Ein paar schnelle Schritte zu seinem mit schwerem Samt bezogenen Ohrensessel, imposant wie ein Thron, und schon war er platziert und posiert, gleich einem der preisgekrönten Gemälde in seinem Palast. Die Wahl seiner Sitzgelegenheit war in keinster Weise nur aufgrund seiner eigenen Vorlieben getroffen. Tatsächlich hatte er seine Dienerschaft angewiesen den Sessel aus einem Kellerabteil in sein persönliches Quartier zu tragen, nur für diesen Anlass. Mehr als nur ein malerisches Stück, es handelte sich um eine Siegestrophäe, eine Erinnerung an einen ihrer vergangenen Fehltritte...und bei jedem ihrer Besuche versuchte der Herr der tausend Dinge dies zu präsentieren. Jenen Tag an dem sich einer der Ihren in sein Reich verirrt hatte, ein Opfer seiner Gesetze geworden war.
Das letzte Licht des Tages nahm für eine Sekunde einen unwirklichen, bläulichen Ton an und dem Herr der tausend Dinge entfuhr ein fast schon genervter Seufzer. Die blaue Stunde, ihre Stunde, war gekommen. Die Fürstin der blauen Stunde war eine hohe Fae, wie er selbst auch, doch im Gegensatz zu seinen schier endlosen Ländereien und einzigartigen Besitztümern, beides Zeichen seiner Macht, war ihr Reich gar lächerlich klein. Der Grund warum die Fürstin sich wohl überhaupt in den Reihen der Herrscherkaste der Fae halten konnte war die Lage ihres Hofes nahe der Hecke und diese kurze Zeitspanne der Abenddämmerung, in welcher sich ihre Domäne auf die gesamten wandelnden Weiten ausdehnen konnte, bis in die Weiten der Träume.
Da stand sie nun plötzlich, mitten im Raum, als wäre sie schon immer hier gewesen, gehüllt in ein Kleid aus wallendem Samt und gewobenen Sternen, ihr Gesicht versteckt hinter einem Abbild des Kosmos selbst. Ihr Kopf wendete sich ihm zu und für einige lange Momente herrschte Stille. Hatte er es geschafft sie mit dem Mobiliar auf welchem er residierte aus dem Konzept zu bringen?
“Guten Abend, Codraisc.”
Der Herr der tausend Dinge setzte sich schlagartig ein wenig gerader auf, fast als hätte sein Gast ihm eine schallende Ohrfeige verpasst. Wie so viele hohe Fae sprach die Fürstin direkt in seine Gedanken, ihre Worte zusammengesetzt aus Eindrücken und Emotionen. Sie hatte jegliche Höflichkeit fahren lassen und ein Bild von nutzlosen, weggeworfenen Objekten projiziert, eine Interpretation seines verhassten, wahren Namens - Codraisc.
“Pünktlich wie immer, Teuerste.”
Jede Unterhaltung zwischen hohen Fae war ein Spiel der spitzen Zungen und mit seiner Parade hatte er sich für den Moment zumindest ein wenig Distanz erkauft. Sie beide wussten, dass die Fürstin immer pünktlich war, da ihre Macht nur während der blauen Stunde ausreichte um sich vor ihm zu zeigen.
“Ich sah das deine Dienstmagd eine neue Maske trägt? Es freut mich, dass sie so schnell Ersatz finden konnte.”
Ihre Anspielung auf die Rebellen, eine Gruppe fehlgeleiteter Fae ohne eigene Domänen, die es vor kurzem geschafft hatten in sein Reich einzudringen und einige seiner liebsten Gegenstände zu entwenden, brachte ihn zum Grübeln. Sie unterstellte ihm Schwäche, dass er nicht in der Lage gewesen wäre den Diebstahl zu verhindern. Woher hatte sie so schnell von dem Einbruch erfahren?
“Eine temporäre Lösung. Meine Günstlinge sind bereits im Begriff mein Eigentum wieder sicher zu stellen. Ich habe nicht vor, mich so einfach geschlagen zu geben. Tatsächlich sollte ich diesen Aufwieglern fast dankbar sein, immerhin konnte ich dank ihnen drei neue Bücher für meine Bibliothek gewinnen. Die Geschichten aus dem Herz eines Fae sind, da werdet ihr mir kaum widersprechen können, wahre Sammlerstücke.”
Eine gekonnte Spitze und die Darstellung seiner neuesten Errungenschaften in einem Atemzug. Jeder Bewohner der wandelnden Weiten der eine eigene Domäne besaß wusste, dass der Fürstin vor einiger Zeit ebenfalls ein kostbarer Besitz von ihrem Hof entwendet worden war. Man munkelte in den Schatten, dass die Rebellen involviert gewesen waren und sie es nicht geschafft hatte, ihren unfreiwilligen Gast wieder einzufangen ehe er durch die Hecke entschwand. Mit einer fast schon gelangweilt wirkenden, aber perfekt einstudierten Geste verwies der Herr der tausend Dinge auf eine Kommode auf der drei prachtvoll verzierte Bücher präsentiert waren. Die Titel der Schriftstücke, gebunden in schweres Leder und beschlagen in zierlichen Schnörkeln, sprachen von der Hecke, den niederen Fae, sowie den hohen Fae und ihren Gebräuchen. Auf einen Blick war klar, solche Ausarbeitungen, solche Kunstwerke, konnten nur aus der Essenz von verwandelten Fae gewonnen werden. Viel zu selten hatte er die Gelegenheit dazu gehabt seine ganz persönliche Magie an anderen Fae zu erproben, einige seiner prachtvollsten Utensilien entstammten solch schwerwiegenden Momenten.
Die Fürstin schien allerdings nur einen abschätzigen Blick für seine neuesten Schätze übrig zu haben, ihre gesamte Ausstrahlung zeigte ihr Desinteresse.
“Ich bin mir sicher, dass dein Hab und Gut bald wieder sichergestellt sein wird. Und falls nicht...können sie sich zumindest an nichts erinnern, immerhin ist es ja fast schon Usus geworden den Geist unserer liebgewonnenen Besucher zu blockieren.”
Für einen Moment entglitten ihm die Gesichtszüge, glücklicherweise verborgen hinter seiner Maske. Wusste die Fürstin, dass er die Gedanken seiner Gefangenen unangetastet ließ? Er fand eine morbide Befriedigung darin, dass die verzauberten Kreaturen hier und da Eindrücke ihrer Umwelt wahrnehmen konnten, dass sie sich ihrer Existenz als schlichte Dinge bewusst waren. Wer hätte vermutet, dass diese dreckigen Rebellen es wagen würden auch nur innerhalb der Sichtweite der Grenzen seines Reiches aufzutauchen, geschweige denn diese zu übertreten?
“Nun, genug des Geplappers, lass uns zum Punkt kommen. Warum hast du dich für den heutigen Abend angekündigt?”
Die erste Runde dieses Kampfes, dieses Gesprächs war für ihn verloren. Auch wenn er das Gesicht der Fürstin nicht sehen konnte, so war er sich doch sicher ihren hämischen Blick förmlich auf seiner Haut zu spüren. Die Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf, er kochte innerlich vor Wut. Diese Kreatur der Dämmerung, in seinen Augen kaum besser als ein lästiger Kobold oder Feenfalter, wagte es ihn in seinem Haus derart bloßzustellen?
Das würde noch ein Nachspiel haben.
Die Blaue Stunde
Es versprach ein Abend wie jeder andere zu werden, die Forstarbeiter und Handwerker beendeten ihr Tagewerk und widmeten sich dem zünftigen Treiben in gewohnt gemütlicher Atmosphäre der Taverne bei einem stärkenden Mahl und einem guten Schluck wohlverdienten Bieres, dem zum Wohlgefallen mancher auch der ein und andere Kurze folgen mochte.
Alles in Allem versprach es ein ganz gewöhnlicher Abend auf der neuen Welt zu werden. Doch ist wohl kein Tag auf der neuen Welt wirklich gewöhnlich, und so stellte auch dieser keine Ausnahme dar.
Denn das letzte Licht des Tages,ausgehend vom Horizont, tauchte die Welt für eine winzige Sekunde in einen unwirklichen, bläulichen Schimmer ehe der Mantel der Nacht sich über den Himmel breitete. Nur wer aufmerksam durch die Welt ging oder den Sonnenuntergang beobachtete, konnte dieses Phänomens gewahr werden.
Die folgende Nacht wird den Bewohnern Nordhains lebhafte und farbenprächtige Träume bescheren: meist wohlig, anmutig und inspirierend.Stellenweise aber abstrakt, fremdartig und von konfusem Inhalt,und manche mochten durchaus unruhig, bedrückend und beängstigend sein, ja fast schon finster und unheilvoll!