Auf dem Weg ins Unbekannte

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Luinil Ahton
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Auf dem Weg ins Unbekannte

Beitrag von Luinil Ahton »

Für einmal war sie ruhig. Gebannt schaute sie vom Heck des Greifenschiffs aus zu, wie die Landmasse, die sie bis eben noch ihre Heimat nannte, stetig kleiner wurde.

In den Wochen vor der Abreise spielte Luinil immer mal wieder mit dem Gedanken, einfach nicht abzureisen. Normalerweise konnte sie der ganzen Welt, insbesondere der Insel, die man nun mal bewohnte, nicht sonderlich viel abgewinnen. Doch je mehr die Welt aus den Fugen zu geraten drohte, umso mehr fand sie wieder Gefallen daran. Die magischen Anomalien waren eine willkommene Unbekannte, die andere erforschen wollten, während sie am liebsten einfach in sie eingetaucht wäre. Doch so sehr ihr eigenes Wohl oftmals in den Hintergrund rückte, mutwillig riskieren wollte sie es nicht. Die Beben sah sie wiederum als Vorboten von etwas Größerem, Gewaltigerem, was es nicht zu verpassen galt. Was war denn auch ein Spektakel, wenn es niemanden gab, der sich daran ergötzen konnte?

Schneller als gedacht, war dann auch der Tag der Abreise gekommen. Die Ereignisse in den Wochen zuvor überschlugen sich. Bei ihr sorgten solch hektische Zeiten meist dafür, dass sie sich mehr an die Sinneseindrücke, denn an bestimmte Erlebnisse erinnerte. Wäre ihr Naturell nicht bereits sehr unstet, die Unruhe, die sie am letzten Tag erfasste, hätte sie wohl gestört.

Doch nun, den Blick in die Ferne gerichtet, die Heimat fern am Horizont verortend, war diese Unruhe verschwunden. Heimat. Genau genommen wusste sie nicht, ob sie überhaupt in Silberburg das Licht der Welt erblickt hatte. Erinnerungen an die ersten Lebensjahre hatte sie nicht und während sie sich stets eine ungesunde Neugier beibehielt, der Vater hatte ihr sehr früh beigebracht, diese Neugier nicht bei ihm, mittels Fragen, stillen zu wollen. Wichtig war es nicht. Silberburg, noch mehr als Nalveroth, hatte ihr Leben geprägt. Entsprechend empfand sie ein wenig Genugtuung beim Gedanken daran, dass diese Städte inzwischen wohl bereits nicht mehr wiederzuerkennen wären. Tempel, Kathedralen und Burgen hatten wohl Feuer gefangen, waren dem Erdboden gleichgemacht und mit etwas Glück hatten sie noch einige dumme Bewohner unter sich begraben.

Sie wusste nicht, wo die Reise genau hinführen sollte. Die Reise war ein unbequemer Umstand, welcher, genau wie die Ereignisse, die sie notwendig machten, sie zum Handeln drängten. Eigentlich wollte sie längst zurück sein, in ihrer eigentlichen Heimat, im Nichts. Doch oh Wunder, für faule Magierinnen kam irgendwann der Punkt, wo Schattenspiele ihr Enden fanden, wo man sich die Erfüllung seiner Wünsche nicht aus dem Ärmel schütteln konnte und wo es auch keine weitaus talentierteren Magier gab, welche die Aufgaben für einen übernehmen wollten.

So war bei der Wahl der Flotte ein einziger Punkt ausschlaggebend. Sie wollte mit ihrem Mentor reisen. Golga. Ihr Mentor. Golga. Bei jedem Gedanken an ihn, hätte sie gerne den nächstbesten Dummkopf geohrfeigt. Er war so unausstehlich, so elend, wenn es um ihre Person ging. Gefühlsregungen von Menschen zu verstehen, war eine Fähigkeit, die sie gerne abgegeben hätte. Dann hätte sie nicht realisiert, dass es wohl Mitgefühl war, welches er zeigte. Der «Handel», den die beiden eingingen, war ein einfacher. Er würde ihr mit etwas Widerwillen dabei helfen, Ihre «Heimatebene», eben das Nichts, zu erreichen. Würde sie unterrichten, ihr das notwendige Wissen vermitteln, welches sie in all den Jahren verschlampt hatte, sich anzueignen, ihr helfen, das «Zeugs» in ihr drin zu erforschen. Denn darin sah sie den Schlüssel, die Reise überhaupt möglich zu machen. Sie wiederum erklärte sich bereit, für einmal eine vernünftigere Herangehensweise an den Tag zu legen. Vorsichtig sein, Dinge abwägen, überlegen, sich beratschlagen. Unvorstellbar mühselig, langwierig, anstrengend.

Sie empfand für ihre vergangenen Untaten zwar keine Schuldgefühle. Genauso wenig war sie stolz auf die Taten ihrer Vergangenheit. Sie genoss lediglich die Gesichtsausdrücke jener, welche zum ersten Mal zu hören bekamen, auf wen der ein oder andere Umstand in der Heimat zurückzuführen war. Sie wirkte wirr, manchmal im Wahn. Soweit eine nüchterne Betrachtung ihrer selbst möglich war, musste sie dieser Einschätzung auch recht geben. Doch nur wenige, meist weitaus talentiertere oder diszipliniertere Magier, erahnten in ihrem Wesen etwas, was Unbehagen bereitete. Kompromisslosigkeit, Unüberlegtheit, Verlangen. Doch die Schuldgefühle ... jene waren zusammen mit vielem von dem, was ihr Handeln damals beeinflusst hatte, weggesperrt. Weggesperrt, weit weg von hier, in ihrem fernen Zuhause. Ersetzt mit etwas Wille, eine Zutat, welche ihr in der Vergangenheit gefehlt hatte. Mit einem Minimum an Disziplin und etwas Anstrengung wäre sie zu weitaus grösserem fähig. Eigentlich empfand sie selten mal etwas, wirklich prägende Emotionen gingen im Wirrwarr ihres Wesens unter. Launen bestimmten den Verlauf ihrer Tage, und spätestens nach ein paar Tagen erdender Einsamkeit war jegliche gefühlte Bindung auch schon vergessen. Ob nun zu Freunden, Bekannten, Kussfreunden oder angehenden Räubertöchtern. Seit ihrer Rückkehr stellte sie mehr und mehr fest, dass es augenscheinlich nur die Füsse waren, die sie, sinnbildlich an der Erde klebend, hier in dieser Welt hielten.

Es war befremdend. Eine Paladin aus Silberburg, die dunkle Mutter aus Nalveroth. Beide hatten es für notwendig empfunden, am selben Tag, kurz vor der Abreise, sich von ihr zu verabschieden, sie zu umarmen. Etwas vom wenigen, was geblieben war. Sie mochte derlei Gesten schon nicht, bevor sie ihre erste Reise ins Nichts antrat. Er hatte es ihr nicht weggenommen, also war es wohl richtig. Ob sich die beiden auch gegenseitig umarmt hätten? Vielleicht in der Gruppe? Sie mochte es nicht. Immerhin würde sie Golga nicht umarmen wollen, waren sie doch gemeinsam auf dem Schiff und den endgültigen Abschied schien er derzeit noch auszublenden.
And the strangeness from beyond the stars is not as the strangeness of earth.
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