Nach Hause

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Serafein Vinyamar
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Nach Hause

Beitrag von Serafein Vinyamar »

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BildEr trieb.
BildEr trieb, völlig schwerelos, sein Körper ohne jeglicher Spannung, mit Muskeln bar jedes Tonus. Er trieb in einem Ozean aus Sternen, auf dessen glitzernder Oberfläche sich Raum und Zeit kräuselten, hing dort regungslos und mit geschlossenen Augen, ließ sich tragen und schaukeln vom beständigen Wogen der sanften Strömungen, wie ein Ungeborenes im Leib seiner Mutter.
BildZeit hatte keinerlei Bedeutung, er hatte jegliches Gefühl, jegliche Verwendung dafür verloren. Wie lange war er schon hier? Jahre? Jahrzehnte? Jahrhunderte? Eingebettet in niemals endenden Strömungen und Schwingungen und Berührungen, die wie in Unendlichkeit verlangsamte Blitze über seine Haut glitten - Haut, die er manchmal so dünn empfand wie die Oberfläche einer Luftblase. Haut, die das einzige war, das verhinderte, dass er völlig zerfloss, dass sich die Grenzen zwischen ihm und dem Ozean um ihn herum nicht vollends auflösten und er eins wurde mit dem ewig währenden Auf und Ab der kosmischen Tide.
BildManchmal wollte er.
BildManchmal war ihm, als bräuchte es nur einen einzigen Gedanken, einen einzigen Wunsch, und er wäre eins mit der allumfassenden Entität um ihn herum. Manchmal flüsterte sie zu ihm, lockte ihn - und wenn er ganz, ganz genau hinhörte, meinte er sogar, in dem fortwährenden Wispern die schmerzhaft bekannten Stimmen jener zu hören, die ihm nah gewesen waren und der Welt der Lebenden schon längst entwachsen waren. Sie umstrichen ihn wie flatternde Seidenbänder im Wind, erfüllten ihn mit einer nie gekannten Vertrautheit. Da war die ruhige, weise Präsenz Sîmias, unerschütterlich wie ein Yew-Baum im Sturm, unbeirrbar in seinem Bestreben, die elfischen Rassen in ursprünglicher Bruderschaft zu vereinen; Asamandra in ihrer unendlichen Sanftheit und Güte; Feyda, wild und ungestüm und unbeschwert, Monthagor, Deverion, Evindir, Seregon, einst mit ihm im Rat der Ältesten Gwainamdirs, ruhig und besonnen; er vernahm selbst Athavar, bärbeißig und griesgrämig und dennoch pflichtbewusst und immer treu.
BildUnd da waren noch mehr Stimmen, noch mehr Lichterfäden, die Vertrautes an sich hatten, wenn er sich auf sie konzentrierte. Nicht nur vergangene Waldelfen, sondern auch zahlreiche Hochelfen, die er seine Freunde und Weggefährten hatte nennen dürfen: Alinar und Arinya, selbst hier unzertrennlich und eng umwoben; Rasha, stolz und strahlend, oberste Maethor der al'Carinque, ihre Ernsthaftigkeit durchbrochen von ihrem Lachen, das sich verwob mit dem Singen ihrer sich kreuzenden Klingen in ungezählten, freundschaftlichen Kämpfen, die genausogut Tänze hätten sein können. Aus der Ferne drang das rhythmische Schlagen von Laryllans Hammer auf seinem Amboss, hallenden Glockenschlägen gleich.
BildEs hatte ihn nicht im Geringsten überrascht, auch noch andere Präsenzen hier zu spüren: Ilcoron und Kina'Ta, Dunkelelfen auf dem Pfad der Eilistraee, genauso wie Elysa'ra - seine lang verschollene und letztendlich wiedergefundene Schwester, dem Unterreich und dem sicheren Tod entkommen, genau wie er - wenn auch auf einem anderen Weg, der sie getrennt hatte.
BildUnd jetzt waren sie hier. Alle. Gemeinsam mit all den ungezählten Elfenseelen, die je waren und je sein würden; die ihn umschwärmten, ihn umschmiegten, sein Herz mit einer unbändigen Sehnsucht erfüllten, die er allerbestens mit 'Heimweh' umschreiben konnte. Es musste so schön sein, so befreiend, einfach alles abzustreifen, sich in diesen Strom der Ewigkeit sickern zu lassen, eins mit ihm zu werden und mit ihm durch die kosmische Unendlichkeit zu fließen; in den Raum zwischen heißen, rotierenden und hell strahlenden Globen, vorbei an leuchtenden und zerfasernden Wolken und Löchern vollkommener Dunkelheit und Schwärze, zurück zum Ursprung, zurück zur Quelle.
BildNach Hause.
BildManchmal wollte er.
BildDoch so stark dieses Verlangen auch in ihm sein mochte - da war noch etwas anderes. Da war… mehr. Etwas, das an ihm zog und ihn erdete, das stärker war als jede andere Sehnsucht, die er je empfunden hatte - und die er je würde empfinden können. Etwas, das ihn hielt und behielt und ihn, einer Nabelschnur gleich, verband mit einem stetigen Leuchtfeuer in der Ferne, blau und strahlend und pulsierend.
BildThum-thum.
BildThum-thum.
BildThum-thum.
BildImmerwährend. Immer da. Niemals fort. Egal, wie weit. Und dafür sorgte, dass er bei sich blieb, sich nicht verlor bei seiner Seelenreise zwischen den Sternen.
BildIrgendwann jedoch schlich sich eine ungewöhnliche Arrhythmie in den Puls. Subtil zunächst, kaum wahrnehmbar kratzte sie an der Peripherie seiner Wahrnehmung. Doch schwoll sie nach und nach an, vermittelte hektische Dringlichkeit, transportierte bedrohliche Schwingungen und durchbrach seine Reverie auf eine Weise, die ihn zutiefst alarmierte und ihm keinerlei Zweifel ließen:
BildIrgendetwas Weltbewegendes musste geschehen sein.
BildBenommen hangelte er sich der Nabelschnur entlang zum Licht, stieg höher und höher.
BildWie ein Apnoetaucher brach er durch die Oberfläche des Sternenmeers, sog gierig seinen Atem in Lungen, die ganz vergessen hatten, wie sich Luft anfühlte. Augen, die viel zu lange kein Sonnenlicht mehr gesehen hatten, blinzelten schmerzend und tränend in das flirrende Schattenspiel der Blätter. Steife Gliedmaßen, die erst wieder lernen mussten, sich zu bewegen, zuckten schwach und unkoordiniert. Er war nackt. Ihm war kalt. Das Gefühl, nach so langer Zeit wieder einen Körper aus Fleisch und Blut zu haben, drehte ihm den Magen um. Ihm würgte. Er zitterte.
BildEr versuchte, den Kopf zu drehen. Der Wald, auf dessen Boden er bebend hockte, war ihm fremd. Doch nicht fremd auf jene Weise, die man empfinden mochte, wenn man einen neuen Hain entdeckte. Nein, das hier war tiefgreifender.
BildDas Lied der Bäume war anders.
BildDas Moos unter ihm sprach eine fremde Sprache.
BildDie Luft um ihn herum schmeckte verkehrt.
BildDie Vögel erzählten sich welsche Geschichten.
BildAlles um ihn herum fühlte sich merkwürdig zerbrochen an. Zersplittert.
BildWo war er?
BildIn jenem Moment, in dem Serafein zum ersten Mal seit langer, langer Zeit, wieder festen, physisch manifestierten Boden unter sich hatte, pulsierte irgendwo anders ein blau leuchtender Stein an einer Kette mit neuer Intensität.
BildThum-thum.
BildThum-thum.
BildThum-thum.

BildSpäter, nachdem Serafein sich wieder daran erinnert hatte, wie man sich bewegte, stieß sich sein nacktes paar schwarzer Füße zum Sprung vom Waldboden ab. Dicke, schwarzpelzige Tatzen trafen wieder auf, trugen ihn im lautlosen Trab zwischen vorbeihuschenden Bäumen hindurch, durch die Wälder.
BildDem Leuchtfeuer entgegen.
BildNach Hause.


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