Die Lichtung

Rollenspielforum für Geschichten.
Antworten
Benutzeravatar
Elidor
Beiträge: 3
Registriert: 18 Jun 2019, 23:40

Die Lichtung

Beitrag von Elidor »

Es ist früh am Morgen als die Sonne nach dem nächtlichen Regen langsam über Ansilon aufsteigt. Die noch kühle, feuchte Luft weht an den Stadtmauern entlang und schlängelt sich über die Mauern in die Stadt hinein. Auf den Dächern schimmern die feuchten Ziegel im Morgenlicht. In den Straßen und Gassen unter den Dächern beginnt das tägliche Treiben und das laute Krachen schwer beladener Marktkarren hallt die durch die Stadt.

Am Stadttor blickt währenddessen eine der Torwachen, auf seiner Patrouille über die Zinnen der Mauern und streift mit seinem Blick über das Gelände außerhalb der Stadt. In weiter Ferne entdeckt er eine Gestalt die sich langsam aus Richtung Waldgrenze in Richtung Tor bewegt. Er erkennt einen Mann mit weiten Umhang und einer Kapuze die tief im Gesicht hängt. Um seinen Rücken hängt ein langer mächtiger Bogen und um seine Schulter trägt er ein paar Leinenbeutel. Bekleidet ist er in einer Mischung aus einfachem Leder und Stoffen, die allesamt in grün gedämpften Tönen gefärbt sind. Er nutzt nicht wie die anderen Besucher die Straße, sondern läuft quer über die Wiesen. Mürrisch mustert die Wache den Mann bis er das Stadttor erreicht.

Als Elidor sich durch das Tor begibt, ist es für ihn vorerst schwer sich dem Sog und dem Gedränge der einkehrenden Händler zu entziehen. Er ist kein der Mann der sich gerne von anderen hetzen lässt. Auf einer Sitzbank am Straßenrand nimmt er dann Platz und hält einen kurzen Moment inne. Seine alten Stiefel und sein langer Umhang sind klamm von der Nässe, denn er hat die Nacht in der Wildnis verbracht. Während er sich umschaut empfindet er eine gewisse Distanz zum regen Treiben. Auch die Stadtluft ist für ihn ein wenig drückend, aufgrund des vielen Rauchs der aus den Kaminen steigt. Aus einigen Fenstern wird der Unrat auf die Straße geschmissen was dem Geruch nochmal eine besondere Note verleiht. Stirnfalten legen sich über sein Gesicht bis er schließlich einmal kurz durchatmet, sich wieder aufrichtet und seinen Weg fortsetzt.

Er betritt eine kleine Hütte eher abseits des großen Marktes. Ein angenehmer Duft heißt ihn willkommen als er sie betritt. Die Hütte ist gefüllt mit Regalen und Schränken in welchen unzählige Gläser und Bündel mit verschiedensten Kräutern und Reagenzien ausgestellt sind. Eine freundliche Frauenstimme ertönt derweil aus dem Hinterzimmer. „Guten Morgen! Ich bin gleich für euch da!“
Elidor nimmt seine Kapuze und die Handschuhe ab und legt seine beiden Beutel auf den Tresen. „Grüße! Nehmt euch ruhig Zeit.“ erwidert er ebenfalls freundlich. Eine junge zierliche Frau kommt aus dem Hinterzimmer und streift sich ihre Hände an ihrer Schürze ab. Als sie Elidor erblickt zeichnet sich ein breites Grinsen über ihr Gesicht. „Elidor! Schön euch wieder zu sehen! Habt ihr die Alraunen Ableger um die ich euch gebeten habe?“ Elidor nickt zustimmend und tippt auf einen der beiden Beutel auf dem Tresen und schiebt ihn rüber. Sie nimmt den Beutel dankend entgegen und verstaut ihn kurzerhand in einer Schublade.  

„Ich bin aber noch wegen etwas anderem hier“. Seine Stimme wird ernster und wirkt fast schon etwas besorgt. Er deutet auf den anderen Beutel und öffnet ihn behutsam. „Ich habe dieses arme Wesen auf der Lichtung, unweit der Stadt gefunden.“ Langsam holt er einen toten Hasen aus dem Beutel und legt ihn vorsichtig auf den Tresen. „Ich habe ihn bereits so vorgefunden.“, meint er knapp, während er mit seinen Fingerspitzen die Augenlider des Geschöpfes öffnet. „Schaut euch seine Augen an. Sie sind blutunterlaufen und in den Ohrgängen ist auch Blut zu finden.“, er hält kurz inne ehe er weiterspricht, „Es scheint so als ob es sich hierbei…“ „Genau um dasselbe Gift handelt.“, unterbricht sie ihn zustimmend und sichtlich besorgt. Sie erzählt ihm davon, dass sie bereits einen Freund von ihr, ein erfahrener Anatom, darum gebeten hat, sich dem letzten toten Geschöpf anzunehmen und herauszufinden, woran er gestorben sei. Sie erzählt ihm davon was er entdeckt habe und wie seine Diagnose sei. Im Magen wurden Reste eines starken Giftes gefunden, was dazu führte, dass die Muskeln verkrampfen und das Herz versagt. Dieses Gift sei so hoch konzentriert, dass es in dieser Form nicht in der Natur vorkommen könnte und daher menschengemacht sein muss. Sie schaut ihn besorgt an und legt ihre Hand auf die seine. „Es tut mir Leid, dass ich so schlechte Neuigkeiten habe, Elidor. Leider lagt ihr mit eurer Vermutung richtig.“

Sichtlich bestürzt und mit ernster Miene, sein Blick weiterhin auf das Geschöpf ruhend, nickt er sachte. „Es muss ein schmerzhafter Tod gewesen sein.“, meint er und streicht ihm sanft über seinen Kopf. Als sie ihn dann fragt, was er nun vorhabe, packt er den Hasen behutsam wieder in den Beutel und verschnürt ihn fest. „Ich werde ihn verbrennen müssen. Ich kann es nicht verantworten, dass er gefunden und gefressen wird und dabei vielleicht ein weiteres Geschöpf umkommt.“ Er begibt sich in Richtung Ausgang und während er sich seine Handschuhe anzieht, schaut er noch einmal zurück und spricht zu ihr mit ernster Stimme: „Und dann kümmere ich mich um denjenigen, der das zu verantworten hat.“, und verlässt die Hütte zügig.


Es sind nun mittlerweile zwei Tage vergangen.

Zwei Tage in denen sich Elidor am Rande der Lichtung auf die Lauer gelegt hat. Er ist geübt darin sich den Blicken anderer zu entziehen, daher wird es schwer sein ihn zu entdecken. Als dann am dritten Tag, die Nacht beginnt der Sonne zu weichen und die Vögel längst erwachten, hört er auf der anderen Seite der Lichtung Schritte. Schwer stapfen sie durch das Dickicht und zerdrücken alle Zweigen und Äste unter ihnen. Als sie sich immer weiter nähern, entdeckt Elidor zwei Umrisse die aus den Büschen auf die Lichtung treten. Er macht zwei Gestalten eher unscheinbaren Auftretens aus. Der eine, ein jüngerer Bursche und recht groß gewachsen, der andere ein eher dickerer älterer Mann mit einer verschlissenen Schürze um den Wanst. Beide laufen weiter in seine Richtung, aber zielgerichtet auf eine Esche, die einsam auf der Wiese steht. Jede Bewegung die sie machen wird von nun an wachsam und im Verborgenen von ihm beobachtet.

Mittlerweile sind sie nah genug dran, dass Elidor ihrem Gespräch lauschen kann. Sie diskutieren miteinander. Der Junge fragt den Alten warum sie hier sind, woraufhin er ihn, mit zorniger Gestik, anschreit: „Wie oft willst du das noch wissen, Junge?! Ich hab dir schon gesagt, dass du von nun an den Köder auslegen musst. Ich habe dafür keine Zeit mehr, verstanden? Und damit du keinen Mist baust zeige ich dir wie und wo man den Köder am besten auslegt! Oder weigerst du dich?!“ Ohne eine Antwort zu erwarten, holt einen Beutel hervor und bereitet den Inhalt unter dem Baum zu einen kleinen Haufen auf und holt dann ein kleines Fläschchen heraus. Vorsichtig öffnet er den Verschluss. „Das Zeug ist komplett geruchs- und geschmackslos, Junge. Die können das Zeugs kein bisschen wittern.“, meint er mit rauchiger Stimme, während er ein paar Schlücke auf den Köder kippt. „Das sollte reichen, Junge. Hast du gut zugesehen?!“, der Junge nickt stumm. „Dieses Mal habe ich dem Trankmischer gesagt er soll die Wirkung erhöhen. Davon sollte jetzt sogar ein ausgewachsener Hirsch umkippen!“, meint er stolz, bevor sein kehliges Lachen lautstark erschallt, woraufhin der Junge nur ängstlich zusammenzuckt.

In Elidor, der mittlerweile alles genauestens beobachtet hat, baut sich derweil eine unbändige Wut auf. Sein Herz rast und es fällt ihm schwer seine Atmung zu kontrollieren. Er schleicht sich unbemerkt unter eine große Tanne mit weiten Ästen, in eine bessere Position in der der Alte nun zwischen ihm und der Esche steht. Als der Alte sich wieder erhebt und es den Anschein macht, dass beide sich auf den Rückweg machen wollen, hat er keine Zeit zu verlieren. Er holt er langsam einen Pfeil aus seinem Köcher und legt in auf die Sehne. Er richtet sich langsam im Schutz der Schatten auf und nimmt seinen Bogen in Anschlag. Sein Ziel ist weit entfernt, aber fest im Blick. Die Sehne knarzt angestrengt als er sie spannt, denn er muss seine gesamte Kraft in diesen Schuss stecken. Er atmet langsam aus und lässt die Sehne genau im richtigen Moment aus den Fingern gleiten, woraufhin sie den Pfeil mit einer ungeheuren Wucht nach vorne katapultieren lässt.

Der Pfeil fliegt gute 200 Fuss durch die Luft bevor er den Unterschenkel des Älteren durchschlägt und sich dann mit all seiner Kraft in den Baum dahinter eintreibt. Ein schriller schmerzverzerrter Schrei hallt durch den Wald. Der Alte fässt sich schockiert an sein Bein und versucht sich verzweifelt zu lösen, doch sein Bein ist wie festgenagelt am Baum. Der Junge steht wie versteinert da. Elidor kommt mit seinem gespannten Bogen im Anschlag aus den Schatten getreten und läuft zielgerichtet auf beide zu. Der Junge erblickt ihn und die Angst breitet sich bis in seine Knochen aus, denn für ihn wirkt er wie ein dunkler unheimlicher Schatten der sich aus dem Nichts geformt zu haben scheint. Dann nimmt der Bursche schlagartig die Beine in die Hand und flieht so schnell es geht.

Elidor war es recht. Er wollte dem Jungen sowieso nichts antun, denn der Mann war sein Ziel, der Verantwortliche den er nun so lange gesucht hat. Er läuft weiter mit dem gespannten Bogen auf den Mann zu. Dieser versucht zu fliehen aber fällt zu Boden, denn sein Bein ist noch immer mit dem Pfeil am Baum verbunden. Er reißt panisch seine Hände in die Luft und beginnt um Gnade zu winseln. Als Elidor vor ihm steht wagt er es nicht einmal ihn anzusehen. „Wer seid ihr und was macht ihr hier!“ Elidors Stimme ist laut, doch schreit er ihn nicht an. Seine Stimme durchdringt die Haut des Mannes wie ein kalter Windstoß und lässt ihn vor Angst zittern. „Sprich, Mann!“, meint er nochmal mit Nachdruck. Der Mann erklärt ihm zögerlich wer er sei, dass er ein Gerber aus der Stadt sei und wie er regelmäßig die Tiere vergifte, damit er sie nur noch ein paar Tage später tot einsammeln braucht. Somit muss er keine Jäger mehr für ihre Dienste bezahlen und steigert so billig seinen Fellbestand. Der Junge bei ihm sei sein Lehrling den er heute anweisen wolle, seine „Arbeit“ im Wald zu übernehmen. Tränen kommen aus seinen Augen gelaufen als er fortfährt. Er wisse, dass er im Unrecht sei, gesteht seine Fehler ein, entschuldigt sich abermals und beginnt weiterhin um Gnade zu winseln. „Bitte Herr, verschont mein Leben! Ich werde nie wieder einen Fuß in einen Wald setzen und nie wieder irgendjemanden Leid zufügen, ich schwöre es! Ich wusste nicht, dass die Waldläufer diesen Wald beschützen, ich wusste es nicht!“

Als Elidor das hörte senkt er seinen Bogen und entspannt die Sehne wieder. Nicht nur weil das Eingeständnis des Mannes ihm Genugtuung gebracht hat, sondern dass er als Waldläufer bezeichnet wurde. Sichtlich überrascht hält er kurz inne ehe er den Gedanken vorerst abschüttelt und sich dem Mann wieder zuwendet. Bedrohlich steht er nun über ihm und blickt auf ihn nieder. Seine Hand wandert langsam zu seinem Dolch, welchen er mit einem Ruck aus der Scheide zieht. Der Atem des Mannes bleibt stehen beim Anblick der scharfen Klinge und er versucht sich panisch vom Pfeil zu befreien. Elidor deutet mit der Klinge auf ihn und seine kalte, bedrohliche Stimme, weist ihn an stillzuhalten. „Lasst das euch eine Lehre sein. Geht wieder nach Hause und verkündet jedem, der den Wald und seine Geschöpfe ausbeuten oder schaden will, dass diese von nun an beschützt werden.“, meint Elidor mit strengem Ton, woraufhin der Mann nur stumm nicken kann.

Er geht auf ihn zu und setzt seinen Dolch auf den Pfeilschaft, zwischen dem Baum und dem Bein des Mannes, an. Er stützt sein Knie und sein ganzes Körpergewicht auf die Klinge und mit einem kräftigen Ruck bricht der Schaft. Nach einem kurzen schmerzhaften Schrei, realisiert der Mann, dass er soeben vom Baum befreit wurde. Er schafft es mühselig sich aufzurichten und schaut demütig vor Elidor auf den Boden, so als würde er seinen nächsten Befehl abwarten. Elidor zeigt mit seinem Dolch in die Richtung aus der die beiden gekommen sind. „Ihr werdet diesen Wald nun verlassen, euer Gift lasst ihr hier. Der Pfeil hat keinen eurer Knochen getroffen und bis zur Stadt werdet ihr auch nicht verbluten, solange ihr ihn stecken lasst. Und wisset, dass ich euch beobachte.“ Stumm nickt der Mann abermals bevor er das Fläschchen rausholt und auf den Boden legt, sich dann umdreht und hastig davonhumpelt.

Als der Mann außer Sichtweite ist, steckt Elidor den vergifteten Köder und das Fläschchen in einen Beutel und verstaut ihn. Dann nimmt er unter der Esche Platz und versucht zur Ruhe zu kommen und seine Gedanken zu sortieren. War er zu hart zu dem Mann? Oder war er zu nachsichtig? Hätte er ihm doch noch sein eigenes Gift einflößen sollen? Er schüttelt den Gedanken ab und kommt an die Stelle an der er Waldläufer bezeichnet wurde. Noch wie zuvor wurde er so genannt oder hat sich gar selbst als einer gesehen. Er versucht sich an die Geschichten über die Männer und Frauen, welche in den Wäldern lebten und ihn stets zu beschützen wussten, zu erinnern. Gibt es überhaupt noch welche von ihnen? Und wenn ja, wo sind sie hin? Ist er selbst einer von ihnen und hat es bis heute nie bemerkt? Auf alle diese Fragen findet er keine Antwort. Er weiß nur, dass er heute das richtige getan hat, denn wenn er nicht wäre, wer hätte dann das Leben, welches er so liebt, beschützt? Und eines weiß er von nun auch mit Entschlossenheit: Dass die Wälder wieder einen Beschützer haben, auf denen sie sich verlassen können.

Einen Beschützer. Einen Freund. Einen Waldläufer...
Antworten