen Worten ließ sie sich beruhigen. Blieb in dem hier und jetzt. Dennoch rollten Tränen aus ihren Augen. Es war an der Zeit sie nach ihrem Traum zu fragen, der sie offenkundig bewegte und sie in diesem Zustand versetzte. Auch wenn ich mir bewusst bin das ich sie dazu wieder in eine ähnliche Situation wie zuvor versetzen konnte, war es wichtig sie zeitnahe zu befragen. Bevor sie Einzelheiten und vielleicht wichtige Nebensächlikeiten vergas. Außerdem kann es auch helfen, über schreckliche Ereignisse zu reden um einen Abstand zu ihnen zubekommen. Das, was ich hörte, lies mich beunruhigt zurück und es entstanden mehr Fragen als zuvor.

„.. Ich war wieder in dieser Stadt. Ich habe mich dort frei bewegen können und bin umhergewandert. Über alle dem stand dieses riesige Gebäude mit diesem goldenen Dach. Man konnte es von jedem Ort in der Stadt sehen. Die Stände auf dem Marktplatz waren prall gefüllt mit Dingen, die ich noch nie gesehen habe. Auch waren andere Menschen dort, aber ich konnte sie nicht erkennen. Sie hatten keine Gesichter. Wie ausradiert waren diese. Ständig standen einige von ihnen da und schienen in einem Gebet, diesem riesigen Gebäude, sakral zu huldigen. Sie nahmen mich wahr, schauten immer wieder zu mir, als ob ich einer von ihnen bin. Diese Menschen schienen zufrieden und glücklich zu sein und doch kam es mir äußerst befremdlich vor. Es gab aber auch andere Menschen dort, sie waren nur in den Gassen und Nebenstraßen zu finden. Ihre Gesichter konnte ich erkennen. Sie waren nicht Teil dieses Glückes. Leid und Angst standen in ihren Gesichtern geschrieben. Ich bin umhergewandert. Ich habe mir alles genau anschauen und anfassen können. Es kam mir vor, als ob ich wirklich dort war“

Das alles war nicht neu, sie hatte schon öfter diesen Traum von dieser Stadt gehabt, doch diesmal schien etwas anders gewesen zu sein. Mehr Details wollte ich wissen, um ihr vielleicht helfen zu können.

„Was noch Nighean, an was kannst du dich noch erinnern? Hast du mit ihnen gesprochen?“

Ihre innere Unruhe war nicht zu übersehen. Zitternd und sichtlich im Geiste erschöpft, berichtete sie mir weiter.

„So wie du es mir geraten hattest, habe ich dann einen von Ihnen angesprochen. Diese Gestalt ohne Gesicht drehte sich zu mir um. Sie kam immer näher zu mir. Auch die anderen drehten sich nun zu mir um. Sie kamen wie die erste Gestalt auf mich zu und umstellten mich. Immer mehr hat sich dann ein Ring von diesen Gestalten um mich gebildet, und immer enger geschlossen. Zwei von Ihnen griffen mich an den Armen von hinten. Ich habe versucht mich zu wehren, geschrien und mit den Beinen gestrampelt, aber ich hatte keine Chance. Sie zogen und schleiften mich zu diesem riesigen Gebäude. Es war reich verziert. Ein wichtiger Ort scheint es für jene zu sein, die in dieser Stadt leben. Es schien mir wie ein Tempel auszusehen, den sie unbedingt huldigten. Die großen breiten Türen öffneten sich wie das Maul einer gewaltigen, alles verschlingenden Bestie. Das innere konnte ich nicht erkennen. Als ob ein schwarzer Schleier die Sicht ins Innere versperrte. Immer näher haben sie mich an das Tor gezerrt. Immer mehr panischer und außer mir bin ich geraten. Sie ließen aber nicht von mir ab.“

Gesichtlose Gestalt.png

Sie senkte ihr Haupt. Wimmernd und nahe dem Ende ihrer Kräfte, saß sie an ihrer Bettkannte. Wischte ihre Tränen davon und schaute dann flehend und verzweifelt zu mir auf.

Sie stießen mich durch dieses Tor, durch diesen dunklen undurchsichtigen Schleier. Hart bin ich auf einen festen Boden geschlagen. Dieser Boden war durchzogen von furchen. Tiefer Kratzer die sich weiter bis über die Wände zogen. Es schien wie ein Gefängnis auszusehen. Ein Gefängnis für ein wildes und voller Wut geratenes Wesen, dass verzweifelt einen Ausweg gesucht haben muss. Dieses Wesen war noch da. Spüren konnte ich dieses. Ich habe es nicht sehen können und doch war mir klar, dass es da war und mich beobachtete.  Es war, als ob es direkt in mich hineinsah. Ich spürte unbedingten Hass, unbedingte Wut und unglaubliches Leid. Dieses Leid kam von Enttäuschung und einer Einsamkeit, die man sich nicht vorstellen kann. Ich wollte rennen, fort von IHM, fort von diesem Ort. ER packte mich und sah mich direkt an. ER sagte etwas zu mir…. DEINE FRAGE…. Was ER dann sagte, weiß ich nicht mehr, ich glaube ER nannte mir einen Namen. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Nur noch diese Melodie, die wie aus einer Ferne zu mir durchdrängte und mich gegriffen hatte. Mich aus diesem Gefängnis fortriss“

Sie löste sich aus ihrer Körperhaltung und umarmte mich so feste wie ich es mir kaum vorstellen konnte. Etwas war mit ihr passiert. Dieses Ritual und diese Weihe müssen noch weiter in ihr tief sitzen und eine Verbindung zu diesem IHM in ihr aufrecht halten. Hier muss ich mehr Erkenntnisse sammeln und hinaus gehen und die Städte der Menschen besuchen, um mehr Informationen zu erhalten. Mein alter Freund Quintus Arius ist nicht mehr. Auch sein Orden, dem er angehörte, existiert in dieser Form nicht mehr, aber es muss Nachfolger geben. Andere denen ich eines Tages Nighean anvertrauen kann und die wissen, wie mit ihr umzugehen ist. Bevor ich das aber tue, muss ich mir sicher sein wer dafür geeignet ist.

>>> Er schloss das Buch, erhob sich langsam in einer fließenden Bewegung vom Stuhl. Schaute aus dem Fenster ins Dunkle Nichts hinaus. Schürzte die Lippen sichtlich nachdenklich und wie beiläufig griff er sein Buch. Löste sich aus dem stummen Blick und ging auf die Wand hinter sich zu. Beugte sich hinab und zog eines lockeren Backsteins aus der Wand. Nahm einen Stoffstreifen, der in der freigelegten Lücke lag und wickelte das Buch hinein. Behutsam schob er das Buch in diese Lücke und platzierte den einzelnen Backstein wieder in der Lücke. Sicher nicht das beste versteck, konnte man doch beim direkten Hinsehen erkennen, dass dieser lockere Backstein nicht mit den anderen verbunden war. Jedoch sollte dieses Versteck einen neugierigen schnellen Blick durchaus entgehen können. Langsam gleitenden Schrittes durchquerte er die Schreibstube zu einen gegenüber stehenden Schrank. Er öffnete diesen und nahm eine lange Tasche hinaus.Diese Tasche hatte e schon lange nicht mehr genutzt. Es war wieder an der Zeit hinauszugehen und ein gutes Zuhause für Nighean zu finden.     
                                  
 
             
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Re: Tochter

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Kapitel 4: Asche und Gold
 
Es sind bereits einige Tage vergangen, seit dem Amaris Monther seinen Bericht an den Toren zum Tempel des Namenlosen in Nalveroth, für den Priester Sa´Deas hinterließ. Amaris hoffte nach wie vor, dass er in diesem Priester des Namenlosen, einen verbündeten hatte. Der um die Wichtigkeit seines Tuns wusste und ihm so, bei seiner glorreichen Wiederkehr mit den persönlichen Aufzeichnungen des Priester K´Rakuhl, die Tore zum Tempel öffnen würde. Auf das er wieder zu ihnen gehörte und so, seinen rechtmäßigen Platz zu Füßen des einzig wahren Gottes einnehmen konnte. Nichts auf dieser Welt konnte ihm von diesem Gedanken abbringen. All diese Jahre, die er abseits jeder Gesellschaft verbrachte. Sein streben war stets davon geprägt, sich nicht von dem Gift der goldenen Schlangen infizieren zu lassen. Sicher bedeutete dieses Streben für ihn Einsamkeit. Niemand mit dem er reden konnte. Schon gar nicht über seine Vergangenheit. Doch völlig allein war er nie. ER war immer da. In seinem Kopf. In seinen Gedanken.  Seinen Hass, seine Wut auf jeden und alles speiste er aus diesen Gedanken.

Waldlichtung.png
 
Bereits einige Tage unterwegs, machte Amaris rast an einer Waldlichtung, ganz in der Nähe seines Ziels. Mit seinem lahmen Bein, dass er ständig hinter sich herziehen musste, kam ihm der Weg mindestens doppelt so lang vor.  Die Rekonvaleszenz seiner Muskelatrophie, die er sich im Kerker von Ansilon zuzog, besonders im rechten Oberschenkel, dauerte weiterhin an. Dieser lange Fußmarsch ist aber dennoch eine gute Gelegenheit, wieder etwas an Muskeln aufzubauen. Mit Schmerzverzehrten Gesicht, setzt sich Amaris an einen alten verwitterten Baumstumpf. Er hört dem lieblichen Gesang der Vögel zu und genießt das Rauschen der Blätter im Wind. So wie es jetzt ist, ist es gut für ihn. Keine inneren Dämonen, die ihn verfolgen und nicht zur Ruhe kommen lassen. Einst war er ein stattlicher Mann. Von einigen respektiert, von anderen gefürchtet. Das reichte ihn aber damals nicht, das reicht ihn heute nicht. Amaris versprach sich mehr Respekt und Ansehen als Anhänger des Priesters K´Rakuhl. Wie töricht von ihm. Sein persönliches Ansehen zu steigern, nur durch die Gefolgschaft zu einem einzigen Menschen. Sicher war dieser Priester ein Genie und Talent, was seines Gleichen suchte, doch ist er nicht mehr. Erschlagen worden in jener Nacht, von diesen Handlangern der goldenen Schlange. Mit seinem Ableben ist auch jede Chance für Amaris dahingegangen, Zeugnis seiner Treue zu IHM unter Beweis zu stellen. Die Sonne zieht ihre feste Bahn und steht nun hinter den Baumkronen, dieses scheinbar nie enden wollenden Waldes. Vor Einbruch der Nacht wird er es heute nicht mehr schaffen. Ein kleines Lagerfeuer scheint das Risiko wert zu sein. Die Nacht kann äußerst kalt werden und dass sich heute Nacht jemand anderes ausgerechnet zu dieser Lichtung verirren könnte, scheint äußerst gering. Diese Nacht ist anders als alle anderen Nächte zuvor. Eine gewisse Unruhe macht sich in Amaris bemerkbar. Durch die Finsternis des Waldes kann er förmlich spüren, dass er nicht allein ist. Als ob da noch etwas ist, noch jemand.

Lagerfeuer Nachts.png
 
Kaum ein Auge zugemacht, löscht Amaris das letzte Glimmern der Glut des Lagerfeuers, dass ihm durch die Nacht brachte. Die wenigen Habseligkeiten, die er noch bei sich hat, packt er in einen ledernden Rucksack und schwingt sich auf. Die Anstrengung, sich zu erheben ist nicht mehr so Kräfte zehrend wie zuvor. Heute soll der Tag sein, an dem er sich alles zurückholt. Die Bäume und Sträucher kommen ihn immer mehr vertraut vor. Hatte er doch viele Tage hier in unmittelbarer Nähe zu dem Haus verbracht. Sie beobachtet. Diesen Elben und SEINEN Jünger. Dieses Mädchen, das wahrscheinlich nicht einmal von seinem Glück weiß. Viele Schritte sind nicht mehr nötig, bis er das Haus sieht. Sein Herzschlag wird kräftiger mit jedem Schritt, den er fortschreitet. Das rechte Bein muss er schon nicht mehr so sehr nachziehen. Die Erwartung in ihm macht es möglich, den Schmerz zu ignorieren. Dann, zwischen einzelnen Bäumen hindurch, kann er es sehen.
 
„HALT, hier stimmt was nicht“

Verbranntes Haus.png
Verbranntes Haus.png (215.43 KiB) 1607 mal betrachtet
 
Das Haus war nicht mehr da, so wie er es in Erinnerung hat. Einzelne Schwarze, verkohlte Planken liegen zu einem wilden Haufen zusammengefallen da, wo einst das Haus stand. Ohne jede weitere Vorsicht, geht Amaris auf diesen traurigen Haufen seiner Hoffnung zu. Nun wieder das rechte Bein hinter sich her schleifend. Der Geruch von verbranntem Holz liegt schwer in der Luft. Wie ein schwerer Schlag kommt es Amaris vor. All seine Hoffnung, hier etwas zu finden, das ihn wieder zurück in den Kreis seiner Schwestern und Brüder führen könnte. Verbrannt in diesen traurigen Haufen verkohlten, heimischen Glückes.
 
Umständlich, gerade so wies es seine Gliedmaßen zulassen, klettert Amaris über die verkohlten Trümmer. Sein Blick schweift suchend umher. Alles ist zu Asche verbrannt. Nicht ein Blatt, nicht ein Buch, kein Möbelstück das man als solches noch erkennen kann. Von den ehemaligen Bewohnern, keine Spur. Langsam und vorsichtig arbeitet er sich durch die Trümmer weiter voran. Dann, wie sprichwörtlich ein Fingerzeig, ragt eine verkohlte, bis auf die Knochen verbrannte Hand, aus einem kleinen Trümmerhaufen, der einst mutmaßlich ein Bücherregal war. Mit für ihn außerordentlicher Kraftanstrengung, befreit er das unter den Trümmern liegende und verkohlte Skelet. Wie Amaris den Totenschädel in den Händen hält, grinst dieser ihn nur feist und höhnisch an. Eingehend begutachtet er das Skelet und den Schädel. Durch die dunklen und oftmals blutigen Rituale in der Vergangenheit, kennt Amaris sich mit Anatomie sehr gut aus. Der Schädel, mit seiner hohen Stirn und hochgezogenen Wangenknochen war ganz klar, dem elfischen Rassenstamm zuzuordnen. Das Becken war ebenfalls eindeutig männlicher Natur.
 
„Das muss dieses eingebildete Spitzohr sein, dass sich um den Jünger gekümmert hatte. Hat er doch, bei Leviathan, seine gerechte Strafe erhalten.“
 
Achtlos wirft Amaris den Schädel fort. Stapft vorsichtig weiter durch die Trümmer. Seine Augen tasten den Boden, die Wände förmlich ab. Alles schwarz in schwarz.
 
„Wenn das Skelet von diesem Elben hier liegt, ist sie dann ebenfalls bei dem Brand umgekommen?“
 
Einige Stunden sucht Amaris nach dem weiblichen Skelet. Keine einzige Spur.
 
„Dann hat sie es vielleicht hinausgeschafft. Vielleicht lebt sie noch. Es könnte meine letzte Möglichkeit sein“
 
Wie ein auf ein Zeichen, spürt Amaris eine starke Windbrise. Eine fremde Stimme meldet sich in seinem Kopf. Unangenehm und furchteinflössen ist sie. Ganz so, als ob jemand mit seinen Fingernägeln über eine Tafel kratzt.
 
„Sieh dort drüben nach, an der Wand.“
 
Stutzig und leicht verwirrt um diesen Umstand, schaut er sich um. Ist er vielleicht doch nicht allein? Spielt ihn hier jemand einen Streich? Er kann nichts Auffälliges feststellen, lediglich ein zunehmen des Windes kann er wahrnehmen.
 
„Nein, dort drüben. Die Wand du Nichtsnutz“
 
Sein Blick wandert weiter, bis er einen gemauerten Mauersockel sieht.
 
„Ja, genau die meine ich“
 
Misstrauisch nähert er sich der Wand.
 
„Jetzt sieh schon nach, da ist genau das wonach du suchst Amaris“
 
Mit seinen bloßen Händen tastet er die Wand ab. Diese Wand ist völlig schwarz von Ruß. Es scheint, dass hier tatsächlich ein Versteck ist. Ein Stein ist nur locker in die Wand geschoben. Amaris bekommt den Stein zu greifen und versucht diesen, mit einem kräftigen Wackeln zu lösen. Immer wieder schiebt er den Stein nach links und rechts. Mit einem letzten kraftvollen ziehen schafft er es. Der Stein löst sich gänzlich aus der Wand und Amaris fällt rückwärts auf seinen Hintern. Schnell wirft er den Stein beiseite und stürzt sich auf das Loch in der Wand. Er schaut hinein. Schwarz auf schwarz. Beherzt greift er rein und zieht ein Bündel Papiere hinaus. Sie sind alle angebrannt, kaum zu entziffern. Er wirft diese Papiere neben sich und greift erneut hinein. Da ist noch mehr drinnen. Etwas größeres und festeres als lose Papiere. Beim Rausziehen verkanntet es öfters. Gänzlich im freien ist klar, was es ist. Ein in Leder gebundenes Buch. Es ist auch von der Hitze des Brandes beschädigt, aber die Seiten im inneren Scheinen intakt zu sein. Amaris blättert in dem Buch.
 
„Bei Astarot! Es ist das Tagebuch des Priesters K´Rakuhl“
 
Kaum hat er diesen Satz ausgesprochen, hört Amaris in seinem Kopf ein Lachen. Erst sehr laut und sehr unmittelbar wird es dann doch immer leiser. Als ob sich dieses Lachen von ihm entfernt. Es folgt ein Rufen wie aus der Ferne.
 
„Du weißt was du zu tun hast! Sa´Deas…“
 
Die Stimme ist damit völlig verstummt und damit verschwindet auch dieses Gefühl in ihm. Dieses Gefühl das er seit der letzten Nacht hatte. Als ob da noch etwas oder Jemand bei ihm war. Ohne weiter darüber nachzudenken, setzt sich Amaris auf dem mit Asche und verkohlten Überresten von Irgendwas, auf den Boden. Seite für Seite ließt er hastig in dem Buch.
 
„Nichts, absolut nichts über das Ritual. Nichts über das Experiment aus der Nacht, dass der Priester mit ihm und den anderen Gläubigen durchgeführt hatte.
 
„Verdammt!“
 
Vor lauter Wut wirft er das Buch gegen die Wand. Dabei fällt ein gefaltetes Papier aus dem Ledereinband. Auf allen Vieren stürzt sich Amaris auf das Papier und das Buch. Überall an seinem Körper und seiner Kleidung ist Amaris mittlerweile Schwarz von der Asche. Anscheinend wurde in dem Einband des Buches, ein Versteck eingearbeitet. Dieses muss bei dem Brand beschädigt worden sein, damit es nun sein inneres Geheimnis preisgibt. Er nimmt das Papier und entfaltet es. Überall auf dem Papier sind nun seine schwarzen Fingerabdrücke. Er überfliegt die Zeilen. Ein breites Grinsen bildet sich auf seinen Mund. Je mehr er ließt scheint er jedoch von dem Inhalt nicht sehr erfreut. Dennoch, es enthält die Informationen, die ihm vielleicht seinen Weg zurück ermöglicht. Gestärkt mit neuer Zuversicht, steht Amaris auf. Schlurft über den mit Asche bedeckten Boden. Stopft das Tagebuch und das Papier in sein Hemd und macht sich auf dem Weg zurück… Nicht nach Ansilon… nach Nalveroth. Amaris wird den hohen Priester Sa´Deas um eine Unterredung bitten müssen.
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Kapitel 5: Nach Hause kommen
Gasse Nalveroth.png

Spät am Abend ist Amaris in den Gassen Nalveroths unterwegs. Die Starke und unbarmherzige Mittagssonne hatte sich bereits hinter den Sandsteingebirge zurückgezogen. Die Temperaturen fielen auf ein erträgliches Maß und die Stadt erwachte förmlich zum Leben. Neugierig bestaunt Amaris die Errungenschaften dieser Stadt. Die bunten Stände und Läden in den Gassen. Prall gefüllt mit den schönsten und filigransten Waren, die von Menschenhand geschaffen werden können. Hier herrscht die starke Faust der Dienerschaft. Kaum Verbrechen, keine Bettler die ihn behelligten. Die Menschen in dieser Stadt gingen ihren täglichen Geschäften nach. Alles im Schatten und Schutze der wachsamen Augen ihrer Herren. Der Grund seines Aufenthalts in dieser Stadt ist jedoch nicht das Flanieren. Es war an der Zeit zurückzuholen was ihm einst genommen wurde.

Gasse 3 Nalveroth.png
 
Amaris überquert den hiesigen Marktplatz der Stadt. Durch das stetige Flackern der Fackeln und Laternen an den Ständen, leuchtet der Marktplatz festlich. Gaugler und Feuerspucker gehen ihrer Berufung nach. Gerüche von verschiedensten Gewürzen, Lederwaren und exotischen Gerichten liegt allgegenwärtig in der Luft. Ein Wirrwarr von lebhaften und sich überlagernden Gesprächen füllen seine Ohren und seinen Verstand. Ein jeder Händler möchte seine Waren an dem Mann bringen. Es ist für einen geübten Beobachter wie Amaris leicht zu erkennen, wer Einwohner und wer fremd ist. Die Händler versuchen jeden in einem verhängnisvollen Gespräch zu verwickeln. Die Einwohner schütteln diese Versuche mit Leichtigkeit ab. Sie platzieren gezielt und selbstbewusst ihre Bestellungen zur Befriedung ihres täglichen Bedarfs an Waren. Die Fremden dieser Stadt hingegen fallen schnell den heimtückischen und geschäftlichen Preisungen der Händler, über ihre eigenen Waren zum Opfer. Durch stille und genaue Beobachtung hat sich Amaris das Verhalten der Einwohner zu Nutze gemacht. So kann er den Verhängnisvollen Anpreisungen der Händler entkommen. Nun schneller unterwegs hat er das andere Ende des Marktplatzes in Richtung Kloster erreicht. Er nimmt die Gasse an dem Reisemagier vorbei. Viele Menschen versuchen sich gedrängt, einen Weg durch die Gasse zu bahnen. Der Strom an Menschen ist in beiden Richtungen Homogen. Gelegentliche Rufe von Menschen durch die Gasse prallen an den Mauern der Häuser links sowie rechts schallend ab. Wie ein Traum kommt es Amaris vor. Das weiche Licht der Fackeln und Laternen an den Hauseingängen und den kleinen Ständen. Darüber die Decke der tiefen schwarze Nacht, gefüllt mit unzähligen Sternen. Immer wieder sieht er Menschen an dem Rand der Gasse oder in Nischen stehen. Die Hände erhoben und die Augen geschlossen. Diese Sakrale Pose kennt er aus seinen Erinnerungen. Sie murmeln intonierend Wörter, die ihm sehr vertraut sind und doch hat er sie eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr vernommen. Für Amaris ist es, als ob er nach Hause kommt. Ein Triumphmarsch durch diese Gassen in Richtung des Kloster Mor di Sh´sho.  Die Gasse führt nun eine Rampe hinauf durch einen Felsspalt. An ihrem Ende kann er bereits die hohen Mauern des Klosters erkennen. Hoch ragen diese in den Nachthimmel hinauf. Gekrönt wird die Mauer mit einem Kanonenrohr, dass bedrohlich auf die Enge Gasse zielt. Eine wahrhaft tödliche Falle. Weiter oben scheint der Tross an Menschen, die sich in beiden Richtungen bewegen, nicht abzureißen. Bald hat er es geschafft. Nur noch wenige Schritte trennen ihn von dem Eingang zum Kloster. Einer der beiden Torwachen erkennt sein Kommen. Sein Blick fixiert er gleich auf Amaris.

Gasse 2 Nalveroth.png
 
„Wächter des Klosters, ich habe eine wichtige Botschaft an den Priester Sa´Deas. Bitte übergebt ihn das Schreiben.“
 
Die Wache reißt ihm Förmlich das Schreiben aus der Hand. Mit der anderen gepanzerten Hand schlägt er zweimal kräftig gegen eine der beiden schweren Flügeltüren des Tors. Nach einer relativ kurzen Zeit öffnet ein greiser glatzköpfiger, im Gesicht mit unzähligen Runen verzierter Mönch, ein Sichtfenster an der Tür. Krächzend und stammelnd beschwert er sich. Scheinbar hat man ihn seiner Zunge beraubt und ihm damit die Möglichkeit des Sprechens genommen. Die Wache reicht das Schreiben an das Sichtfenster, ohne seinen Blick von Amaris zu nehmen. Der Mönch greift mit seiner knöchrigen, mageren Hand nach dem Schreiben.
 
„Für den Priester Sa´deas“
 
Kommt es recht monoton mit tiefer bedrohlicher Stimme von der Wache. Der Mönch an dem Sichtfenster quittiert die Übernahme des Schreibens mit einem kaum verständlichen „Kaiso“ Knallt dann regelrecht das Sichtfenster zu.
 
„Jetzt gehe wieder“
 
Die Aufforderung ist unmissverständlich für Amaris.
 
„Taudi“
 
Antwortet Amaris kurz und knapp. Neigt sein Haupt und zieht sich dann in den Fluss der Menschenmassen, entlang der Gasse zurück. Unauffällig verschwindet er unter den anderen und wird so Teil dieses Stroms zurück in den Stadtkern.
 

Sollte das Schreiben den Priester Sa´Deas erreichen, wird er folgendes lesen können.....  viewtopic.php?f=39&t=5048
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Kapitel 6: Die Zwillinge


„Calep, jetzt lass dich nicht nochmal bitten. Komm jetzt her und fühl, wie sie strampelt!“
 
Mit dem Unterarm wischte sich Calep den Schweiß von der Stirn und legte mit der anderen Hand die Spaltaxt beiseite. Der Herbst und dann der Winter standen vor der Tür und es war an der Zeit, dass Holz Kamingerecht für diese kalten Jahreszeiten zu spalten. Mit einem breiten, schelmisch anmutenden lächeln, drehte sich Calep zu Adriana um.

Spaltaxt Kapitel 5.png
 
„Ich komme ja schon“
 
Kommentierte Calep mit einem amüsierten lockeren Ton ihre Aufforderung. Stolz wie eine werdende Mutter nur sein kann, hielt sie ihm den kugelrunden großen Bauch entgegen.
 
„Wieso bist du dir so sicher, dass es eine Sie wird?“
 
Calep streckte die Hände zu dem Bauch und streichelte diesen sanft.
 
„Weil ich nicht noch einen großen, nach Schweiß riechenden Waldschrat brauche. Es wird eine Sie werden. Und sie wird bei mir in der Schneiderei arbeiten. Gemeinsam werden wir die schönsten Kleidungsstücke im ganzen Königreich schaffen“
 
Lachend zog Calep, Adriana mit seinen Händen an ihrem Bauch zu sich und ging dabei auf einem Knie runter. Er legte seinen Kopf auf ihren Bauch und blickte mit den großen blauen Augen zu ihr auf. Sie wiederum schaute mit ihren großen braunen Augen zu ihm hinab, lächelte zufrieden und streichelte mit ihren langen sanften Fingern durch sein nasses, zerzaustes Haar.
 
„Es wird ganz sicher ein Junge. Der wird mir gute Gesellschaft im Wald leisten. Gemeinsam werden wir die größten, geradlinigsten und imposantesten Bäume legen. Jeder im Königreich wird von uns nur das Beste Holz erwerben können“
 
Seine Hände wanderten am Kugelbauch seitlich nach oben und begannen, Adriana zu kitzeln. Lachend und kreischend drehte sie sich mal links und mal rechts beiseite. Versuchte so, seinen großen, groben Händen mit Drehungen, zu entkommen. So wie es gerade eine Frau in anderen Umständen konnte, lief sie von ihm davon. Adriana brachten den Brunnen zwischen sich und Calep. Dieses Mal ließ er sich nicht zweimal bitten und setzte zu einer Verfolgung an.
 
„Komm mir nicht zu nahe mit deinen Krakenhaften Händen.“

Brunnenrand Kapitel 5.png
 
Calep stand mit einem verwegenen Grinsen auf der anderen Seite des gemauerten Brunnenschachts. Er sah den halb gefüllten Eimer mit Wasser am Rande des Brunnens stehen und griff sich diesen.
 
„Ohh nein… das wirst du nicht wagen. Ich trage deinen Sohn in meinem Leibe.“
 
Lachend ging Adriana rückwärts ohne Calep aus den Augen zu verlieren und entfernte sich so von dem Brunnen. Calep ging mit dem Eimer Wasser in den Händen um den Brunnen herum und nähertes sich der lachenden Adriana. Er hielt den Eimer bedrohlich vor sich auf Adriana gerichtet. Sie hielt nun die Hände abwehrend vor sich und konnte sich ein Lachen nicht weiter unterdrücken. Immer näher kam Calep auf Adriana zu. Fast schon resignierend blieb sie stehen, die Arme weiterhin in einer Abwehrhaltung erhoben. Er war nur noch Zwei Schritte von ihr entfernt.
 
„Du wirst doch nicht…“
 
schwang den Eimer. Warf ihn zur Seite und nahm sie in seine Arme. Presste ihr liebevoll einen Kuss auf den Mund, den sie innig erwiderte. Adriana fühle das volle Spektrum an Glück, was ihr das Leben nur bieten konnte. Ein stabiles Einkommen, dass ein ebenso stabiles Leben ermöglichte. Einen starken und intelligenten Mann, der ihr auf jede erdenkliche Weise seine Liebe zeigt. Die freudige Erwartung der Niederkunft seines Kindes. Schöner konnte das Leben nicht sein. Sie standen eine gefühlte Ewigkeit noch so da. Engumschlungen in den Armen liegend. Innig küssend. Etwas änderte sich plötzlich. Adriana fühlte, wie ihre Kleidung untenherum feucht wurde. Hatte dieser Schlingel sie nun doch nass gemacht? Er hatte doch den Eimer davon geschmissen. Sie löste sich von dem Kuss und der Umarmung mit Calep und blickte an sich hinab. Das Hemd war vollgesogen mit Feuchtigkeit. Noch mehr war jedoch ihr Rock betroffen. Es lief eine große Menge an Flüssigkeit ihre Innenschenkel hinab.
 
„Calep… ich glaube es ist so weit.“
 
Ihr Blick war eine Mischung aus Unsicherheit und aufkommende Freude. Calep Hingegen schaute sie mit großen erwartungsvollen Augen an.
 
„Was soll ich tun? Was… es ist so weit… Wir bekommen ein Kind. Wir werden Eltern“
 
Mit sichtlich glücklichen grinsen fasste Adriana, Calep an den Schultern und zog ihn an sich. Sie drückte ihn feste.
 
„Los, gehe und hole die Hebamme. Sie weiß was zu tun ist. Beeile Dich. Ich gehe ins Haus und bereite alles vor wie uns die Hebamme beauftragt hatte.“

Hier war Calep ein Vorbild an Folgsamkeit. Er löste sich aus ihrer Umarmung und lief sofort mit hektischen langen Schritten los in Richtung Stadt.
Es war bereits Sonnenuntergang als Calep mit der Ortsansässigen, schon recht betagten Hebamme wiederkam. Calep lief nervös in sichtlich freudiger Erwartung vorweg. Die Amme konnte kaum Schritt halten oder wollte sie es einfach nicht und auf Grund ihrer Erfahrung nur wesentlich ruhiger und gesetzter als Calep. Die Beiden wurden mit einem lauten stöhnen und wimmern im Hause begrüßt. Calep war Außer sich wie gelassen die alte Hebamme dabei nur sein konnte.

Hebamme Kapitel 5.png
 
„Mhh, wie mir scheint, haben die Wehen bereits eingesetzt. Jetzt mach mal platz hier und sorge für saubere Tücher und heißes Wasser mein Junge. Du wirst wohl heute Nacht noch Vater werden.“
 
Resignierend trat Calep den Rückzug an und tat wie ihm befohlen wurde.
 
„Und du stellst das alles hier auf den Tisch ab und machst das du rauskommst. Wir können hier einen übernervösen jungen Kerl wie dich hier nicht gebrauchen!“
 
Rief sie ihm noch hinterher, wie Calep das Haus verlassen wollte. Nachdem Calep alles gesorgt und im Haus auf besagten Tisch abgestellt hatte, wartete er weniger geduldig draußen vor der Tür. Immer wieder konnte er das Schreien und Rufen seiner Frau hören. Von der Hebamme hörte er allenfalls Kommandos, in einem sehr harschen und bestimmenden Ton. Das ging so viele Stunden, bis spät in die Nacht weiter. Zum Höhepunkt wurde es recht hektisch im Haus. Calep war immer wieder versucht ins Haus zu gehen. Kaum hatte er die Tür einen Spalt weit auf, kam von der Hebamme nur ein schreiendes
 
„Raus hier! Wir Frauen bringen seit Anbeginn der Zeit schon alleine die Kinder zur Welt, da brauchen wir nicht ausgerechnet heute Abend einen Tropf wie dich!“
 
Hörte er da ein Krächzen von einem Baby? Immer wieder nahm er erneut Anlauf, um ins Innere des Hauses zu gelangen. Wie er allen Mutes zusammen hatte, um sich den Aufforderungen der Hebamme zu widersetzen und das Haus betrat, holte die Hebamme gerade das zweite Kind. Sie hielt es an den Füßen nach oben und gab dem Säugling einen beherzten Klapps auf den Hintern. Das Kind fing an zu quäken und die selbstständige Atmung setzte ein. Gekonnt trennte sie das Kind von der Schnabelschnur und wickelte es in einem der bereitgelegten Laken ein. In den Armen von Adriana lag bereits das erste Kind. Die Hebamme drehte sich mit dem Säugling im Arm zu Calep.
 
„Jetzt komm schon, du bist heute Vater von zwei wundervollen Zwillingen worden. Einem stolzen Sohn und eine Hübsche Tochter.“
 
Calep kam dem Bett und der Hebamme näher. Sie übergab ihm den Sohn und er hielt ihn sehr unbeholfen im Arm. Die Hebamme half dabei, dass Calep den Säugling richtig in der Armbeuge hält. Er ging dann weiter um das Bett herum. Zu seiner Tochter und seiner Frau Adriana. Mit einem erschöpfen aber gleichzeitig tief zufriedenen Lächeln, begrüßte sie ihn. Er gab ihr erst liebevoll einen Kuss auf die schweißnasse Stirn und dann einen auf ihre welligen Lippen. Mit einem sanften glücklichen Lächeln, begrüßte er seine Tochter auf dieser Welt. Vorsichtig legte er seinen Sohn zu seiner Frau. Setzte sich auf das Bett und legte seinen rechten Arm um Adriana. Stirn an Stirn betrachteten die beiden mit einem stolzen Lächeln die neuen frischen Menschen. Die Hebamme stand am Fuße des Bettes mit einem recht zufriedenen Lächeln und nickte einmal.
 
„Fein, fein. Dann werde ich mal das frische neue Glück in Ruhe lassen. In der Küche werde ich heute Nacht noch hierbleiben und euch zur Verfügung stehen.“
 
Calep erhob sich aus dem Bett.
 
„Nein, nein… wir haben alles im Griff. Geht ruhig nach Hause. Wir können schon auf uns gut aufpassen“
 
Die Hebamme kräuselte missmutig die Stirn.
 
„Pah, du bist und bleibst ein Tropf. Ich bleibe doch nicht wegen euch beiden hier. Wegen diesen beiden Engeln bleibe ich hier. Jetzt mach deiner Frau einen Tee und lass sie schlafen. Ihr habt ein ganzes gemeinsames Leben jetzt Zeit, eure Kinder kennenzulernen.“

Phiole Kapitel 5.png
Phiole Kapitel 5.png (66.1 KiB) 1507 mal betrachtet
 
Calep folgte ihr mit einem recht Madigen Blick in die Küche. Die Hebamme setzte sich gelassen an den Esstisch. Verschränkte die Arme vor der Brust und schloss die Augen. Calep fachte das Feuer im Kaminherd neu an und legte zugleich einige Scheite Holz nach. Nachdem das Wasser auf dem Herd aufkochte, goss er das Wasser in eine bereitgestellte Tasse mit Kräuter. Langsam drehte er sich zu der Hebamme um und beobachtete diese. Nur ein tiefes grunzendes Schnarchen kam von ihr. Calep griff nach oben über der Glasvitrine und holte von dort eine kleine feine, mit grüner Tinktur gefüllten Phiole hervor. Er ließ dabei die Hebamme nicht aus den Augen. Vorsichtig und langsam entkorkte er die kleine Phiole und ließ ihren Inhalt in die Tasse tropfen. Die Leere Phiole legte er dann neben der Tasse ab, nahm diese in die Hand und gleitet förmlich durch die Küche hinaus. Langsam ging er die Treppe hinauf ins Schlafgemach, wo seine Frau und die Zwillinge lagen. Er Öffnete die Tür und trat mit einem süffisanten Lächeln ein.
 
„Sieh mal mein Herz, ich habe dir einen schönen kräftigen Tee mitgebracht. Er wird etwas bitter schmecken, aber dich stärken. Du wirst sehen.“
 
Mit einem liebevollen Lächeln hob sie die Arme, um den Tee in Empfang zu nehmen. Calep gab ihr noch mal einen sanften Kuss auf die Stirn. Langsam führte sie den Tee an ihre trockenen welligen Lippen. Pustete kräftig und roch an dem Tee. Vorsichtig nippte Adriana an dem Tee
 
„Huuu… brr… der schmeckt wirklich bitter. Danke dir mein Herz.“
 
Langsam streichelte er ihr mit seiner großen rechten Hand über ihr zerzaustes Haar.
 
„Trink nur, danach wirst du dich viel besser fühlen“
 
Ihre Augen funkelten Caleb glücklich an und sie nahm nochmal auf seinem Geheiß einen kräftigen Schluck von dem Tee.
 
„Sieh dir die beiden nur an, wir haben solch ein großes Glück. Wer hätte gedacht, dass wir von dem Herrn solch ein Geschenk bekommen“
 
Calep´s Mimik wurde ernst und seine Augen bedachten Adriana mit einem zwielichtigen Blick.
 
„Ja, wir haben Glück… Jetzt schlaf ruhig ein. ER wird sich ihrer schon bald annehmen“
 
Die Augenlieder von Adriana wurden sichtlich immer schwerer. Wieder und wieder versuchte Adriana ihre Augen zu öffnen, um dem ewigen Schlaf zu entfliehen. Die Dunkelheit hatte sie bereits erfasst und hüllte sie immer mehr ein. Es dauerte nicht mehr lang und ihr Herz schlug ein letztes Mal. Wie als hätte Anastasius eine Ahnung, küsste er die ihm fremde Frau einen Abschiedskuss auf die Stirn.
 
„Der dunkle Vater wird dich in der ewigen Finsternis willkommen heißen. Admo uh rucho dlo-ischmo l´a-loho“
 
Langsam ging er um das Bett herum. Nahm die beiden Zwillinge zu sich auf den Arm. Ohne einen Blick zurück, verließ er das Schlafgemach. Ging vorsichtig die Treppe hinab, öffnete die Tür und ging ins freie Richtung Waldrand.
 
Ein lauter Kauz Ruf in der Nacht, ließ die Hebamme aufschrecken. Verwirrt blinzelte sie und wischte sich mit dem linken Handrücken den Schlaf aus den Augen. Schnell tasteten ihre Augen die Küche ab. Der Wasserkessel stand neben der heißen Herdplatte. Langsam und beschwerlich erhob sie sich aus dem Stuhl. Schlurfend bewegte sie sich noch schlaftrunken zur Anrichte. Dort lag die entkorkte Phiole. Misstrauisch nahm sie die Phiole in die Hand und roch daran. Sie verzog ob des starken Geruchs, der ihr wohl bekannt ist, das Gesicht. Vorsichtig tippte sie mit der Öffnung der Phiole an ihrer Zungenspitze. Augenblicklich verzog sie angewidert das Gesicht und spukte hektisch jeden Speichel aus ihrem Mund.
 
„Eisenhut! Hab ich es mir doch gedacht. Was zur Hölle, geht hier vor sich!?“
 
Zornig ließ sie die Phiole fallen. Klirrend zerbärste diese auf dem Boden in tausenden kleinen Glassplittern. Völlig frei von der anfänglichen Behäbigkeit, rannte sie aus der Küche, direkt zur Treppe und hastig jede Stufe nehmend, hinauf ins Schlafgemach. Die Tür war noch einen Spalt offen und sie stieß die Tür weit auf. Im Bett lag nur eine blasse Adriana. Die Augen in einer ewigen Ruhe geschlossen. Die Hebamme warf sich fast panisch auf Adriana. Schüttelte sie heftig. Legte dann die mit feinen Haaren belegte Rückseite ihres rechten Zeigefingers unter ihrer Nase. Ungläubig blinzelte sie und versuchte dann mit ihrem linken Ohr einen Herzschlag in Adrianas Brust auszumache. Nichts. Ewige Ruhe war nur zu vernehmen.
 
„Dieser Mistkerl!“
 
Sie drehte sich zur Tür und lief los. Wie um zwanzig Jahre verjüngt, nahm sie die Treppe nach unten, die Tür hinaus vor dem Haus. Schnell lief sie um das Haus herum um den Mörder auszumachen. Dort oben am Waldrand konnte sie dann seine Silhouette gegen das Mondlicht erkennen. Schnell nahm sie die Verfolgung auf. Völlig Blind vor Wut, vergaß sie ihre altersbedingten Leiden und holte den Mann schon bald auf einen gebürtigen Abstand, ein.
 
„Was hat er nur mit den Zwillingen vor, dieser Mörder?“

Taverne Kapitel 5.png
 
Zielstrebig bewegte sich der Mann durch den Wald. Langsam setzte die morgendliche Dämmerung ein. Der Wald war von außen mit einem tiefgrauen Schleier umhüllt. Schon bald hatte der Mann ein altes Haus im mitten des Waldes erreicht. Die Hebamme kannte das Haus. Es ist die Taverne *Zur alten Hirschkuh* Mit den beiden Zwillingen bepackt, ging er um die Taverne herum. Auf der Rückseite empfingen ihm zwei in Roben gehüllte gestalten. Sie kreuzten die Arme vor der Brust und neigten ihren Oberkörper stumm.
 
„Es ist so weit, sie hat IHM Zwillinge geschenkt. So wie der Nordwind es versprochen hatte. Sobald die Finsternacht kommt, werden wir das Ritual abhalten. Nichts kann und darf uns jetzt noch aufhalten, haucha trowe“
 
Die beiden Gestalten nahmen jeweils einen der Zwillinge. Der Mann streifte sein Leinenhemd ab und tauschte es gegen eine tiefrote Robe aus. Die Amme beobachtete das ganze aus einem ausreichend unauffälligen Abstand, versteckt hinter einem breit gewachsenen Baumstamm. Die beiden gestalten, gingen mit den Zwillingen in ihrem Armen voran ins innere der Taverne, der Mann in roter Robe folgte ihnen gelassen. Keuchend und mit sichtlich panischem Blick, stieß sich die Hebamme von dem Baum Ab. Ungläubig, ob der eben mit angesehener Szene, schüttelte sie mit dem Kopf
 
„Der Herr und seine Acht Engel steh uns bei!“
 
Hastig rannte sie los in Richtung Dorf. Am frühen Morgen soll ein Botenreiter, wie vom Teufel getrieben in Richtung nächstes Kloster losgeritten sein. Dort wo der Orden der Paladine, eine Garnison stationiert hatte. Stationiert um in den umliegenden Dörfern für Frieden und Gerechtigkeit, nach dem Wohlgefallen des Herrn, zu sorgen.
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Nighean
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Re: Tochter

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Kapitel 6.1 – Dolch, Blut und Gift

 
Nighean saß am Wegesrand. Hinter sich Ansilon und vor sich Silberburg. Ihren Umhang von hinten über den Kopf geworfen, schaute sie vor sich auf den matschigen Weg. Die Pfützen vor ihr am Wegesrand, füllten sich weiter mit Regen. Dieser fiel bereits unentwegt seit einigen Stunden vom Himmel. Die Gedanken schwirrten nur so durch ihren Kopf.

Wegesrand Kapitel 6.png
 
Erst vor einigen Tagen war sie in die rote Stadt gekommen. Die Begegnung mit Sorsha dort. Die Unterhaltung über den Namenlosen. Dann das Erscheinen von diesem Fremden, der sich wie selbstverständlich zu ihnen gesellt hatte. Blut an den Händen. Diese dann an seiner lumpenhaften Kleidung wie selbstverständlich abgewischt. Sein Tun, seine Art. Verwirrt und doch im hier und jetzt.
 
Tsathal: „Habt ihr die Stimmen auch gehört?“
 
Wie er dann mit dem Finger hinter sich gedeutet hat. Den Kopf drehte und sein Wort an jemanden richtete, der nicht da war.
 
Tsathal: „Was?“
 
Nighean sorgte sich um seinen Zustand. Den Ratschlag an ihn gerichtet, er solle doch besser einen Medicus aufsuchen. Der fremde berichtete, dass er bereits bei verschiedenen Stellen war und keine Hilfe gefunden hatte. Die letzte Hoffnung liegt bei den Priestern im Kloster dieser Stadt. Irgendwie hatte Sie Verständnis für ihn. Hilflosigkeit. Nicht zu wissen was mit einem geschieht. Warum man nicht so ist wie die anderen Menschen um einem herum.
 
Tsathal: „Stimmen, Träume, dunkle Schatten und mir fremde Mächte. Unbekannte Worte hallen durch meinen Geist. Nur im Angesicht des Todes finde ich Ruhe und Frieden.“
 
Scheinbar ging es ihm ähnlich wie ihr. Sie fühlte eine Verbundenheit zu ihm. Sorsha fuhr fort mit ihren Erzählungen über den Namenlosen.
 
Sorsha: „Ihr könnt ruhig zuhören. Nur bin ich leider nicht ganz so bewandert, wie es ein Priester wäre. Der Namenlose ist euch beiden sicher ein Begriff? Ich bin selbst noch nicht so lange in der Stadt, aber hier wird "der dunkle Vater" bevorzugt“
 
Nighean hing förmlich an Sorshas Lippen. Ihre Worte inne hielt und in ihrem Geiste aufnahm. Sorsha Schloss die Augen. Es war so, als ob sie von ihrer Mitte ausgehend einen Schmerz verspürte. Offensichtlich ging es ihr nicht gut. Zuerst machte Nighean dieser Umstand Sorge. Doch etwas war anders. Sie fühlte etwas in sich hochkommen. Es erinnerte sie an diesem Moment vor Monaten. Vor den Toren Silberbugs. Dieser Fremde, Balin war sein Name. Dort am Tore hoch zu Ross saß. Eine Herausforderung aussprach. Das plötzliche erscheinen seines Meisters Aratner. Der Moment, wo sie das erste Mal von IHM hörte.

Batal Tor Kapitel 6.png
 
Aratner: „Sie gehört in SEINEM Namen geschliffen… …Denn SEINE Wahrheit verkünden wir, wo ER uns hinschickt… … Euer 'Herr' ist nur eine Schlange. Ihr befindet Euch in Gesellschaft von Maden, die SEIN Werk vernichteten. Die Glanzzeit Suroms löschten sie aus! …Aratner bin ich ich, Höllenpriester des Namenlosen und hier, um IHN zu preisen.“
 
„Der Nordwind! Der alles weiß, immer alles wusste, immer alles weiß.“
„Der Westwind! Belial, der die Wahrheit kennt. Wahrheit, die die Schlange verheimlicht.“
 
Nighean spürte damals Hass und Zorn. Es brodelte regelrecht in ihr. Trotzdem versuchte sie aufmerksam, Sorshas Worten zu lauschen.
 
Sorsha: „Lillith, oder auch der Südwind... ist die Herrin über Leben und Tod. Astarot oder auch der Nordwind... ist derjenige, der die Vergangenheit und die Zukunft kennt. Leviathan oder auch der Ostwind, der die Wahrheit kennt und alles zu verschleiern mag...“
 
Erneut fasste sich Sorsha schreckhaft an den Bauch. Schmerzverzehrt war ihr Gesichtsausdruck. Als ob Sorsha es eilig hatte, verabschiedete sie sich von Nighean und Tsathal. Möchte das Gespräch ein anderes Mal fortführen. Innerlich fühlte Nighean eine große Enttäuschung. Die Wut brodelte immer mehr in ihr. Das merkwürdige Gefühl in ihren Händen. Es ist wie in ihren Träumen, oder sind es keine Träume? Der Moment, wenn sie durch die Tore des Tempels schreitet und auf die andere Seite gelangt. Der völlige Kontrollverlust den sie immer erfährt.
 
Wie ein ferner Ruf. Augen die sie in der Finsternis beobachteten. Tief fiel sie in seinen Blick. Wie ein leiser werdendes Echo, nahm die Wut langsam ab. Die Welt um seine Augen fügte sich langsam wieder zusammen. Von einem Brei aus Grautönen, zusammen in feste Formen und satten Farben.
 
Tsathal: „Das war knapp.“        
 
Auf dem Boden sitzend, sprach er sie direkt an.
 
Tsathal: „Ihr glaubt es vielleicht nicht, doch wir sind uns nicht unähnlich, wie es scheint. Ihr habt mindestens ein ähnlich großes Problem mit eurem Geist, wie ich.“
 
Die beiden unterhielten sich. Tsathal machte auf Nighean den Eindruck, als wüsste er wie es in ihr aussieht. Tatsächlich nahm sie Verständnis von ihm wahr. Offenbar verstand er, wie sie sich fühlt, ohne dass sie sich lange erklären musste. Tsathal hatte scheinbar mehr von ihr wahrgenommen, wie sie von sich selbst.
 
Ein Reiter hoch zu Ross störte ihre Unterhaltung. Er musterte die Beiden.
 
Viego: „Wenn das mal nicht die Frau ist, die wir durch ein Höllenportal schickten.“
„Ihr scheint überlebt zu haben.“
 
Des Vorfalls damals in Ansilon bewusst, merkte sie eine große Angst in Ihr wachsen. Viele Erinnerungen hatte sie nicht mehr an diese Begegnung mit Ihm. Damals anwesend war ebenfalls ein ihr unbekannter Priester. Sie war vom Pferd gefallen. Dann wurde sie in einem Kellerverlies wach. Der Wächter in Rüstung, scheinbar vor ihr auf der Hut gewesen? Der Priester vor der Kerkertür. Ein Verhör ob ihres Glaubens und ihrer Absichten. Wieder Verlust ihrer Erinnerung. Dann dieses Portal, durch das sie rücksichtslos gestoßen wurde. Sie gelangte an einen Ort, der ihren Träumen in nichts nachstand. Wieder einer Erinnerungslücke. Danach konnte sie sich nur noch daran erinnern, wie sie zu Füßen eines Heilers wach wurde.
 
Nighean: „Wo bin ich? Was ist geschehen?“
 
Heiler: „Kind! Ihr seid dort allein herausgekommen.“

Medicus Kapitel 6.png
 
Offenbar ungläubig dieser Leistung, behandelte er ihre Wunden. Wenige Schürfwunden, die sie sich wohl bei der Flucht von diesem Ort, an den Höhlenwänden zugezogen hatte. Nighean hatte dieses Martyrium überlebt, das war alles auf das es ankam.
 
Tsathal bewegt sich in den Hintergrund. Offenbar abwartend und eher unbedeutend in diesem Gespräch. Dennoch ermuntert er Nighean vorne stehen zu bleiben und nicht klein beizugeben. Oder hatte er sie einfach nur vorgeschickt?
 
Viego: „Euer Beschützer oder wer ist er?“
 
Beschwichtigend hob Tsathal die Hände.
 
Tsathal: „Ach, mit Nichten. Ich bin niemand von Bedeutung.“
 
Der Reiter stellt sich dann ob ihrer kargen Antworten als erstes vor.
 
Viego: Kaiso dann stelle ich mich eben zuerst vor, vielleicht bekommt ein niemand dann doch noch einen Namen. Viego, Dunkler Templer des Namenlosen und Vorbote der Dunklen Bruderschaft.
 
Tsathal: Oh natürlich, wie unhöflich mein Herr. Mein Name ist Tsathal. Vagabund und rastloser Wanderer.
 
Nighean: Mein Name lautet Nighean. Ich bin ehm… auch mittellos und lebe mal hier und mal dort.
 
Viego bohrte erneut auf ihren Umstand nach. Tsathal mischte sich in das Gespräch ein. Das machte es komplizierter und Nighean hatte keine Hoffnung mehr, dass dieses Gespräch eine gute Wendung nehmen wird. Doch offenbar verfolgte Tsathal einem Plan und lenkte das Gespräch geschickt, in die richtige Richtung. Sie sollten ihre Antworten erhalten. Höchst persönlich von dem Vorboten der dunklen Bruderschaft. So folgten beide dem dunklen Templer, hinter den Mauern der Feste. Tatsächlich wurden sie mehr verhört. Gelegentlich erhielten sie Antworten zu Fragen, die sie nicht gestellt hatten. Der dunkle Templer schien sie durchschaut zu haben. Tsathal war der erste, der sich den bohrenden Fragen von Lord Viego stellte. Klar formulierte er seine Antworten. Berichtete von seinem Tun, seinen Zielen und Absichten. Dabei hielt der Vorbote der dunklen Bruderschaft ein kleines Kästchen in der Hand. Sie konnte nicht erkennen, um was es sich genau handelte. Immer wieder warf er einen prüfenden Blick auf diesen. Nun war Nighean an der Reihe. Sie erzählte Viego von ihrer Reise. Das sie förmlich von dieser Stadt angezogen wurde. Nein, nicht die Stadt. Dem was es inne wohnt.
 
Viego: „Es gab in der Geschichte der Dienerschaft schon den ein oder anderen der angezogen vom Glauben in unsere Hallen kamen.
 
Diese Träume die sie bereits seit ihrer Kindheit verfolgten. Die Stadt. Den Dingen die sie dort gesehen hatte. Der Tempel mit dem goldenen Dach in ihrer Mitte.
 
Viego: „Kaiso und der Tempel? Wie schaut dieser im inneren aus?
 
Nighean: „Wie soll ich es euch erklären? Dieser Tempel, es scheint ein Gefängnis zu sein. Es klingt absurd, ich weiß“
 
Viego: „Nun meine Vermutung lag eigentlich darin, dass ihr das alte Großreich Surom gesehen habt.
 
Sollte es diese Stadt, dieses Großreich sein, von dem sie träumt?
 
Viego: „Es wäre erstaunlich das gebe ich zu, aber möglich. Nun sagt ihr aber, es wäre ein Gefängnis? Das einzige Gefängnis, was für uns eine Bedeutung hat, ist das Götterverließ. Doch in diesem gibt es unseres Wissens, keine Stadt außen rum.“
 
In Nighean machte sich ein ungutes Gefühl breit.
 
Viego: „Habt ihr die Möglichkeit in Erwägung gezogen das ihr noch nicht bereit seid hineinzuschauen?
 
Ihre Stimmung kippte. Weit entfernt hörte sie ein Grollen in ihrem Geist. Wie ein fernes Gewitter, das sich am Horizont auf tat und näher kam.
 
Nighean: „Ich bin bereits hindurch.“
 
Viego: „Und dann ist was passiert?
 
Nighean: „Ich bin gefallen, ich falle immer. Auf einen harten Boden, dort drinnen…“
 
Der dunkle Templer kam zu einer Schlussfolgerung.
 
Viego: „Ihr scheint halt und Kraft zu benötigen. Und dieses innere Verlangen scheint euch hier hin geführt zu haben. Doch seid ihr bereit und willens IHM die Treue zu schwören? Für IHN zu kämpfen, zu leben und im äußersten für IHN zu sterben?
 
Nun legte sich dieses Grollen gänzlich über sie. Wie ein eine Decke, die sich komplett um sie schließt.
 
 
 
Tsathal: „Das ist besser gelaufen, als ich dachte.
 
Nighean stand vor Tsathal, mit einem Gesichtsausdruck, als ob ihr etwas eingefallen war.
 
Tsathal: „Nun ja, ich war überrascht, wie stark deine Überzeugung bereits ist. Und das umfangreiche Wissen über den Namenlosen. Dieser Lord Viego ist schwer zu lesen, aber ich glaube er war durchaus beeindruckt. Und nun hast du die Gelegenheit die Hohepriester kennenzulernen und vielleicht mehr über deinen Zustand herauszufinden. Ich würde sagen, dass dies durchaus ein Erfolg ist.“
 
Kaum konnte sie sich an etwas erinnern. Tsathal war begeistert. Das Wissen von Viego. Wie Nighean ihre Treue geschworen hatte.
 
Nighean: „Was habe ich?
 
Scheinbar schien Tsathal einiges zu dämmern.
 
Tsathal: „Sag mal, was ist in deiner Wahrnehmung denn gerade passiert?
 
Nighean: Man, du hast uns echt daraus geholt mit deiner Geschichte. Glaub mir, ich dachte das wäre es jetzt“
 
Tsathal: „Nun, ja... eigentlich hast du ihn erst wirklich überzeugt. Ich bin in seinen Augen weiterhin ein nutzloser Vagabund. Meine Geschichte war wohl nicht sonderlich überzeugend, du dagegen wurdest EINGELADEN.“
 
Er betonte das letzte Wort.
 
Nighean: „Ich habe nur dumm daher gestammelt.
 
Demonstrativ kratzte Tsathal sich am Kopf.
 
Tsathal: „Wie war das mit dem Tempel, dem Traum, und IHM zu dienen?
 
Nighean: „Ja, Fragen zur Stadt hatte ich gestellt... Dann der Tempel. Auf seine Frage über das innere wusste ich einfach keine Antwort. Und dann standen wir auch schon vor dem Tor.“
 
Scheinbar hatte Tsathal seine Antwort erhalten und schien nun mehr zu wissen.
 
Tsathal: „Es ist schwer zu erklären, aber scheinbar ist dein Weg und der Weg der Dienerschaft miteinander verwoben. Frage mich nicht, ich verstehe auch nur die Hälfte... Aber die Priester werden sicher erkennen, was vor sich geht und dir Antworten liefern.“
 
Nighean hatte weiterhin Zweifel. Angst davor erneut durch dieses Tor wie damals in Ansilon gestoßen zu werden.
 
Nighean: „Tsathal, ohne dich wäre ich nie da rein gegangen.“
 
Tsathal: „Ein kleines Abenteuer bringt das Herz zum Kochen und das Blut in Wallung. Aber normalerweise riskiere ich mein Leben, jedoch nie das Leben anderer. Es war leichtsinnig... Und doch erging es mir wie dir, ich wurde angezogen. Naja, es ist ja alles gut gegangen. Und sogar ohne Blut und Schmerzen.“
In Nigheans Geist machte sich eine Frage breit.
 
Nighean: „Wer bist du Tsathal?
 
Tsathal: Ha! Tsathal. Warum glaubst du denn, dass ich jemand anderes bin?“
 
Nighean: „Na schon Vagabund. Aber... auch mehr...
 
Sie bedankte sich bei Tsathal für seine Unterstützung und seinen Beistand. Dieses kleine Abenteuer in ihrem, sonst ruhigen Leben, zu überstehen. Ohne Blut und ohne schmerzen.
 
Tsathal: „Außerdem habe ich nichts gemacht. Das warst du alles du selbst, auch wenn du es noch nicht weißt. Und wenn du vor den hohen Priestern stehst und zweifeln solltest, denke an meine Worte. Konzentriere dich auf diese unbekannte Verbindung, die tief in dir schlummert.“
 
Die beiden verabschiedeten sich voneinander.
 
Tsathal: „Pass auf dich auf.
 
Nighean: „Ja, und pass Du auf Dich auj.“
 
Tsathal: „Ich bin wie Unkraut...
 
Er hob nochmal die Hand zum Abschied und verschwand in den engen Gassen der roten Stadt.
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Nighean
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Kapitel 6.2 - Dolch, Blut und Gift


Der Regen hatte aufgehört und wie so oft, nach Regen folgt Sonnenschein. Geblendet von dem Sonnenlicht, das sich in den Pfützen widerspiegelte, blinzelte Nighean und rieb sich unweigerlich mit den Händen durch die Augen. Etwas weiter den Weg hinab aus Richtung Silberburg kommend, hörte sie einen schiefen aber offenkundig glücklichen Gesang. Eine Person kam den Weg entlang, hier und da den Pfützen aus dem Weg gehend, gelegentlich aber auch mitten hineintretend. Zielstrebig legte diese Person einen straffen Marsch hin. Gekleidet in einer grauen Kutte und um den Hals eine Kette gelegt, an deren Ende ein ihr bekanntes Symbol hing. Durch diesen Eindruck flossen ihre Gedanken erneut.
 
Sa'Deas: „Wer seid ihr?“
 
Nighean: „Mein Name ist Nighean. Meine Eltern kenne ich nicht. Ich wurde von meinem Onkel großgezogen. In mir ist der Ruf groß, hier zu sein.“
 
Der Priester Sa´Deas stand direkt vor Nighean. Sein verbliebenes Auge musterte sie eingehend und ließ keinen Zweifel in ihr aufkommen, ihn besser Rede und Antwort zu stehen.
 
Sa´Deas: „Um was zu tun oder zu finden glaubt ihr?“
 
Nighean: „Ich habe Fragen, suche Antworten.“
 
Ein zufällig eintreffender Reiter hoch zu Ross, unterbrach das Gespräch. Offenbar kannten sich die drei. Sie grüßten einander mit wortlosem Nicken. Sorsha war ebenfalls anwesend und hatte Nighean mit Sa´Deas eingangs bekannt gemacht. Vielmehr stellte Sorsha, Nighean dem Priester vor. Sie hielt sich dezent im Hintergrund und verfolgte die Unterhaltung.
 
Sa´Deas: „Wollt ihr eure Fragen direkt loswerden oder sind sie unter vier Augen zu beantworten?“
 
Nighean: „Wenn ihr mir die Antworten geben könnt, dann sollt auch ihr entscheiden wo“
 
Sa´Deas akzeptierte die Antwort von Nighean und versprach ihr Antworten. Ob ihr diese jedoch gefallen werden, ließ er offen. Er lud Nighean ein, mit ihm beim Brunnen ganz in der Nähe Platz zu nehmen. Den anderen ließ er offen, der Einladung zu folgen. Sorsha und der Wächter ließen sich offenbar nicht bitten und kamen der Einladung des Priesters ohne Zweifel nach. Führsorglich, fast väterlich kümmerte sich Sa´Deas um Nighean, als sie den besagten Brunnen erreichten.
 
Sa´Deas: „Also dann, nur zu. Stellt eure Fragen.“

Vorsichtig und mit einem inneren Unbehagen, berichtet Nighean von ihren Träumen und das, was sie bereits in Erfahrungen bringen konnte, oder wenigstens vermutete. Die Stadt von der sie träumte, offenbar die Stadt Surom.
 
Nighean: „Es gibt dort Menschen, die sehen so aus wie wir. Sie haben Gesichter. Ich kann sie sehen. Sie sprechen nicht mit mir noch scheinen sie eine Notiz von mir zu nehmen.“
 
Sorsha und der Wächter schienen mit ihren Gedanken in weiter Ferne. Als ob sich Diese von den Schilderungen Nigheans an einem anderen Ort trugen Liesen, vielleicht sogar an jenem Ort aus ihren Erzählungen?
 
Nighean: „Die anderen hingegen, ihnen fehlen die Gesichter. Oder besser gesagt, ich kann sie nicht erkennen. diese scheinen meine Gegenwart zu spüren, mich zu sehen. Sie beobachtet mich, obwohl sie keine Augen haben.“
 
Sa´Deas: „Gesichter lose Schattengestalten... mh...“

Sa´Deas: „Klingt bisher nicht ungewöhnlich für einen Traum. Wieso führt er euch hier her?“

Der Priester schien einer Spur zu folgen und wollte weitere Details erfahren. Bohrend ohne umschweife mochte er mehr von ihr hören.

Nighean: „Diese Schattengestallten. Es fing eines Tages damit an, dass sie sich um mich zusammenrotteten. Sie umstellten mich, dann zogen sie mich zu den Toren dieses Tempels.“

Ein inneres Unbehagen ging von Sorsha aus. Sie wickelte ihren Schal fester um ihren Oberkörper. Auch dem Wächter schien es nicht völlig kalt zu lassen und er legte seine Hände auf seinen Beinen ab.

Nighean: „Ich war da 12 Sommer alt als es so anfing. Das Tor des Tempels öffnete sich, doch konnte ich nicht ins Innere blicken.  Sie führten mich an das offene Tor heran und warfen mich hindurch. Auf der anderen Seite... Ist nicht das, was man als das Innere eines Tempels vermuten würde. Damals wusste ich nicht, wer oder was auf der anderen Seite sich befindet. Ich spürte das ich nicht allein dort war. ein unglaubliches Leid. Hass. Das Gefühl von Enttäuschung, Von Verrat, es war fast so, als käme es aus meinem inneren und doch… „

In diesem Moment, am Brunnen wo sie saßen, erlebte sie erneut diese Gefühle. Sie fluteten ihren Geist und es war an ihr, diese zurückzuhalten.

Nighean: „Dieser Traum hat mich nie verlassen.“

Den weiteren Ausführungen von Nighean schien der Priester Sa´Deas zu folgen und zu verstehen. Er nickte einige Male, so als ob er bereits wusste, um was es sich handelte. Nun sprach er, wie als ob er aus einer Quelle zitierte.

Sa´Deas: „Mhr...“
 
„Die Stärke eines Wächters wird durch seinen Hass genährt. Selbst im Angesicht größter Gefahren oder Verluste verfällt er nicht in Angststarre oder Trauer, sondern schmiedet diese Emotionen zu einer Waffe, brennenden Zorns um. Der unbarmherzige Hass, der ihn erfüllt... macht ihn somit zu einem unbeugsamen Werkzeug des Namenlosen, .... der ihnen ein Vorbild ist und ohne Unterlass an den Ketten, die ihn halten zerrt…“
 
Sa´Deas: „Dies ist aus der Doktrin der Dunklen Bruderschaft.“
 
 
Es war gerade so als ob Nighean der Schlag traf. Ist das ihre Antwort gewesen? Wiederholend hämmerten sich die Worte des Priesters in ihren Geist. Immer und immer wieder schienen sie ihren Geist in Wallung zu bringen.
 
Fremder: „Kind, warum sitzt ihr so einsam hier am Wegesrand? Der Regen hat aufgehört und der Herr schickt uns die Sonne als wärmende Umarmung und ruft uns auf, zur neuen Taten zu schreiten.“
 
Den Umhang von ihrem Kopf zurück hinter ihren Rücken werfend, erhob sie sich langsam aus der Hocke. Fixierte dabei das hölzerne Ankh-Symbol, dass an der Kette über seiner Brust hing. Offenbar schien es sich hier um einen Wanderprediger des Herrn zu handeln. Eingehend musterte sie ihn. An der Seite hielt er ein sehr ramponiertes Buch in der Hand. Von dem Buch aus sprang ihr Blick geradewegs in das Gesicht des Wanderpredigers. Erschrocken griff er mit der freien Hand nach dem Ankh-Symbol und hob das Buch in der anderen Hand auf Brusthöhe.

Der Priester Sa´Deas hatte ihr eine Aufgabe mit auf dem Weg gegeben...
 
Nighean: „Ihr habt recht. Es wird Zeit zur Tat zu schreiten…“
 
 
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Nighean
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Re: Tochter

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Kapitel 6.3 - Dolch, Blut und Gift

„Ihr habt mich erschreckt, Kind. Geht es euch gut?“
 
Der Prediger war bis auf zwei Schritte an Nighean herangetreten. Er musterte sie eingehend mit fragendem Blick. Auf Nigheans Mund breitete sich ein süffisantes Lächeln aus.

„Ihr reist im Auftrag des Herrn?“

Der Prediger räusperte sich auf diese Frage. Die Hand mit dem Buch immer noch dicht an die Brust gepresst, nickte er leise mit dem Kopf.

„Sind wir nicht alle im Auftrag des Herrn unterwegs auf dieser Welt, die er geschaffen hat?“

Nighean fühlte, wie ein innerer, weit entfernter Sturm auf sie zukam. Das Gefühl war ihr vertraut. Immer wieder war sie auf der Flucht vor diesem Sturm gewesen. Doch diesmal sollte es anders sein. In ihr klangen die Worte des Priesters Sa'Deas nach. Sie stellte sich an die Seite des Wanderpredigers und schüttelte sich die Nässe von der Kleidung, die vom vergangenen Regen herrührte. Gleichzeitig ließ sie den Wanderprediger nicht aus dem Blick.

„Der Auftrag, von dem ihr sprecht. Wie soll der aussehen?“

Ihre Gegenfrage war mit einem raubtierhaften Lächeln garniert. Der Sturm kam immer näher.

„Es liegt an uns, so zu leben, wie es Gott gefällt. Seinen Tugenden zu folgen und sein Licht weiter zu verbreiten in dieser Welt. Damit diejenigen, die im Schatten leben, erleuchtet und ins Licht geführt werden.“

Für einen Moment musste Nighean die Augen schließen. Es war, als hätten die Worte des Predigers sie wie ein Pfeil mitten ins Herz getroffen. Sie nahm den Schmerz und schickte ihn dem inneren Sturm voraus, der sich weiter zusammenbraute. Langsam öffnete sie die Augen. Immer noch den Prediger im Blick.

„Ist es so, dass die, die im Schatten leben, schlechter sind? Ist es so, dass die, die nicht seinen Tugenden folgen, verloren sind? Und wehe dem, der nicht nach Gottes Wohlgefallen lebt? Wo ist die Rechtschaffenheit anderen ein anderes, nicht selbst bestimmtes Leben vorzugeben? Wo ist das Mitgefühl, einen Gefallen zu verlassen oder gar zu vergessen? Wo ist die Gerechtigkeit einen verirrten zu richten nur weil er nicht stark genug ist, nach diesen Tugenden zu leben? Das klingt weder nach Demut noch nach Ehre. Wie kann man da tapfer sein und Opfer bringen? Da bleibt nichts an Spiritualität übrig“.

Der Wanderprediger nahm seine Hand vom Ankh-Symbol. Sein Blick spiegelte Angst, aber auch Mitgefühl wider. Nighean wandte sich nun ganz dem Wanderprediger zu. Wie eine Katze, die kurz davor ist, ihre Beute zu ergreifen.

„Ich sehe in euch einen großen Schmerz. Fragen, die unbeantwortet geblieben sind. Geht in euch und lasst das Wort des Herrn in euch hinein, dann werdet ihr die Antworten finden, die ihr sucht“.

Bei diesen Worten hob er das Buch in der anderen Hand und zeigte es präsentierend Nighean.

„Hier werdet ihr Erlösung finden, euren inneren Frieden. So führt ein gottgefälliges Leben. Das Licht des Herrn wird euch führen und erleuchten. Ihr seid nicht verloren, Kind. Gott liebt euch“.

Mit einem Wimpernschlag sprang ihr Blick auf das Buch. Mit dem nächsten Wimpernschlag wieder auf das Gesicht des Wanderpredigers zurück. Der Sturm erfasste sie jetzt innerlich. Überflutete ihren Körper. Sie spürte, wie ihre Hände zitterten. Die Worte prallten nun an ihr ab. Weglaufen gab es nicht mehr.

„Und wenn ich das nicht will? Ich weiß, was in dem Buch steht. Es sind Lügen! Denn ER hat es mir gesagt! Der Herr hat IHN im Kerker vergessen. Ihn in Ketten gelegt. Weil wir ihn mehr geliebt haben. Wo ist die Gerechtigkeit? Wo ist das Mitleid? Lüge! Alles Lüge!“

Wütend und voller Hass, wie sie es aus ihren Träumen kannte, schleuderte sie dem Wanderprediger ihre Worte entgegen. Ungläubig und fassungslos stand er mit halb geöffnetem Mund da.

„Ihr gehört zu ihnen. Ihr seid dem Namenlosen verfallen. Die Acht sollen mir beistehen. Kommt zur Besinnung Kind, bevor ihr verloren seid. ER wird euch nicht mehr loslassen. ER wird euch verzehren, bis nichts mehr von euch übrig ist!“

Ein unbeschreibliches Gefühl machte sich in Nighean breit. Keine Spur mehr von Angst. Es war, als wäre eine Last von ihr genommen worden. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich richtig und ganz. Sie umarmte förmlich diese andere, unbekannte Seite in sich. Wie von selbst griff sie nach dem Dolch, der hinter ihrem Gürtel steckte.

„Du bist es, der verloren ist. Du verbreitest das Gift dieser Schlange und wähnst dich in Sicherheit. Auch du musst aufwachen und dich erinnern. Wir alle sind SEINE Schöpfung. Auch in deinen Adern fließt das Blut der Kinder Suroms, nur deine Vorfahren haben es vergessen. Um den Preis der vermeintlichen Sicherheit und um unter dem Joch dieser falschen Schlange leben zu dürfen“.

Der Prediger schüttelt ungläubig den Kopf. Die Augen weit aufgerissen, die Brauen in die Stirn gezogen, blickt er bedauernd in ihre Augen.

„Ihr seid auf einem dunklen Weg. Es ist noch nicht zu spät. Hört seine Worte und kehrt zurück ins Licht“.

Bei dem Wort „Licht“ veränderte sich sein Gesichtsausdruck schlagartig. Mit einer Mischung aus Entsetzen, Panik und Ungläubigkeit blickte er Nighean an. Ein Knacken kam aus seiner Kehle, gefolgt von einem Schwall Blut, der aus seinen Mundwinkeln quoll. Als er hustete, wurde Nigheans Gesicht mit seinem Blut benetzt. Neugierig legte Nighean den Kopf zur Seite, ihre Augen tasteten den entsetzten Gesichtsausdruck des Predigers förmlich ab. Sein Unterkiefer bewegte sich stumm. Erkenntnis trat in sein Gesicht, und er blickte langsam an sich hinunter, um sich selbst zu überzeugen. Ein rötlicher Schimmer spiegelte sich in seinen funkelnden Augen. Nighean hatte ihm mit der linken Hand einen Dolch in die Brust gerammt. Das Blut rann über die Klinge hinab in ihre rot schimmernde Hand.

„Du hast deinen Preis gewählt, Blinder.“

kam es nüchtern und gefühllos von ihr. Er rang nach Luft, ein Keuchen war zu hören. Blutiger Schaum quoll aus seinem Mund. Sein schmutziges Gesicht wurde bleich und seine Lippen färbten sich violett. Immer mehr Blut spritzte in Nigheans Gesicht und es schien ihr zu gefallen. Ein raubtierhaftes Grinsen umspielte ihren Mund. Leise kamen Worte über seine violetten Lippen und Nighean beugte sich vor, um sie besser verstehen zu können.

„Der Herr wird dir verzeihen“

Nighean atmete tief durch, offensichtlich um den Prediger zu verhöhnen, während er an seinem eigenen Blut erstickte. Sie neigte ihren Kopf zur Seite und hauchte ihm Worte ins Ohr.

„Sage ihm, ich werde die Kinder Suroms finden, und sie werden sich ihrer erinnern. Sie werden sich ihrer Herkunft gewiss. Auf dass sie zu IHM zurückfinden“.

Der Prediger schloss ein letztes Mal die Augen. Nighean konnte förmlich spüren, wie seine Seele den Körper verließ. Er sackte nach hinten, der Dolch glitt aus seiner Brust. Noch mehr Blut strömte heraus, als sich der Druck in seiner Lunge ausglich. Im Fallen griff sie nach dem Buch, das der Prediger immer noch in der Hand hielt, hoch an die Brust gepresst. Wie ein nasser Sack plumpste der leblose Körper hinter sich ins hohe Gras am Wegesrand. Sie warf ihm einen letzten Blick zu. Blutüberströmt hielt sie das Buch in der einen und den Dolch in der anderen Hand. Eine einzelne Träne quoll aus ihrem rechten Auge und zog eine lange Linie über ihr blutüberströmtes Gesicht hinunter zum Hals. Der Sturm in ihr legte sich und langsam folgte ihm die einsame Stille um sie herum. Langsam verblasste der rote Schimmer ihrer Hände. Noch einmal atmete sie tief durch, während sie den Dolch zurück in den Gürtel steckte. Das blutverschmierte Buch stopfte Nighean in einen leeren Beutel, der ebenfalls an ihrem Gürtel hing. Ein kurzes Bedauern schien sich auf ihrem Gesicht auszubreiten. Sie wandte sich nach Süden und marschierte auf die nahe Weggabelung zu, von der aus sie über die Brücke am Ogerberg vorbei in die Wüste und weiter zur Roten Stadt gelangen würde.
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Nighean
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Re: Tochter

Beitrag von Nighean »

Kapitel 7.1 - Abo - Vater
 
Nighean lag schlaflos da. Erst vor wenigen Tagen war ER befreit worden. Die Ketten gesprengt. Erlöst aus dem ewigen Kerker der goldenen Schlange. Das Ziel zahlloser Generationen erreicht. Der Augenblick SEINER FREIHEIT. Sie durfte Zeugin sein. Worin sollte mehr Gunst, mehr Ehre liegen? Doch seither fehlt ihr etwas. ER fehlt. Seit SEINER Befreiung spürt Nighean etwas in sich, das sie nie zuvor gefühlt hat. Einsamkeit. Als ob etwas, jemand, ihr Haus verlassen hat. Diese Gefühle, die sie immer hatte, wenn sie Angst bekam. Zorn und Wut. Das gab ihr Kraft. Das gab ihr den Willen zu bestehen. Erst vor wenigen Mondläufen hatte sie dieses Geschenk verstanden. Es angenommen, es zugelassen. Es war immer da. Es hat sie ihr ganzes Leben lang bis zu diesem Augenblick begleitet. Jetzt ist es fort. Immer wieder wälzt sie sich in ihrem Bett. Unruhig kreisen ihre Gedanken. Lassen sie nicht los, lassen sie nicht einschlafen. Was für eine Qual. Die anderen hatten diese Vision. Nalveroths Untergang, Suroms Auferstehung. Warum hatte sie diese Vision nicht? War sie so unbedeutend? War sie nicht immer stark im Glauben? Hat ER sie verlassen und wenn ja, warum? Luinil. Sie war da. An jenem Abend in Nalveroth, am Brunnen der Statue des mächtigen Leviathans. Sie war gekommen. Wegen ihr. Wegen diesem kleinen, zarten Mädchen, das gewachsen ist und nun doch so verletzlich wie nie zuvor. Sie wollte sehen, was aus ihr geworden war. War es wieder eines ihrer Spiele? Vielleicht war sie im richtigen Moment gekommen. Zufall?  Perspektive -

"Auf die Perspektive kommt es an. Zwei Götter, die sich wie Kinder zanken, sollten unbedeutend sein."

Das waren ihre ungefähren Worte. Beim Namenlosen. Bei Asmodan! Noch vor einer Woche wäre Nighean bei diesen Worten versucht gewesen, Luinil die Zunge aus dem Hals zu reißen, um sie damit zu ersticken. Zorn und Wut. Wie ein Echo hallen Luinils Worte in ihrem Kopf wider. Zu diesen Worten prasseln draußen die Tropfen gegen die Fenster. In den letzten zwei Tagen hat es so viel geregnet wie sonst in einem ganzen Jahr. Immer wieder kommt es zu Überschwemmungen in der Stadt. Die Drainagen in Nalveroth dienen eigentlich dazu, das Tauwasser aus den umliegenden Bergen in die Stadt zu leiten. Nun werden diese aufwendig gebauten Drainagen und Aquädukte der Stadt zum Verhängnis. Nachwirkungen der Zerstörung der Wettermaschine. Langsam werden die Stimmen des Tages in ihrem Kopf leiser. Wie ein Schleier legen sich Müdigkeit und Erschöpfung über ihre Augen. Auf ihrer linken Wange spürt sie eine wohlige Wärme. Der Duft von Orangen, Zimt, Kardamom und anderen exotischen Gewürzen und Früchten steigt Nighean in die Nase. In ihren Ohren tönt das wetteifernde und zugleich liebliche Zwitschern verschiedenster Vögel. Woher kommt das? Sie zwingt sich, die Augen wieder zu öffnen. Vor ihr eine glatte schwarze Fläche. Sie ist draußen. Sie scheint auf dem Boden zu liegen. Ihre Augen zucken, sie sucht die Umgebung ab. Ein Moment der Orientierungslosigkeit. Angst. Panik. Nein Nighean, du kennst das. Du weißt, wo du bist. Sie legt die Handflächen links und rechts auf den warmen Marmorboden und stützt sich ab. Stemmt den ersten Fuß der frei wird unter sich, um sich dann auf diesen aufzurichten.


Der große freie Platz ist mit schwarzem Marmor gepflastert. In seiner Mitte erhebt sich das Gebäude mit den goldenen Zinnen. Der Tempel. Das Zwielicht der untergehenden Sonne spiegelt sich auf dem Dach und breitet sich über die ganze Stadt aus. Man könnte meinen, dass der Tag dadurch künstlich verlängert wird und die Stadt weiter in Licht hüllt, obwohl die Sonne von hier unten am Horizont nicht mehr zu sehen ist. Noch weit draußen in fernen Landen, wo bereits die Nacht eingezogen ist, mag man wohl dieses Licht am Horizont erkennen können. Die Gesichtslosen, wie Nighean sie nennt. Gespenstisch gleiten sie über den schwarzen Marmor. Eine dieser Gestalten kommt auf sie zu. Winkt ihr zu folgen. Nighean gehorcht und folgt. Am Ziel angekommen, stehen mehrere dieser Gestalten dicht gedrängt. Sie scheinen auf Nighean gewartet zu haben.

„Ich bin dein Abo, Adriana“

Eine der Gestalten löst sich von den anderen und kommt auf Nighean zu. Sie hält den Atem an. Noch nie haben sie mit ihr gesprochen. Noch nie ein Wort gesagt.

„Abo... das heißt Vater“

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