Wenige Jahre in der Vergangenheit
Warm drang der Wind durch die Bretter der Wand und brachte somit die Flammen der Kerzen, welche für eine spärliche Beleuchtung in den Räumlichkeiten sorgten, zum Flackern. Kurz bauschten die mattroten Vorhänge am Fenster auf, als der Wind sich auch diesen Zugang suchte und letztendlich ein aufgeschlagenes Buch dazu brachte hektisch in seinen eigenen Seiten zu blättern. Der störrische Wind wurde mit einem Murren der kleinen Schwarzhaarigen quittiert, die sich unter einem leisen Plätschern des Seifenwassers aus ihrem Zuber erhob und die wenigen Schritte zum offenen Fenster absolvierte. Ehe sie zu den Fensterläden griff, richtete sie ihren Blick in die Nacht hinaus, wo sich ein ihr vertrauter Anblick offenbarte.
Die beleuchteten Docks des eher zwielichtig anmutenden Hafens der tropischen Kleininsel, ein Betrunkener der torkelnd über die feuchten Holzplanken wanderte, Rum der dabei verschüttet wurde, dicht gefolgt von einem verärgerten Ausruf über eben jenes Missgeschick. Unterhalb ihres Fenster erblickte sie Catarina, die mit ihren knapp geschnittenen Kleid ihre ganz persönliche Ware an den Mann bringen wollte und es würde auch nicht lange dauern, da war die Schwarzhaarige sich sicher, da würde einer der Hafenarbeiter dem Anblick nicht widerstehen können – möge es noch so viele Münzen kosten.
Mit einem Schmunzeln zog sie das Fenster schließlich zu, sperrte den tropischen Seewind somit aus ihren Räumlichkeiten aus und macht sich auf den Weg zum Bett, auf welchem das aufgeschlagene Buch lag. Ohne sich abzutrocknen oder sich anzuziehen, setzte sie sich auf das Bett um das Buch zwischen die schlanken Finger zu nehmen. Die, im spärlichen Licht gar schwarz wirkenden, Mandelaugen huschten kurz zur gegenüberliegenden Wand, angezogen von den Lauten die von dort kamen. Es waren Geräusche die man hier alltäglich hörte, die Teil von ihrem Leben waren, seitdem sie das erste Mal das Licht dieser Welt erblickt hatte und jeder der sie hörte, wusste was dort nebenan in dem Zimmer gemacht wurde. Ein anderes Mädchen hatte sich wohl einen der Männer schnappen können, der ihr im Gegenzug dafür ein paar Münzen überreichen würde.
Mit einem kleinen Schmatzen senkte sich ihre Aufmerksamkeit auf das Buch, der Wind hatte die Seiten so weit umgeblättert, dass die aller erste zum Vorschein kam und obwohl sie selber die Verfasserin der Schrift war, konnte sie nicht widerstehen das Niedergeschriebene zu lesen.
12. Tag des 7. Monats im Jahr 58
„Ich bin mir nicht sicher, wie man so etwas anzufangen hat. Wie und warum führt man ein Tagebuch? Dient es nur dazu, dass dem eigenen Geist keine Erinnerungen abhanden kommen oder ist es gar eine Art der Therapie bei all dem Mist, den man hier täglich erleben darf? Vielleicht sollte ich einfach mit dem Anfang beginnen? Mit dem Anfang von allem?
Der Name der mir von meiner Mutter gegeben wurde lautet Madalyn, aber mittlerweile werde ich von den Meisten nur noch Lyn gerufen und mein Leben verdanke ich vermutlich weniger meiner Mutter, sondern eher meinem Vater. Sie erzählte mir einst, dass sie mich abgegeben hätte oder ich gar nicht zur Welt gekommen wäre, wenn mein Vater nicht ein Kunde aus den fernöstlichen Ländereien gewesen wäre. Eine Tatsache die mir ein, für diese Breitengrade, exotischen Aussehen verlieh und das war etwas sehr Gutes. Warum? Es gab viele Männer die nach etwas Abwechslungsreichen suchten, nach etwas, was sie nicht alltäglich sahen und so kam es, dass ich behalten wurde. Sie zog mich hier auf, wo ich heute noch bin, im Freudenhaus der kleinen topischen Insel ohne Namen. Das Freudenhaus, welches von meiner Mutter selbst, die von allen nur „Minfay“ gerufen wurde, geleitet wurde und dessen Kundenstamm zum größten Teil aus Kauf- oder Seemännern bestand.
Das Geschäft der Hurerei war somit schon immer etwas sehr Normales für mich, nichts für das man sich schämen musste, nichts was irgendwie besonders war. Natürlich gibt es Tage auf die man mehr Lust hat, als auf andere, gerade wenn man mal wieder einen Kunden hat, dessen volltrunkener und stinkender Leib einen zu erdrücken droht. Aber am Ende zählt nur das Gefühl des kalten Goldes, welches sich in die Handinnenfläche schmiegt und ein weiterer Tag den man hier überlebt. Im Grunde kann ich wohl froh sein, hier in einem Freudenhaus zu sein, als ein Mädchen auf der Straße, welches wesentlich niedrigeren Bedingungen ausgesetzt ist.
Natürlich hatte ich in meiner Jugend darüber nachgedacht wie meine Zukunft aussehen würde, gerade als Kind waren viele meiner Tage unendlich langweilig gewesen. Ich saß oft nur in der Taverne des Freudenhauses, unterhielt mich mit den Erwachsenen die dort tranken oder war Draußen um mit den Straßenkindern am spielen. Das Schreiben und Lesen brachte ich mir selber bei, das Rechnen lernte ich von den Dirnen – das war immerhin sehr wichtig für meine Zukunft. Ich stellte mir oft vor, dass mein Weg mich irgendwann weg von der Insel bringen würde, aber irgendwie war dieses Vorhaben immer mit so vielen Unsicherheiten behaftet, dass ich bis heute hier blieb und versuche das Beste aus dem zu machen, was sich mir anbietet. Meine Mutter sagt mir immer, dass ich nur wissen muss, wie ich meine Reize einzusetzen habe und dann würde mir die Welt offen stehen. Vermutlich meint sie damit die Welt dieser Insel, aber das wird wohl eher die Zeit zeigen.
Ich will versuchen meine Erfahrungen und Erinnerungen hier festzuhalten, als wäre dieses Buch der einzige Gesprächspartner dem ich vertrauen kann. Vertrauen ist in diesem Leben unbezahlbar und daher viel zu selten.“
Mit einem dumpfen Geräusch wurde das Buch wieder zugeklappt und auf den Nachtisch des ausladenden Bettes gelegt. Schmunzelnd lehnte die kleine Frau sich zurück, kreuzte die Arme hinter ihrem Hinterkopf und blickte zur Decke des Raumes hinauf. Sie war noch immer hier, auf dieser kleinen Insel und auch noch immer in dem Freudenhaus ihrer Mutter Minfay, aber sie musste sich nicht mehr jedem Mann anbiedern. Sie hatte sich einen gewissen Ruf erarbeitet, sie hatte mittlerweile das Geschenk erhalten, sich die Kunden aussuchen zu können, die alle bereit waren einen entsprechenden Preis zu bezahlen. So war es angenehmer und konnte unter Umständen sogar Spaß machen, was wollte sie also mehr?
Das Klopfen an ihrer Tür riss sie aus ihren Gedanken und sie richtete sich mit einem reizenden Lächeln auf den Lippen wieder auf. Es war Zeit zu arbeiten und sie wusste wer da an der Tür auf sie wartete. Rasch strich sie sich das feuchte Haar über die Schultern, überkreuze die Beine in halb aufrechter Position auf dem Bett und erhob die Stimme:
»Komm nur herein Lieber...«