Der ungewisse Weg in ein neues Leben
Verfasst: 07 Dez 2023, 01:20
Die dunklen Schwingen des hereinbrechenden Abends, legten sich über die Dächer der kleinen und schiefen Häuser.
Dumpf läutete irgendwo in der Ferne eine Glocke. Die Schatten wurden länger und durchfluteten die engen Gassen und Straßen.
Im Westen warf die Sonne noch einen letzten Schein und versank am Horizont.
Langsam legte sich die Nacht, wie ein schwarzes Tuch, über das kleine Dorf. Zwischen eiligen Wolken stachen die ersten Sterne hervor.
Es war kurz vor Beginn des Winters und die anherrschende Kälte, war wie der Vorbote eines langen und harten Winters.
Cristobal wäre beinahe über eine Kinderleiche gestolpert, die wie hingeworfen auf dem Wege lag.
Er fluchte leise und setzte seinen Weg fort.
Lange würde der kleine menschliche Kadaver hier nicht liegen bleiben. Wenn nicht der „kleine Henker“ sie weggeschaffen würde;
die Wölfe aus den nahen Wäldern wussten, wo sie Nahrung fanden.
Durch das schon seit längerer Zeit anherrschende schlechte Wetter blieben die erhofften Ernten aus und Hunger und Krankheiten bahnten sich ihren Weg.
Mit Schrecken vernahm er seine eigene, grausige Gleichgültigkeit dem verhungerten Kind gegenüber, doch jeder war sich in so einer Zeit selbst der Nächste.
Nach einigen Schritten blieb er stehen und lehnte sich, nach Luft ringend an eine Hauswand. Die Schmerzen in seiner Brust waren wie Stiche eines Dolches.
Sein Atem ging schwer und er hatte Angst, ohnmächtig zu werden. “Nur nicht hier verrecken, wie ein Tier“, hämmerte es in seinem Schädel.
Aus einer kleinen Seitengasse tauchte plötzlich eine Gestalt auf … groß und dunkel.
Als sie auf ihn zukam, zog Cristobal beherzt sein Schwert. Die Gestalt blieb daraufhin abrupt stehen und ein von Narben zerfressenes Gesicht blickte ihn abwägend an.
Cristobal hielt seinen Blick stand, wohl wissend, dass er bei einem Angriff chancenlos wäre.
Dann drehte sich die Gestalt wieder um und verschwand wieder in der Dunkelheit.
Ein Hustenanfall schüttelte seinen mageren Körper und als er ausspuckte, bemerkte er, dass der Schleim rötlich war.
Einen Augenblick blieb er noch stehen und setzte dann, sich gegen den aufkommenden Wind stemmend, seinen Weg fort. Als er in die Gasse einbog,
gewahrte er auf der linken Seite das Haus seines Bruders.
Cristobal klopfte erschöpft mit der flachen Hand gegen die kleine Holztüre, die sich nach einigen Augenblicken knarrend öffnete.
Sein Bruder Argyll, der eine kleine Herberge inmitten des Dorfes führte, öffnete ihm die Holztür und blickte ihn zunächst prüfend an, ehe er Cristobal erkannte.
„Ahh Bruder ... Du bist es ... komm tritt schnell ein.“
Sie überquerten einen kleinen Hof, der durch zwei Pechfackel schwach erleuchtet wurde und traten ins Gebäude.
Aus der Schankstube, die links des Korridors lag und dessen Fußboden mit Stroh bedeckt war, hörte man die gedämpften Stimmen einiger Personen,
die anscheinend hier ebenfalls einen Platz für die Nacht gefunden hatten.
Der Flur lag im Dunkeln und nur das spärliche Licht der Kerze, die sein Bruder in der Hand hielt, erhellte schwach den Weg.
„Kommt, es gibt einen Raum, wo Du alleine sein kannst.“
„Unser Vater hat es so gewünscht.“
Es war ein kleines Zimmer, mit einem Bett und einem Tisch, vor dem ein kleiner Schemel stand.
Der Schein der Kerze erhellte eine aus uraltem Holz geschnitzte Dämonenfratze, welche den Glauben an den Namenlosen symbolisierte und an der Wand hing.
Argyll entzündete einen Kerzenstummel, der auf dem Tisch stand und stellte diesen dann wieder zurück.
Dann wandte er sich der Eingangstüre zu.
„Ich werde Dir noch etwas zum Essen bringen.“
„Und unser Vater möchte noch mit Dir sprechen.“
„Er wird Dich demnächst hier aufsuchen kommen.“
Cristobal nickte und ging etwas gebeugt zum Fenster, das zum Gemüsegarten hinausging.
Er öffnete es und die Kühle der hereinbrechenden Nacht schlug ihm mitten ins Gesicht, welches ihm gut tat und etwas Linderung seiner Schmerzen brachte.
Mit mehreren tiefen Atemzügen flutete er seine Lungen mit der frischen und klaren Luft der Nacht.
Der Mond war wie eine Laterne so hell, die in den Zweigen des nahestehenden Apfelbaumes hing und Cristobal freute sich über den Anblick der gepflegten Gemüsebeete,
die vom Fleiß des Bruders zeugten.
“Oh Namenloser“, ging es durch seinen Gedanken, „warum hast Du mir nicht einen noch starken Glauben an Dich gegeben, so das ich durch meine Taten und meinem
Schwert Deinen Namen hätte noch mehr preisen können.“
„Doch statt dessen hast Du mein Herz mit Unruhe gefüllt und mein Weg mit Prüfungen versehen, welchen ich hoffentlich gewachsen bin.“
Sein Bruder betrat den Raum etwas später wieder und stellte das Tablett mit dem Essen auf den Tisch.
„Hier. Brot, Käse und Wein.“
„Stärk Dich erst einmal.“
„Du wirst bestimmt hungrig sein.“
Mit einem stummen Kopfnicken nahm er die Speisen seines Bruders entgegen, setzte sich auf den Schemel und nahm sie zu sich.
Nachdem er gegessen hatte, legte sich Cristobal auf das Bett und starrte gedankenverloren an die Decke der Stube.
Die Türe öffnete sich einige Zeit später und sein Vater William trat ein.
Cristobal erhob sich unter Schmerzen so rasch wie er konnte aus dem Bett und wollte in die Knie gehen, doch der Vater hinderte ihn daran.
Sein Vater war ein von Alter und Demut gebeugter Mann.
„Ich hoffe, dass es Dir geschmeckt hat und der Wein nicht allzu sauer war.“
„Leider könnten wir Dir kein besseres Mahl bieten, doch muss man ja in diesen harten Zeiten schon froh sein, wenn man überhaupt was auf dem Teller hat.“
Für einen Augenblick zog ein Lächeln über das Gesicht des Vaters. Dann wurde es ernst und auch Traurigkeit breitete sich darin aus.
„Heute ist es wohl Deine letzte Nacht hier, wie mir scheint.“
„Wohin willst Du gehen?“
„Und warum hast Du nicht ein Gesuch beim Herzog eingereicht?“
„Er war unserer Familie immer gut gesonnen.“
„Er hätte bestimmt Verständnis für Dein Tun gehabt und Dir angesichts der Situation verziehen.“
Cristobal setzte sich dann erneut langsam auf den Schemel und fuhr sich mit der Hand durch das Haar.
„Ich will nicht mehr und kann auch nicht mehr. Ich hab mich nun lange genug vor den Häschern und Handlangern versteckt.“
„Es ist wohl auch gut, dass ich den Ort hier verlasse und wo hingehe, wo mich niemand kennt und wo ich vergessen kann.“
„Ja, aber wohin soll Dich diese Reise führen?“ … erwiderte daraufhin sein Vater.
„Ich weiß es selbst noch nicht genau.“
„Irgendwo werde ich sicherlich einen Platz finden, wo mein Herz wieder zur Ruhe kommen kann und wo man mich nicht sucht, nur weil ich meiner Familie zur Hilfe eilen wollte.“
„Vielleicht gehe ich in den Süden der Insel, oder aufs Festland oder vielleicht auch nach Nalveroth.“
„Ich weiß es selbst noch nicht.“
Der Vater reichte ihm einen versiegelten Brief.
„Hier, Du kannst damit eine Bleibe bei Freunden finden. Diese Bleibe wäre zwar nicht im Süden oder in Nalveroth, sondern auf dem sicheren Festland.“
"Ich habe in der Eile ein paar Zeilen zusammengeschrieben."
„Zeig meinem alten Freund dort dieses Schreiben und er wird Dir Unterschlupf gewähren.“
„Denn der Winter steht vor der Türe und er wird sehr hart ... härter noch als wie je zuvor“
„Schon jetzt säumen oftmals verhungerte und erfrorene Körper die Straße unseres Dorfes und Gevatter Tod ist in der Auswahl seiner Ernte nicht zimperlich.“
Bei den Worten des Vaters fiel Cristobal wieder der menschliche Kadaver ein, über den er zuvor fast gestolpert wäre.
Mit ein wenig Stolz in der Stimme, fügte Cristobals Vater hinzu:
„Auch ich habe dort für einige Zeit gelebt.“
„Es sind gute Menschen und wahre Freunde unserer Familie.“
„Du kannst Dich ihnen beruhigt anvertrauen.“
Für einen Augenblick schaute er sinnend auf Cristobal.
„Und halte Dich von der Goldenen Schlange fern, hörst Du?“
„Auch wenn nun Dein Herz vor Schmerz und Kummer schwer ist, durch den Verlust Deiner geliebten Frau und Deines Sohnes.“
„Doch glaube mir, dies ist nicht Dein Weg, er kann es nicht sein, denn es ist nicht der Weg, der uns durch den Glauben an den Namenlosen aufgezeichnet wird.“
Cristobal ging nun trotz der Schmerzen in seiner Brust nun vor seinem Vater auf die Knie.
„Segne mich, Vater und verzeih mir, dass ich Dich enttäuscht habe.“
„Du hast uns stets den rechten Weg des Glaubens gezeigt.“
Dieser legte seine Hände auf das Haupt von Cristobal und sprach ein kurzes Gebet:
„Oh Namenloser, Sprenger der Ketten, erleuchte die Finsternis in unseren Herzen und schenke uns stets die Kraft für den rechten Glauben einzustehen, auf das Suron wieder aus
seinen Ruinen auferstehe und sich das Reich Surom über alle Länder dieser Welt erstrecke.“
Nach den Worten nahm er langsam die Hand von Cristobal Haupt, strich noch einmal sanft und väterlich über seine Wangen und drehte sich dann wortlos um, um aus dem kleinen Raum zu gehen.
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Die Kerze war heruntergebrannt.
Cristobal lag auf dem Bett und starrte gegen die dunkle Zimmerdecke, die wie ein drohender und abweisender Himmel über ihn stand. Ihm fröstelte trotz des dicken Umhangs,
den ihm sein Bruder gebracht hatte. Bilder tauchten in seinen Gedanken auf, von seiner Frau Mala und seinem Sohn Joshua.
Es waren Bilder, die ihn Nacht für Nacht aufs Neue heimsuchten.
Bilder des Schreckens, die sich wie in glühendes Eisen in sein Hirn eingebrannt hatten.
In seinen Gedanken spiegelten sich noch einmal die Geschehnisse der Vergangenheit wieder.
Es muss so kurz vor der Erntezeit des letzten Jahres gewesen sein. Das Korn auf den Feldern stand in voller Pracht und man freute sich darauf,
volle Wagen mit Korn in die Vorratsspeicher fahren zu können. Doch die Lage spitzte sich zunehmend immer weiter zu. Konflikte zwischen den Rassen und Völkern führten dazu,
dass eine wilde Schlacht ausbrach und auch nicht vor der Insel Helion halt machte. Ein mächtiges Heer bestehend aus Orken, Ettins und Ogern belagerten die einzige größere Stadt
der Insel Helion, sowie dessen Dörfer des Umlandes.
Da es sich für die Angreifer schwieriger als zuvor angenommen erwiesen hat und die Stadt eben nicht im Handumdrehen einzunehmen war, zogen einige Teile des angreifenden Heeres
brandschatzend durch die umliegende Gegend der Stadt, um zum einen für Nahrung zu sorgen und zum anderen ihren Frust an der wehrlosen Bevölkerung auszulassen.
Sie kannten und gewährten keine Gnade.
Alles was sich ihnen in den Weg stellte, wurde gnadenlos dahingeschlachtet, Häuser in Brand gesetzt, das Vieh gestohlen und sämtliche anderen Lebensmittel geraubt.
So kam es auch dazu, dass eine kleine Gruppe versprengter Oger sich dem Haus von Cristobal und seiner Familie näherten,
welches ein wenig abseits der anderen Häuser auf einer kleinen Lichtung am Waldrand stand.
Cristobal war zu diesem Zeitpunkt nicht dort.
Er hatte sich zusammen mit ein paar anderen Männern freiwillig einer kleinen Gruppe angeschlossen, welche die eigenen Truppen in ihrem Kampf gegen das angreifende Heer unterstützte.
Als die Nachricht durch einen Meldeläufer vorgedrungen war, dass eine Gruppe Oger in der Nähe seines Haus gesichtet wurden und dieses wahrscheinlich auch angegriffen habe,
setzte er sich ohne Wissen seines Hauptmannes von der Gruppe ab und wurde somit zu einem Fahnenflüchtigen.
Ihn beflügelte nur die Sorge um seine Familie. Sie zu schützen, ihnen zur Hilfe zu eilen war nun sein oberstes Ziel.
Über die Konsequenzen seines Tuns dachte er nicht weiter nach und sie waren ihm auch egal.
Als er an seinem Haus ankam, bot sich ihm dort ein Anblick des Schreckens.
Aus dem Dach des Hauses schlugen die Flammen mehrere Schritte hoch in die Luft.
Überall flogen noch immer leicht glühende Funken um ihn herum, welche wie ein Bienenschwarm wild wirbelnd durch die Luft kreisten.
Cristobal rannte wie von Sinnen auf den Eingang des Hauses zu.
Die hölzerne Türe war zuvor durch mehrere schwere Schläge mit einer Axt aus den Türangeln herausgebrochen worden und lag nun, noch an einem Scharnier schräg hängend,
quer im Eingang. Der Rauch des Feuers raubte Cristobal fast den Atem und eine unsagbar heiße Feuerwand versuchte sich ihm in den Weg zu stellen.
Sein Blick erhaschte ein großes Stück Tuch, welches am Boden lag. Schnell raffte er es zusammen und tauchte es in die Wassertonne, welche nur wenige Schritte weit von ihm weg stand.
Nachdem er sich das nasse Stück Tuch über seine Haupt und Schultern gelegt hatte, presste er einen Eckzipfel des selbigen gegen seinen Mund und Nase was ihm,
wenn auch nur für kurze Zeit erlaubte, wieder zu Atem zu kommen. So geschützt wagte er sich nun in die bereits völlig in Flammen stehende Stube vor.
Immer wieder versuchte er den Namen seiner Frau und seines Sohnes zu rufen, doch schnitt die unbarmherzige Hitze des Feuers jeglichen Versuch ab.
Als es sich seinen Weg in den hinteren Bereich des Hauses gebahnt hatte, stellte er mit etwas Erleichterung fest, dass das Haus leer war.
Wilde Gedanken zuckten wie Blitze durch seinen Geist, in der stillen Hoffnung, dass es seine Familie noch rechtzeitig in Sicherheit geschafft hatte.
Als er gerade wieder auf demselben Wege das Haus verlassen wollte, wie er es betreten hatte, brach unter ohrenbetäubendem Krachen ein Teil des Daches ein und versperrte ihm den Rückweg.
Ein Feuerstoß, wie aus dem Maul eines Drachen kam auf ihn zugewalzt und hüllte ihn gänzlich in Flammen ein.
Nur durch einen beherzten Hechtsprung, mit dem Kopf voran, die Arme schützend vor das Gesicht gelegt, durch ein noch nicht geborstenes Fenster, konnte er dem Tod noch einmal entgehen.
Hart schlug sein Körper draußen auf der Erde auf. Sein Kopf, sowie seine Rippen krachte gegen einen harten Gegenstand, was ihm daraufhin das Bewusstsein nahm.
Als er wieder zu Sinnen kam wusste er nicht mehr wie lange der da gelegen hatte.
Ein Geruch von verbrannten Haaren und Kleidung machten sich in seiner Nase breit.
Vorsichtig drehte er den Kopf in Richtung des Hauses, welches sich in einiger Entfernung befand.
Er musste sich noch einige Schritt weit weggeschleppt haben, doch konnte er sich an dies Tat nicht mehr erinnern.
Bei der Drehung des Kopfes bohrte sich ein stechender Schmerz in seine Brust, gleich wie der Stich von tausend Skorpionen.
Er konnte kaum atmen und sich ebenfalls auch nur unter den größten Mühen wieder aufrichten. Leicht taumelnd brachte er sich noch ein paar Schritte weiter in Sicherheit,
ehe er wieder unter großen Schmerzen aufschrie und unter Verlust des Bewusstseins ohnmächtig zu Boden stürzte.
Erst viele Tage später erfuhr er, durch das Gespräch zweier Bauern, welche er belauschen konnte, dass seine Hoffnungen, Mala und Joshua lebend wieder zu finden zerschellt waren,
wie die Planken eines Bootes, wenn es auf ein Riff auflief. Man fand nicht unweit seines Hauses, die beiden leblosen Körper einige Zeit später, inmitten des nahen Waldes,
zerrissen und gemartert und es muss wohl ein so grauenhafter Anblick gewesen sein, dass die Bewohner des Dorfes diesen Platz von nun ab mieden,
da sie Angst vor den Seelen der beiden hatten, die ja dort sicherlich noch ziellos umherirrten.
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Ein neuer Hustenanfall schüttelte wieder seinen Körper und er schreckte aus seinem Traum auf.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er realisierte, dass es nur mal wieder einer dieser furchtbaren Träume war, die seinen Geist verwirrten und er wieder langsam zur Ruhe kam.
Er wollte sich erheben, doch er war zu schwach dafür. Sein Atem wurde ruhiger und er schloss wieder die Augen. Erneut dämmerten seine Gedanken in einem Traum dahin,
doch diesmal ganz anderer Natur. Ein kleines Lächeln legte sich im Schlaf um seine Mundwinkel.
Margot! Das Freudenmädchen mit dem goldenen Herzen, die ihm mit der Milch ihrer vollen Brüste am Leben gehalten hatte, als seine Mutter von Krankheit gezeichnet
zu schwach und ausgelaugt gewesen war, dies selbst zu tun. Und sie war es auch, die ihm auch später, in seiner frühen Jugend, die Wärme ihres Körpers hatte spüren lassen.
Eine Weile blieb er noch in Gedanken bei ihr.
Ein neuer Stich in der Brust zerriss das Bild. Seine Finger krallten sich in den Mantel und nur mit Mühe konnte er ein Schreien unterdrücken.
Zum ersten Male verspürte er Angst, doch er wusste nicht wovor.
“Ich will leben!“ … diese Worte sagte er leise vor sich hin, wie ein Gebet.
Langsam verebbte der Schmerz und sein Atem wurde wieder ruhiger. Mit geschlossen Augen blieb er still liegen, wie ein scheues Tier in der Dunkelheit.
Der Wein tat seine Wirkung und ein gnädiger Schlaf nahm sich erneut seiner an.
Als sein Bruder Argyll am frühen Morgen ins Zimmer trat, war Cristobal bereits verschwunden. Auf dem Tisch lag noch der Brief, welchen er durch seinen Vater bekommen hatte.
Cristobal ging während dessen bereits durch das Stadttor, ohne sich umzuschauen. Die Kleider schlotterten um seine magere Gestalt und das Schwert hing verloren an seiner Seite.
Die Stadtwächter lachten, doch er beachtete sie nicht. Vor ihm erstreckte sich ein gerader Weg, der in die Ewigkeit zu führen schien.
Der ferne Horizont rötete sich und ein neuer Morgen grüßte die Erde des Landes. Er war nunmehr fast die ganze Nacht unterwegs gewesen.
Er hatte das Gefühl in sich, als wolle diese Reise, der angesichts seiner Verletzung und den daraus folgenden Schmerzen in seiner Brust, nie zu Ende gehen.
Als er um eine weitere Biegung des Weges kam, erblickte er, zwar noch in der Ferne, jedoch klar erkennbar, die ersten Umrisse der “Roten Stadt" von Nalveroth.
Stolz ragten die Dächer der hohen steinerne Häuser dem Himmel entgegen, welcher gesäumt wurde, von den vielen kleineren Dächern der umliegenden Häuser.
Er konnte, trotz der Entfernung alles genau erkennen. Eindrucksvoll, ja fast schon majestätisch, lag die Stadt in das erste Licht des Tages gehüllt, strahlend und klar vor ihm.
Als er seine ersten Schritte in der mächtigen Stadt hinter sich gebracht hatte, war er sich sicher, dass er hier das finden würde, was er schon so lange vermisst hatte.
“Ruhe und Frieden” für seinen geschundenen Körper und seiner zerrissenen Seele.
So war es ihm wichtig, ehe er überhaupt hier in der Stadt was tun wollte, zuerst am Schrein des Namenlosen hier in Nalveroth zu beten und dem Namenlosen für seine sichere Ankunft hier danken.
Dumpf läutete irgendwo in der Ferne eine Glocke. Die Schatten wurden länger und durchfluteten die engen Gassen und Straßen.
Im Westen warf die Sonne noch einen letzten Schein und versank am Horizont.
Langsam legte sich die Nacht, wie ein schwarzes Tuch, über das kleine Dorf. Zwischen eiligen Wolken stachen die ersten Sterne hervor.
Es war kurz vor Beginn des Winters und die anherrschende Kälte, war wie der Vorbote eines langen und harten Winters.
Cristobal wäre beinahe über eine Kinderleiche gestolpert, die wie hingeworfen auf dem Wege lag.
Er fluchte leise und setzte seinen Weg fort.
Lange würde der kleine menschliche Kadaver hier nicht liegen bleiben. Wenn nicht der „kleine Henker“ sie weggeschaffen würde;
die Wölfe aus den nahen Wäldern wussten, wo sie Nahrung fanden.
Durch das schon seit längerer Zeit anherrschende schlechte Wetter blieben die erhofften Ernten aus und Hunger und Krankheiten bahnten sich ihren Weg.
Mit Schrecken vernahm er seine eigene, grausige Gleichgültigkeit dem verhungerten Kind gegenüber, doch jeder war sich in so einer Zeit selbst der Nächste.
Nach einigen Schritten blieb er stehen und lehnte sich, nach Luft ringend an eine Hauswand. Die Schmerzen in seiner Brust waren wie Stiche eines Dolches.
Sein Atem ging schwer und er hatte Angst, ohnmächtig zu werden. “Nur nicht hier verrecken, wie ein Tier“, hämmerte es in seinem Schädel.
Aus einer kleinen Seitengasse tauchte plötzlich eine Gestalt auf … groß und dunkel.
Als sie auf ihn zukam, zog Cristobal beherzt sein Schwert. Die Gestalt blieb daraufhin abrupt stehen und ein von Narben zerfressenes Gesicht blickte ihn abwägend an.
Cristobal hielt seinen Blick stand, wohl wissend, dass er bei einem Angriff chancenlos wäre.
Dann drehte sich die Gestalt wieder um und verschwand wieder in der Dunkelheit.
Ein Hustenanfall schüttelte seinen mageren Körper und als er ausspuckte, bemerkte er, dass der Schleim rötlich war.
Einen Augenblick blieb er noch stehen und setzte dann, sich gegen den aufkommenden Wind stemmend, seinen Weg fort. Als er in die Gasse einbog,
gewahrte er auf der linken Seite das Haus seines Bruders.
Cristobal klopfte erschöpft mit der flachen Hand gegen die kleine Holztüre, die sich nach einigen Augenblicken knarrend öffnete.
Sein Bruder Argyll, der eine kleine Herberge inmitten des Dorfes führte, öffnete ihm die Holztür und blickte ihn zunächst prüfend an, ehe er Cristobal erkannte.
„Ahh Bruder ... Du bist es ... komm tritt schnell ein.“
Sie überquerten einen kleinen Hof, der durch zwei Pechfackel schwach erleuchtet wurde und traten ins Gebäude.
Aus der Schankstube, die links des Korridors lag und dessen Fußboden mit Stroh bedeckt war, hörte man die gedämpften Stimmen einiger Personen,
die anscheinend hier ebenfalls einen Platz für die Nacht gefunden hatten.
Der Flur lag im Dunkeln und nur das spärliche Licht der Kerze, die sein Bruder in der Hand hielt, erhellte schwach den Weg.
„Kommt, es gibt einen Raum, wo Du alleine sein kannst.“
„Unser Vater hat es so gewünscht.“
Es war ein kleines Zimmer, mit einem Bett und einem Tisch, vor dem ein kleiner Schemel stand.
Der Schein der Kerze erhellte eine aus uraltem Holz geschnitzte Dämonenfratze, welche den Glauben an den Namenlosen symbolisierte und an der Wand hing.
Argyll entzündete einen Kerzenstummel, der auf dem Tisch stand und stellte diesen dann wieder zurück.
Dann wandte er sich der Eingangstüre zu.
„Ich werde Dir noch etwas zum Essen bringen.“
„Und unser Vater möchte noch mit Dir sprechen.“
„Er wird Dich demnächst hier aufsuchen kommen.“
Cristobal nickte und ging etwas gebeugt zum Fenster, das zum Gemüsegarten hinausging.
Er öffnete es und die Kühle der hereinbrechenden Nacht schlug ihm mitten ins Gesicht, welches ihm gut tat und etwas Linderung seiner Schmerzen brachte.
Mit mehreren tiefen Atemzügen flutete er seine Lungen mit der frischen und klaren Luft der Nacht.
Der Mond war wie eine Laterne so hell, die in den Zweigen des nahestehenden Apfelbaumes hing und Cristobal freute sich über den Anblick der gepflegten Gemüsebeete,
die vom Fleiß des Bruders zeugten.
“Oh Namenloser“, ging es durch seinen Gedanken, „warum hast Du mir nicht einen noch starken Glauben an Dich gegeben, so das ich durch meine Taten und meinem
Schwert Deinen Namen hätte noch mehr preisen können.“
„Doch statt dessen hast Du mein Herz mit Unruhe gefüllt und mein Weg mit Prüfungen versehen, welchen ich hoffentlich gewachsen bin.“
Sein Bruder betrat den Raum etwas später wieder und stellte das Tablett mit dem Essen auf den Tisch.
„Hier. Brot, Käse und Wein.“
„Stärk Dich erst einmal.“
„Du wirst bestimmt hungrig sein.“
Mit einem stummen Kopfnicken nahm er die Speisen seines Bruders entgegen, setzte sich auf den Schemel und nahm sie zu sich.
Nachdem er gegessen hatte, legte sich Cristobal auf das Bett und starrte gedankenverloren an die Decke der Stube.
Die Türe öffnete sich einige Zeit später und sein Vater William trat ein.
Cristobal erhob sich unter Schmerzen so rasch wie er konnte aus dem Bett und wollte in die Knie gehen, doch der Vater hinderte ihn daran.
Sein Vater war ein von Alter und Demut gebeugter Mann.
„Ich hoffe, dass es Dir geschmeckt hat und der Wein nicht allzu sauer war.“
„Leider könnten wir Dir kein besseres Mahl bieten, doch muss man ja in diesen harten Zeiten schon froh sein, wenn man überhaupt was auf dem Teller hat.“
Für einen Augenblick zog ein Lächeln über das Gesicht des Vaters. Dann wurde es ernst und auch Traurigkeit breitete sich darin aus.
„Heute ist es wohl Deine letzte Nacht hier, wie mir scheint.“
„Wohin willst Du gehen?“
„Und warum hast Du nicht ein Gesuch beim Herzog eingereicht?“
„Er war unserer Familie immer gut gesonnen.“
„Er hätte bestimmt Verständnis für Dein Tun gehabt und Dir angesichts der Situation verziehen.“
Cristobal setzte sich dann erneut langsam auf den Schemel und fuhr sich mit der Hand durch das Haar.
„Ich will nicht mehr und kann auch nicht mehr. Ich hab mich nun lange genug vor den Häschern und Handlangern versteckt.“
„Es ist wohl auch gut, dass ich den Ort hier verlasse und wo hingehe, wo mich niemand kennt und wo ich vergessen kann.“
„Ja, aber wohin soll Dich diese Reise führen?“ … erwiderte daraufhin sein Vater.
„Ich weiß es selbst noch nicht genau.“
„Irgendwo werde ich sicherlich einen Platz finden, wo mein Herz wieder zur Ruhe kommen kann und wo man mich nicht sucht, nur weil ich meiner Familie zur Hilfe eilen wollte.“
„Vielleicht gehe ich in den Süden der Insel, oder aufs Festland oder vielleicht auch nach Nalveroth.“
„Ich weiß es selbst noch nicht.“
Der Vater reichte ihm einen versiegelten Brief.
„Hier, Du kannst damit eine Bleibe bei Freunden finden. Diese Bleibe wäre zwar nicht im Süden oder in Nalveroth, sondern auf dem sicheren Festland.“
"Ich habe in der Eile ein paar Zeilen zusammengeschrieben."
„Zeig meinem alten Freund dort dieses Schreiben und er wird Dir Unterschlupf gewähren.“
„Denn der Winter steht vor der Türe und er wird sehr hart ... härter noch als wie je zuvor“
„Schon jetzt säumen oftmals verhungerte und erfrorene Körper die Straße unseres Dorfes und Gevatter Tod ist in der Auswahl seiner Ernte nicht zimperlich.“
Bei den Worten des Vaters fiel Cristobal wieder der menschliche Kadaver ein, über den er zuvor fast gestolpert wäre.
Mit ein wenig Stolz in der Stimme, fügte Cristobals Vater hinzu:
„Auch ich habe dort für einige Zeit gelebt.“
„Es sind gute Menschen und wahre Freunde unserer Familie.“
„Du kannst Dich ihnen beruhigt anvertrauen.“
Für einen Augenblick schaute er sinnend auf Cristobal.
„Und halte Dich von der Goldenen Schlange fern, hörst Du?“
„Auch wenn nun Dein Herz vor Schmerz und Kummer schwer ist, durch den Verlust Deiner geliebten Frau und Deines Sohnes.“
„Doch glaube mir, dies ist nicht Dein Weg, er kann es nicht sein, denn es ist nicht der Weg, der uns durch den Glauben an den Namenlosen aufgezeichnet wird.“
Cristobal ging nun trotz der Schmerzen in seiner Brust nun vor seinem Vater auf die Knie.
„Segne mich, Vater und verzeih mir, dass ich Dich enttäuscht habe.“
„Du hast uns stets den rechten Weg des Glaubens gezeigt.“
Dieser legte seine Hände auf das Haupt von Cristobal und sprach ein kurzes Gebet:
„Oh Namenloser, Sprenger der Ketten, erleuchte die Finsternis in unseren Herzen und schenke uns stets die Kraft für den rechten Glauben einzustehen, auf das Suron wieder aus
seinen Ruinen auferstehe und sich das Reich Surom über alle Länder dieser Welt erstrecke.“
Nach den Worten nahm er langsam die Hand von Cristobal Haupt, strich noch einmal sanft und väterlich über seine Wangen und drehte sich dann wortlos um, um aus dem kleinen Raum zu gehen.
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Die Kerze war heruntergebrannt.
Cristobal lag auf dem Bett und starrte gegen die dunkle Zimmerdecke, die wie ein drohender und abweisender Himmel über ihn stand. Ihm fröstelte trotz des dicken Umhangs,
den ihm sein Bruder gebracht hatte. Bilder tauchten in seinen Gedanken auf, von seiner Frau Mala und seinem Sohn Joshua.
Es waren Bilder, die ihn Nacht für Nacht aufs Neue heimsuchten.
Bilder des Schreckens, die sich wie in glühendes Eisen in sein Hirn eingebrannt hatten.
In seinen Gedanken spiegelten sich noch einmal die Geschehnisse der Vergangenheit wieder.
Es muss so kurz vor der Erntezeit des letzten Jahres gewesen sein. Das Korn auf den Feldern stand in voller Pracht und man freute sich darauf,
volle Wagen mit Korn in die Vorratsspeicher fahren zu können. Doch die Lage spitzte sich zunehmend immer weiter zu. Konflikte zwischen den Rassen und Völkern führten dazu,
dass eine wilde Schlacht ausbrach und auch nicht vor der Insel Helion halt machte. Ein mächtiges Heer bestehend aus Orken, Ettins und Ogern belagerten die einzige größere Stadt
der Insel Helion, sowie dessen Dörfer des Umlandes.
Da es sich für die Angreifer schwieriger als zuvor angenommen erwiesen hat und die Stadt eben nicht im Handumdrehen einzunehmen war, zogen einige Teile des angreifenden Heeres
brandschatzend durch die umliegende Gegend der Stadt, um zum einen für Nahrung zu sorgen und zum anderen ihren Frust an der wehrlosen Bevölkerung auszulassen.
Sie kannten und gewährten keine Gnade.
Alles was sich ihnen in den Weg stellte, wurde gnadenlos dahingeschlachtet, Häuser in Brand gesetzt, das Vieh gestohlen und sämtliche anderen Lebensmittel geraubt.
So kam es auch dazu, dass eine kleine Gruppe versprengter Oger sich dem Haus von Cristobal und seiner Familie näherten,
welches ein wenig abseits der anderen Häuser auf einer kleinen Lichtung am Waldrand stand.
Cristobal war zu diesem Zeitpunkt nicht dort.
Er hatte sich zusammen mit ein paar anderen Männern freiwillig einer kleinen Gruppe angeschlossen, welche die eigenen Truppen in ihrem Kampf gegen das angreifende Heer unterstützte.
Als die Nachricht durch einen Meldeläufer vorgedrungen war, dass eine Gruppe Oger in der Nähe seines Haus gesichtet wurden und dieses wahrscheinlich auch angegriffen habe,
setzte er sich ohne Wissen seines Hauptmannes von der Gruppe ab und wurde somit zu einem Fahnenflüchtigen.
Ihn beflügelte nur die Sorge um seine Familie. Sie zu schützen, ihnen zur Hilfe zu eilen war nun sein oberstes Ziel.
Über die Konsequenzen seines Tuns dachte er nicht weiter nach und sie waren ihm auch egal.
Als er an seinem Haus ankam, bot sich ihm dort ein Anblick des Schreckens.
Aus dem Dach des Hauses schlugen die Flammen mehrere Schritte hoch in die Luft.
Überall flogen noch immer leicht glühende Funken um ihn herum, welche wie ein Bienenschwarm wild wirbelnd durch die Luft kreisten.
Cristobal rannte wie von Sinnen auf den Eingang des Hauses zu.
Die hölzerne Türe war zuvor durch mehrere schwere Schläge mit einer Axt aus den Türangeln herausgebrochen worden und lag nun, noch an einem Scharnier schräg hängend,
quer im Eingang. Der Rauch des Feuers raubte Cristobal fast den Atem und eine unsagbar heiße Feuerwand versuchte sich ihm in den Weg zu stellen.
Sein Blick erhaschte ein großes Stück Tuch, welches am Boden lag. Schnell raffte er es zusammen und tauchte es in die Wassertonne, welche nur wenige Schritte weit von ihm weg stand.
Nachdem er sich das nasse Stück Tuch über seine Haupt und Schultern gelegt hatte, presste er einen Eckzipfel des selbigen gegen seinen Mund und Nase was ihm,
wenn auch nur für kurze Zeit erlaubte, wieder zu Atem zu kommen. So geschützt wagte er sich nun in die bereits völlig in Flammen stehende Stube vor.
Immer wieder versuchte er den Namen seiner Frau und seines Sohnes zu rufen, doch schnitt die unbarmherzige Hitze des Feuers jeglichen Versuch ab.
Als es sich seinen Weg in den hinteren Bereich des Hauses gebahnt hatte, stellte er mit etwas Erleichterung fest, dass das Haus leer war.
Wilde Gedanken zuckten wie Blitze durch seinen Geist, in der stillen Hoffnung, dass es seine Familie noch rechtzeitig in Sicherheit geschafft hatte.
Als er gerade wieder auf demselben Wege das Haus verlassen wollte, wie er es betreten hatte, brach unter ohrenbetäubendem Krachen ein Teil des Daches ein und versperrte ihm den Rückweg.
Ein Feuerstoß, wie aus dem Maul eines Drachen kam auf ihn zugewalzt und hüllte ihn gänzlich in Flammen ein.
Nur durch einen beherzten Hechtsprung, mit dem Kopf voran, die Arme schützend vor das Gesicht gelegt, durch ein noch nicht geborstenes Fenster, konnte er dem Tod noch einmal entgehen.
Hart schlug sein Körper draußen auf der Erde auf. Sein Kopf, sowie seine Rippen krachte gegen einen harten Gegenstand, was ihm daraufhin das Bewusstsein nahm.
Als er wieder zu Sinnen kam wusste er nicht mehr wie lange der da gelegen hatte.
Ein Geruch von verbrannten Haaren und Kleidung machten sich in seiner Nase breit.
Vorsichtig drehte er den Kopf in Richtung des Hauses, welches sich in einiger Entfernung befand.
Er musste sich noch einige Schritt weit weggeschleppt haben, doch konnte er sich an dies Tat nicht mehr erinnern.
Bei der Drehung des Kopfes bohrte sich ein stechender Schmerz in seine Brust, gleich wie der Stich von tausend Skorpionen.
Er konnte kaum atmen und sich ebenfalls auch nur unter den größten Mühen wieder aufrichten. Leicht taumelnd brachte er sich noch ein paar Schritte weiter in Sicherheit,
ehe er wieder unter großen Schmerzen aufschrie und unter Verlust des Bewusstseins ohnmächtig zu Boden stürzte.
Erst viele Tage später erfuhr er, durch das Gespräch zweier Bauern, welche er belauschen konnte, dass seine Hoffnungen, Mala und Joshua lebend wieder zu finden zerschellt waren,
wie die Planken eines Bootes, wenn es auf ein Riff auflief. Man fand nicht unweit seines Hauses, die beiden leblosen Körper einige Zeit später, inmitten des nahen Waldes,
zerrissen und gemartert und es muss wohl ein so grauenhafter Anblick gewesen sein, dass die Bewohner des Dorfes diesen Platz von nun ab mieden,
da sie Angst vor den Seelen der beiden hatten, die ja dort sicherlich noch ziellos umherirrten.
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Ein neuer Hustenanfall schüttelte wieder seinen Körper und er schreckte aus seinem Traum auf.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er realisierte, dass es nur mal wieder einer dieser furchtbaren Träume war, die seinen Geist verwirrten und er wieder langsam zur Ruhe kam.
Er wollte sich erheben, doch er war zu schwach dafür. Sein Atem wurde ruhiger und er schloss wieder die Augen. Erneut dämmerten seine Gedanken in einem Traum dahin,
doch diesmal ganz anderer Natur. Ein kleines Lächeln legte sich im Schlaf um seine Mundwinkel.
Margot! Das Freudenmädchen mit dem goldenen Herzen, die ihm mit der Milch ihrer vollen Brüste am Leben gehalten hatte, als seine Mutter von Krankheit gezeichnet
zu schwach und ausgelaugt gewesen war, dies selbst zu tun. Und sie war es auch, die ihm auch später, in seiner frühen Jugend, die Wärme ihres Körpers hatte spüren lassen.
Eine Weile blieb er noch in Gedanken bei ihr.
Ein neuer Stich in der Brust zerriss das Bild. Seine Finger krallten sich in den Mantel und nur mit Mühe konnte er ein Schreien unterdrücken.
Zum ersten Male verspürte er Angst, doch er wusste nicht wovor.
“Ich will leben!“ … diese Worte sagte er leise vor sich hin, wie ein Gebet.
Langsam verebbte der Schmerz und sein Atem wurde wieder ruhiger. Mit geschlossen Augen blieb er still liegen, wie ein scheues Tier in der Dunkelheit.
Der Wein tat seine Wirkung und ein gnädiger Schlaf nahm sich erneut seiner an.
Als sein Bruder Argyll am frühen Morgen ins Zimmer trat, war Cristobal bereits verschwunden. Auf dem Tisch lag noch der Brief, welchen er durch seinen Vater bekommen hatte.
Cristobal ging während dessen bereits durch das Stadttor, ohne sich umzuschauen. Die Kleider schlotterten um seine magere Gestalt und das Schwert hing verloren an seiner Seite.
Die Stadtwächter lachten, doch er beachtete sie nicht. Vor ihm erstreckte sich ein gerader Weg, der in die Ewigkeit zu führen schien.
Der ferne Horizont rötete sich und ein neuer Morgen grüßte die Erde des Landes. Er war nunmehr fast die ganze Nacht unterwegs gewesen.
Er hatte das Gefühl in sich, als wolle diese Reise, der angesichts seiner Verletzung und den daraus folgenden Schmerzen in seiner Brust, nie zu Ende gehen.
Als er um eine weitere Biegung des Weges kam, erblickte er, zwar noch in der Ferne, jedoch klar erkennbar, die ersten Umrisse der “Roten Stadt" von Nalveroth.
Stolz ragten die Dächer der hohen steinerne Häuser dem Himmel entgegen, welcher gesäumt wurde, von den vielen kleineren Dächern der umliegenden Häuser.
Er konnte, trotz der Entfernung alles genau erkennen. Eindrucksvoll, ja fast schon majestätisch, lag die Stadt in das erste Licht des Tages gehüllt, strahlend und klar vor ihm.
Als er seine ersten Schritte in der mächtigen Stadt hinter sich gebracht hatte, war er sich sicher, dass er hier das finden würde, was er schon so lange vermisst hatte.
“Ruhe und Frieden” für seinen geschundenen Körper und seiner zerrissenen Seele.
So war es ihm wichtig, ehe er überhaupt hier in der Stadt was tun wollte, zuerst am Schrein des Namenlosen hier in Nalveroth zu beten und dem Namenlosen für seine sichere Ankunft hier danken.