[Quest] L’Golhyrr

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Tlabardrar
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Re: [Quest] L’Golhyrr

Beitrag von Tlabardrar »

Das Atmen allein blieb eine Qual. Die ätzenden Nebel in der Höhle der Verdauung waren wie lebendige Wesen, die sich langsam und unaufhörlich über die Haut und durch die Fleischschichten ihrer Opfer fraßen. Ein qualvolles Ende für jeden, der das Unglück hatte, hier gefangen zu sein. Tlabardrar wusste, dass er nicht viel Zeit hatte, bevor der Nebel auch ihn verzehren würde. Seine Haut war bereits von zahlreichen Narben überzogen, Zeugnisse der hilflosen Versuche, das Gesicht vor den tödlichen Dämpfen zu schützen.
Die Ketten waren ihm abgenommen worden und er irrte, gleich den anderen Gefangenen, hilf- und ziellos umher, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, unfähig einen Ausweg zu finden.

Die Khluyrar, wie sich die einzelnen Kleriker der An’aren d’qu’lith nannten, bereiteten sich auf ein großes Opferritual vor, um ihre niederträchtige Götzengöttin zu ehren. Tlabardrar ahnte, dass dieses Ritual das Ende aller Gefangenen bedeuten könnte und lauschte den Unterredungen der Wachen, während diese über die Vorbereitungen sprachen und den noch lebenden Opfern, Drow und andere Wesenheiten des Unterreichs, keine Beachtung mehr schenkten. Er versuchte einen Namen zu erhaschen, um zumindest zu wissen, welcher Entität sein Tod dienlich sein sollte, doch es schien, als ob die An’aren d’qu’lith selbst die Nennung des großen Übels scheuten. 
Ganz langsam drang der Gedanke in sein Bewusstsein, dass das Ritual seine einzige und letzte Chance sein würde, aus diesem höllischen Gefängnis zu entkommen. Er brauchte eine Zeit lang, um diese nüchterne Tatsache in eine Handlung zu manifestieren, dann stapfte er, von einem letzten Aufbäumen des Überlebenswillens angetrieben, keuchend durch den Nebel, bis er auf eine versprengte Handvoll männlicher Drow stieß, die bereits seit mehreren Wochen hier unten waren und deren Gruppe in dieser Zeit erbarmungslos reduziert worden war.

„Wir müssen handeln und zwar schnell“, flüsterte Tlabardrar einem Mitgefangenen zu, dessen nackter Oberkörper über und über von schwärenden Wunden übersät war.

„Während des Rituals wird ihre Aufmerksamkeit geteilt sein. Das ist unsere Gelegenheit.“

„Aber wie?“, erwiderte der andere Drow in einem irritierend kläglichen Tonfall. „Wir sind ohne Waffen, ohne Hoffnung.“

Tlabardrar blickte ihn so scharf an, wie es der entzündete Blick zuließ „Ich habe einen Plan. Aber ich warne dich, es wird gefährlich. Einige von uns werden es nicht schaffen. Rufe deine Kameraden zusammen. Selbst die, die kaum noch aufrecht stehen können.“
Die Verzweiflung und Entschlossenheit in Tlabardrars Augen ließen keinen Raum für Zweifel und er erklärte den anderen seinen Plan.

Als das Ritual begann, durchzog ein Flimmern die nebelgeschwängerte Luft und ein unangenehmes Sirren und Zischeln hob an. 
Tlabardrar gab den anderen ein Zeichen und der Aufstand begann. Sie nutzten das Chaos, das durch ihre plötzliche Rebellion entstand, zu ihrem Vorteil. Tlabardrar führte eine kleine Gruppe von Gefangenen an, die sich gegen ihre Peiniger stellten. Darunter die Drow, aber auch Goblins, Orks und zwei Höhlentrolle, die durch die Übersetzungshilfe der Goblins in das Vorhaben eingebunden werden konnten. Im Durcheinander gelang es ihm, sich einem der untoten Kleriker zu nähern, der eine dunkel glänzende Klinge in der Hand hielt und soeben von gleich drei Gefangenen bedrängt wurde.
Mit einer schnellen, entschlossenen Bewegung griff Tlabardrar in den ungleichen Kampf ein und es gelang ihm, die Klinge an sich zu reißen. Einen Moment lang schien die Zeit still zu stehen. Die Augen des untoten Drow glommen auf, beinahe verblüfft wie es schien. Tlabardrar stand wie angewurzelt da, das Gewicht des Schwertes in seiner Hand eigentümlich fremd, dann übernahmen die angeschulten Reflexe. Er rammte die Waffe in den Leib des Klerikers. Ein markerschütterndes Stöhnen entwich dem Untoten, als die Klinge das Unleben aus ihm herauszusaugen begann. Der Körper des untoten Drow begann zu verschrumpeln, bis nichts weiter als eine trockene, leblose Hülle übrig blieb.
Die Kraft, die in diesem Moment aus der Klinge auf Tlabardrar überging, war überwältigend. Er fühlte, wie sich seine Muskeln mit neuer Energie füllten, spürte, wie die Glut des gerade begonnenen Überlebenskampfes zu einem Feuer entfacht wurde. Doch mit der Kraft kam auch ein tiefer, nagender Schmerz, als ob die Klinge nicht nur die Energie des Klerikers, sondern auch einen Teil seines Fluchs auf Tlabardrar übertragen hätte. Er spürte eine unbändige Lust zu töten, zu verstümmeln.
Das Schwert, ein Thalack, war nun auf einmal erstaunlich leicht in seiner Hand, schien fast einen eigenen Willen zu besitzen, ein Verlangen nach weiterem Kampf und Blutvergießen, das Tlabardrars Herz mit dem Willen erfüllte, die Klinge gegen einen noch würdigeren Gegner zu führen. Das Emblem Selvetarms, eine Spinne über zwei gekreuzten Klingen, geätzt auf dem Schwertgriff, fiel ihm erst jetzt auf.

„Was hast du getan?“, keuchte einer der Mitgefangenen, der den Vorgang aus geweiteten Augen mit angesehen hatte.
Tlabardrar blickte auf die Klinge in seiner Hand, die nun mit einem unheilvollen Licht pulsierte.
„Ich habe uns einen Ausweg verschafft. Aber dieser Weg hat offenbar seinen Preis“, antwortete er düster.

Mit dem Thalack als seiner Waffe kämpfte sich Tlabardrar durch die Reihen der Khluyrar, wobei er jeden, der sich ihm in den Weg stellte, mit einer immer weiter zunehmenden Kraft niederstreckte, gleich einem wild gewordenen Berserker. Mit jedem Schwung des Thalack fühlte er neue Kraft, die durch seine Adern floss, die Perfektion jedes Angriffs, die durch die Klinge geleitet wurde. Doch er ahnte, dass der Effekt nicht ewig lange anhalten und hohe Kosten nach sich ziehen würde. Fühlte die Klinge gar, dass sie sich nicht mehr in den Händen eines abtrünnigen Drow befand? 
Die anderen Gefangenen folgten ihm, getrieben von der Hoffnung auf Freiheit, doch nicht alle überlebten die begonnene Flucht. Tlabardrar nutzte sie ohne Zögern als Ablenkung, um den größtmöglichen Vorteil aus jeder Situation zu ziehen. Die Schreie derjenigen, die zurückblieben, hallten in seinen Ohren wider, doch er drängte sie beiseite, fokussiert auf das einzige Ziel: Überleben.
Als er schließlich aus einem verdeckten Tunnel frischere Luft wehen spürte, war er längst allein. Der Kampflärm war hinter ihm zurückgeblieben. Da war nichts als Stille. Er hatte es geschafft und das nur durch eine glückliche Fügung. Die neu gewonnene Kraft wich urplötzlich aus seinem Leib und er sackte in sich zusammen. Tlabardrar blickte zurück auf die dunkle Öffnung des Gangs, aus dem er entkommen war und wusste, dass er zwar dem physischen Gefängnis entronnen, jedoch in diesem Zustand kaum den Weg nach Sold’Orbb finden würde.
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