Auf schwarzen Schwingen

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Aastha Isabella Accrusius
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Auf schwarzen Schwingen

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~•~

"Das eigne Leid muss klein dir scheinen,
wenn du bedenkst das Weh, die Not,
wodurch viel tausend Augen weinen!
Wenn du von aller Schmerz den deinen
nur kennst, so bist du seelisch tot."

Christian Morgenstern

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Prolog: Die Kindheit

Es gab nicht viele Details, an die sie sich aus ihrer Kindheit erinnerte. Das würde man wohl Kunst der Verdrängung nennen, denn im Grunde waren es “Hunger, Schmerz und Kälte", die sich vorherrschend, wie unliebsame Gäste, in ihrem Gedächtnis festgesaugt hatten. Sie waren arm gewesen, fürchterlich arm, sodass sie froh sein konnten, wenn es am Tag überhaupt eine Mahlzeit gab. So arm, dass ihr Zuhause mehr einem Bretterverschlag glich und es mit zwei zugedrückten Augen wohlwollend noch Hütte genannt werden konnte.
Dieser Umstand hätte vielleicht mit Liebe und Fürsorge der Eltern abgeschwächt oder gar aufgewogen werden können, doch die Eltern waren noch kälter als der Winter und noch verrotteter von innen, als es die alte Hütte war. Der Vater, ein ständig betrunkener, und äußerst grobschlächtige Mann, fand nicht nur im Alkohol sein Ventil für sein klägliches Leben und Versagen in diesem, nein auch die Hand, welche gegen die Kinder erhoben wurde, war ihm offenbar eine willkommene Befriedigung. Die Mutter? Sie sah stets zu. Bis heute ist es ungewiss, ob es ihr leidtat, oder ob sie, wie auch ihr Mann, den Kindern die Schuld an ihrer Situation gab.

Die einzige menschliche Nähe, der einzige Funken an Zuneigung, den Aastha in ihrer Kindheit erfahren konnte, war vermutlich durch ihren größeren Bruder. Lucianus war jedoch nicht der strahlende Held dieser Geschichte, denn Mitleid oder tiefgreifende brüderliche Zuneigung durfte sie von diesem niemals erwarten. Es war eher ein verworrenes Konstrukt, wie sie zueinander standen, denn auf der einen Seite passten sie aufeinander auf, doch auf der anderen Seite war die Kälte deutlich zu spüren. Als sie noch kleiner war, hatte es Aastha unfassbar traurig und verzweifelt gemacht, warum ihr Bruder sich so verhielt, doch je älter sie wurde, desto mehr verstand sie dessen Denkweise. Es war ein Schutz.
Wenn Lucianus sich mal wieder dem Prügel des Vaters gestellt hatte, damit seine kleine Schwester nicht ins Visier kam, tat er das sicherlich mit dem Wissen, dass Aastha es nicht überleben würde. Doch wenn sie es wagte, ihm etwas von ihrem kläglichen Essen anzubieten, wo er als weitere Strafe keines bekommen hatte, konnte sie sich sicher sein, dass sie auch seine Hand oder zumindest scharfe Worte zu spüren bekam. Sie sollte stärker werden, am besten genauso stark wie er. Anders würden sie es nicht überleben. Das war beiden bewusst und doch glaubte Aastha manchmal, dass es Lucianus im Grunde vollkommen egal war. Überlebte sie es, war es gut, tat sie es nicht, schien es ihm auch nicht sonderlich leidzutun. Gerade in jüngeren Jahren hatte sie Schwierigkeiten, aus den Handlungen des großen Bruders schlau zu werden und immerhin war er die einzige Bezugsperson, die sie irgendwie in ihrem Leben zu diesem Zeitpunkt erwarten konnte.

Einen Umschwung in ihrem Leben gab es erst, da musste sie etwa zwölf Jahresläufe alt gewesen sein. Es war recht schwer, denn Geburtstage gab es nicht und irgendwann war ihr Alter so irrelevant geworden, dass sie nicht wirklich darauf geachtet hatte, wie viele Jahre sie in diesem Loch schon lebte.
Dieser Abend jedoch brannte sich in ihr Gedächtnis und niemals würden sie ihn vergessen, dabei fing er an, wie jeder andere auch. Ein schlecht gelaunter, betrunkener Vater, der wütend durch die Hütte polterte, während Aastha sich in einer Ecke des Hauses versteckte, damit sie nicht in sein Visier kam. Lucianus hatte nicht so viel Glück, oder tat er es absichtlich, damit die kleine Schwester nichts abbekam? Während die Schreie und das Poltern das Haus erfüllten, konnte sie nicht anders, als sich die Ohren zuzuhalten und einfach zu hoffen, dass es bald enden würde. Aber plötzlich störte etwas diese so vertraute Geräuschkulisse. Die Schreie wurden panisch, nicht Lucianus seine. Die ihrer Eltern. Durch die zusammengekniffenen Augen sah sie das Flackern von Feuer und der Geruch von eben diesen drang ihre Nase. Hitze bildete sich in der Hütte, drang wie eine beißende Decke in jeden Winkel von dieser.

Vorsichtig hatte sie es gewagt, einen Blick auf die Szenerie zu lenken… und dann war sie vollkommen gefangen davon. Ihre Eltern standen in Flammen, in Panik schreiend, um Hilfe bettelnd und Lucianus stand einfach davor, rührte sich keinen Meter. Das, was sie von seinem Gesicht erblicken konnte, war kalt und ungerührt wie eh und je, als wäre da nicht ein Funken an Mitleid zu erkennen. Wie hatte er das angestellt? Wie hatte er die Eltern in Brand gesteckt?
Das Gefühl, welches sich in Aasthas Brust und Kehle breit machte, war schwer zu identifizieren und resultierte in einem nervösen, mehr erstickten und doch erleichterten Auflachen, als könnte ihr Körper gerade nichts anders darstellen, wie erleichtert sie war, die Fesseln gesprengt zu haben. Panik, Angst und Hoffnung ergaben eine merkwürdige Mischung, die ihr drohte, die Kehle direkt wieder zuzuschnüren und sie für den Moment nicht weniger handlungsunfähig machte, wie ihren Bruder.

So regungslos wie Lucianus die ganze Zeit dem Verenden der Eltern zugesehen hatte, so hektisch wurde er im Anschluss. Er reagierte nicht auf Aasthas Nachfrage und ehe sie es richtig fassen konnte, was er vorhatte, war er verschwunden, nachdem er sie unsanft zur Seite gestoßen hatte. Er verschwand… ging einfach und ließ sie hier zurück. Ihr Bruder ließ sie ernsthaft in diesem Heim aus Moder, Asche und Feuer zurück. Sie war zu fassungslos und verzweifelt, als dass sie für diesen Moment einen klaren Gedanken fassen konnte, doch als der Rauch ihr das Atmen erschwerte und sie endlich an die kalte Nachtluft trat, wurde sie bereits von der Miliz empfangen. Natürlich hatten sie das Feuer bemerkt.

Aber Aastha war das im Moment egal, sie konnte im Grunde nur einen klaren Gedanken fassen:
Ihr Bruder hatte sie ernsthaft zurückgelassen.
Zuletzt geändert von Aastha Isabella Accrusius am 06 Feb 2024, 00:17, insgesamt 2-mal geändert.
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Aastha Isabella Accrusius
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"Durchschritten ist das dunkle Tal,
jetzt kann ich mein Leiden besiegen.
Vorbei sind nun die Zeiten der Qual -
und meine Seele darf fliegen!"

Edith Tries

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Die Ratte

Ein Wochenlauf verbrachte sie bei der Miliz, um jener immer und immer wieder mitzuteilen, dass sie mit all dem nichts zu tun hatte, sondern Lucianus derjenige war, der die Eltern umgebracht hatte. Wie? Das konnte sie weiterhin nicht beantworten und das “Warum”, das behielt sie für sich, denn jenes würde sie nicht weniger schuldig aussehen lassen. Nach einer Woche wurde sie auf die Straße gesetzt, entweder weil es die Miliz leid war, sich mit dem ahnungslosen Mädchen abzugeben, oder weil irgendein Mord an irgendwelchen irrelevanten armen Bürgern einfach nicht wichtig genug war. Aastha sah sich somit jedoch alsbald auch schon mit neuen Problemen konfrontiert. Was sollte sie nun machen?

Einer der Milizionäre hatte wohl so etwas wie Mitleid empfunden, denn er hatte Aastha hinter vorgehaltener Hand etwas Brot und Käse mitgegeben. Ein Anfang, etwas, von dem sie vorerst zehren konnte und doch hatte sie in ihrem Hunger bereits zu Anfang die Hälfte davon vertilgt.
Wo sollte sie eigentlich schlafen? Wie kam sie danach an Essen? Sie streifte den Tag über durch die Straßen der Stadt, beobachtete das Markttreiben und sah hier und dort ein Kind, welches nicht weniger heruntergekommen aussah wie sie… doch letztendlich kehrte sie zur abgebrannten Hütte ihrer ‘Familie’ zurück. Ein Stückchen des Konstrukts stand noch, mehr oder weniger, gab immerhin ein wenig Schutz vor der Witterung und das Feuer hatte nicht alles in seinem Hunger zerfressen. Sie fand die Überreste von ein paar Decken und Jacken als zusätzlichen Schutz vor der Kälte und beschloss vorerst hier zu bleiben. In ihren Gedanken manifestierte sich immer wieder das Bild ihres Bruder, wie er den Eltern beim Sterben zusah und wie er sie letztendlich zurückließ, noch immer fragte sie sich, wie er das geschafft hatte.

Die kommenden Tage erwiesen sich als Herausforderung und letztendlich war der Anblick von zwei Jungen auf dem Marktplatz, die eine Frau um ihren Einkauf erleichterten, ohne dass sie es wirklich bemerkte, ein kleiner Lichtblick. Natürlich, sie würde sich einfach das nehmen, was sie brauchte. Hier mal ein Apfel von einem Stand entwendet, dort mal ein Brot hinter dem Rücken des Bäckers von der Anrichte geklaubt, sie war klein, sowie flink und das kam ihr zugute. Es reichte, um nicht wirklich hungern zu müssen und ein gesättigter Magen machte auch die kalten Nächte im Bretterverschlag erträglich. Wirklich Reue empfand sie dabei nicht, diese Welt hatte ihr mehr als einmal mittlerweile gezeigt, dass sie sich nur selber am nächsten war.

Fast zwei Mondläufe vergingen in diesem Trott, bis sie von zwei Jungen, etwa in ihrem Alter, von der Straße gezogen wurde. Sie hatte die beiden schon öfters gesehen und zuerst versuchte sie zu fliehen, bis sie jedoch verstand, was hier eigentlich vor sich ging. Sie redeten immer wieder etwas von einer Ratte und dass es Aastha sicherlich zugutekommen würde, wenn sie sich eher dieser anschließen würde, als auf alleinigen Beinen zu stehen. Es stellte sich heraus, dass all die schmuddeligen Jungen und Mädchen, die sie immer hin und wieder beobachten konnte, zu ein und derselben Gruppe gehörten. Aastha brauchte wenige Wochen, um das Vertrauen der Bande zu gewinnen, immerhin gab es auch nichts, was Aastha hätte irgendwie merkwürdig dastehen lassen können. Letztendlich kam sie zu einem Mann, der von den anderen Lambert genannt wurde. Dieser Lambert war deutlich älter, als all die anderen und er bekam von der “Ratte” seine Informationen. Wer die Ratte war, das wusste irgendwie keiner, aber offenbar schien es auch die wenigsten zu interessieren? Die Dynamik in der Gruppe war merkwürdig und ungewohnt für Aastha, grundloses Vertrauen und ein irrationaler Zusammenhalt, Dinge, die sie so noch nicht kannte.

Der Unterschlupf der Gruppe befand ich im Untergrund eines alten, heruntergekommenen Herrenhauses am Stadtrand und mit der Zeit würde sich offenbaren, dass viel mehr dahinter steckte, als nur diese Ratte. Hier begann die Zeit für Aastha, wo sie erstmals so etwas, wie Familie richtig kennenlernen durfte. Ein neues Zuhause, ein neuer Lichtblick, wenn auch alles andere als gewöhnlich. Ihren Bruder jedoch, den vergaß sie nie.
Zuletzt geändert von Aastha Isabella Accrusius am 17 Jan 2024, 15:20, insgesamt 2-mal geändert.
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Aastha Isabella Accrusius
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"Und es treiben mich Gewalten
ihm entgegen, und er sinkt –
und ein Quellen, ein Entfalten
seines Scheines nimmt und bringt"

Richard Dehmel

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Die Spatzenkinder

Sie blieb einige Monde in der Gruppe und es stellte sich heraus, dass es bis dahin wohl die beste Zeit in ihrem Leben war. Natürlich war es kaum als luxuriös oder angenehm zu bezeichnen, immerhin bestand der Alltag daraus auf den Marktplätzen der Stadt oder auf den Straßen andere Leute um ihr Hab und Gut zu erleichtern.
Das Ergebnis jedoch war ein warmer, trockener Unterschlupf und Essen. Es gab Essen, jeden Tag und dabei war es noch nicht einmal schlecht - je nachdem, was man auf den Raubzügen ergattern konnte. Für ein "Kind" in ihrem Alter, nach dem Leben welches hinter ihr lag, kam es ihr gar so vor, als könnte es nicht besser werden.
Natürlich war sich der Statthalter der Stadt gewahr über die Bande und in den ersten Wochen bekam Aastha das am eigenen Leib zu spüren, als sie längere Zeit damit verbringen musste durch die Stadt zu rennen, in dem Versuch der Miliz zu entkommen. Ihr Glück, dass die anderen ihr den ein oder anderen Weg gezeigten hatten, wie sie aus so einer Situation entkommen konnte. Sei es ein alter Kellerverschlag hinter Fässern, ein Zugang zur Kanalisation oder ein Weg um auf eines der Dächer zu gelangen. Absurd, dass sie nicht unbedingt so etwas wie Angst empfand, da war eher eine ungeahnte Euphorie, das Nervenkitzel, etwas was sie manchmal gar diese Situationen suchen ließ. Als könnte sie zum ersten Mal in ihrem Leben selber über ihrem Weg bestimmen, ohne eingesperrt im Heim ihrer Kindheit zu sein.

Die Bande von Lambert war ein recht zerstreuter Haufen, die meisten zogen allein durch die Stadt, ein paar wenige hatten es sich zu nutzen gemacht, dass sie gemeinsam besser für Ablenkung sorgen konnten, auch wenn das nicht immer so gut funktionierte, da die Miliz sich mittlerweile sehr gut darüber bewusst war. Dennoch herrschte im Kern ein fester Zusammenhalt, an den Aastha einige Zeit brauchte um sich zu gewöhnen, denn am Ende des Tages, wurde jede Beute zusammengeworfen und jeder profitierte vom anderen. Lambert schien es wichtig zu sein, dass jedes der kleinen Rattenkinder die gleiche Aufmerksamkeit zuteilwurde. Für sie kaum verständlich, in ihrem Verständnis hatte der Stärkere zu überleben und der Schwächere hatte eben nachzugeben, eine Ansicht, die nicht unbedingt Anklang bei den anderen fand.
Der Unterschlupf in diesem, alles andere als ansehnlichen, Herrenhaus war jedoch offenbar nicht nur das Quartier der Ratten, denn immer öfters sah Aastha andere Jungen und Mädchen in Gruppen dort einkehren. Immer in kleinere Gruppen, selten allein und sie alle waren schon etwas älter. Irgendwann fragte sie einen der anderen und sie bekam zur Antwort, dass es Mitglieder wäre, die zu Enrico und dem Spatzen gehören würden.

Schon wieder irgendein ominöser Anführer unter einem nichtssagenden Tiernamen. Ein wenig nervte es Aastha schon, es schürte ihre Neugierde. Mit Ungewissheit konnte sie nicht wirklich umgehen, das führte stets zu einem Gefühl der Unsicherheit, als würde sie hinter jeder Ecke direkt die Hand des Vaters erwarten. Doch alles, was sie herausfand, war, dass die "Spatzen" wohl nicht für normale Taschendiebstähle zuständig warn, sondern sich vielmehr darauf spezialisiert hatte in Häuser einzubrechen. Nicht unbedingt nur hier in der Stadt, sondern zogen sie teilweise auch in umliegende Städte, um die Miliz ein wenig an der Nase herumzuführen. Das führte dazu, dass die Beuten von der Wertigkeit her größer waren, doch dafür seltener. Manchmal, so erzählte ihr ein Junge, blieb eine Spatzengruppe ganze Wochenläufe in einer anderen Stadt, um dort zu planen und schließlich einzubrechen.

Über die nächsten Mondläufe hatte Aastha die Gelegenheit, mit dem ein oder anderen "Spatzenkind" zu sprechen und eines stand schnell fest: Sie wollte auch zum Spatzen. Das, was sie taten, klang so viel aufregender und "wertvoller" als das Herumlungern auf Straßen und Beklauen von Leuten auf eben jener. Ihr Wunsch jedoch, war gar nicht so einfach umzusetzen, denn am Ende suchte Enrico seine Spatzenkinder aus und der bloße Wunsch von Aastha war nicht ausreichend, was vielleicht auch mit ihrer Grundeinstellung zu tun hatte, die weitläufig im Unterschlupf bekannt war. Sie musste sich erst einen ganzen Jahreslauf unter Lambert beweisen und zeigen, dass sie mit anderen Zusammenarbeiten konnte, ehe Enrico sich bereit zeigen sollte, sie in seine Reihen aufzunehmen. Er wollte niemanden haben, auf den man sich nicht verlassen konnte und wenn es eines gab, was Aastha schwer fiel, dann anderen zu vertrauen. Eben genau das war jedoch nötig. Kein Einbruch wurde allein durchgeführt, jeder musste den Rücken des Anderen decken.

Doch dann, irgendwann, war es endlich so weit und sie wurde von Enrico eingeladen seiner Bande beizutreten. Ein engerer, noch familiärer Verband, als es bei den Ratten der Fall gewesen war und zum ersten Mal.. ja, da vergaß sie auch ihren Bruder. Hier würde sie glücklich werden können.
Zuletzt geändert von Aastha Isabella Accrusius am 17 Jan 2024, 15:20, insgesamt 3-mal geändert.
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Aastha Isabella Accrusius
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"Ich lasse mich treiben und sinken und tragen,
hier weit unten hör ich nichts,
kein Leid und auch kein Klagen."

Peter Davin

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Der letzte Einbruch

Fast drei Jahresläufe gehörte Aastha mittlerweile zu den "Spatzenkindern" auch wenn sie selber schon lange kein Kind mehr war. Sie hatte sich in den letzten Jahren mehr als nur einmal bewiesen und den anderen gezeigt, dass man sich nicht nur auf sie verlassen konnte, sondern dass sie auch äußerst geschickt in dem war, was sie zu tun hatten. Sie war klein, sie war leise, sie war flink. Dennoch war es für manche nicht unbedingt einfach, mit ihr umzugehen, sie hatte so ihre 'Eigenarten', die dazu führten, dass sie meist einen festen Stamm an Mitspatzen hatte, mit denen sie loszog. Es fehlte ihr öfters an Empathie, ihre Ansichten waren weitläufig als etwas radikaler und weniger umsichtig zu bekannt, sodass gerade empfindliche Gemüter nicht unbedingt gut mit ihr klarkamen. Sie war ruppig und verschlossen, sah kein Problem darin, während eines Einbruches unliebsame Augen auch zu entfernen, während 'Mord' für andere weit weg von dem war, für das sie eigentlich standen. Enrico duldete es jedoch, solange es keine Spuren gab, die zum Versteck führten, solange die Beute stimme und alle Spatzenkinder "heile" wieder nach Hause kamen.

Neben all den offensichtlich unangenehmen Dingen an der jungen Frau, gab es jedoch auch einige Charakterzüge, weswegen gerade ihr enger Kreis sie zu schätzen wusste. Sie hatte nicht nur gelernt auf andere zu vertrauen, sondern sie hatte über die Jahre auch eine starke Bindung zu denen entwickelt, die ihr nah standen. Wollte jemand einem ihrer Freunde auch nur ein Härchen krümmen, so konnte man sich sicher sein, dass es nicht lange von Aastha unbemerkt blieb. Gar reagierte sie dort auch leicht über und entsprechend erhob sie auch niemals die Hand oder die Stimme gegenüber die ihren. Sie war loyal, man konnte sich, ohne jegliche Einschränkung, auf sie verlassen. Gar in einer irrationalen Art und Weise, als hätte sie keinerlei Empathie für jene, die ihr nicht bekannt waren oder eben, als wäre ihr jeder, außerhalb ihrer "Familie" schlicht egal.

Wie so vieles im Leben gab es jedoch immer Höhe und Tiefen und nach über drei Jahre "Frieden" sollte sich das Schicksal für die junge, schwarzhaarige Frau erneut ändern.

Es schien ein ganz gewöhnlicher Tag zu werden. Sie bekamen von Lambert Informationen, vermutlich aufgeschnappt von seinen Rattenkindern, über einen neuen Bewohner der Stadt, ein Eigenbrötler, wie eine eingeschnappte Magd auf dem Markt herumerzählt hatte. Was sie jedoch auch erzählte war, dass er äußerst wohlhabend auf sie wirkte. In ihrem Verständnis war das der Grund für seine Unfreundlichkeit. Aastha und ihre Gruppen wurden entsprechend von Enrico angewiesen, in den darauffolgenden Wochenläufen nach mehr Informationen über diesen Mann zu suchen. Sie fanden schnell seinen Wohnsitz, kundschafteten sein Verhalten aus und bereiteten alles für den Einbruch vor. Nichts wies irgendwie darauf hin, dass es hätte gefährlich werden könnte - nicht gefährlicher als ein Einbruch sonst war.

In der Nacht des Einbruchs schließlich war alles vorbereitet. Laut ihren Vorbereitungen würde der Mann, der den Namen Taleron Splitterberg trug, heute nicht im Haus sein, für einige Zeit. Er verschwand jeden zweiten Tag der Woche Nachts und kehrte erst in den frühen Morgenstunden zurück. Keiner der Kundschafter hatte herausfinden können, wohin er verschwand… aber er verschwand einfach. Das reichte ihnen aus.

Wie immer waren sie zu zweit, wenn der tatsächliche Einbruch geschah. Diesmal hatte Aastha wieder den Burschen Calen an ihrer Seite. Wie sie gehörte er schon einige Jahre zu den Spatzenkindern und sie hatten schon mehrere Einbrüche zusammen durchgestanden. Sie kannten sich. Sie wusste, dass Calen oft schneller nervöser wurde als sie, er wusste, dass Aastha dazu neigte, zu mutig zu sein. Sie glichen sich gut aus, deswegen hatte die Bande sie schon mehrmals zusammen geschickt und ihre Erfolge sprachen für sich. Die Fassade des Hauses war geschickt überwunden, bis zum Balkon und auch die Tür des Balkons war mit geübten Handgriffen und entsprechenden Werkzeug geöffnet - reine Routine, etwas, was jedes Spatzenkind schon in den ersten Wochenläufen lernte. Ziemlich einfach für ein Haus, was angeblich so wertvolle Gegenstände beinhalten sollte. Calen merkte das und wurde direkt zu Anfang unruhig, es würde nicht mit den richtigen Dingen vor sich gehen, doch Aastha beruhigte ihn und verwies auf die Hochnäsigkeit von reichen Leuten. In ihrem Verständnis würde sie hier nichts erwarten, was sie nicht bewältigen könnten.

Was keiner der Spatzenkinder, noch Enrico herausgefunden hatten, war die Tatsache, dass es sich bei Taleron Splitterberg um einen Magier handelte. Er wirkte bei den Nachforschungen wie ein gewöhnlicher, reicher Händler, der sich mit seltenen Stücken auseinandersetzte und sie weiterverkaufte. In dem Moment, als die beiden Einbrecher das Haus betraten, aktivierte sich die magische Sicherheitsvorrichtung im Haus und Taleron wurde informiert. Er schritt jedoch nicht ein, eine vermutlich irrationale, unlogische Handlung, wusste man nicht über sein Wesen Bescheid, doch würde sich im späteren Verlauf zeigen, was wirklich hinter diesem Fremden steckte.
Aastha und Calen bemerkten von all dem nichts, sie waren keine Magier, noch kannten sie sich mit etwaigen Runen oder anderen Hinweisen aus, die jemand Gelehrtes vielleicht entdeckt haben könnte. Sie durchsuchten in gewohnter Routine das Haus, nahmen Schmuck und andere Gegenstände mit, die irgendwie wertvoll aussahen - was gar nicht so einfach war. Das kleine Haus war vollgestopft mit allerlei sonderbaren Apparaturen, Kristallen und anderen Gegenständen, von denen keiner der Beiden wusste, was das eigentlich sein sollte. Ein wenig Nervosität kroch an diesem Punkt schon in Aastha hinauf, aber sie verdrängte jene, bisher war alles normal... bis sie in das Arbeitszimmer des Magiers kam. Dort wurde ihre Aufmerksamkeit auf eine kleine Schatulle gelegt, aus schwarzem Ebenholz, mit goldenen Verzierungen, die etwas Okkultes für sie an sich hatten. Sie wusste nicht, was das war, aber es sah wertvoll aus und… Es hatte eine gewisse Anziehungskraft auf sie. Sie MUSSTE dieses Kistchen haben. Dieses kleine, sonderbare Kistchen war wie der Mittelpunkt des Raumes, zog und zerrte an ihrer Aufmerksamkeit.

Sie schnappte es sich, ohne lange zu überlegen und stopfte es zu den anderen Kram in ihre Tasche, dann war es Zeit zu gehen - sie musste das Kistchen hier vor bringen. Calen wurde zudem auch zunehmend nervöser und drängte Aastha nicht noch länger zu bleiben. Taleron Splitterberg auf der anderen Seite beobachtete alles mit einer gewissen Ruhe durch seine magische Absicherung. Natürlich wusste er, was das Mädchen dort mitgenommen hatte und es erheiterte ihn auf eine gewisse Art und Weise. Sollte sie das überleben, hätte sie vielleicht nützliches Potenzial. Den Rest seines Eigentums, da war er sich sicher, würde er schon wieder zurückbekommen.

Zurück in ihrem Unterschlupf angekommen, feierte die Bande den herausragenden Erfolg des Einbruchs. Viel Schmuck, glänzende kleine Objekte aus Gold und Silber und andere Kleinode konnten sie mitgehen lassen. Das Kistchen behielt Aastha für sich. Da war dieser Drang es für sich zu haben und die Neugier ob des Inhalts wurde noch größer - eigentlich kein typisches Verhalten. Sie war es gewohnt, jede Beute mit allen zu teilen, aber etwas an diesem 'Ding' beeinflusste sie. Sie zog sich früh zurück in eine stille Ecke des Unterschlupfes, der im Grunde die Schlafkammer der Spatzenbande bildete - einige Stroh- und Felllager, wenige Betten. Besser als sie es je kennengelernt hatte. Dort angekommen betrachtete sie das verzierte Kästchen neugierig und öffnete es schließlich. Es war einfach zu öffnen, lediglich ein simpler Schließmechanismus und doch wurde der Vorgang von einem merkwürdigen Knistern begleitet, welches sie zuerst zurückschrecken ließ. Doch dann, gebettet auf schwarzem Samt offenbarte sich den neugierigen Augen der jungen Frau eine dunkelgraue, fast schwarze Kette. Selbst die Innenseiten des Kistchens waren mit den merkwürdigen Symbolen versehen - doch hatte Aastha nur Augen für das Schmuckobjekt.

An einer langen Gliederkette hing ein Amulett, auf dem ein Rabenvogel auf zwei gekreuzte Federn thronte. Umrundet war das Bildnis von ihr unbekannten Zeichen. Okkulte Symbole, Runen oder irgendwas, womit Magier etwas anfangen konnten. Es schimmerte verlockend im Schein der spärlichen Beleuchtung und Aastha konnte gar nicht anders, als die Hand danach auszustrecken. In dem Moment, wo ihre Finger sich um das Amulett schlossen, passierte jedoch etwas. Erst fühlte es sich so an, als würde etwas stechender Weise in ihren Kopf eindringen wollen, dann spürte sie einen Sog als würde etwas sie aus dem Leben reißen wollen und sie stürzte zu Boden.

...
Zuletzt geändert von Aastha Isabella Accrusius am 17 Jan 2024, 15:21, insgesamt 2-mal geändert.
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~•~

"And the silken, sad, uncertain rustling of each purple curtain
Thrilled me—filled me with fantastic terrors never felt before;
So that now, to still the beating of my heart, I stood repeating
“Tis some visitor entreating entrance at my chamber door -
Some late visitor entreating entrance at my chamber door; -
This it is and nothing more.""

Edgar Allan Poe

~•~

Veränderungen

Das nächste, was Aastha nach Luft schnappend registrierte war, dass sie sich an einem vollkommen anderen Ort befand. Dunkelheit beherrschte diesen, Schattenschlieren krabbelten über den Boden, karge, tote Bäume und Gestein säumten die Umgebung… und Blut tropfte von den Strukturen hinab. Ein Bildnis, geboren aus den schlimmsten Albträumen. Panik füllte ihren Brustkorb, schnürte ihr die Luft zu atmen ab, während die Augen unzähliger Rabenvögel sie beobachteten. Sie schnarrten und klapperten mit ihren Schnäbeln, saßen zwischen den toten, verworrenen Ästen und starrten sie zu Hunderten an. Sie hatte sich gerade aufgerappelt, wankender und wackeliger Natur, als würde sie ihren Körper nicht richtig fühlen, da schälte sich eine Gestalt aus der Dunkelheit und ließ sie erneut erstarren. Eine monströse Gestalt, höher als jedes Haus welches sie bisher gesehen hatte, wie ein gigantischer Rabenvogel und doch hafteten dem Wesen etwas Humanoides an. Es neigte seinen absurd großen Schnabel zu ihr hinab, beugte sich nahezu über sie… und die schnarrende Stimme erklang.

» So so so… was haben wir denn hier? Kleines Menschenkindlein? «

Allein die Stimme der Kreatur reichte aus, um ihr das Blut in den Adern gefrieren zu lassen und sie war vollkommen sprachlos - gefangen in Angst und Panik. Als die junge Frau nur schweigend zu ihm hinauf starrte, ging ein Rascheln und durch das Schattengefieder, ohne dass er sich jedoch merklich bewegen musste, es wirkte alles so surreal.

» Du hast einen meiner Diener befreit, mhm? «

Ein Klappern als er den gewaltigen Schnabel sich erneut bewegte und die Spitze nun bedrohlich nahe kam. So nah, dass Aastha befürchtete, er wolle sie aufspießen. Selbst wenn der Vorgang und die Bewegung an sich viel zu langsam dafür war. Sie konnte jedoch nicht richtig nachdenken.

» Ich… ich hab nichts gemacht. «

Brach sie nur stotternd von sich und erneut ging ein Geraschel durch die Umgebung als die Rabenvögel ihr Gefieder aufbauschten, begleitet von einem Klappern und Schnattern. Einige hüpften zwischen ihren Ästen umher, machten gar einen empörten Eindruck, über die versuchte Lüge der jungen Frau. Die riesige Gestalt vor ihr jedoch blieb gefasst, gar ruhte ein amüsierter, überheblicher Tonlage in seinem Gekrächze, als wäre diese Gestalt sich seiner überaus machtvollen Position mehr als nur bewusst.

» Oh doch, du hast etwas an dich genommen, was nicht dein war… aber das ist gut. Sehr gut sogar. «

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihr Hirn versuchte die Informationen zu verarbeiten, versuche herauszufinden, was die sinnvollste Entscheidung, was die beste Antwort sein würde. Fassungslos, überfordert, angsterfüllt. Sie schaffte es nicht, als wäre nicht nur ihr Körper, sondern auch ihr Kopf träge. Was war hier los? Ehe sie antworten konnte, spürte sie jedoch ein merkwürdig, drückendes Gefühl und als sie den Blick absenkte, sah sie, wie sich eine merkwürdig anmutende Elster aus ihrem Brustkorb schälte. Schattenhaft, die Augen von einem roten Glühen erfüllt. PANIK. Hektisch kam Bewegung in ihren Leib, als sie versuche die Elster aus ihrem Brustkorb zu wischen, doch ihre Hände glitten einfach durch die Gestalt hindurch. Die schemenhafte Elster regte sich ob ihres Verhaltens nicht, sondern besah sie einfach mit einer Mischung aus Neugierde und... Boshaftigkeit? Offenbar führte ihr Verhalten in der Umgebung aber zu Belustigung, denn erneut erklang das Schnattern und Klappern der Rabenvögel, als würden Tausende dem Schauspiel beiwohnen.

» Was… was ist hier los!? Was ist das!? Wo bin ich!? «

Drang es schließlich purzelnd und panisch über ihre Lippen und sie versuchte noch einige Male die Elster loszuwerden, die jedoch weiterhin halb aus ihrem Brustkorb ragte und nun, fast schon abwartend, zur großen Rabengestalt hinaufblickte. Die Gestalt beugte sich erneut hinunter, sodass ihr Schnabel Aastha beinahe berührte. Die junge Frau wollte zurückweichen, doch waren ihre Füße nun wie angewurzelt und ihr Körper wollte ihrem Willen nicht folgen.

» Wie gesagt, du hast einen meiner Diener befreit und er hat sich an dich gebunden. Du bist in meinem Reich, dort wo all die Seelen hinkommen, die du für mich stehlen wirst. «

Als wäre es selbstverständlich, sprach die Gestalt in einem Ton mit ihr, der schnatternder und klirrender nicht klingen könnte. Als würde für "ihn" schon alles feststehen, als hätte er die Entscheidungsgewalt. Es führte zu einer instinktiven Abwehrreaktion in Aasthas Inneren, seit ihrer Kindheit hatte sie sich nicht mehr so machtlos gefühlt wie jetzt, in diesem Moment, an diesem absurden Ort fern jeglicher Realität.

» Ich… ich nein! Das wollte ich nicht! «

» Oh.. dann willst du sterben? «


Sie stockte für den Moment und ein eiskalter Schauer krabbelte ihren Nacken und den Rücken entlang, etwas an dieser Frage wirkte so belanglos und gleichgültig, wie gleichzeitig, aber auch absolut bedrohlich. Als würde jedes Wort gleichsam mit Gefühlen übertragen, die sich in einem Wirbelsturm aus Verwirrung vermischten. Nein, sie wollte nicht sterben. Alles nur das nicht und irgendetwas gab ihr die Sicherheit, dass wenn sie nicht folgen würde, genau das der Fall sein würde.

» Nein… natürlich nicht. «

» Dann wirst du für mich stehlen. Seelen. Die Elster hat so entschieden. Sie weiß, dass du eine Diebin bist. Wie sie. Es wird auch nicht umsonst sein. «


Etwas Verlockendes lag nun in der Stimme der gigantischen Gestalt. Zäh, schimmernd und träge, wie der goldigste Honig den man sich nur vorstellen konnte. Als würde allein der Klang der Stimme dazu in der Lage sein jedes Versprechen und jedes Verlangen wahr werden zu lassen. Stille legte sich für diesen Moment über die Umgebung, nur selten war das Tropfen des Blutes zu hören, welches von den Strukturen hinabglitt. Aastha senkte den Blick auf die Elster hinab, die nun aus ihrem Brustkorb heraus, zu ihr hinauf starrte - das Köpfchen gedreht… dann verschwand sie wieder in Aasthas Brust. Sie fasste den Rest ihres Mutes zusammen, atmete tiefer durch und lenkte ihr eigenes, schwarzbraunes Augenpaar auf die gigantische Rabengestalt.

» Nicht umsonst? «

» Gewiss nicht. Du hast einen Wunsch frei, ehe du mir gehörst. «

» Moment… ich dir gehöre? «

» Ist der Pakt besiegelt, sammelst du für mich Seelen, bis du stirbst und deine Seele Teil meines Reiches wird. «


Auch wenn noch immer Fassungslosigkeit und Angst in ihrer Brust ruhte, kehrte nach und nach die Fähigkeit zurück, rationale Entscheidungen zu treffen - glaubte sie zumindest. War das echt und kein Traum, dann war genau dies ihre Chance aus ihrem Leben auszubrechen und Rache an so vielem zu üben, die ihr Unrecht getan hatten. Was brachte ihr schon die eigene Seele? Was würde es schon bedeuten, wenn jene in "sein" Reich einkehren würde? Sie hatte keine Ahnung, aber in diesem Moment, war da etwas in ihr, was das Verlangen nach Macht schürte. In einer Intensität, die sie bisher noch nie erlebt hatte, als wäre da das drückende Gefühl von Gier in ihrer Kehle und das Verlangen diesem Gefühl nachzugeben.

» Ich will Macht. «

Ihre Antwort brach die Umgebung zum Zittern als nicht nur die Gestalt zu lachen begann, sondern alle Rabenvögel mit ihr. Aufgeregt bauschten sie ihr Gefieder auf, flattern von einem Ast zum anderen und vertrieben sich gegenseitig.

» Macht will das kleine Menschenkind! Was für ein langweiliger Wunsch. So gewöhnlich. Doch… sollst du sie haben und je mehr Seelen du mir bringst, je größer wird sie sein. Du bist mein und du wirst für mich wachsen. «

Bei seinen Worten löste sich eine Feder aus seinem unendlich anmutenden schattenverschleierten Federkleid. Sie segelte langsam, träge hinab und instinktiv hob Aastha die Hand an, um sie aufzufangen. Doch das konnte sie nicht, in dem Moment, wo sie die Feder berührte, verschwand sie - verwandelte sich zu roten Schlieren, die in ihre Haut zogen. Als würde heißes Wasser durch ihre Adern schießen, breitete sich ein Brennen in ihrem Körper aus und als würden tausende kleine Nadelstiche sich in ihren Kopf bohren. Sie japste nach Luft, griff sich an die Brust und an den Kopf, als wüsste sie gar nicht, wohin zuerst mit sich.. und es dauerte einen qualvollen Moment lang, ehe sie es wieder schaffte fragend zur Kreatur hinauf zu schauen.

» So ist der Pakt besiegelt und die Elster schon ein Teil von dir, kleines Menschenkind. «

Die Worte wurden gegen Ende immer leiser und Aastha wurde schwarz vor Augen als ihr Geist erneut durch die Realitäten gerissen wurde… bis zurück ins Hier und Jetzt, wo sie nach Luft schnappen auf dem Boden erwachte. Die Finger krampfhaft um das Amulett geschlungen blickte sie sich mit rasendem Herzen um. Was.. war gerade passiert?
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Aastha Isabella Accrusius
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Re: Auf schwarzen Schwingen

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~•~

"Und immer die dunkle Stimme,
Die mich allnächtlich ruft –
Und immer der sterbenssüße,
Schwüle Narzissenduft –"

Peter Davin

~•~

Das Flüstern im Schatten

Sie spürte noch den kalten Schweiß der Panik an ihrem Körper, welcher die Klamotten wie eine zweite Haut an ihrem Leib kleben ließ, als sie sich wieder aufrappelte. Mit einigen tiefen Atemzügen versuchte sie ihr rasendes Herz zu beruhigen und die Panik hinabzukämpfen, die noch immer in ihrem Brustkorb ruhte. Wie sie es schon als kleines Kind immer getan hatte. Sie konnte von Glück reden, dass die anderen der Bande noch am Feiern waren und es, soweit sie sehen konnte, keinem aufgefallen war. Mit raschen Handgriffen war ihr erster Instinkt, nachdem sie sich wieder gesammelt hatte, das Amulett sicher zu verstecken und schließlich in der Badekammer zu verschwinden.

Der Rest der Nacht verlief ereignislos, sie schloss sich den Feiernden bis in den Morgenstunden an und sank schließlich vollkommen erschöpft auf ihr Lager. In diesem Schlaf, von dem sie hoffte, er würde erholsamer Natur sein, erlebte sie allerdings den ersten “sonderbaren” Albtraum von vielen, die noch kommen würden.

Sie sah die ausdruckslosen Gesichter unzähliger leichenblasser Körper, die sich aus der Dunkelheit schälten, als würden die Schatten sie nur schwerlich loslassen wollen. Näher und näher kamen sie, ohne dass sie dabei Geräusche machten, die Aastha vernehmen konnte. Aus jedem verzerrten Gesicht blickte ihr ein rotes und ein weißes Auge entgegen - starrend, vorwurfsvoll, vernichtend. In einem unnatürlichen Glanz. Sie empfand jedoch keine Angst, da war dieses unbekannte Verlangen, welches sich ihre Kehle hinauf drängte, wie schon in der Realität des Rabendämons. Das Verlangen zu vernichten, das Verlangen zu töten… als würde sich alles nur um den zentralen Punkt drehen, ein Leben zu nehmen. Als wäre es ihre Pflicht, ihre Aufgabe, als bräuchte sie es, wie die Luft zum Atmen. Die Körper drängten sich enger an sie, ohne dass sie eine Chance hatte zu entkommen und sie konnte förmlich spüren, als wäre dies alles echt, wie die eiskalten Hände an ihrem Leib hinauf wanderten, bis sie sich um ihre Kehle schlangen und…

nach Luft schnappend erwachte sie aus ihrem Schlaf.
Orientierungslos sah sie sich in der schummrigen Dunkelheit der Kammer um und für einen flüchtigen Moment glaubte sie ein schnarrendes Kichern zu hören, doch sie sah niemanden. Nur einige schlafende Spatzenkinder, keiner der auf sie aufmerksam geworden war. Selbst Calen, der auf dem Lager neben ihr lag, schien noch selig zu schlummern, mit äußerst zufriedenem Gesichtsausdruck. Beneidenswert.

Sie blickte hinab auf ihre blassen Hände, ballte jene zu Fäusten, um schließlich tiefer durchatmen die Augen zu schließen. Aber da war nichts. Wo war die Macht, nach der sie verlangt hatte? Ungewohnt schnell kroch Zorn in ihrem Inneren herauf, als würde sie ihre Gefühle, vor allem die negativen, intensiver als gewöhnlich spüren und so drückte sie sich rasch auf, um den Unterschlupf zu verlassen. Sie verbrachte den Tag damit durch die Gassen der Stadt zu streifen, doch auch hier, konnte sie nichts bemerken - außer dass dort ab und an das Gefühl in ihrem Nacken ruhte, als würde sie beobachtet werden.

» Die Elster ist ein Teil von dir. «

Leise wispernd wiederholte sie die Worte, als wolle sie sichergehen, dass sie sich nicht alles eingebildet hatte und wieder schaute sie auf ihre Hände hinab, als könnte sie dort die Antwort finden. Ein schnarrendes Geklapper, wie von einem Schnabel erklang und sie schreckte zusammen, ließ ihren Blick sogleich die Umgebung absuchen - doch da war nirgends ein Vogel zu sehen. Ein mehr ungutes Gefühl ruhte in ihrer Brust, das sie nicht genau definieren konnte und erneut kroch das Verlangen ein Leben zu nehmen ihre Brust hinauf. Sie rannte los, als könnte sie vor diesem Gefühl davonrennen, bis sie vollkommen außer Atem wieder im Unterschlupf ankam. Das Gefühl war abgeklungen, aber irgendetwas sagte ihr, dass es wiederkommen würde und ihr Herz raste wieder, mehr als es üblich war.
Ob der verwirrten Blicke der anderen Spatzenkinder, als sie vollkommen gehetzt den Unterschlupf betrat, erwidert sie lediglich, dass sie mal wieder vor einer der Milizen flüchten musste. Nichts Außergewöhnliches und so fragte auch keiner genauer nach, vielleicht floh Aastha aber auch einfach zu schnell in die Schlafkammer, als dass jemand noch genauer hätte nachfragen können.

Auch in den kommenden Tagen ereignete sich nichts, sie fühlte sich weiterhin verfolgt, sie wurde jede Nacht von Albträumen besucht und dieses unerklärliche, gierige und hasserfüllte Gefühl kroch immer wieder in ihr hinauf. Keiner schien etwas zu bemerken... außer Calen, oder er war nur der einzige, der sich traute Aastha zu fragen. Der Bursche kannte die Schwarzhaarige mittlerweile gut genug, zu oft war er mit ihr zusammen unterwegs gewesen, zu oft hatte er ihr eigentlich eher ruppiges Gemüt am eigenen Leib kennenlernen müssen. -Ihm- fiel etwas auf.

» Aastha, bis du dir sicher, es ist alles in Ordnung? «

Ein vorsichtiger Unterton schwang in der Stimme von Calen mit, als wüsste er darum, dass die Schwarzhaarige gerne die Geduld verlor. Aastha jedoch atmete nur tief durch und versuchte ein kleines Lächeln aufzusetzen.

» Die letzte Zeit war nur ein wenig anstrengend. «

Erwidert sie mit einem sanften Abwinken der Hand und Calen legte den Kopf sacht schief, während das himmelblaue Augenpaar auf der Schwarzhaarigen ruhte. Schließlich folgte ein träges, wenn auch wenig überzeugt wirkendes Nicken. Man sah ihm an, dass mehr auf seiner Zunge lag und er sich schlicht zurückhielt, sie nicht mit Fragen zu löchern.

» Das sieht man dir an. Du weißt... du kannst mit mir reden, ja?«

Die Stirn krausend beobachtete sie, wie Calen ihr ein entschuldigendes Lächeln schenkte und sich dann wieder zu den anderen Spatzenkindern gesellte, die sich einem der Kartenspiele als Zeitvertreib gewidmet hatten. Die Stimmung war seit dem erfolgreichen Einbruch äußerst gelassen und das Lachen und die muntere Rufe erklangen öfters durch die verwinkelten Wege des Unterschlupfs. Aastha nahm daran nicht teil. Sie selber zog sich zurück, kehrte in die Badekammer ein, um dort vor dem teils gerissenen Spiegel sich selber zu betrachten. Eigentlich sah sie aus wie immer. Ein schmales Gesicht, vielleicht ein wenig blasser als sonst, rabenschwarzes Haar, ein wenig zerzaust und wenig gut gepflegt und dunkelbraune Augen, die im schummrigen Licht der Kammer wie schwarz wirkten. Das einzige, was sich als neues, prägnantes Merkmal über die letzten Tage eingeschlichen hatte, waren deutliche Augenringe, die ihr, mit der blassen Haut, tatsächlich keinen besonders gesunden Ausdruck verliehen. Etwas passierte, aber sie wusste nicht, was es war. Das Verlangen, das Flüstern im Schatten, als würde sie beobachtet werden und ab und an das verdächtige Schnabelklappern, ohne dass sie jedoch einen Vogel sehen konnte.

In dieser Nacht jedoch, würde sich das Blatt wenden, nur wusste keiner der Spatzenkinder, noch Aastha davon, was sich bald in ihrem Unterschlupf ereignen würde.
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Aastha Isabella Accrusius
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Re: Auf schwarzen Schwingen

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~•~

"Sein Aug' ist glüh', blass sein Gesicht,
Sie sah ihn all' ihr Lebtag nicht,
Er blitzt sie an, und schenket ein,
Und spricht: »Heut Nacht noch bist du mein.

Ich bin ein stürmischer Gesell',
Ich wähle rasch und freie schnell,
Ich bin der Bräut'gam, du die Braut,
Und bin der Priester, der uns traut.«"

Theodor Fontane

~•~

Aus dem Schatten heraus

Über eine Woche war vergangen, seitdem Aastha den Pakt mit dem Rabendämon geschlossen hatte, dessen Name sie nicht mal kannte und über dessen Preis sie sich nicht bewusst war. Über einen Wochenlauf, in dem sie jede Nacht den Albträumen erlag, ein Wochenlauf, in dem sie sich verfolgt fühlte. Ein Klappern im Schatten, ein Kichern im Augenwinkeln - ein Wochenlauf, ohne dass sie wusste, was diese Macht sein sollte, die sie als ‘Belohnung’ erhalten hatte. Sie fühlte nichts, nur Müdigkeit. Ewig anhaltende Müdigkeit und quellenden Zorn in ihrer Brust, darüber, dass ihr nicht offenbart wurde, was ihr geschenkt worden war. Immer wieder kroch das Verlangen ein Leben zu nehmen ihre Kehle hinauf, immer wieder bekämpfte sie diesen Drang.

Wie jede Nacht legte sie sich in dieser auf ihr Lager nieder, ein paar Decken, alte Kissen und Felle, wie es bei fast jedem Spatzenkind der Fall war. Sie war es gewohnt, ein richtiges Bett hatte sie noch nie in ihrem Leben besessen, geschweige den in einem geschlafen. Sie lauschte den regelmäßigen Atemzügen von Calen an ihrer linken Seite, dessen Lager kaum einen Schritt entfernt lag. Rechts von ihr befand sich das alte, graue und teilweise löchrige Gemäuer, sie hatte es seit je her vorgezogen ihre Sitz- und Ruhepositionen so zu wählen, dass sie eventuelle Fluchtwege im Auge behalten konnte. Durch die bleierne Müdigkeit hatte sie keine Probleme in den Schlaf zu sinken und mit ihrem Schlaf, lag die gesamte Kammer nun in vollkommener Ruhe. Knapp zwei Dutzend Spatzenkinder schliefen hier, in bedrohlicher Ahnungslosigkeit.

~•~

Lautlos glitt Taleron durch die Dunkelheit, kaum mehr als ein Schatten seiner selbst. Er hatte lang genug gewartet, lange genug aus dem Schatten heraus beobachtet - er war sich inzwischen sicher, dass die junge Frau, die sein Amulett gestohlen hatte, den Pakt mit Cha’ckal eingegangen war. Aastha, so wurde sie gerufen, er war in der letzten Woche ständig in ihrer Nähe gewesen, seine Natur machte es ihm dies möglich, ohne dass sie es vermutlich mitbekommen hatte. Alles lief, wie er es sich ausgemalt hatte und jetzt blieb ihm nur noch sie von ihrer Bande zu trennen. In der Dunkelheit der Schlafkammer lauerte er, lauschte den Herzschlägen der Menschen - es würde ein Festmahl werden. Geräuschlos erreichte er das Schlaflager Aasthas und mit der schattenhaften Hand nach ihrem Gesicht zu greifen. Leise gezischte Silben, wie ein Raunen im Wind, später und er konnte sich sicher sein, dass nichts die junge Frau aufwecken würde. Langsam dreht er sich den restlichen, schlafenden Spatzenkindern zu und begann…

~•~

Wie jede Nacht war ihr Schlaf von einem absurden Albtraum begleitet, der sich unfassbar realitätsnah anfühlte. Ein Wirbelwind aus qualvollen Schreien der anderen Spatzenkindern, gepaart mit Bildnissen von roten und weißen Augen, auf dem Hintergrund weitläufiger, blutig-schwarzer Landschaften. Entsprechend müde und geschafft fühlte sie sich, als sie in den frühen Morgenstunden erwachte. Doch war sie wirklich wach? Nach den ersten blinzelnden Momenten starrte sie auf die blutige Schlafkammer, die sich vor ihr ausbreitete und sogleich begann ihr Herz vor Panik zu rasen. Der Ausdruck der leblosen, nun eiskalten blauen Augen Calens, der seine Hand noch in ihre Richtung ausgestreckt hatte, brannte sich förmlich in ihr ein. Hektisch robbte sie enger an die Wand, drückte sich mit dem Rücken an diese, während sie die Schlafkammer sondierte. Soweit sie in ihrem Zustand beurteilen konnte, waren die meisten Spatzenkinder im Schlaf gestorben, kaum eines war entfernt von seinem Lager, sie alle trugen tiefe Schnittwunden, wie von Klauen, vorwiegend an den Kehlen angesiedelt. Ein paar wenige schienen auf dem Weg zum Ausgang verendet.

Übelkeit drückte sich ihre Kehle hinauf und Aastha musste all ihre Beherrschung aufbringen, um sich beim Anblick des Massakers nicht zu übergeben. Hektisch raffte sie sich auf, um die anderen Kammern und Gänge des Unterschlupfs zu überprüfen - doch überall war es das Gleiche. Jeder, der die Nacht das Unglück hatte im Unterschlupf zu sein, schien dem unbekannten Jäger zu Opfer gefallen zu sein. Selbst Enrico hatte es erwischt, sowie einige Rattenkinder. Diese Mischung aus Übelkeit und Panik hatte weiterhin ihr rasenden Herz im Griff und sie brauchte eine kleine Ewigkeit sich wieder zu fassen.

» Du solltest fliehen, mhm? Vielleicht ist -er- noch da? «

Die Stimme, die aus dem Nichts kam, ließ sie zusammenschrecken und ohne dass sie in diesem Moment hinterfragte, woher sie herkam, packte sie das wenige, was sie besaß, um aus dem Unterschlupf zu flüchten. Hatte sie zu sich selber gesprochen? War es ein laut ausgesprochener Gedanke? War es ihr Unterbewusstsein gewesen? Wurde sie nun langsam verrückt? Fragen über Fragen, auf die sie keine Antwort wusste und panisch hetzte sie den Stadtrand entlang, bis sie weit entfernt vom Unterschlupf verharrt und am Gemäuer einer Gasse auf den Boden sackte. Das ungnädige, trübe, graue Wetter Dunkelmoors komplementierte ihre Situation und so starrte sie einfach nur in den leichten Nieselregen hinauf in den grauen, verschleierten Himmel. Ob es er Regen war, der an ihrem Gesicht hinunterlief, oder ob es tatsächlich Tränen waren, das konnte sie selber nicht beantworten - denn hier war sie wieder, am Ende, vor dem Nichts.

» Oh… nein nein, vor dem Nichts… stehst du gewiss nicht, Menschlein. «
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Aastha Isabella Accrusius
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Re: Auf schwarzen Schwingen

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~•~

"Es ist kein leerer schmeichelnder Wahn,
Erzeugt im Gehirne des Toren,
Im Herzen kündet es laut sich an:
Zu was Besserm sind wir geboren,
Und was die innere Stimme spricht,
Das täuscht die hoffende Seele nicht."

Friedrich von Schiller

~•~

Ein kleiner Stein in einem langen Weg

» Du siehst so aus, als könntest du Hilfe gebrauchen. «

Sie wusste nicht, wie viel Zeit sie hier in der Gasse verbracht hatte, ihr Körper noch vor Schreck und Kummer halb erstarrt, fühlte sie mittlerweile auch die Kälte des Moores auf ihrer Haut und in ihren Knochen. Als bräuchte sie schlicht ihre Zeit, um zu verstehen, dass sie wieder allein war, dass sie wieder nicht wusste, was kommen würde und dass sie wieder am Anfang stand. Die Worte des Mannes rissen sie aus ihren trüben Gedanken und orientierungslos, blinzelnd vor all der Feuchtigkeit schaute sie hinauf. Sie blickte in ein unbekanntes Gesicht, eines schon recht alten Mannes. Falten, die von Lebenserfahrung zeugten, zogen sich durch die Mimik, welche bedeckt wurde von ergrautem dunklem Haar. Sie antwortete nicht, sondern beobachtet den Mann lediglich mit einem argwöhnischen Ausdruck im dunklen, mandelförmigen Augenpaar. Ihr Ausdruck führte beim Unbekannten jedoch nur zu einem gutmütigen Lächeln, welches Aastha nur noch mehr abschreckte.

» Du brauchst keine Angst haben, ich helfe jungen Leuten wie dir, zu lernen, mit ihrer Gabe umzugehen. «

Der argwöhnische Funke in ihrem Inneren wurde von seinen Worten nur noch genährt, auch wenn eine undefinierbare Neugierde sich hinzumischte. Sie hatte keine Ahnung, von was für einer Gabe er sprach.

» Was für eine Gabe…? «

Die Worte drangen ein wenig zitternd über ihre Lippen, der Regen und die Kälte des nahenden Winters hatte sich über die letzten Stunden erbarmungslos in ihren Leib vergraben.

» Du hast einen Pakt geschlossen, nicht wahr? Und dafür Macht verlangt, ich möchte dir zeigen, wie du diese Macht nutzen kannst. «

Sie drückte sich instinktiv ein wenig enger an das Gemäuer der Gasse. Die Tatsache, dass dieser Fremde über alles Bescheid zu wissen schien, näherte nur ihr Misstrauen ihm gegenüber. Aber trotz allem, war da auch ein sonderbares Gefühl in ihrer Brust, ein stummer Wille, ein unbekanntes Drücken und Zerren, als würde etwas in ihr drin sie zu diesem Mann schieben wollen. Sie machte sich keine Gedanken darüber, warum er gerade -jetzt- auftauchte, nachdem die Spatzenkinder in diesem Teil der Stadt ausgelöscht wurden. Ihre Gefühlswelt war weiterhin ein reines Chaos aus Verzweiflung, Verwirrung und dem Drang irgendwo Halt zu finden.

» Welche Macht…? «

Der Alte lächelte nur weiterhin gutmütiger Natur und reichte ihr die Hand, die Aastha jedoch nicht annahm. Sie rappelte sich alleine auf und hielt weiterhin einen gewissen Abstand zu ihm - vertrauten tat sie ihm nicht, aber vielleicht konnte sie von ihm profitieren. Als würde es ihn nicht kümmern, verschränkte er seine Hände wieder hinter seinen, in einem weiten wetterdichten Mantel gekleideten, Leib, während er die junge, misstrauische Frau beobachtete.

» Wie wäre es, wenn wir erst einmal an einen warmen, trockenen Ort einkehren? «

» Nein. Ich folge dir nicht einfach so. «


Die Worte drangen schroff über ihre Lippen, sie sah keinen Sinn darin, ihr Misstrauen ihm gegenüber zu verbergen. Ihre Worte resultieren in einem kleinen Seufzen und der Mann drückte den Rücken unter einem anschließenden Brummeln durch.

» Der Lord erfüllt dir zwar deinen Wunsch, aber niemals so, wie man es erwartet. Er hat dir Potenzial geschenkt, mächtig zu werden. Was du nun daraus macht, obliegt jedoch dir. Es obliegt dir, zu lernen, wie du die Gabe der Magie anwendest und es liegt an dir selber, ob du in der Lage bist, die Seelen einzusammeln, die er von dir fordert, damit diese Gabe weiter steigt. «

Unzufriedenheit kroch in ihr hinauf, gepaart mit Ärger, welcher sich langsam quälend durch ihre Kehle drückte. Doch schließlich drangen die ersten neugierigen Fragen über ihre Lippen, leicht zitternden Untertones, als müsste sie ihre Wut mühselig in Zaun halten.

» Der Lord? Was hat es mit der Elster auf sich? Wie wende ich Magie an? «

» Lord Cha’ckal, der Seelenfänger, dem du vermutlich bereitwillig deine Seele im Austausch für Macht gegeben hast. Hast du noch keine Stimme bisher vernommen? Kein Klappern, kein Rascheln oder Schaben? Das wirst du von mir lernen. «


Beantwortete der Mann bereitwillig und stoisch ihre Fragen, während sein etwas müde wirkendes Augenpaar auf ihr ruhte. Aastha erwiderte den Blick fest, als würde sie versuchen durch ihr Starren irgendwie hinter die Bedeutung seiner Worte zu schauen, wenn es dort welche geben würde. Eigentlich sollte sich alles in ihr dagegen sträuben, dem Fremden zu folgen, aber…

» Schschsch du solltest mit ihm gehen, du glaubst doch nicht ernsthaft, dass du alleine dazu in der Lage bist, mit dem Geschenk des Lords umzugehen? «

Sie zuckte erschrocken zusammen, als diese unbekannte, schnarrende Stimme wieder aus dem Nichts erklang - die Stimme, von der sie im Unterschlupf noch gedacht hatte, es wäre ihr Unterbewusstsein gewesen. Orientierungslos sah sie sich in der Gasse um, doch sie sah nur den Mann, der sie aufmerksam und nun mit einem wissenden Lächeln betrachtete. Langsam dämmerte es ihr. Die Elster. Die Elster, die ein Teil von ihr war. Das Wesen mit den rot glühenden Augen. Mit einem kleinen Zittern legte sie die Hand auf ihre Brust, dort, wo die Elster aus ihrem Brustkorb geschaut hatte.

» Dachte ich es mir. Dann wollen wir mal ins Warme und Trockene, mhm? Mein Name ist übrigens Rasheem und keine Sorge, mir würde nicht einmal im Traum einfallen, einen Diener des Lords zu schaden. «

Als er ‘Traum’ aussprach, tat er das irgendwie mit einem mehr amüsierten Unterton und Aastha starrte ihn regungslos an, während er sich umdrehte, als würde er erwarten, dass sie ihm folgte. Sie harrte jedoch einen Moment aus, ehe sie sich sehr träge in Bewegung setzte. Die Finger ihrer rechten Hand schlangen sich fast schon verkrampft um ihren linken Unterarm, dort wo sie das alte, eingestochene Hautbild der Spatzenkinder förmlich brennen spürte. Als wäre es ein Mahnmal, das sie erinnern würde. Vorsichtig, als würde sie ihm weiterhin nicht trauen, folgte sie ihm letztendlich - aber was anderes blieb ihr vermutlich auch gar nicht übrig

~•~

Taleron, in der Gestalt von Rasheem jedoch, lächelte innerlich, denn er hatte erreicht, was er erreichen wollte. Nicht alles, was er Aastha erzählt hatte, entsprang der Wahrheit, aber das musste die Schwarzhaarige nicht wissen. Vielleicht würde sie das Mittel werden, was er brauchte. Wichtig war nun nur, dass er sie formte, sie lehrte und sie keinen Verdacht schöpfte.
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Aastha Isabella Accrusius
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Re: Auf schwarzen Schwingen

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~•~

"Ruh aus von deinem Tagewerke
am Abend, wenn du müde bist.
Du hast es nötig, aber merke,
daß es zur Vorbereitung ist.
Erhole dich von deinen Sorgen,
doch schlafe ohne sie nicht ein;
vielleicht hast du am nächsten Morgen
schon keine Zeit mehr, müd zu sein."

Karl May

~•~

Die Zeit der Lehre

Die nächsten Mondläufe verbrachte sie mit gemischten Gefühlen, denn bis auf den eigenartigen Zeitpunkt und seinem sehr fundierten Wissen bot ihr Rasheem keinerlei Grundlage, um ihn zu misstrauen. Aber dennoch tat sie es, noch nach Monaten. Sie wurde zwar ein wenig umgänglicher und freundlicher ihm gegenüber, aber sie behielt stets im Hinterkopf, dass sie weder ihm noch jemanden anderen wieder vertrauen würde. Man könnte ihren Umgang vermutlich als fröstelnde Höflichkeit beschreiben, als wäre da stets eine Grunddistanz zwischen ihr und ihrem Mitmenschen, in diesem Fall Rasheem, vorhanden.
Dennoch lebte sie nach anfänglichen Sträuben bei diesem alten, merkwürdigen Mann, denn er hatte ein Häuschen nahe dem Zentrum Moorheims, wo der belebte Markt war, auf welchem sie als Kind so viel Zeit verbracht hatte. Das war besser als auf der Straße zu bleiben, vor allem wo der Winter einbrach und jener war erbarmungslos in diesen Gefilden.

Der alte Magier schien nicht arm zu sein, aber auch nicht reich - alles, was er besaß und wie sein Heim auf Aastha wirkte, machte einen mittelständigen Eindruck. Was für die Verhältnisse der jungen Frau weit über dem Durchschnitt lag, den sie selber jemals erfahren durfte. Zudem verriet eine alte Schneiderkammer, dass er wohl auch in dieser Hinsicht geschult war, doch gab er an, seine alten Finger würden nicht mehr gut mit Nadel und Faden zurechtkommen. Etwas, was sie auch lernen müsste, denn er würde ihr nicht gänzlich umsonst alles beibringen und es gab nun immerhin auch eine Person mehr in diesem Haus zu ernähren.

Die junge Frau hatte dafür ihr eigenes Zimmer bekommen und zum ersten Mal in ihren 18 oder 19 Lebensjahren, das wusste sie nicht mehr genau, war sie im “Besitz” eines eigenen Bettes. Dieses Bett war so merkwürdig weich, dass sie jedoch beschloss, stets davor auf dem Boden zu schlafen, denn es fehlte ihr der Kontakt zum Boden, etwas Stabiles unter ihrem Körper - bei dem Bett dachte sie ständig, sie würde darin versinken. Ihr Schlaf besserte sich zudem, denn nach den ersten Mondläufen wurden die Albträume seltener und irgendwann waren es nur noch zwei bis drei in einem Wochenlauf, die sie zu ertragen hatte.

Sie lernte von Rasheem, dass die Albträume von der Elster kommen würde, wohl eine Art wie der Dämon sich in ihrem Inneren ernährte. Ein notwendiges Übel, eine Eigenart dieser Wesen, egal ob sie frei oder gebunden waren. Die Augenringe blieben jedoch, als wäre sie ein fester Bestandteil ihrer immer blasser werdenden Mimik.
“Besessenheit geht niemals spurlos vorbei.”
So sagte Rasheem ihr eines Abends, als sie ein Stückchen Verletzbarkeit zeigte, in dem sie ihre äußere Erscheinung ansprach. In diesem Moment wogen die Nachteile für sie schwerer, als die Vorteile. Nicht weil sie eitel war, ganz und gar nicht, eher weil sie die Vorteile noch nicht sah, die es ihr bringen könnte. Würde ihre Macht wirklich groß genug werden, dass es die Müdigkeit, die Albträume, das Schnarren in ihrem Kopf und die quellenden Gefühle ausgleichen konnte? Darüber, dass sie verpflichtet wurde Leben zu nehmen, machte sie sich in diesem Moment noch keinen Kopf - vielleicht auch, weil ein Leben, zumindest ein für sie fremdes, für sie niemals irgendwie von Wert gewesen war.
Die Trauer über den Verlust ihrer Spatzenfamilie klammerte sich noch lange an ihr fest, so wie auch die Bilder des Massakers Teil ihrer Albträume waren. So schnell würde sie es nicht vergessen.

Vom Alten lehrte sie über die Mondläufe die Bedeutung der Wörter der Macht und die dazugehörigen Runen, noch eine neue Notwendigkeit in ihrem Leben, denn ohne jene, wäre sie nicht in der Lage ihre Magie oder auch ihren Willen in jener zu manifestieren. Auch zeigte er ihr die einzelnen Reagenzien, was sie bewirken, wo sie jene finden oder erwerben könnte und was eine mögliche Verarbeitung für jene war. Ein paar der Reagenzien konnte man in Dunkelmoor zahlreich finden, war die Sumpf- und Moorlandschaft hier doch vorherrschend. Für andere Zutaten blieb nur der örtliche Alchemist übrig, der einiges an Goldtaler für ein paar Phiolen geriebenen schwarze Perlen verlangte.

Rasheem verlangte ab einem gewissen Punkt von ihr, dass sie sich selber um ihre Reagenzien kümmerte und so war Aasthas erste Idee wieder den Weg einer Ratte zu wählen, doch der Alte kam ihr zuvor. Als hätte er um den Gedankengang gewusst, forderte er von ihr ein, dass sie auf ‘ehrlichen’ Weg ihr Gold erarbeitete und im gleichen Atemzug kam der Umgang mit Nadel und Faden wieder auf den Tisch - etwas vor dem Aastha sich anfangs noch drücken konnte.
Es wäre nicht nur eine hervorragende Geduldsarbeit, sondern auch wäre die damit zu erworbene Fingerfertigkeit sicherlich mal wichtig für Aastha. Sollte sie jemals verbergen wollen, dass sie eine Magierin war, was er ihr, aus ihr unbekannten Gründen empfahl, dann wäre es zudem auch eine simple Tarnung, die sie offen tragen konnte.
Die Schwarzhaarige sträubte und wehrte sich dagegen, doch letztendlich gab sie nach. Sie musste die Tage sowieso mit irgendeiner Beschäftigung füllen und nach den ersten Versuchen stellte sich das Schneiderhandwerk als gar nicht so schlecht heraus. Es war zumindest eine willkommene Abwechslung gegenüber den alten staubigen Wälzern, die Rasheem ihr vor die Nase legte.

All diese neuen Dinge zu lernen, beschäftigte ihr unruhiges und beschädigtes Herz für einige Mondläufe. Es war interessant, es war sicherlich auch spannend und doch brauchte es nur einen Albtraum, in dem sie das kalte, gefühllose Antlitz ihres Bruders sah, damit sie an das erinnert wurde, was sie eigentlich vorhatte. Lucianus. Sie würde nicht vergessen und sie würden ihn finden. An einem der Tage, wo sie ein wenig mehr Zeit für sich hatte, machte sie sich auf, durch Moorheim, mit einem ganz bestimmten Ziel. Sie musste eines der Häuser der Katze aufsuchen, den dritten Arm der ganzen Organisation, zu dem auch die Spatzen und die Ratten gehörten. Vielleicht würde sie dort an die nötigen Informationen kommen, auch wenn sie sich selber immer von den "Samtpfoten" ferngehalten hatte. Ihre Dienstleistungen waren ihr immer schon zuwider gewesen, aber es sollte nicht schaden, die Kontakte wieder aufzubauen und zu lauschen, wer Enrico ersetzt hatte.
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Aastha Isabella Accrusius
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"Immer das müde Lächeln,
Das mir die Seele stahl,
Immer wieder die alte,
Brennende Heimwehqual."

Helene von Tiedemann

~•~

Die Samtpfoten

Insgesamt gab es zwei Häuser in Dunkelmoor, wo man sich sicher sein konnte, dass sie in der Hand der "Katze" waren. Eines eher unscheinbar in der Hafenstadt gelegen, mehr eine schmierige Spelunke für kleines Geld, das andere, hochwertiger und edler, am Stadtrand Moorheims. Jedes Mitglied der Bande, egal ob Ratte oder Spatz, wusste um die Bedeutung der Samtpfoten und dass sie für einige Goldmünzen die Herzen der Männer höher schlagen ließen.
Aus menschlichen Verlangen, Instinkten oder schlicht aus Einsamkeit, konnte man schon immer gutes Gold verdienen und so war es nicht verwunderlich, dass der unbekannte Kopf der ganzen Organisation auch hier seine Finger im Spiel hatte. Die Häuser von Naomie, die das Bindeglied darstellte, so wie Enrico es für die Spatzen gewesen war, hatten jedoch nicht nur diese Aufgabe zu bewältigen. Die Häuser der “Katze” waren auch die Umschlagplätze für Informationen und Diebesgut, sie waren gut vernetzt und es gab ausgewählte Mitglieder, die dort ein- und ausgehen durften. Natürlich verborgen vor der Öffentlichkeit, es war der Kundschaft nicht zuträglich, würde man Straßenkinder kommen und gehen sehen.

Aastha selbst konnte die Momente eher an der Hand abzählen, in welchen sie jemals Kontakt mit einer der Katzen gehabt hatte und das war ihr auch nur recht so. Diese Seite der Organisation, der Bande, war ihr schon immer zuwider gewesen. Sie konnte einfach die ‘Dienstleistungen’ der Mädchen dort nicht nachvollziehen - musste sie am Ende des Tages jedoch auch nicht für das, was sie von diesen wollte. Denn eines war sicher, die Samtpfoten bekamen so einiges mit, über alle gesellschaftlichen Schichten hinweg, teilweise gar bis in weit entfernte Lande, denn gerade Reisende kehrten am Hafen gerne in die Spelunke Naomies ein und erzählten dort den Klatsch und Tratsch von Übersee.

Nach einem halben Jahreslauf Lehre und Folgsamkeit bei Rasheem war die Zeit gekommen, in der Lucianus verzerrtes Gesicht in einem Albtraum sie zurück in die Realität riss. Sie hatte sich zum Glück durch ihren Gehorsam und schlicht dadurch, dass sie wohl eine gute Schülerin war, gewisse Freiheiten erarbeitet. In den Abendstunden, wenn der letzte Schneiderauftrag erledigt, die Stube sauber und alle magischen Abhandlungen abgearbeitet waren, durfte sie sich ihre Zeit frei gestalten. Der Alte schien dabei lediglich die Vorgabe zu haben, dass sie vor der Mitte der Nacht zurück sein sollte und sie sichergehen sollte, die Arbeiten am nächsten Tag nicht zu vernachlässigen. Aastha selber hatte aufgehört, sich über Rasheem Gedanken zu machen. Er war ein alter, merkwürdiger Kauz, der gerne für sich blieb - vermutlich hinterfragte sie deswegen kaum etwas, was er tat. Er war einfach alt. Alte Menschen waren nun einmal merkwürdig und Magier, wie sie es gelernt hatte, sowieso.

An diesem Abend führte ihr Weg sie am Stadtrand entlang, mit dem klaren Ziel vor Augen eines der Häuser von Naomie aufzusuchen. Es war eindeutig zu erkennen, selbst in der Dämmerung des Abends. Bunte Lichter schmückten die Hausfassade und schummriges Licht drang aus den verhangenen Fenstern auf die Straße hinaus. Der Eingangsbereich wirkte einladend für all die verlassenen Seelen in dieser Stadt und doch wählte Aastha einen gänzlich anderen Weg. Durch die Gasse einer Seitenstraße gelang sie schließlich hinter das Gebäude, dort wo kein “Kunde” sich normalerweise aufzuhalten hatte. Hier befand sich ein kleiner Anbau, der an den Untergrund angeschlossen war. Der Ort, an dem die Bandenkinder mit den Samtpfoten in Verbindung traten.

Sie harrte für einige Augenblicke aus, lauschte in der Dunkelheit und wartete einige Herzschläge lang noch ab, ehe sie schließlich an der Tür klopfte. Ein bestimmter Rhythmus, wie sie es damals gelernt hatte. Es dauerte etwas, doch schließlich wurde die Tür, begleitet von einem schnarrenden Geräusch, aufgezogen und skeptische haselnussbraune Augen starrten ihr entgegen. Die Braunhaarige, die ihr geöffnet hatte, trug ein langes, dunkelgrünes Kleid, welches offenkundig einen bestimmten Zweck erfüllen sollte und selbst Aastha fiel es schwer, den Blick nicht abschweifen zu lassen. Nachdem die Frau jedoch einfach nur schwieg und Aastha mit zunehmendem Misstrauen anstarrte, krempelte jene das lockere Leinenhemd an ihrem Arm empor, um das eingestochene Hautbild der Bande zu offenbaren. Der Anblick des Hautbildes lockerte die angespannte Mimik der Frau und die Tür wurde ein wenig weiter geöffnet, damit Aastha in den Anbau hinein schlüpfen konnte.

»Wir haben heute niemanden erwartet, erst Recht keinen Spatzen.«

Der Raum, den die Schwarzhaarige nun betreten konnte, erinnerte mehr an ein Lager. Unzählige Regale mit Waren, vorwiegend Alkohol und Lebensmittel, zahlreiche Fässer und Säcke schmückten die Wände und Aastha wusste, dass unter einem dieser Gegenstände die Klappe sein würde, die einen in den Untergrund brachte.

»Ich weiß… ich bin auch nicht wegen der gewöhnlichen Umstände hier.«

Offenbarte sie und der Blick verfing sich wieder auf der Samtpfote im unnötig freizügigen Kleid. Jene hatte sich mittlerweile auf einen kleinen Hocker gesetzt, die Beine locker überschlagen - den Blick weiterhin fest auf Aastha verankert. Eine Augenbraue kletterte hinauf und erneut sprang Misstrauen in die Mimik, während sie die Stimme erneut erhob:

»Mir war nicht bekannt, dass Enrico bereits ersetzt wurde.«

»Mir auch nicht.«


Gab Aastha offen zu, während sie einfach an Ort und Stelle, den Ausgang im Rücken, verharrte und die Samtpfote betrachtete. Ein kleines, mehr mildes Lächeln ruhte auf den blassen Gesichtszügen, ohne dass es an Ernst fehlte.

»Ich bin wegen dem hier, was vor einiger Zeit passiert ist. Es gibt Hinweise und ich brauche Informationen.«

Die Braunhaarige reckte das Kinn etwas an und eine gewisse Neugierde fegte den größten Anteil des Misstrauens hinweg.

»So? Wonach sollen die Katzen sich umhören?«

»Ein junger Mann, vermutlich Anfang 20. Blondhaarig, sehr hell, wenn er es nicht verändert hat. Auch einen Namen habe ich für dich, er lautet Lucianus Accrusius.«

»Lucianus Accrusius, mhm? Das sind schon recht eindeutige Hinweise, woher hast du sie?«


Das Lächeln auf Aasthas Gesichtszügen wurde nun deutlich breiter und der Kopf verlagerte sich etwas zur Seite.

»Ich würde sagen, meine Quelle mag es genauso wenig genannt zu werden, wie ihr es mögt, genannt zu werden.«

Die Augen der Samtpfote kniffen sich ein wenig zusammen, dann entwich ihr jedoch ein kleines Schnaufen - eindeutig belustigter Natur. Die langen, schlanken Finger streichelten ein paar der braunen Strähnen aus ihrem Gesicht, während sie Aastha aufmerksam betrachtete. Man merkte deutlich, dass dort eine gewisse Vorsicht herrschte, allerdings war innerhalb der Organisation immer ein gewisses Grundvertrauen vorhanden, auch über die Gruppierungen hinweg. Das eingestochene Hautbild galt als Beweis der Loyalität, als Zeichen, dass man einander vertrauen konnte - bis zu einem gewissen Maß. Und jemanden zu finden, der an der Ermordung so vieler Spatzen und Ratten beteiligt wäre, würde erst recht auf Mithilfe innerhalb der Bande treffen.

»Ich mochte Enricos Spatzen schon immer mehr als die kleinen Ratten. Also… hast du noch mehr Hinweise, auf die wir aufpassen sollen?«

»Ihr könnt davon ausgehen, dass die Person nicht mehr in Dunkelmoor verweilt, sonst hätten wir sie schon gefunden, ihre Spuren verlaufen sich am Hafen. Vermutlich hat sie das Land verlassen, es bleibt also zu hoffen, dass Neuigkeiten per Übersee eintreffen. Dieser Accrusius muss ein Magier sein, mehr weiß ich leider nicht.«

»Mhm… das könnte eine Weile dauern, wenn wir überhaupt etwas herausfinden. Aber wir werden mit erhöhter Aufmerksamkeit den Boten und Nachrichten aus fernen Ländern lauschen.«

»Mehr hätten… wir uns auch gar nicht von euch erhoffen können.«


Ein vages Zucken in den Mundwinkeln der braunhaarigen Samtpfote und damit war es beschlossen. Aastha teilte ihr mit, sie würde einmal im Mondlauf vorbeikommen, um den Neuigkeiten zu lauschen und im Gegenzug verhandelte sie darüber, die Katzen mit ein paar neuen Kleidungsstücken aus eigener Hand auszustatten. Ein zufriedenstellender, erfolgreicher Abend und so kehrte sie in den späten Abendstunden zurück nach “Hause”. Es würde nun eine ganze Weile dauern, da war sie sich sicher. Zeit, ihr “Geschenk” weiter zu verstehen, Zeit die Wunden heilen zu lassen.
Die Albträume jedoch wurden wieder häufiger, zehrender und intensiver... lange würde sie vermutlich keine Ruhe haben.
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