Wenn der Winter weicht.
Verfasst: 23 Feb 2024, 00:01
I. Was uns bleibt.
Als die Welt den Morgen an den Horizont ziehen ließ, hatte sich ein leichter Beschlag am Fenster eines lange verwaisten Turmzimmers inmitten der längst vergessenen Stadt, nahe der Landungszone der Echidna, gebildet. Ein Ofen, der lange nicht mehr betrieben worden war und nun, plötzlich und unerwartet, mit etwas Feuerholz in die vergangene Nacht hinein heizen musste, passte sich weiterhin der Umgebungsfrische des neuen und noch jungen Tages an. Unfähig, dem Raub an seiner Restwärme Einhalt zu gebieten, gab er, im Trotze seiner Existenz, ab und an ein metallisches Knacken von sich.
Das Licht des neuen Tages, noch unfähig, die Kühle der Nacht gänzlich zu vertreiben, jedoch durchaus kräftig genug, den Halbschatten aus dem einsamen Zimmer wie einen ungebetenen Kobold fliehen zu lassen, brachte den Leib des Mannes dazu, sich aus dem Fell zu schälen, mit dem er sich über die Nacht bedeckt hatte. Mit der Vernichtung der Harpyiennester hatte sich etwas Frieden über die einstmals verwaiste Stadt gelegt. Die Menschen hatten sich getraut, den Schutz der Barrikaden der Landungszone zu verlassen und diejenigen, die der Enge der Echidna überdrüssig geworden waren und den Truppen der Truchsess vertrauten, was ihren Schutz anging, hatten die verfallenen Behausungen provisorisch bezogen. Keine dauerhaften Wohnstätten - natürlich nicht. Der Drang der Menschen, Orte für sich zu beanspruchen, würde bald den herrschaftlichen Strukturen Platz machen und ein System der Ordnung würde regeln, wie das Leben in dieser neuen, namenlosen Stadt ablaufen würde.
Aedan Vinter hoffte, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits einen Ort für sich, fernab der Mauern und fernab jener Ansammlungen gefunden haben würde, die den Befreiuungsschlag aus den Stadttoren führten. Es war nicht etwa so, dass der den Menschen nichts abgewinnen konnte - er zog schlicht, wie er es schon immer getan hatte, das Leben in der Natur fort. Unter Kreaturen, die dem Leben keine komplizierten Regeln auferlegen mussten, sondern in ihrer Art einfach und ehrlich beschaffen waren. Wo es keine Worte brauchte, um einander zu verstehen.
Mit ihrer überwucherten Art und umringt von Bäumen, Sträuchern und Ranken, war die Stadt derzeit nichts weiter als ein Schatten einer alten Zivilisation, längst vergangen, vergessen und der Unerbittlichkeit des Kreislaufes des Lebens überantwortet. Die Natur hatte sich diesen Ort zurückgeholt, ohne Groll darüber, dass sich hier ein Volk einstmals eine Nische für ihresgleichen geschaffen hatte. Der Gleichmut der Natur hatte es hingenommen, ebenso wie die Tatsache, dass die Bewohner irgendwann fort waren, nachdem ihr Leben, gleich einem Wimpernschlag zwischen den Zeitaltern, geendet hatte. Diese Erkenntnis war umso klarer, als Aedan von dem Turm aus, die überwucherte Stadt betrachtete. Er würde irgendwann selbst, in einem hoffentlich hohen Alter, seinen letzten Wimpernschlag tun und selbst in dieses Leben und Sterben zurückkehren, in diese Balance, die nicht urteilte und die den Tieren die unglaubliche Gabe geschenkt hatte, jeden Moment zu leben und keinen Gedanken an Zukunft oder Vergangenheit zu verschenken. Ein Luxus, über den er bislang nicht verfügte.
Nachdem er gänzlich seinem Fell entstiegen war und an einem Steinpfeiler lehnend über die begrünten Schindeln blickte, wanderten seine Augen unwillkürlich in die Ferne und er ließ seine Gedanken zu den tierischen Begleitern zurückwandern, die er in der nunmehr alten Welt zurücklassen musste. Die ihr finales Opfer gegeben hatten, damit er leben konnte - eine Loyalität, die niemand erkaufen oder verstehen konnte. Diese Loyalität und das Blut von Kreaturen, die mehr als nur Familie oder Freunde waren, die über die Bedeutung dieser schnöden Worte weit hinausgewachsen waren, bezahlte Aedan Vinter mit einer Trauer, von der er hoffte, dass er sie nicht mehr häufig in seinem Leben empfinden musste.
Ihre Namen waren brennende Fackeln, zurückgelassen in der Dunkelheit, die hinter den Überlebenden lag und an die sich nur er erinnern und die Geschichte ihrer gemeinsamen Leben im stillen ehrte. Aedan beschloss, selbst den Moment zu leben - zu genießen, wie dieser Ort noch weitgehend unberührt vor ihm lag, war er doch genauso vergänglich wie alles Leben. Und wenn die Menschen der Echidna ihn für sich beansprucht, die Bäume gefällt, die Pflanzen entfernt und die vielen kleinen Bewohner, Nager wie Insekten, verscheucht hatten, wäre es, als hätte das Leben der Menschen hier nie aufgehört. Sie würden sich irgendwann gebaren, als hätten sie schon immer hier gelebt. Sie hatten der Selbsterhaltung den Vorzug gegeben und auch für sie hatten andere ihr Leben gelassen. Andere Menschen. Andere, die sich - größtenteils - dazu entscheiden konnten. Die in der Lage waren, sich gegen dieses untrennbare Brand der Brüderlichkeit zu entscheiden.
Aedan fasste den Entschluss, dass er, selbst wenn ihr Schicksal ungewiss war, ihre Namen in irgendeiner Form verewigen würde. Nicht um der Unsterblichkeit Willen, die eine Perversion angesichts dessen war, was die Natur uns lehrte, sondern um ihre Erinnerung und ihre Geschichten zu erhalten. Damit man sie eben nicht vergaß, damit kein gefällter Baum und kein gerodetes Unkraut die Erinnerung daran überlagern konnte, was und wen er zurückgelassen hatte und wie die, unter denen er gelebt hatte, ihm das größte Geschenk gemacht hatten.
Was uns bleibt, ist oft nur die Erinnerung. Sie ist die letzte Bastion, das letzte Tor, das es uns ermöglicht in den stillsten aller Momente zurückzukehren. An heitere Orte, an bessere Orte und an Erinnerungen in denen vieles leichter war und wir nicht schwer vom Verlust vergangener Freunde in eine Zukunft blicken, die uns fragen lässt, ob uns ein besserer Abschied von dieser Welt gegeben ist, in der wir nichts weiter sind als ein Sandkorn, das von der nächsten Böh’ ins Nichts geweht werden kann.
Ein Nichts das, als er die Augen schloss, noch in weiter ferne lag. Denn der einzige Weg, die Schuld seines Überlebens zu tilgen, war es, den Kreislauf so intensiv und so lange auszukosten, wie es ihm möglich war, zu Ehren jener, die dazu nicht mehr in der Lage waren.

Als die Welt den Morgen an den Horizont ziehen ließ, hatte sich ein leichter Beschlag am Fenster eines lange verwaisten Turmzimmers inmitten der längst vergessenen Stadt, nahe der Landungszone der Echidna, gebildet. Ein Ofen, der lange nicht mehr betrieben worden war und nun, plötzlich und unerwartet, mit etwas Feuerholz in die vergangene Nacht hinein heizen musste, passte sich weiterhin der Umgebungsfrische des neuen und noch jungen Tages an. Unfähig, dem Raub an seiner Restwärme Einhalt zu gebieten, gab er, im Trotze seiner Existenz, ab und an ein metallisches Knacken von sich.
Das Licht des neuen Tages, noch unfähig, die Kühle der Nacht gänzlich zu vertreiben, jedoch durchaus kräftig genug, den Halbschatten aus dem einsamen Zimmer wie einen ungebetenen Kobold fliehen zu lassen, brachte den Leib des Mannes dazu, sich aus dem Fell zu schälen, mit dem er sich über die Nacht bedeckt hatte. Mit der Vernichtung der Harpyiennester hatte sich etwas Frieden über die einstmals verwaiste Stadt gelegt. Die Menschen hatten sich getraut, den Schutz der Barrikaden der Landungszone zu verlassen und diejenigen, die der Enge der Echidna überdrüssig geworden waren und den Truppen der Truchsess vertrauten, was ihren Schutz anging, hatten die verfallenen Behausungen provisorisch bezogen. Keine dauerhaften Wohnstätten - natürlich nicht. Der Drang der Menschen, Orte für sich zu beanspruchen, würde bald den herrschaftlichen Strukturen Platz machen und ein System der Ordnung würde regeln, wie das Leben in dieser neuen, namenlosen Stadt ablaufen würde.
Aedan Vinter hoffte, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits einen Ort für sich, fernab der Mauern und fernab jener Ansammlungen gefunden haben würde, die den Befreiuungsschlag aus den Stadttoren führten. Es war nicht etwa so, dass der den Menschen nichts abgewinnen konnte - er zog schlicht, wie er es schon immer getan hatte, das Leben in der Natur fort. Unter Kreaturen, die dem Leben keine komplizierten Regeln auferlegen mussten, sondern in ihrer Art einfach und ehrlich beschaffen waren. Wo es keine Worte brauchte, um einander zu verstehen.
Mit ihrer überwucherten Art und umringt von Bäumen, Sträuchern und Ranken, war die Stadt derzeit nichts weiter als ein Schatten einer alten Zivilisation, längst vergangen, vergessen und der Unerbittlichkeit des Kreislaufes des Lebens überantwortet. Die Natur hatte sich diesen Ort zurückgeholt, ohne Groll darüber, dass sich hier ein Volk einstmals eine Nische für ihresgleichen geschaffen hatte. Der Gleichmut der Natur hatte es hingenommen, ebenso wie die Tatsache, dass die Bewohner irgendwann fort waren, nachdem ihr Leben, gleich einem Wimpernschlag zwischen den Zeitaltern, geendet hatte. Diese Erkenntnis war umso klarer, als Aedan von dem Turm aus, die überwucherte Stadt betrachtete. Er würde irgendwann selbst, in einem hoffentlich hohen Alter, seinen letzten Wimpernschlag tun und selbst in dieses Leben und Sterben zurückkehren, in diese Balance, die nicht urteilte und die den Tieren die unglaubliche Gabe geschenkt hatte, jeden Moment zu leben und keinen Gedanken an Zukunft oder Vergangenheit zu verschenken. Ein Luxus, über den er bislang nicht verfügte.
Nachdem er gänzlich seinem Fell entstiegen war und an einem Steinpfeiler lehnend über die begrünten Schindeln blickte, wanderten seine Augen unwillkürlich in die Ferne und er ließ seine Gedanken zu den tierischen Begleitern zurückwandern, die er in der nunmehr alten Welt zurücklassen musste. Die ihr finales Opfer gegeben hatten, damit er leben konnte - eine Loyalität, die niemand erkaufen oder verstehen konnte. Diese Loyalität und das Blut von Kreaturen, die mehr als nur Familie oder Freunde waren, die über die Bedeutung dieser schnöden Worte weit hinausgewachsen waren, bezahlte Aedan Vinter mit einer Trauer, von der er hoffte, dass er sie nicht mehr häufig in seinem Leben empfinden musste.
Ihre Namen waren brennende Fackeln, zurückgelassen in der Dunkelheit, die hinter den Überlebenden lag und an die sich nur er erinnern und die Geschichte ihrer gemeinsamen Leben im stillen ehrte. Aedan beschloss, selbst den Moment zu leben - zu genießen, wie dieser Ort noch weitgehend unberührt vor ihm lag, war er doch genauso vergänglich wie alles Leben. Und wenn die Menschen der Echidna ihn für sich beansprucht, die Bäume gefällt, die Pflanzen entfernt und die vielen kleinen Bewohner, Nager wie Insekten, verscheucht hatten, wäre es, als hätte das Leben der Menschen hier nie aufgehört. Sie würden sich irgendwann gebaren, als hätten sie schon immer hier gelebt. Sie hatten der Selbsterhaltung den Vorzug gegeben und auch für sie hatten andere ihr Leben gelassen. Andere Menschen. Andere, die sich - größtenteils - dazu entscheiden konnten. Die in der Lage waren, sich gegen dieses untrennbare Brand der Brüderlichkeit zu entscheiden.
Aedan fasste den Entschluss, dass er, selbst wenn ihr Schicksal ungewiss war, ihre Namen in irgendeiner Form verewigen würde. Nicht um der Unsterblichkeit Willen, die eine Perversion angesichts dessen war, was die Natur uns lehrte, sondern um ihre Erinnerung und ihre Geschichten zu erhalten. Damit man sie eben nicht vergaß, damit kein gefällter Baum und kein gerodetes Unkraut die Erinnerung daran überlagern konnte, was und wen er zurückgelassen hatte und wie die, unter denen er gelebt hatte, ihm das größte Geschenk gemacht hatten.
Was uns bleibt, ist oft nur die Erinnerung. Sie ist die letzte Bastion, das letzte Tor, das es uns ermöglicht in den stillsten aller Momente zurückzukehren. An heitere Orte, an bessere Orte und an Erinnerungen in denen vieles leichter war und wir nicht schwer vom Verlust vergangener Freunde in eine Zukunft blicken, die uns fragen lässt, ob uns ein besserer Abschied von dieser Welt gegeben ist, in der wir nichts weiter sind als ein Sandkorn, das von der nächsten Böh’ ins Nichts geweht werden kann.
Ein Nichts das, als er die Augen schloss, noch in weiter ferne lag. Denn der einzige Weg, die Schuld seines Überlebens zu tilgen, war es, den Kreislauf so intensiv und so lange auszukosten, wie es ihm möglich war, zu Ehren jener, die dazu nicht mehr in der Lage waren.
